Wie ich verschwand (eBook)

Mein Weg aus der Magersucht | Anorexie verstehen und überwinden: eine wahre Geschichte - ehrlicher bewegender Erfahrungsbericht für Betroffene und Eltern, mit Ratgeberteil

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
432 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2301-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wie ich verschwand -  Laura Jungk
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39 Kilo bei einer Körpergröße von 1,75 Metern: Laura wird mit 16 Jahren wegen Magersucht in eine Klinik eingewiesen. Aus der harmlosen Diät des Teenagers ist eine lebensbedrohliche Krankheit geworden - inklusive Depressionen, Panikattacken, Selbstverletzung und Lähmungserscheinungen. In ihrem ehrlichen, packenden Bericht schildert Laura den Weg in die Magersucht und wie sie wieder hinausfand. Feinfühlig und authentisch erzählt sie von typischen Mechanismen bei Essgestörten, ihrer psychischen Verfassung und der Belastung ihrer Familie. Die drastische Wahrheit über Anorexia nervosa - und ein Kompass für Betroffene und Angehörige, damit sie die Kraft finden, die lebensrettenden Schritte zu gehen.

Laura Jungk, geboren 2000, war schon als Kind kreativ; sie schrieb gerne Geschichten und hatte eine Band. Mit 13 Jahren erkrankte sie an Anorexia Nervosa und Depressionen, mit 20 veröffentlichte sie ihre Erfahrungen als Buch. Nach Abitur, Reisen durch Südamerika und einem FSJ in der Psychiatrie studiert sie seit 2021 Schauspiel in Köln.

Laura Jungk wurde im Februar 2000 in Wiesbaden geboren und zog im Alter von 5 Jahren mit ihrer Familie nach Berlin. 2013 Umzug nach Braunschweig, wo sie bis heute mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihrem dreibeinigen Hund lebt. Bereits im Alter von fünf Jahren begann sie, sich Geschichten auszudenken und begann diese auch aufzuschreiben, sobald sie zur Schule ging. 

2.
Im Zwielicht


Juni bis Oktober 2014

I didn’t want to wake up.
I was having a much better time asleep.
And that’s really sad.
It was almost like a reverse nightmare,
like when you wake up from a nightmare you’re so relieved.
I woke up into a nightmare.Ned Vizzini, It’s kind of a funny story

Als ich vier Jahre alt war, machten wir Urlaub auf Gran Canaria. Ich hatte orangefarbene Schwimmflügel und einen blauen Schwimmreifen mit kleinen Eisbären darauf. Jedes Mal, bevor ich ins Wasser sprang, und jede Sekunde, die ich im Wasser verbrachte, überprüfte ich, ob Schwimmreifen- und -flügel sicher bei mir waren.

Meine Mutter, mein Vater, meine Großeltern redeten auf mich ein, dass eines von beidem reichte, dass es nicht schlimm sei, wenn ich meinen blauen Schwimmreifen verlieren würde, dass ich ihn nicht überallhin mitschleppen müsse. Aber obwohl alle anderen Kinder und selbst mein zweijähriger Bruder nur mit den Schwimmflügeln über Wasser blieben, glaubte ich ihnen nicht. Ich war felsenfest davon überzeugt, ohne den Schwimmreifen zu ertrinken. Und so schleppte ich ihn zwei Wochen lang, Tag für Tag, zuerst mit an den Swimmingpool und später weiter mit ans Meer.

Daniel und ich sprangen gern vom Beckenrand, und ich klammerte mich stets fest an meinen Reifen, um ihn bloß nicht zu verlieren. Auch am letzten Tag. Mein Bruder sprang, ich sprang. Meine Mutter stand nicht weit von uns entfernt und beobachtete uns. Ich hatte mich wie immer doppelt abgesichert. Bei einem der letzten Sprünge hielt ich den Schwimmreifen jedoch nicht gut genug fest und verlor ihn bei meinem Sprung ins Becken.

Sobald ich bemerkte, dass er fehlte, war ich mir sicher, gleich zu ertrinken. Ich atmete Wasser ein, begann zu schreien und versuchte, meinen Schwimmreifen zu erreichen, der einige Meter von mir entfernt im Pool trieb. Ich hörte meine Mutter rufen.

„Laura, du kannst nicht ertrinken. Es ist alles gut! Komm rüber.“

Es half nichts. Ich dachte, ich würde sterben. Bis mich mein sechs Jahre älterer Cousin schließlich packte und aus dem Wasser zog. Ich war davon überzeugt, er habe mir das Leben gerettet und ich wäre ohne ihn ertrunken.

Nach dem Umzug nach Braunschweig, neun Jahre später, wurde die Magersucht mein Schwimmreifen. Ich klammerte mich an sie und war mir sicher, dass etwas Schreckliches geschähe, sobald ich sie losließe. Ich hatte Angst, ohne sie zu ertrinken. Jede Zelle meines Körpers, jeder Gedanke signalisierte mir, dass ich die Magersucht brauchte und ohne sie verloren wäre.

Es war im Juni 2014, als ich schließlich feststellte, wie sehr ich meinen neuen Schwimmreifen benötigte. Das Vertrauen, dass „die Schwimmflügel“ mich über Wasser halten würden, oder gar das Selbstvertrauen, dass ich allein schwimmen könnte, hatte ich längst verloren.

Und je absurder mein Klammern wurde und je eindringlicher die Worte der Außenstehenden, desto mehr war ich davon überzeugt, meine Essstörung zu brauchen. Ich sah keine Gefahr in der Magersucht, ich sah in ihr meine Freundin, meinen Anker, meine Rettung.

Das ist der Grund, warum wir nicht loslassen können.

Magersucht ist Sicherheit. Diese Worte klingen unendlich paradox, wenn man sich vor Augen führt, dass diese Krankheit in den Tod führen kann. Gleichzeitig ist sie jene nagende kleine Stimme in meinem Kopf, die auf ihre Art und Weise immer für mich da war. Wenn ich mich fallen ließ, weil ich das Leben nicht aushielt, weil ich mich nicht aushielt, weil ich mich hilflos und verloren fühlte, fing sie mich auf und gab mir ein paar Minuten lang das Rauschgefühl des Nicht-Essens.

Magersucht ist wie eine Droge, du nimmst sie einmal, zweimal, und irgendwann kommst du von ihr nicht mehr los. Du redest dir ein, ohne sie zu versinken. Du brauchst sie, weil du sicher bist, ohne sie zu ertrinken.

Seit ich an Magersucht erkrankte, kann ich Kälte nicht ausstehen. Sie erinnert mich an Hunger, Angst und Verzweiflung, denn in meinen schlimmsten Phasen fror ich ständig. Selbst bei den wärmsten Temperaturen ging ich nicht ohne Jacke aus dem Haus. Im Winter liefen meine Finger, Lippen und Zehen blau an, und ich zitterte, obwohl ich vor der Heizung meines Zimmers kauerte, so sehr, dass man meine Zähne klappern hörte.

Der 6. Juni 2014 war ein sonniger Frühsommertag, an dem die Temperatur bereits morgens auf zwanzig Grad hochkletterte. Trotzdem lag ich drinnen in meinem Bett unter vier Decken und fror. Ich hatte an diesem Morgen einen Termin bei Frau Sijan, weswegen ich nicht zur Schule musste, und ahnte nicht, dass meine düstere Welt kurz davor stand, vollends unterzugehen.

„Mama?“, hörte ich meinen Bruder durch den Flur rufen. „Kann mich jemand zur Schule fahren?“

„Kannst du nicht die Bahn nehmen?“, entgegnete meine Mutter, und als mein Bruder nicht antwortete, rief sie resigniert: „Ich kann dich nicht fahren. Ich gehe mit Laura zur Therapie und muss anschließend zur Arbeit. In circa einer halben Stunde ist Papa da. Vielleicht kann er dich mitnehmen.“

Mein Vater war in der vergangenen Woche auf einer Geschäftsreise gewesen, von der er heute Morgen zurückkehrte – um gleich wieder im Büro zu verschwinden.

Meine Tür wurde aufgerissen, und meine Mutter kam herein.

„Gut, du bist wach.“ Sie verharrte kurz.

„Laura, dreh die Heizung ab. Hier drin ist es wie in einer Sauna.“

„Mir ist kalt“, erwiderte ich und zog meine Decken enger um mich.

„Kein Wunder, so dünn, wie du bist.“

Ich verdrehte genervt die Augen. Ich würde mir bestimmt nicht eingestehen, dass es daran lag.

„Frühstückst du gleich?“ Meine Mutter klang hoffnungsvoll, aber ich schüttelte den Kopf.

„Nein. Es ist viel zu früh.“

„Dachte ich mir“, murmelte meine Mutter und wandte sich zum Gehen.

„Kommt Papa hoch in die Wohnung?“, fragte ich.

„Nein, er fährt gleich weiter. Er stoppt hier nur kurz, um seine Reisetasche abzustellen“, meinte meine Mutter. „Er muss arbeiten.“

Ich schnaubte. „War ja klar.“

Meine Mutter schüttelte den Kopf. „Lass das, Laura, okay? Du kannst ja runterkommen und ihm Hallo sagen.“

„Nein, mach ich nicht.“

Sie sah mich traurig an. „Das ist schade, Laura. Er wird enttäuscht sein. Er hat dich eine ganze Woche lang nicht gesehen.“

„Das ist nichts Neues. Er ist ja auch so nie da. Wenn er mich sehen wollte, bräuchte er bloß heimzukommen.“ Ich wandte den Blick ab, um an die Decke zu starren. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie meine Mutter genervt den Kopf schüttelte.

„Ich bringe Daniel zum Auto und begrüße Papa. Mach du dich inzwischen bitte fertig, wir müssen bald los.“

Ich nickte und hörte, wie sie meine Zimmertür schloss. Kurz danach fiel die Haustür zu. Langsam löste ich mich von meinem Bettenlager. Im Bad war es noch viel kälter als in meinem Zimmer, und ich drehte das Duschwasser so heiß, dass mein Rücken rot anlief. Anschließend schlüpfte ich in einen dicken Pulli und zog eine dicke Leggins unter meine Jeans. Meine Mutter war immer noch nicht zurück.

Seltsam, dachte ich, sah auf mein Handy und stellte fest, dass sie bereits seit zwanzig Minuten draußen war.

Wo bleibst Du?, tippte ich und drückte auf Senden.

Ich schlurfte in die Küche, setzte mich auf die Eckbank und spielte auf meinem Handy herum. Sah erneut auf die Uhr. Dreißig Minuten.

Ich seufzte. Wahrscheinlich wollte sie einfach, dass ich runterkam und meinen Vater begrüßte. Widerwillig öffnete ich die Wohnungstür, setzte mich auf die oberste Stufe im Treppenhaus und wollte gerade die Schuhe anziehen, als ich unten die schwere Eingangstür ins Schloss fallen hörte. Ich schaute über das Geländer und sah meine Eltern schweigend hintereinander die Treppen hochsteigen. Meine Mutter ging viel zu schnell voran, mein Vater lief ihr hinterher. Es war ein seltsames Bild. Ich wich vom Geländer zurück, und meine Gedanken rotierten. Irgendetwas stimmte nicht. Warum kam mein Vater mit hoch? Wo war Daniel? Warum hielt meine Mutter ihre Tasche fest an die Brust gedrückt? Wo waren sie so lange gewesen?

Entweder, er hat seinen Job verloren, oder sie trennen sich, schoss es mir durch den Kopf, und Angst schnürte mir die Kehle zu.

„Was ist los?“, fragte ich mit dünner Stimme, als meine Eltern den oberen Treppenabsatz erreichten.

„Laura, gehst du bitte in dein Zimmer?“ Mein Vater sprach ruhig und in einem nüchternen Tonfall, während meine Mutter stumm zu weinen begonnen hatte.

Ich ignorierte ihn. „Mama, was ist?“

„Laura, bitte.“ Wieder mein Vater.

Meine Mutter schob sich an mir vorbei in die Wohnung. Ich folgte ihr und griff nach ihrem Arm.

„Laura, geh in dein Zimmer.“

Wütend drehte ich mich zu meinem Vater um. „Ich will wissen, was los ist!“

Mein Vater schwieg.

„Was. Ist. Los?“ Ich blickte von einem zum anderen und war überrascht, als meine Mutter...

Erscheint lt. Verlag 3.8.2020
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Ernährung / Diät / Fasten
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ISBN-10 3-8437-2301-X / 384372301X
ISBN-13 978-3-8437-2301-5 / 9783843723015
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