Die F*ck-it-Liste (eBook)

Roman

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
320 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-13699-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die F*ck-it-Liste -  John Niven
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Amerika in der nahen Zukunft. Nachdem Donald Trump zwei Amtszeiten durchregiert hat, ist jetzt seine Tochter Ivanka an der Macht. Das Land ist tief gespalten, die Jahre populistischer Politik haben ihre Spuren hinterlassen. Derweil erhält Frank Brill, ein anständiger Zeitungsredakteur in einer Kleinstadt, der gerade in den Ruhestand getreten ist, eine folgenschwere Diagnose: Krebs im Endstadium. Anstatt sich all die Dinge vorzunehmen, die er schon immer machen wollte, erstellt er eine sogenannte F*ck-it-Liste. In seinem Leben musste er wiederholt Tiefschläge erleiden, nun beschließt er sich an den Menschen zu rächen, die für diese Tragödien verantwortlich zeichneten.

Die F*ck-It-Liste ist einerseits politische Satire, andererseits ein gnadenloser Thriller, der John Niven in angriffslustiger Form zeigt.

John Niven, geboren 1966 in Schottland, spielte in den 80er-Jahren Gitarre bei der Indieband »The Wishing Stones« und arbeitete nach dem Studium der Literatur als A&R-Manager einer Plattenfirma, bevor er sich 2002 dem Schreiben zuwandte. 2006 erschien sein erstes Buch »Music from Big Pink«. 2008 landete er mit dem Roman »Kill Your Friends« einen internationalen Bestseller, der auch fürs Kino verfilmt wurde. Es folgten zahlreiche weitere Romane, darunter Kultklassiker wie »Coma« oder »Gott bewahre«. Neben Romanen schreibt John Niven Drehbücher. Er wohnt in der Nähe von London.

KAPITEL 1


»… normalerweise stellt jeder dieselbe Frage.«

»… verstehe«, sagte Frank erneut.

Es kam nicht gänzlich unerwartet. Die toten und ruinierten Ex-Frauen, die toten Kinder. Manche würden sagen, Frank Brill war ein außerordentlich glückloser Mann, geboren an einem außerordentlich glücklosen Punkt der Geschichte. Einem Moment in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, an dem das Amerika, das es einmal gab und das es hätte geben können, zwar verloren, aber weiterhin spürbar war. Wie ein Kind, das in die sommerliche Luft starrt, wo eben eine schillernde Seifenblase geplatzt ist, spürte Frank noch immer einen Hauch, eine feucht schimmernde Ahnung des alten Amerika auf seiner Haut. Aber dieser jüngste, der finale Tiefschlag, war nicht zu leugnen. Fast wollte er lachen, dem Schicksal ins Gesicht lachen. Fick mich? Fick dich doch selbst!

Es war ein klarer, kalter Novembernachmittag, und im Sprechzimmer herrschte absolute Stille, nur durchbrochen vom sanften Brummen des Computers auf dem Schreibtisch, das Frank an das leise Rattern eines Taxameters, die sich stetig summierenden Kosten, denken ließ. Er kannte den Arzt nicht gut. Im Augenblick fiel ihm nicht mal dessen Name ein. Aber Frank war alt genug, um sich an eine Zeit zu erinnern, in der das die Ausnahme gewesen wäre, damals, als Ärzte noch Hausbesuche machten. »Wir rufen Doktor Wood, damit er nach dir sieht«, hätte seine Mom gesagt. In Amerika kam ein Arzt heutzutage nur noch zu dir nach Hause, wenn du reich oder tot warst. Und Frank war nichts davon. Er hatte sich die Praxis aus der Liste der zugelassenen Ärzte herausgepickt, weil der Weg dorthin nicht so weit war.

Der Arzt schob ein Blatt Papier zur Seite und sah Frank abwartend an. Frank blickte aus dem Fenster in den kleinen Garten im Innenhof, nackt und kahl wie alles hier im Mittleren Westen. Die Knospen an den Spitzen der Zweige einer Magnolie waren winzig und sahen aus wie abgestorben. Mit Frühlingsbeginn, Anfang März, würden sie auftreiben und sich bald darauf zu cremeweißen Blüten öffnen. Das wusste Frank, weil in seinem Garten ebenfalls eine Magnolie stand. Manchmal erblühte sie bereits Mitte März, manchmal erst in der zweiten Aprilwoche. Das hatte vermutlich mit dem Wetter zu tun. Damit, wie kalt der Winter gewesen war und so weiter. Er würde Alexa danach fragen, wenn er wieder nach Hause kam. Wobei es in seinem Alter schon traurig war, die Dinge wachsen zu sehen und nicht zu wissen, wie oder warum sie das machten. All die Blumen und Bäume, deren Namen er nicht kannte. Niemals kennen würde. Es gab so vieles, von dem er stets gedacht hatte, er würde es irgendwann verstehen, einfach durch eine Art osmotischen Alterungsprozess. (Beim Wort osmotisch erinnerte er sich an den Biologieunterricht in der zehnten Klasse. Daran, wie er und Robbie in der letzten Reihe herumgealbert hatten. Robbie in seinem Styx-T-Shirt.) Sachen wie Schreinern oder Elektrik. In seiner Jugend schienen alte Männer solche Sachen einfach zu wissen. Aber an Frank waren sie offenbar spurlos vorbeigezogen, und die Jugend von heute wusste nicht einmal, dass sie existiert hatten. Wie hieß noch mal das Ding, das er benutzen sollte, wenn es nach seiner Tochter gegangen wäre? Irgendwas mit »Task«. Task Bunny?

»Alles klar«, sagte er. »Danke.«

»Ähm, Mr. Brill?«

Frank, der bereits nach seinem Mantel griff und sich die zerschlissene Baseballkappe mit dem Logo der Colts auf das dünner werdende graue Haar setzte, drehte sich noch einmal um. »Ja?«

»Sie haben doch sicher noch Fragen.«

»Nein.«

»Wir müssen über die Behandlungsmöglichkeiten sprechen.«

»Nein«, seufzte Frank. »Müssen wir nicht.«

Der Arzt stand auf und kam um den Schreibtisch herum. Er war jung. Halb so alt wie Frank. Irgendwas mit »Bau«. Bow. Bowden. Das war’s. In der Highschool hatte Frank mal eine Lizzie Bowden gekannt. Wenn man lang genug lebte, gab es irgendwann kaum noch etwas, das keine Erinnerungen weckte. Ihre Titten … er hatte gespürt, wie sie sich beim Klammerblues gegen seinen Brustkorb pressten. Er war damals achtzehn Jahre alt gewesen, und die Party ihrem Ende entgegen gegangen. Zu welchem Song hatten sie getanzt? Zu einer Ballade. Einer dieser langsamen Rausschmeißer-Nummern.

»Hören Sie«, sagte Bowden, legte nervös eine Hand auf Franks Schulter und holte ihn zurück in die Gegenwart. Der Jungspund machte das nicht zum ersten Mal, hatte aber auch noch keine Routine darin. »Mr. Brill, Ihre Reaktion ist sehr viel verbreiteter, als Sie glauben. Wenn der erste Schock überwunden ist und sie mit ihren Angehörigen darüber gesprochen haben, verstehen die meisten Menschen aber, dass es vernünftig ist, sich alle Möglichkeiten genau anzusehen statt einfach nichts zu tun.«

Task Rabbit! So hieß das Ding. Auf ihrem Handy. »Ich habe keine Angehörigen, Doc.«

Frank sagte das frei von Verbitterung oder Selbstmitleid. Es war nur eine sachliche Feststellung. Gute Prosa ist wie eine Fensterscheibe. Ein Orwell-Zitat, mit dem er seine Juniorreporter gerne daran erinnert hatte, ihre Texte klar und nüchtern zu halten.

»Tut mir leid«, sagte Bowden.

Frank zuckte mit den Schultern. Was sollte man dazu sagen? Er wollte es dem armen Kerl etwas leichter machen. »Keine Sorge, junger Mann. So ist das Leben. Ist halt dumm gelaufen.« In Wahrheit kämpfte Frank gerade gegen ein Gefühl an, das der junge Arzt nur schwerlich verstanden hätte.

»Soll ich Ihnen die Nummer eines Psychologen geben? Jemand, der …«

»Nein, danke.« Frank machte einen Schritt Richtung Tür.

»Mr. Brill, Frank, ich glaube, Sie verschließen die Augen vor der Wahrheit.«

»Warum?«

»Warum was?«

»Warum verschließe ich die Augen vor der Wahrheit?«

»Weil … nun, normalerweise stellt jeder dieselbe Frage.«

»Sie wollen unbedingt, dass ich es ausspreche, oder?« Bowden sah ihn bloß an. Frank seufzte erneut. »Na gut, ich spiele mit. Doc, wie lange hab ich noch?«

»Also.« Der junge Mann musste schlucken. »Das ist schwie…«

»Jaja«, sagte Frank. »Es ist schwierig zu sagen, aber es könnte alles von X bis Y sein. Je nachdem, wie aggressiv er ist und wie viel Geld wir in die Behandlung stecken. Geben Sie mir einfach … eine Hausnummer.«

»Ohne Therapie? Vielleicht drei bis sechs Monate.«

»Na schön. Dann werden wir den scheiß Ball wohl einfach so spielen müssen, wie er liegt.«

»Ihn spielen, wie er liegt?«

»Ich vermute, Sie sind kein Golfer?«

»Everytime You Go Away«. Das war der Song. Das musste … wann gewesen sein? Im Abschlussjahr? 1984? Wer zum Teufel hatte diese Schnulze gesungen?

Mit diesem Gedanken im Kopf durchquerte er den Empfangsbereich und trat unter dem besorgten Blick der Sprechstundenhilfe auf den kalten, windigen Parkplatz hinaus.

Schilling, Indiana. 32000 Einwohner.

Die Arztpraxis lag in einem kleinen Einkaufszentrum am Stadtrand, wo inzwischen fast alles zu finden war. Es gab Rechtsanwälte (McRae, Dunbar & Wallace: »Wir nehmen auch Pro-bono-Mandate an«) und einen Laden, der früher mal als Maklerbüro gedient hatte, inzwischen aber schon seit ein paar Jahren verwaist war. Ein verblichenes Transparent im Schaufenster verkündete: »IVANKA 2024! MAKE AMERICA GREATER!« Gleich auf der anderen Seite der Schnellstraße lag eine kleine Mall: Schuhgeschäft, Nagel- und Sonnenstudio sowie eine Olive-Garden-Filiale. Die grasgrünen Schilder eines Subway suggerierten, das Essen dort sei gesund, und vermutlich war es das sogar. Zumindest verglichen mit dem KFC nebenan, wo Frank auf dem Heimweg manchmal angehalten hatte, um einen großen Eimer mit Hähnchenteilen zu kaufen. Damals, als er noch Verwendung für einen ganzen Eimer hatte, weil es mehr Münder als nur den eigenen zu stopfen gab. Auf dem Parkplatz vor den Fastfood-Läden wirbelte der vorbeibrausende Verkehr den Müll auf. In den staubigen Benzindämpfen jagten Papierservietten, Pappschachteln und Styroporbecher einander im Kreis herum. Das Büro der Zeitung – ihr letztes Büro vor der Schließung – hatte östlich von hier gelegen, nur ein Stückchen weiter die Interstate 22 runter. Ob es wohl immer noch leer stand? Mit Brettern vernagelt? Frank war seit Monaten nicht mehr dort gewesen, um nachzusehen. Er wartete an der Bordsteinkante, um einen FedEx-Transporter passieren zu lassen – elektrisch, fahrerlos und sehr, sehr leise. Die verfluchten Dinger jagten Frank noch immer einen Höllenschreck ein. Frank, der sich lieber an Altbewährtes hielt. Der heute wie eh und je seine Autoschlüssel aus der Tasche fischte, obwohl er den Versicherungsstatistiken, laut denen selbstfahrende Autos deutlich weniger Unfälle verursachten als solche, die von Menschen gesteuert wurden, nicht widersprochen hätte. Alles völlig logisch, dachte er, während er dem FedEx-Fahrzeug dabei zusah, wie es auf der anderen Seite des Platzes vorsichtig und laut piepsend in eine Parkbucht zurücksetzte. SELBSTfahrende Autos überschritten niemals das Tempolimit, weil sie spät dran waren. Sie übersahen weder Stoppschilder, noch drangsalierten sie andere Verkehrsteilnehmer, indem sie vorsätzlich zu dicht auffuhren. Die Chips und Sensoren ihrer Prozessoren sorgten dafür, dass sie ausreichend Abstand zu anderen Fahrzeugen bewahrten und die Verkehrsregeln befolgten. Sie waren unzweifelhaft und nachweislich...

Erscheint lt. Verlag 12.10.2020
Übersetzer Stephan Glietsch
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The F*ck it List
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amerika • Asylpolitik • Donald Trump • eBooks • Gott bewahre • Irvine Welsh • Krebsdiagnose • Nahe Zukunft • Parodie • Politsatire • Politthriller • Populismus • Rache • Roman • Romane • Satire • Schottland • T.C. Boyle • Thriller
ISBN-10 3-641-13699-7 / 3641136997
ISBN-13 978-3-641-13699-4 / 9783641136994
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