Normale Menschen (eBook)

Roman

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
320 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-20561-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Normale Menschen -  Sally Rooney
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Die Geschichte einer intensiven Liebe: Connell und Marianne wachsen in derselben Kleinstadt im Westen Irlands auf, aber das ist auch schon alles, was sie gemein haben. In der Schule ist Connell beliebt, der Star der Fußballmannschaft, Marianne die komische Außenseiterin. Doch als die beiden miteinander reden, geschieht etwas mit ihnen, das ihr Leben verändert. Und auch später, an der Universität in Dublin, werden sie, obwohl sie versuchen, einander fern zu bleiben, immer wieder magnetisch, unwiderstehlich voneinander angezogen. Eine Geschichte über Faszination und Freundschaft, über Sex und Macht.

Sally Rooney wurde 1991 geboren, ist in Castlebar, County Mayo, aufgewachsen und lebt in Dublin. Ihre frühen Arbeiten sind erschienen in The New Yorker, Granta, The White Review, The Dublin Review, The Stinging Fly, Kevin Barrys Stonecutter und der Anthologie Winter Pages. Sie studierte am Trinity College Dublin, zunächst Politik, machte dann ihren Master in Literatur. Sie war dort 2013 die Nr. 1 bei den European University Debating Championships. Rooneys Debütroman »Gespräche mit Freunden« war Book of the Year in Sunday Times, Guardian, Observer, Daily Telegraph und Evening Standard. Der Roman kam auf die Shortlist des Sunday Independent Newcomer of the Year Award 2017, des International Dylan Thomas Prize und des Rathbones Folio Prize 2018. Rooney war die Gewinnerin des Sunday Times/Peters Fraser & Dunlop Young Writer of the Year Award 2017, den u.a. auch Zadie Smith und Sarah Waters gewannen. Rooney ist inzwischen Redakteurin des irischen Literaturmagazins The Stinging Fly. Ihr zweiter Roman »Normale Menschen« wurde für den Man Booker Prize 2018 nominiert und gewann u.a. den Costa Novel Award, den An Post Irish Novel of the Year Award und den British Book Award (Novel of the Year und Book of the Year).

Januar 2011


Als Connell klingelt, macht Marianne die Tür auf. Sie trägt immer noch ihre Schuluniform, aber ohne den Sweater, also nur Bluse und Rock, und sie hat keine Schuhe an, nur Strümpfe.

Oh, hey, sagt er.

Komm rein.

Sie dreht sich um und geht den Flur runter. Er folgt ihr, schließt hinter sich die Tür. Ein Stück weiter in der Küche pellt sich seine Mutter Lorraine die Gummihandschuhe ab. Marianne hüpft auf die Küchentheke und greift nach einem offenen Glas Schokocreme, in dem noch ihr Teelöffel steckt.

Marianne hat mir erzählt, dass du heute die Ergebnisse von den Probeklausuren bekommen hast, sagt Lorraine.

Wir haben Englisch gekriegt, sagt er. Die kommen einzeln zurück. Willst du los?

Lorraine faltet ordentlich ihre Gummihandschuhe zusammen und legt sie unter die Spüle. Dann nimmt sie die Klammern aus dem Haar. Connell findet, dass sie das auch im Auto hätte tun können.

Und wie ich hörte, lief es für dich sehr gut, sagt sie.

Er war Klassenbester, sagt Marianne.

Stimmt, sagt Connell. Marianne war auch ziemlich gut. Können wir los?

Lorraine hält beim Ausziehen ihrer Schürze inne.

Ich wusste gar nicht, dass wir es eilig haben, sagt sie.

Er schiebt die Hände in die Taschen und unterdrückt einen genervten Seufzer, unterdrückt ihn aber mit einem hörbaren Einatmer, so dass es immer noch nach einem Seufzer klingt.

Ich muss nur noch mal schnell rauf und den Trockner ausräumen, sagt Lorraine. Und dann gehen wir. Okay?

Er erwidert nichts, lässt nur den Kopf hängen, als Lorraine den Raum verlässt.

Willst du was davon?, fragt Marianne.

Sie hält ihm das Glas mit Schokocreme hin. Er schiebt seine Hände ein kleines Stück tiefer in die Taschen, als versuchte er, seinen gesamten Körper auf einmal in die Taschen zu stecken.

Nein, danke, sagt er.

Habt ihr heute eure Französischnoten bekommen?

Gestern.

Er lehnt sich mit dem Rücken an den Kühlschrank und sieht dabei zu, wie sie ihren Löffel ableckt. In der Schule tun er und Marianne so, als würden sie sich nicht kennen. Alle wissen, dass Marianne in der weißen Villa mit der Auffahrt wohnt und dass Connells Mutter Putzfrau ist, aber niemand weiß etwas über die besondere Beziehung dieser Fakten.

Ich hab eine Eins plus, sagt er. Was hast du in Deutsch?

Eine Eins plus, sagt sie. Prahlst du?

Du wirst sechshundert Punkte kriegen, oder?

Sie hebt die Schultern. Wohl eher du, sagt sie.

Na ja, du bist klüger als ich.

Mach dir nichts draus. Ich bin klüger als alle.

Jetzt grinst Marianne. In der Schule trägt sie offene Verachtung für die anderen zur Schau. Sie hat keine Freunde und verbringt ihre Mittagspausen allein mit Lesen. Viele hassen sie aufrichtig. Ihr Vater starb, als sie dreizehn war, und Connell hat gehört, sie sei jetzt psychisch krank oder so ähnlich. Es stimmt, sie ist die klügste Person in der Schule. Es graut ihm davor, mit ihr allein zu sein, so wie jetzt, aber er ertappt sich auch dabei, wie er sich ausmalt, er würde etwas zu ihr sagen, das sie beeindruckt.

In Englisch bist du nicht Klassenbeste, gibt er zu bedenken.

Gleichgültig fährt sie sich mit der Zunge über die Zähne.

Du könntest mir ja Nachhilfe geben, Connell, sagt sie.

Er merkt, dass er heiße Ohren bekommt. Wahrscheinlich ist es nur so dahingesagt, und sie meint es nicht anzüglich, aber falls sie es anzüglich meint, dann nur, um ihn dadurch herabzusetzen, weil sie als Objekt des Abscheus gilt. Sie trägt hässliche Schuhe mit dicken, flachen Sohlen und schminkt sich nicht. Es heißt, dass sie sich weder die Beine noch sonst was rasiert. Connell hat mal gehört, sie hätte sich im Speisesaal der Schule mit Schokoeis bekleckert, wäre dann aufs Mädchenklo gegangen, hätte sich die Bluse ausgezogen und sie im Waschbecken sauber gemacht. Diese Geschichte kennt man über sie, jeder hat sie schon mal gehört. Wenn sie wollte, könnte sie Connell mit großer Geste in der Schule grüßen. Bis heut Nachmittag, könnte sie vor allen Leuten sagen. Zweifellos würde ihn das in eine unangenehme Situation bringen, etwas, das sie üblicherweise sehr zu genießen scheint. Aber das hat sie noch nie gemacht.

Worüber hast du heute mit Miss Neary gesprochen?, fragt Marianne.

Oh. Nichts. Keine Ahnung. Die Prüfungen.

Marianne rührt mit dem Löffel im Glas herum.

Kann es sein, dass sie auf dich steht?, fragt Marianne.

Connell sieht dabei zu, wie sie den Löffel bewegt. Seine Ohren fühlen sich immer noch sehr heiß an.

Wie kommst du darauf?, fragt er.

O Gott, du hast doch wohl nichts mit ihr, oder?

Ganz sicher nicht. Findest du es lustig, darüber Witze zu machen?

Tut mir leid, sagt Marianne.

Ihr Blick wirkt sehr konzentriert, als würde sie durch seine Augen in seinen Kopf sehen.

Du hast recht, das ist nicht lustig, sagt sie. Tut mir leid.

Er nickt, lässt den Blick ein wenig durch den Raum schweifen, stößt mit der Schuhspitze in eine Rille zwischen den Fliesen.

Manchmal finde ich schon, dass sie sich mir gegenüber komisch benimmt, sagt er. Aber das würde ich natürlich zu niemandem sagen.

Ich finde, sie flirtet sogar im Unterricht mit dir.

Meinst du echt?

Marianne nickt. Er reibt sich den Nacken. Miss Neary unterrichtet Wirtschaftslehre. Seine vermeintlichen Gefühle für sie werden in der Schule ausgiebig diskutiert. Einige behaupten sogar, er hätte versucht, sie auf Facebook zu adden, was er nicht getan hat und auch nie tun würde. Eigentlich macht er nichts und sagt auch nichts zu ihr, er sitzt nur ruhig da, während sie etwas macht und zu ihm sagt. Manchmal ruft sie ihn nach dem Unterricht zu sich, um mit ihm über die Richtung zu sprechen, die er seinem Leben geben will, und einmal berührte sie sogar den Knoten seiner Schulkrawatte. Er kann mit niemandem darüber reden, wie sie sich benimmt, weil die anderen sonst von ihm denken, er würde versuchen, damit anzugeben. Im Unterricht ist er zu beschämt und verärgert, um sich auf den Stoff zu konzentrieren, er sitzt nur da und starrt auf sein Buch, bis die Balkendiagramme verschwimmen.

Alle nerven mich ständig damit, dass ich auf sie stehe, sagt er. Aber das stimmt nicht, überhaupt nicht. Ich meine, findest du etwa, dass ich darauf eingehe, wenn sie sich so aufführt?

Da ist mir nichts aufgefallen.

Gedankenlos wischt er mit den Handflächen über das Hemd seiner Schuluniform. Alle sind so davon überzeugt, dass er auf Miss Neary steht. Manchmal zweifelt er schon an seinen eigenen Instinkten, was das betrifft. Was, wenn er sie doch auf irgendeiner Ebene ober- oder unterhalb seiner eigenen Wahrnehmung begehrt? Er weiß nicht einmal genau, wie sich Begehren überhaupt anfühlt. Jedes Mal, wenn er im echten Leben Sex hatte, fand er es derart stressig, dass es für ihn vor allem unangenehm war, was ihn vermuten lässt, dass mit ihm etwas nicht stimmt, dass er keine Intimität mit Frauen zulassen kann, dass er irgendwie in seiner Entwicklung geschädigt ist. Hinterher liegt er da und denkt: Ich habe es dermaßen gehasst, dass mir schlecht ist. Ist er einfach so? Ist die Übelkeit, die er verspürt, wenn sich Miss Neary über sein Pult beugt, womöglich seine Art, sexuelle Erregung zu verspüren? Woher soll er das wissen?

Wenn du willst, kann ich für dich zu Mr Lyons gehen, sagt Marianne. Ich werde nicht sagen, dass du mir was erzählt hast. Ich sage einfach, dass es mir selbst aufgefallen ist.

Scheiße, nein. Definitiv nicht. Du darfst niemandem etwas davon sagen, okay?

Okay, in Ordnung.

Er sieht sie an, um sich davon zu überzeugen, dass sie es ernst meint, und nickt.

Es ist nicht deine Schuld, dass sie sich dir gegenüber so verhält, sagt Marianne. Du machst nichts falsch.

Leise sagt er: Warum denken dann alle anderen, dass ich auf sie stehe?

Vielleicht, weil du echt oft rot wirst, wenn sie mit dir spricht. Aber du wirst ständig rot, das ist nun mal dein Hauttyp.

Er lacht unglücklich auf. Danke, sagt er.

Na ja, ist halt so.

Ja, weiß ich selbst.

Du wirst sogar jetzt rot, sagt Marianne.

Er schließt die Augen, drückt die Zunge an den Gaumen. Er kann Marianne lachen hören.

Warum musst du immer so hart zu allen sein?, fragt er.

Ich bin nicht hart. Mir ist es egal, ob du rot wirst. Ich erzähl’s keinem.

Nur, weil du es anderen nicht erzählst, heißt das nicht, dass du einfach sagen kannst, was du willst.

Okay, sagt sie. Tut mir leid.

Er dreht sich weg und sieht aus dem Fenster in den Garten. Der Garten ist eigentlich eher eine »Anlage«. Sie umfasst einen Tennisplatz und eine große, steinerne Statue in der Gestalt einer Frau. Er sieht auf die »Anlage« und nähert sich mit dem Gesicht dem kühlen Atem des Fensterglases. Wenn die Leute diese Geschichte über Marianne erzählen, wie sie die Bluse im Waschbecken gewaschen hat, tun sie so, als wäre es einfach nur lustig, aber Connell glaubt, dass in Wirklichkeit etwas anderes dahintersteckt. Marianne ist nie mit jemandem aus der Schule zusammen gewesen, niemand hat sie je nackt gesehen, niemand weiß auch nur, ob sie Jungs oder Mädchen mag, sie verrät es keinem. Das nehmen ihr die Leute übel, und Connell glaubt, dass sie deshalb diese Geschichte erzählen, weil sie auf diese Art etwas begaffen können, was sie sonst nicht zu sehen bekommen.

Ich will mich nicht mit dir streiten, sagt sie.

Wir streiten uns nicht.

Ich weiß,...

Erscheint lt. Verlag 17.8.2020
Übersetzer Zoë Beck
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Normal People
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bestseller 2020 • British Book Award • Costa Novel Award • eBooks • Faszination • Freundschaft • Gespräche mit Freunden • intensive Liebe • internationaler Bestseller • Irische Literatur • Irland • Klassenunterschiede • Liebesromane • Macht • Man Booker Prize-Nominierung • New York Times Bestseller • Normal People • On/Off-Liebesgeschichte • Roman • Romane • Romane Neuerscheinungen 2020 • Schöne Welt wo bist du • Serienverfilmung • Sex • Verfilmte Bücher • Weihnachtsgeschenk
ISBN-10 3-641-20561-1 / 3641205611
ISBN-13 978-3-641-20561-4 / 9783641205614
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