Ein Engel kommt nach Babylon (eBook)

Eine fragmentarische Komödie in drei Akten
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2020 | 2. Auflage
144 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60840-3 (ISBN)

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Ein Engel kommt nach Babylon -  Friedrich Dürrenmatt
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Vom Himmel steigt ein Engel nach Babylon hernieder, der sich selbst als Physiker ausgibt. Einem Bettler soll er ein gottgeschaffenes Mädchen bringen. Doch es kommt zu einer Verwechslung.

Friedrich Dürrenmatt wurde 1921 in Konolfingen bei Bern als Sohn eines Pfarrers geboren. Er studierte Philosophie in Bern und Zürich und lebte als Dramatiker, Erzähler, Essayist, Zeichner und Maler in Neuchâtel. Bekannt wurde er mit seinen Kriminalromanen und Erzählungen ?Der Richter und sein Henker?, ?Der Verdacht?, ?Die Panne? und ?Das Versprechen?, weltberühmt mit den Komödien ?Der Besuch der alten Dame? und ?Die Physiker?. Den Abschluss seines umfassenden Werks schuf er mit den ?Stoffen?, worin er Autobiografisches mit Essayistischem verband. Friedrich Dürrenmatt starb 1990 in Neuchâtel.

Friedrich Dürrenmatt wurde 1921 in Konolfingen bei Bern als Sohn eines Pfarrers geboren. Er studierte Philosophie in Bern und Zürich und lebte als Dramatiker, Erzähler, Essayist, Zeichner und Maler in Neuchâtel. Bekannt wurde er mit seinen Kriminalromanen und Erzählungen ›Der Richter und sein Henker‹, ›Der Verdacht‹, ›Die Panne‹ und ›Das Versprechen‹, weltberühmt mit den Komödien ›Der Besuch der alten Dame‹ und ›Die Physiker‹. Den Abschluss seines umfassenden Werks schuf er mit den ›Stoffen‹, worin er Autobiografisches mit Essayistischem verband. Friedrich Dürrenmatt starb 1990 in Neuchâtel.

Zweiter Akt


Den zweiten Akt lassen wir unter einer der Euphratbrücken spielen, im Herzen Babylons, Hochhäuser und Paläste schieben sich vor den unsichtbaren Himmel. Das Orchester stellt wieder den Strom dar, die Brücke wölbt sich von hinten über die Bühne, ist also im Querschnitt und von unten zu sehen. Hoch oben hört man den Verkehr der Riesenstadt. Das Rattern altbabylonischer Straßenbahnen, die melodischen Rufe der Sänftenträger. Links und rechts der Brücke führt eine schmale Treppe zum Euphratufer hinunter. Akkis Wohnung ist ein wildes Durcheinander der verschiedensten Gegenstände aller Zeiten. Sarkophage, Negergötzen, alte Königsthrone, babylonische Fahrräder und Autopneus und so weiter, versunken in legendärem Schmutz, vermodert, unter Bergen von Staub. Über diesem Wirrwarr, in der Mitte des aufstrebenden Brückenbogens, das Relief eines Gilgameschkopfes. Daneben halbzerrissene Bettlerplakate, überklebt mit weißen Streifen: ›Heute letzter Termin‹. Rechts außen, nicht mehr von der Brücke überwölbt, eine Kochstelle mit einem Kessel. Der Boden roter Sand, bedeckt mit Konservenbüchsen, Dichtermanuskripten. Überall hängen vollgedichtete Pergamente und Tontafeln herum, kurz, die Personen scheinen sich auf einem riesenhaften Abfallhaufen zu bewegen. Vorne rechts baden einige krächzende, vermummte Gestalten im Euphrat, links schlafen zwei verdreckte babylonische Kriminelle, Omar, der Taschendieb, und Yussuf, der Einbrecher, auf einem Sarkophag. Akki und Kurrubi treten von links auf, beide in zerrissenen Kleidern. Akki trägt einen Sack auf dem Buckel.

AKKI

Verzieht euch, ihr Gelichter, ihr habt eure Einbrüche nicht auf meinem Sarkophag auszuschlafen.

Omar und Yussuf huschen davon.

AKKI

Taucht eure Leiber weiter unten in die schmutzigen Wellen, ihr weißgefleckten Raben. Unnütz ist euer Gekrächz.

Die vermummten Gestalten verziehen sich.

KURRUBI

Wer sind diese Gestalten?

AKKI

Aussätzige, die im Euphrat Hoffnung suchen.

KURRUBI

Die Erde ist anders, als der Engel glaubt. Mit jedem Schritt, den ich mache, wächst die Ungerechtigkeit, die Krankheit, die Verzweiflung um mich her. Die Menschen sind unglücklich.

AKKI

Hauptsache, daß sie gute Kunden sind. Da. Wir haben wieder einmal einen gewaltigen Haufen zusammengebettelt. Eine Mittagspause, und dann nehmen wir in den hängenden Gärten unser Metier wieder auf. Er stellt den Sack auf den Boden.

KURRUBI

Ja, mein Akki.

AKKI

Fortschritte hast du gemacht. Ich bin zufrieden. Nur eines ist zu rügen: Du lächelst, wenn dir jemand ein Geldstück zuwirft. Falsch. Ein trauriger Blick wirkt echter, erschütternder.

KURRUBI

Ich will es mir merken.

AKKI

Übe dich bis morgen. Verzweiflung macht sich am besten bezahlt. Er nimmt Erbetteltes aus der Tasche. Perlen, Edelsteine, Goldstücke, Silberlinge, Kupfermünzen – in den Euphrat damit. Er wirft alles ins Orchester. Die einzige Übung, sich bettlerisch auf der Höhe zu halten. Verschwendung ist alles. Millionen erbettelte ich, Millionen versenkte ich. Nur so wird die Welt vom Reichtum erleichtert. Er sucht weiter in seinen Taschen. Oliven. Das sind nützliche Gegenstände, Bananen, eine Büchse Sardinen, Schnaps und eine Liebesgöttin der Sumerer, aus Elfenbein. Er betrachtet sie. Doch die darfst du nicht sehen, sie ist nicht geschaffen für ein so junges Mädchen. Er wirft die Liebesgöttin ins Innere des Brückenbogens.

KURRUBI

Ja, lieber Akki.

AKKI

Ja, mein Akki, ja, lieber Akki, so geht das den ganzen Tag. Du bist betrübt.

KURRUBI

Ich liebe den Bettler aus Ninive.

AKKI

Dessen Namen du vergessen hast.

KURRUBI

Es ist ein so schwieriger Name. Aber ich werde nicht aufhören, meinen Bettler zu suchen. Ich werde ihn finden, einmal, irgendwo. Am Tage, auf den Plätzen Babylons und auf den Stufen der Paläste denke ich an ihn, und wenn ich die Sterne sehe in der Nacht, hoch und fern, über den steinernen Straßen, suche ich sein Antlitz in all den Meeren ihres Lichts. Dann ist er nah, dann ist er bei mir. Dann liegt auch er auf der Erde, mein Geliebter, in einem Lande irgendwo, und erblickt mein Gesicht, groß und weiß, in der Sternenwolke, aus der ich niederstieg mit dem Engel.

AKKI

Deine Liebe ist so hoffnungslos wie das ganze Babylon. Zieh wie ich die Konsequenz: Da man nicht in dieser Stadt leben kann, habe ich beschlossen, von dieser Stadt zu leben, und bin ein Bettler geworden. Und so habe ich auch dich zusammengebettelt, wenn schon auf eine kuriose Weise. Du gehörst mir, mein Mädchen, schlag dir deinen Bettler aus Ninive aus dem Sinn. Wir befinden uns unter der besten Brücke Babylons, die ich habe finden können. Mein Appartement darf nicht durch den Gedanken an einen Mann entweiht werden, der in einer Stunde nur ein Goldstück und zwei Silberlinge erbettelte. Stutzt Was hängt denn da herum? Natürlich. Poeme. Die Dichter waren hier.

KURRUBI freudig

Darf ich die Gedichte lesen?

AKKI

Die babylonische Dichtkunst ist in einer so großen Krise, daß sich die Lektüre nicht empfiehlt. Er nimmt ein Blatt und wirft es nach kurzer Betrachtung in den Euphrat. Liebesgedichte. Nichts anderes, seit ich dich gegen den Exkönig eingetauscht habe. Koch eine Suppe, das ist besser. Hier, frisch gebetteltes Rindfleisch dazu.

KURRUBI

Ja, mein Akki.

AKKI

Ich dagegen will mich in meinen Lieblingssarkophag zurückziehen.

Er öffnet den Sarkophag in der Mitte der Bühne, fährt jedoch zurück, wie sich daraus ein Dichter erhebt.

AKKI streng

Was machst du in diesem Sarkophag?

DICHTER

Ich dichte.

AKKI

Hier hast du nicht zu dichten. Das ist der Sarkophag der lieblichen Lilith, die einst meine Geliebte war, und in welchem ich die Sintflut überstanden habe. Leicht wie ein Vogel trug er mich über die regnerischen Meere.

DICHTER

Verzeiht, doch da ich an unserem Nationalepos Gilgamesch dichte und sich in diesem Sarkophag besonders leicht meditieren läßt, habe ich mich hierher zurückgezogen. Ich bin gerade bei der Szene mit dem gewaltigen Himmelsstier Chumbaba.

AKKI streng

Was geschieht denn mit diesem Himmelsstier?

DICHTER

Er wird ausgerottet.

AKKI

Wenn ich von einem Epos überzeugt bin, daß es nie zur Nachwelt gelangt, dann von diesem Gilgameschgedicht. Den Himmelsstier ausrotten. Eine produktive Kraft! Hätte den unser Nationalheld gezähmt, kein Mensch brauchte zu arbeiten, der Himmelsstier bewältigte alles mit seinen Muskeln. Marsch, dichte anderswo weiter! Da, noch einige Zwiebeln.

Er wirft Kurrubi noch einige Zwiebeln zu und legt sich in den Sarkophag. Der Dichter verzieht sich. Kurrubi kocht. Auf der Treppe links kommt der Polizist Nebo herunter, wischt sich den Schweiß ab.

DER POLIZIST

Ein heißer Tag, Bettler Akki, ein strenger Tag.

AKKI

Sei gegrüßt, Polizist Nebo. Ich würde mich gern zu deinen Ehren erheben, denn ich habe einen Heidenrespekt vor der Polizei, doch muß ich meinen Rücken noch etwas schonen. Du hast mich bei meinem letzten Besuch auf dem Wachtposten mit glühenden Zangen gezwackt und meine Knochen mit ziemlichen Gewichten belastet.

DER POLIZIST

Ich habe strikte nach den Vorschriften gehandelt, die Erziehung widerspenstiger Bettler zu ordentlichen Staatsbeamten betreffend, und wollte nur dein Bestes.

AKKI

Das war lieb von dir. Darf ich dir den Sarkophag eines übereifrigen Polizisten anbieten?

DER POLIZIST

Ich ziehe vor, mich auf diesen Stein zu setzen. Er setzt sich. Sarkophage stimmen mich traurig.

AKKI

Es ist der Thron des letzten Häuptlings der Höhlenbewohner. Ich habe ihn von seiner Witwe. Nimm einen Schluck Roten aus Chaldäa.

Er nimmt eine Flasche aus seinem Mantel und gibt sie dem Polizisten.

Der Polizist trinkt.

DER POLIZIST

Danke schön. Ich bin erschöpft. Die Strapazen meines Berufes steigern sich von Tag zu Tag. Ich mußte eben die Schulbücher einsammeln und die Geographen und Astronomen verhaften.

AKKI

Was haben denn die verbrochen?

DER POLIZIST

Die Welt erwies sich größer als ihre Berechnungen. Jenseits des Libanon befinden sich noch einige Dörfer. Auch die Wissenschaft hat vollkommen zu sein in unserem Staat.

AKKI

Der Anfang vom Ende.

DER POLIZIST

Nun rückt das Heer aus, diese Dörfer zu erobern.

AKKI

Die ganze Nacht rollte es über die Gilgameschbrücke gen Norden. Ich wittere einen allgemeinen Zusammenbruch.

DER POLIZIST

Als Beamter habe ich nur zu gehorchen, nicht nachzudenken.

AKKI

Je vollkommener ein Staat ist, desto dümmere Beamte braucht er.

DER POLIZIST

Sagst du jetzt. Bist du jedoch einmal Beamter, wirst du unseren Staat bewundern lernen. Ein Licht über seine Vortrefflichkeit wird dir aufgehen.

AKKI

Ach so. Deshalb bist du gekommen. Du willst die Erziehung zu einem Staatsbeamten an mir...

Erscheint lt. Verlag 16.3.2020
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte 20. Jahrhundert • Armut • Bettler • Drama • Dramen • Dürrenmatt • Gnade • Gott • Himmel • Klassiker • Komödie • König • Literatur • Nebukadnezar • Schweiz • Theater • Theaterstück
ISBN-10 3-257-60840-3 / 3257608403
ISBN-13 978-3-257-60840-3 / 9783257608403
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