Die Gärten von Paris (eBook)

Ein sehr persönliches, charmantes und französisches Porträt der "Stadt der Liebe"
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2020 | 1., Originalausgabe
255 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-76596-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Gärten von Paris - Murielle Rousseau
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Was wäre Paris ohne seine Gärten und Parks?

Die »grüne Hauptstadt« wird die Metropole auch genannt, denn fast fünfhundert Grünanlagen gibt es hier. Viele sind längst selbst zu Sehenswürdigkeiten geworden, wie der Jardin du Luxembourg oder der Jardin des Tuileries. Andere liegen versteckt hinter hohen Mauern oder verrammelten Toren, wie der Garten des Palais Royal oder der Clos de Blancs Manteaux, und warten darauf, entdeckt zu werden.
In Die Gärten von Paris nimmt die Pariserin Murielle Rousseau die Leserinnen und Leser mit in die schönsten Gärten der Stadt. Dabei nähert sich die Autorin den Gärten als Flaneurin und porträtiert sie auf ihre ganz persönliche, charmante und sehr französische Art. So entsteht Garten für Garten ein ganz besonderes Bild von Paris: das Porträt einer Stadt, gezeichnet auf einer Parkbank, mit Vogelgezwitscher im Ohr.



<p>Murielle Rousseau<strong>, </strong>geboren<b> </b>1966, ist in Paris aufgewachsen. Nach dem Studium der Romanistik und Germanistik Stationen bei verschiedenen Verlagen. Heute ist sie Inhaberin einer Agentur f&uuml;r Pressearbeit. Sie ver&ouml;ffentlichte literarische Kochb&uuml;cher zur franz&ouml;sischen K&uuml;che, die mehrfach ausgezeichnet wurden, und geh&ouml;rt zum Team der TV-K&ouml;che der ARD. Murielle Rousseau ist Mutter zweier Kinder und lebt mit ihrer Familie in Freiburg.</p>

Erstes Arrondissement


Die Vögel im Garten: Palais Royal


Xavier wartet mit zwei Kaffeebechern in der Hand am Gewölbeeingang des Ministère de la Culture. Es ist noch dunkel, das dunkelgelbe Licht der Lampen hüllt die Straßen ein wie eine Sommerdecke. Noch ein wenig müde lehne ich mich an eine der Kolonnaden, die den Garten des Palais Royal ebenso einfassen wie die schwarzen schmiedeeisernen Gitter mit ihren auffälligen goldenen Spitzen.

Xavier und ich wollen den ersten Vögeln lauschen, die hier im Garten des Palais Royal ihr Lied anstimmen. Deswegen sind wir so früh gekommen. Mein Freund drückt mir die zwei Tassen in die Hand. »Sie sind blanc cassé wie unser Milchkaffee«, sagt Xavier und zeigt lachend auf die Säulen, während er mit einem großen Schlüssel das schwarze Tor öffnet. Hinter uns sperrt er wieder zu. Da sind wir, eingeschlossen in ein in Dunkelheit gehülltes, grünes Carré im Zentrum von Paris. Eingeschlossen in ein Schmuckkästchen aus Stein.

Obwohl direkt auf dem touristischen Trampelpfad zwischen Opéra und Louvre gelegen, wird der Garten des Palais Royal von Parisreisenden nur selten besucht. Das mag daran liegen, dass er nicht durch eine Straße oder einen Platz einsehbar ist und sich stattdessen hinter einem geschlossenen Gebäude-Ensemble versteckt. Auch sind die Eingänge zum Garten kaum als solche zu erkennen, nur Kenner und Anwohner steuern sie zielsicher an. Wer dennoch in das Innere vordringt, dem macht es der Garten keineswegs leicht: Die langen Wege und Flure sind nicht auf Anhieb zu überblicken. Man fühlt sich schnell etwas verloren. Xavier meint, es sei gut, wenn man so einen Ort nicht auf dem Tablett serviert bekommt, sondern ihn sich regelrecht erarbeiten müsse. Und diese Arbeit wird belohnt, führen die Wege nämlich, Adern gleich, direkt zum Wesen des Gartens – direkt zum Herzen.

Le jardin secret nennt Xavier diesen Ort, den geheimen Garten, und sagt, dass er Pariser kenne, die in ihrem ganzen Leben noch kein einziges Mal im Garten des Palais Royal waren. Dementsprechend ruhig ist es. Gerade morgens nach dem Aufschließen, verrät mir Xavier, sei der Garten im absoluten Stillstand. Nur ein einsamer Spaziergänger im Laufschritt verirrt sich her. Schon am späten Nachmittag, wenn die Kinder nach der Schule genug auf den Steinstelen herumgehüpft sind und sich der von fröhlichen Kinderbeinen aufgewirbelte Staub wieder auf die Holzbänke und die grünen Gartenstühle legt, wird es sehr still hier. Man muss kein Paul Claudel sein – Dichter, Diplomat und Vertreter der katholischen Erneuerung –, um sich wie in einem Klostergarten zu fühlen. Dafür sorgen schon die Kolonnaden, die den rund zwei Hektar großen Garten wie die Arkadengänge einer Klosteranlage gegen die Welt da draußen abschirmen und schützen. Die Häuserzeilen geben dem Ort Struktur und Halt. Für Claudel war das Modell eines Klostergartens ohnehin am besten geeignet, städtischen Raum zu gestalten. »Die Ordnung ist die Lust der Vernunft«, hat er mal gesagt.

Interessanterweise hat in der Vergangenheit gerade diese strenge, klassizistische Struktur des Ortes, die heute auch durch die ansässigen Ministerien und den Staatsrat eine institutionelle ist, die Menschen oft dazu verleitet, alles niederreißen zu wollen – während und nach der Revolution. Als würde dieser Ort dazu verleiten, ihm zu widersprechen, seine Struktur durcheinanderzubringen, genau hier seine Meinung kundzutun. Ein sehr paradoxer Ort!

1633 wurde der Garten in einem der Innenhöfe des damals sehr modern anmutenden Stadtpalast, dem Palais Cardinal, angelegt. Etwa ein Jahrhundert später baute der Lieblingsneffe des legendären Gartenarchitekten André Le Nôtre, Claude Desgots, den Garten komplett um. Entlang der zentralen Allee pflanzte Desgots eine Reihe von Ulmen, schloss den Garten an einer Seite durch den Bau einer Treppe und schuf so den Anschluss zur Rue des Petits Champs. »Überhaupt verdankt dieser Garten sein heutiges Aussehen dem Erneuerungsdrang, der Investitionswut und dem Gestaltungswillen aller Beteiligten«, sagt Xavier. »Einer von ihnen war der Duc de Chartres, später Philippe d’Orléans. Diese wunderschönen Galerien sind sein Werk.«

Ich drehe mich um und lasse meinen Blick an den Geschäften entlangschweifen, deren schwache Beleuchtung den äußeren Rahmen des Gartens bildet: Antiquitäten, Inneneinrichtung, festliche, handgenähte Mode und eine Kunstgalerie kann ich erkennen. »Gab es die Galerien denn nicht schon von Anfang an?«, frage ich Xavier, der rasch verneint. Er erzählt mir, dass die Anwohner damals den direkten Zugang zu dem königlichen Garten schamlos ausnutzten und rauschende Gartenfeste veranstalteten, ohne sich darum zu scheren, dass sie dies auf einem fremden Grundstück taten. Kurzerhand verkleinerte Philippe d’Orléans den Garten, indem er ein ganzes Drittel rundherum neu bebauen ließ. Es entstanden die Galerien, deren Erdgeschoss zu beziehen nur den Händlern vorbehalten war: Juweliergeschäfte, Modeboutiquen und andere Frivolitäten der damaligen Zeit.

Mein Blick wandert an den Galerien nach oben. Nur im ersten Stock wurde gewohnt, und das sehr nobel – das scheint auch heute noch so zu sein. Jede der sechzig Wohnungen überspannen drei Kolonnaden, jeweils durch eine Laterne beleuchtet. Das Café de Foy richtete sich unter sieben Kolonnaden ein und bot Eis an – was fortan, im Garten serviert, zu einer der Pariser Moden wurde.

Der Garten des Palais Royal blieb nach wie vor für das Publikum geöffnet, früher sogar bis ein Uhr nachts und selbstverständlich auch für die zuvor dort laut feiernden Anwohner, die nun in der zweiten Reihe logierten. In der Nacht jedoch sorgte der schwarze Zaun mit den goldenen Spitzen dafür, dass nur die Wächter in ihm wandelten. An diesen Schranken rüttelten später die Prostituierten, denen der zuvor gewährte Zugang versperrt wurde – die Promenade auf der Allée des Soupirs, der Seufzerallee, war in ganz Europa für ihre schönen leichten Mädchen berühmt. Einer der Perückenbauer der Comédie-Française, le posticheur, dessen Schriftzug immer noch linkerhand der Cour d’honneur hinter dem Theater zu lesen ist, spießte Wachsköpfe an den goldenen Gitterspitzen auf, um auf ihnen seine Perücken fertigzustellen. Das war einerseits lustig, andererseits auch makaber, wie eine revolutionäre Mahnung. Tatsächlich klebte an dem Zaun auch das Blut der Revolution. Mehr als das: Hier nahm sie ihren Anfang. In einem der Lokale des Palais Royal rief am 13. Juli 1789 Camille Desmoulins seine Mitbürger auf, zu den Waffen zu greifen. Am Tag darauf begann die Französische Revolution, die auch den Bewohner des Palais Royal, Philippe d’Orléans, letztlich den Kopf kosten sollte. Dass er zuvor dem Nationalkonvent geschworen hatte, gar nicht der leibliche Sohn des letzten Herzogs von Orléans zu sein, sondern der Sohn von dessen Kutscher, bewahrte ihn nicht vor der Guillotine.

Während wir durch den Garten spazieren, habe ich das Gefühl, hier sei die Zeit stehen geblieben. Die um diese frühe Stunde einsam daliegenden Boutiquen scheinen seit ihrer Eröffnung kaum verändert. Hüte, Kunst, Mode – Galerien und ihre Hinterräume. Ich stelle mir den fröhlichen Lärm von damals vor, das Lachen Molières, das aufgeregte Geplapper der Schauspieler beim Verlassen des Théâtre français, das im späten achtzehnten Jahrhundert an der Gartenseite entstanden war. Und die nächtlichen Spaziergänger, die aus den umliegenden Restaurants und Cafés stolperten. Die grau-weiß gestreiften Jalousien verbergen gestern wie heute ihre Geheimnisse. Welche Familien wohnen hier, welche einsamen Menschen?

Vogelgezwitscher reißt mich aus meinen Gedanken – der erste Vogel ist erwacht! Die Schriftstellerin und Künstlerin Colette hätte ihn gehört. Sie wohnte in einer der Wohnungen mit Blick auf den Garten, in der Rue de Beaujolais Nummer 9. Zeitlebens sprach sie von »ihrem« Carré. In Paris durch mein Fenster beobachtete sie eine hübsche Krähe und wunderte sich, aus welchem Kirchturm sie wohl ...

Erscheint lt. Verlag 6.4.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Sonstiges Geschenkbücher
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ISBN-10 3-458-76596-4 / 3458765964
ISBN-13 978-3-458-76596-7 / 9783458765967
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