Bretonischer Zitronenzauber (eBook)

Roman - Mit leckeren Rezepten zum Nachbacken

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
480 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-26615-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bretonischer Zitronenzauber -  Hannah Luis
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Das Geheimnis eines alten Kuchenrezeptes und der Zauber der Bretagne
Wenn Mona an ihre verstorbene Großmutter denkt, ist es noch immer, als läge der Duft von frisch gebackenem Kuchen in der Luft. In Oma Josefines Nachlass findet sie ein Rezept für eine ganz besondere Zitronentorte von ihrer Urgroßmutter Helene. Auf der Rückseite des vergilbten Papiers: eine Liste mit Mädchennamen - darunter auch Josefine - und der Hinweis auf eine Pension in der Bretagne. Könnte das endlich eine Spur zu ihrem unbekannten Urgroßvater sein? Spontan macht sich Mona mit Hund Flint auf nach Frankreich, um das Rätsel zu lösen. Umgeben von Crêpes, Tartes und Cidre wandelt sie auf den Spuren von Helene und sucht nach dem Ursprung des Rezepts. An der malerischen bretonischen Küste, wo die raue Brandung auf zerklüftete Felsen trifft, verliebt sie sich schließlich nicht nur in die wilde Landschaft ...

Hannah Luis studierte Skandinavistik, Publizistik und Sozialanthropologie in Bochum und Kopenhagen. Nach verschiedenen Stationen in Australien, England und der Schweiz kehrte sie nach Deutschland zurück. Heute lebt und schreibt sie in Essen, aber es zieht sie noch immer regelmäßig in die Ferne. Sie liebt es, Rezepte aus anderen Ländern mitzubringen und zu Hause auszuprobieren.

1


Das Blech mit dem Bienenstich sah seltsam aus zwischen all den Grabsteinen. Zartgelbe Creme und golden geröstete Mandelblättchen neben Moos und Flechten auf einem Untergrund in zahlreichen Grautönen. Schnurgerade geschnittene, köstliche Quadrate neben Engelstatuen mit gefalteten Händen und Kreuzen aus Marmor. Oma Fines Backclub hatte ganze Arbeit geleistet.

Mona schnupperte verhalten. Das süßzuckerige Aroma breitete sich in der Wärme der Maisonne aus, mischte sich mit dem Duft der Lilien und Chrysanthemen und sorgte für den einen oder anderen Seitenblick aus den Reihen der Trauergemeinde.

»Ach Mann, ach Mann«, murmelte Anneliese Rumborg neben ihr – sie war es nicht gewohnt, Gebäck nur anzustarren und nicht essen zu können. Vielleicht trauerte sie aber auch gerade einfach nur laut, da der Duft Erinnerungen in ihr weckte. Zumindest war es bei Mona so. Sie hätte nur die Augen schließen müssen, um sich in Oma Fines Küche wiederzufinden, direkt an dem großen Eichentisch, dem Herzstück des Raumes. Dort hatten sie so oft gesessen, gelacht, Karten gespielt … und Mona hatte dort backen gelernt. Einzelne Zutaten in kleine Wunderwerke verwandelt, die nicht nur schmeckten, sondern auch Seelen wärmten. Fast konnte sie die Hitze des Herdes auf ihrer Haut spüren – ihre Oma hatte es nie übers Herz gebracht, den alten Kohleofen hinauszuwerfen, selbst als sein Elektro-Gegenstück bei ihr eingezogen war.

Mona lächelte bei dem Gedanken, und es war ein merkwürdiges Gefühl, da gleichzeitig ihre Augen brannten. Sie vermisste ihre Oma so sehr!

Rasch blickte sie zum Pfarrer, um sich abzulenken. Sogar der schaffte es nicht, den Bienenstich zu ignorieren. Seine Stimme verlor stets an Kraft oder Tempo, wenn er zum Blech blinzelte, und die Botschaft in seinem Blick war deutlich: Kuchen gehörte zum Leichenschmaus, nicht auf den Friedhof. Aber er war zu rücksichtsvoll, um die Trauergemeinde, in der es hier und dort verhalten schluchzte, deshalb zu rügen.

Mona entfernte einen verirrten Grashalm von ihrer Strumpfhose und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, woraufhin Frau Rumborg ihr die Schulter tätschelte. »Ist schon gut, Mädchen, ist schon gut.« Dann starrte die energische Frau mit durchgestrecktem Rücken und ernstem Blick in den Himmel, als kämen die Worte des Pfarrers geradewegs von dort. Wahrscheinlicher war allerdings, dass sie ihrer alten Freundin Josefine eine stumme Gardinenpredigt hielt und ihr vorwarf, sich aus dem Staub gemacht und sie hier unten auf der Erde mit allem Drum und Dran alleingelassen zu haben.

Es tat gut, Frau Rumborg neben sich zu wissen, rundlich und in ihren Gummistiefeln unerschütterlich wie immer. Sie wohnte im Haus direkt neben Oma Fine. Es war orangefarben gestrichen, und durch die davor gestapelten, alten Blumentöpfe und Gartengeräte erinnerte es ein wenig an eine winzige Villa Kunterbunt. Jeden Tag um Punkt vier Uhr war Frau Rumborg zum Kaffee erschienen. An Monas anderer Seite stand ihre Mutter, die in ihrem Hosenanzug und mit den im Nacken zu einem Knoten zusammengebundenen, hellen Haaren ungewohnt streng aussah. Sie kämpfte mit einem Taschentuch und blickte wie hypnotisiert auf die Schleife des Kranzes vor sich.

Deine Schritte sind verstummt, doch die Spuren deines Lebens bleiben.

Hier würde bald der so vertraute Name auf einem Grabstein prangen: Josefine Wiedmann. Geboren 1932, gestorben … viel zu früh. Allzu viele sichtbare Spuren hatte Oma Fine nicht hinterlassen, wenn man sich umblickte: Neben Mona und ihrer Mutter bestand ihre Familie nur noch aus ihrer Tante Dora, die jedoch zu krank war, um zur Beerdigung zu kommen. Dafür hatte Oma Fine umso mehr Erinnerungen in ihrer aller Herzen hinterlassen. Mona wettete darauf, dass das Rezept für den Bienenstich von ihr stammte und irgendetwas, eine raffinierte Kleinigkeit, ihn zu etwas Besonderem machte. Vielleicht ein Gewürz, das auf den ersten Blick inmitten der Zutaten seltsam erschien, vielleicht aber auch ein gehöriger Schuss Whisky oder Likör. Anders als der Rest des vollzählig zur Beerdigung angetretenen Backclubs hatte sich Fine nie damit zufriedengegeben, stur Rezepte zu befolgen, sondern hatte stets etwas abgeändert, verfeinert, ausprobiert, eine persönliche Note hinzugefügt. Und das mit diesem verschmitzten Glitzern in den Augen, das sie jedes Mal für den Bruchteil einer Sekunde wieder in ein junges Mädchen verwandelt hatte.

»Ich hab es schon in der Schule nicht leiden können, in den Schönschriftstunden einfach nur einen Text abzuschreiben«, hatte sie einmal erzählt, ehe sie ein paar Tannenspitzen – nur die jungen, hellen Enden, aus denen sie sonst Likör herstellte – fein zerstampfte und in ihre Erdbeermarmelade mischte. »Ich habe immer etwas hinzugefügt, manchmal ein Gedicht oder eine kleine Geschichte. Die Lehrer fanden das nicht gut.«

Die Marmelade hatte sich als unsagbar lecker herausgestellt – die Tannenspitzen verliehen ihr eine ganz besondere, leicht herbe Frische, die den perfekten Kontrast zur Erdbeersüße bildete –, und anschließend hatte das Rezept die Runde unter Oma Fines Club-Freundinnen gemacht.

Mona sah sich verstohlen um, während sie eine Strähne hinter ihr Ohr schob, die sich aus dem Zopf gelöst hatte. Sie war sicher, aus mindestens einer Handtasche den Schraubverschluss eines Marmeladenglases herausragen zu sehen, und stellte sich vor, dass die Gläser hinterher am Grab zurückbleiben würden wie Mitbringsel zu einem letzten gemeinsamen Kaffeeklatsch.

Die Trauergäste in der vorderen Reihe waren ausnahmslos weiblich – so ausnahmslos weiblich wie Monas Familie. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, welcher Fluch dafür sorgte, dass sämtliche Männer relativ schnell wieder von der Bildfläche verschwanden. Der Grabstein neben Oma Fines Ruhestätte trug die Inschrift Alfred Wiedmann. Das Weiß der Buchstaben war an manchen Stellen bereits verblichen, der Glanz verschwunden. Monas Opa war noch vor ihrer Geburt gestorben.

Mit einem letzten Blick in die Runde – ja, das waren ganz eindeutig Marmeladengläser! – atmete sie tief durch.

Die Schulter ihrer Mutter berührte ihre, und der Druck war zu stark, als dass es Zufall sein konnte: Marion Martinssen lehnte sich an ihre Tochter, und wahrscheinlich merkte sie nicht einmal, wie sehr. Am liebsten hätte Mona ihre Mutter umarmt, doch sie fürchtete, dass diese dann in Tränen ausbrechen würde – und sie gleich mit. Noch stand die dünne Mauer der Selbstbeherrschung, auch wenn sie bereits bröckelte.

Auch an Mona war der Fluch der Familie nicht vorbeigegangen: Ihr Vater war verschwunden und hatte Mona und ihre Mutter zurückgelassen, als sie sieben Jahre alt gewesen war. So hatte sie viel Zeit bei ihrer Oma verbracht, die ihre Tochter nach Kräften unterstützte. »Man schafft alles, wenn man zusammenhält«, hatte Fine stets gesagt, und es wäre Mona nie in den Sinn gekommen, ihr zu widersprechen. Schließlich lag eine Menge Wahrheit in ihren Worten.

Jetzt waren sie nur noch zu zweit, Tante Dora mal außen vor gelassen. Auch Monas beste Freundin hatte nicht kommen können – und die war einer Familie noch am nächsten. Aber Isa schleppte momentan ein riesiges Gipsbein durch die Gegend, da sie vor drei Tagen beschlossen hatte, auch bei rutschigem Untergrund die Treppen vor ihrem Haus hinabspringen zu können. Dafür passte sie jetzt auf Flint auf, worüber Mona heilfroh war. Für sie war er der liebste Vierbeiner der Welt, aber auf der Beerdigung hätte er sich tödlich gelangweilt. Und wenn er sich hier ganz nach Hundeart schwanzwedelnd und hechelnd auf den Bienenstich gestürzt hätte, wäre er wahrscheinlich mit empörten Schreien und geschwenkten Handtaschen davongejagt worden.

Die andere Person, von der sie sich Halt erhofft hatte … Mona versteifte sich, da etwas in ihr vor Empörung leise zu brodeln begann. Sie wollte jetzt nicht an Daniel denken!

Sie lehnte den Kopf an die Schulter ihrer Mutter und spürte, wie sich eine Hand auf ihren Rücken legte und ihn tätschelte. Jetzt schämte sie sich ihrer Tränen nicht mehr.

Niemals zuvor hatte es einen so exquisiten Trauerkaffee gegeben, da war Mona sicher. Er erinnerte eher an einen Kuchenbasar oder Backwettbewerb inmitten der so vertrauten, dunklen Kirschholzmöbel, die stets säuberlich abgestaubt gewesen waren, so lange Mona denken konnte, der Knüpfteppiche sowie der Orchideenflut auf den Fensterbänken. Im Gegensatz zu den betretenen Gesichtern bei der Beerdigung hätte Oma der vollgepackte Tisch in ihrem Esszimmer gefallen. Eine Köstlichkeit wartete neben der anderen.

»Trockener Streuselkuchen kommt mir nicht ins Haus«, hatte Oma stets gesagt. »Der sieht aus, als wäre jemand drübergefahren, und hat so viel Pfiff wie ein nasser Strumpf.« Alle hatten sich daran gehalten – weit und breit keine Spur von einem Streuselkuchen. Stattdessen duftete es vor allem nach Zwetschgen, Zimt und Vanille, und Mona konnte nicht verhindern, dass ihr das Wasser im Mund zusammenlief. Sie seufzte leise, sah sich um und strich ihr schwarzes Kleid glatt. Natürlich war sie nicht die Einzige, die verstohlen auf die liebevoll angerichtete Gebäcksammlung schielte.

Es gab Zwetschgenböden, eine Käse-Sahne-Torte, einen Frankfurter Kranz, eine Mokkatorte, Orangenbaiserschnitten, eine Kuppeltorte in Pastell sowie eine Marzipan-Kirsch-Torte. Zusammen mit ihrer Mutter hatte Mona zwei Platten Donauwellen gebacken und dabei die Buttercreme nach Familientradition mit Whisky verfeinert sowie weiße statt dunkler Kuvertüre gewählt. Fast glaubte sie, das malzige Glenlivet-Aroma durch den betörenden Duft der...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2021
Verlagsort München
Sprache deutsch
Maße 120 x 120 mm
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Backrezepte Bretagne • Bretagne • Bretagne Roman • bretonisch backen • bretonische Rezepte • Bretonische Spezialitäten • Die Insel der Zitronenblüten • Die Zitronenschwestern • eBooks • Familiengeheimnis • Familiensaga • Frankreich • Frankreichurlaub • französisch Backen • Frauenromane • Galettes • Großmutter • kleine geschenke für frauen • Kouign Amann • Liebesgeschichte • Liebesromane • Margot Baumann • Neuerscheinungen 2021 • Persephone Haasis • Romane für Frauen • Sommerbuch • Urlaubslektüre • Valentina Cebeni • Zitronentorte
ISBN-10 3-641-26615-7 / 3641266157
ISBN-13 978-3-641-26615-8 / 9783641266158
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,4 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99