Romulus der Große (eBook)
176 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-60838-0 (ISBN)
Friedrich Dürrenmatt wurde 1921 in Konolfingen bei Bern als Sohn eines Pfarrers geboren. Er studierte Philosophie in Bern und Zürich und lebte als Dramatiker, Erzähler, Essayist, Zeichner und Maler in Neuchâtel. Bekannt wurde er mit seinen Kriminalromanen und Erzählungen ?Der Richter und sein Henker?, ?Der Verdacht?, ?Die Panne? und ?Das Versprechen?, weltberühmt mit den Komödien ?Der Besuch der alten Dame? und ?Die Physiker?. Den Abschluss seines umfassenden Werks schuf er mit den ?Stoffen?, worin er Autobiografisches mit Essayistischem verband. Friedrich Dürrenmatt starb 1990 in Neuchâtel.
Friedrich Dürrenmatt wurde 1921 in Konolfingen bei Bern als Sohn eines Pfarrers geboren. Er studierte Philosophie in Bern und Zürich und lebte als Dramatiker, Erzähler, Essayist, Zeichner und Maler in Neuchâtel. Bekannt wurde er mit seinen Kriminalromanen und Erzählungen ›Der Richter und sein Henker‹, ›Der Verdacht‹, ›Die Panne‹ und ›Das Versprechen‹, weltberühmt mit den Komödien ›Der Besuch der alten Dame‹ und ›Die Physiker‹. Den Abschluss seines umfassenden Werks schuf er mit den ›Stoffen‹, worin er Autobiografisches mit Essayistischem verband. Friedrich Dürrenmatt starb 1990 in Neuchâtel.
Erster Akt
Man zählt das Jahr vierhundertsechsundsiebzig, als an einem frühen Märzmorgen der Präfekt Spurius Titus Mamma auf verendendem Pferd den kaiserlichen Sommersitz in Campanien erreicht, den seine Majestät auch winters bewohnt. Er springt ab, verdreckt, mühsam, den linken Arm in einem blutverschmierten Verband, stolpert, scheucht unermeßliche Scharen von gackernden Hühnern auf, eilt, da er niemanden findet, durch die Villa, betritt endlich des Kaisers Arbeitszimmer. Zuerst scheint ihm auch hier alles leer, öde. Nur einige Stühle, wackelig, halb zerfallen, an den Wänden die ehrwürdigen Büsten der Staatsmänner, Denker und Dichter der römischen Geschichte. Alle mit etwas übertrieben ernsten Gesichtern …
SPURIUS TITUS MAMMA
Hallo! Hallo!
Schweigen. Doch bemerkt der Präfekt endlich zu beiden Seiten der Türe in der Mitte des Hintergrundes zwei uralte Kammerdiener, grau, unbeweglich wie Statuen, Pyramus und Achilles, seit Jahren im Dienste der Imperatoren. Der Präfekt starrt sie verwundert an, gebannt von der ehrwürdigen Erscheinung.
SPURIUS TITUS MAMMA
Hallo!
PYRAMUS
Ruhe, junger Mann.
ACHILLES
Wer sind Sie denn?
SPURIUS TITUS MAMMA
Spurius Titus Mamma, Präfekt der Reiterei.
PYRAMUS
Was wollen Sie denn?
SPURIUS TITUS MAMMA
Ich muß den Kaiser sprechen.
ACHILLES
Angemeldet?
SPURIUS TITUS MAMMA
Keine Zeit für Formalitäten. Ich bringe schlimme Nachricht aus Pavia.
Die beiden Kammerdiener sehen sich nachdenklich an.
PYRAMUS
Schlimme Nachricht aus Pavia.
ACHILLES schüttelt den Kopf.
Pavia ist eine zu unbedeutende Stadt, als daß die Nachricht wirklich schlimm sein könnte.
SPURIUS TITUS MAMMA
Das römische Weltreich kracht zusammen!
Er ist einfach fassungslos über die Ruhe der beiden.
PYRAMUS
Unmöglich.
Achilles schüttelt erneut den Kopf.
ACHILLES
Ein so großes Unternehmen wie das römische Imperium kann gar nicht vollständig zusammenkrachen.
SPURIUS TITUS MAMMA
Die Germanen kommen!
ACHILLES
Die kommen schon seit fünfhundert Jahren, Spurius Titus Mamma.
Der Präfekt packt den Kammerdiener Achilles und rüttelt ihn wie eine morsche Säule.
SPURIUS TITUS MAMMA
Es ist meine patriotische Pflicht, den Kaiser zu sprechen! Auf der Stelle!
ACHILLES
Wir halten einen Patriotismus nicht für wünschenswert, der zu einem kultivierten Betragen im Gegensatz steht.
SPURIUS TITUS MAMMA
O Gott!
Er läßt Achilles entmutigt fahren und wird nun von Pyramus begütigt.
PYRAMUS
Ein Wink, junger Mann. Begeben Sie sich zum Oberhofmeister, schreiben Sie sich in die Liste der angekommenen Personen ein, suchen Sie beim Innenminister um die Bewilligung nach, dem Hofe eine wichtige Nachricht zu überbringen, und Sie werden Ihre Botschaft dem Kaiser vielleicht sogar persönlich im Laufe der nächsten Tage melden dürfen.
Der Präfekt weiß nicht mehr, was er denken soll.
SPURIUS TITUS MAMMA
Zum Oberhofmeister!
PYRAMUS
Rechts um die Ecke, dritte Türe links.
SPURIUS TITUS MAMMA
Zum Innenminister!
PYRAMUS
Siebente Türe rechts.
SPURIUS TITUS MAMMA immer noch fassungslos
Um meine schlimme Nachricht im Laufe der nächsten Tage zu melden.
ACHILLES
Im Laufe der nächsten Wochen.
SPURIUS TITUS MAMMA
Unglückseliges Rom! An zwei Kammerdienern bist du zu Fall gekommen!
Er rennt verzweifelt nach links hinaus, die beiden versteinern wieder.
ACHILLES
Ich stelle erschüttert fest, daß die Sitte des Jahrhunderts abnimmt, je mehr dies zunimmt.
PYRAMUS
Wer unsern Wert verkennt, schaufelt Rom das Grab.
Durch die Türe zwischen den beiden Kammerdienern kommt der Kaiser Romulus Augustus. Purpurtoga, auf dem Kopf ein goldener Lorbeerkranz. Seine Majestät ist über fünfzig, ruhig, behaglich und klar.
PYRAMUS UND ACHILLES
Salve Cäsar.
ROMULUS
Salve. Sind heute die Iden des März?
ACHILLES
Zu Befehl, mein Kaiser, die Iden des März.
Er verneigt sich.
ROMULUS
Ein historisches Datum. Nach dem Gesetz sind an diesem Tage die Beamten und Angestellten meines Reichs zu besolden. Ein alter Aberglaube. Um die Ermordung der Kaiser zu verhindern. Holt den Finanzminister.
Achilles flüstert ihm etwas ins Ohr.
ROMULUS
Geflüchtet?
PYRAMUS
Mit der Staatskasse, mein Kaiser.
ROMULUS
Warum? Es war ja nichts drin.
ACHILLES
Er hofft, auf diese Weise den allgemeinen Bankrott der staatlichen Finanzen zu verschleiern.
ROMULUS
Ein kluger Mann. Wer einen großen Skandal verheimlichen will, inszeniert am besten einen kleinen. Es sei ihm der Titel ›Retter des Vaterlandes‹ verliehen. Wo befindet er sich jetzt?
ACHILLES
Er hat eine Stelle als Prokurist in einer Weinexportfirma in Syrakus angenommen.
ROMULUS
Hoffen wir, daß es diesem treuen Beamten gelingt, sich von den Verlusten, die der Staatsdienst mit sich bringt, im bürgerlichen Handel zu erholen. Da!
Er nimmt den Lorbeerkranz von seinem Kopf, bricht zwei Blätter ab, die er den beiden überreicht.
ROMULUS
Es lasse sich jeder sein goldenes Lorbeerblatt in Sesterzen umrechnen. Gebt mir aber das Geld wieder zurück nach Abzug der geschuldeten Summe. Ich sollte damit noch den Koch bezahlen, den wichtigsten Mann meines Reichs.
PYRAMUS UND ACHILLES
Zu Befehl, o Kaiser.
ROMULUS
Bei Antritt meiner Regierung befanden sich sechsunddreißig Blätter an diesem goldenen Kranze, dem Sinnbild kaiserlicher Macht, jetzt nur noch fünf.
Er betrachtet nachdenklich seinen Lorbeerkranz und setzt ihn wieder auf.
ROMULUS
Das Morgenessen.
PYRAMUS
Das Frühstück.
ROMULUS
Das Morgenessen. Was in meinem Hause klassisches Latein ist, bestimme ich.
Der Alte trägt ein Tischlein herein, auf dem sich das Morgenessen befindet. Vorerst Schinken, Brot, Spargelwein, eine Schale mit Milch, ein Ei in einem Becher. Achilles trägt einen Stuhl herbei, der Kaiser setzt sich, klopft das Ei auf.
ROMULUS
Augustus hat nichts gelegt?
PYRAMUS
Nichts, mein Kaiser.
ROMULUS
Tiberius?
PYRAMUS
Die Julier nichts.
ROMULUS
Die Flavier?
PYRAMUS
Domitian. Doch von dem wünschen Majestät ausdrücklich kein Ei zu verspeisen.
ROMULUS
Domitian war ein schlechter Kaiser. Er kann Eier legen, soviel er will, ich esse sie nicht.
PYRAMUS
Zu Befehl, mein Kaiser.
Majestät löffelt das Ei aus.
ROMULUS
Von wem ist dieses Ei?
PYRAMUS
Wie gewöhnlich von Marc Aurel.
ROMULUS
Eine brave Henne. Die andern Kaiser sind nichts wert. Hat sonst noch jemand gelegt?
PYRAMUS
Odoaker.
Er ist etwas geniert.
ROMULUS
Sieh mal.
PYRAMUS
Zwei Eier.
ROMULUS
Enorm. Und mein Feldherr Orestes, der diesen Germanenfürsten besiegen soll?
PYRAMUS
Nichts.
ROMULUS
Nichts. Ich habe nie viel von ihm gehalten. Ich möchte ihn heute abend mit Kastanien gefüllt auf meinem Tische sehen.
PYRAMUS
Sehr wohl, Majestät.
Majestät ißt Schinken und Brot.
ROMULUS
Von der Henne meines Namens weißt du mir nichts zu berichten?
PYRAMUS
Sie ist das edelste und begabteste Tier, das wir besitzen, ein Spitzenprodukt römischer Geflügelzucht.
ROMULUS
Legt es, das edle Tier?
Pyramus sieht Achilles hilfesuchend an.
ACHILLES
Fast, Majestät.
ROMULUS
Fast? Was soll das heißen? Entweder legt ein Huhn oder es legt nicht.
ACHILLES
Noch nicht, mein Kaiser.
Majestät macht eine entschlossene Handbewegung.
ROMULUS
Überhaupt nicht. Wer nichts taugt, taugt in der Pfanne. Der Koch soll mit mir und Orestes auch Caracalla zubereiten.
PYRAMUS
Caracalla haben Sie vorgestern mit Philippus Arabs zu den Spargeln gegessen, Majestät.
ROMULUS
Dann soll er meinen Amtsvorgänger Julius Nepos nehmen, der hat auch nichts getaugt. Und in Zukunft möchte ich auf meinem Morgentische die Eier der Henne Odoaker finden, die meine volle Sympathie besitzt. Es muß sich hier um eine erstaunliche Begabung handeln. Man soll von den Germanen nehmen, was sie Gutes hervorbringen, wenn sie schon einmal kommen.
Von links stürzt der Innenminister Tullius Rotundus totenbleich herein.
TULLIUS ROTUNDUS
Majestät!
ROMULUS
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Erscheint lt. Verlag | 16.3.2020 |
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Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
Schlagworte | 20. Jahrhundert • Altes Rom • Antike • Drama • Dramen • Dürrenmatt • Germanen • Geschichte • Kaiser • Kampanien • Klassiker • Komödie • Literatur • Politik • Römisches Reich • Schweiz • Theater • Theaterstück • Weltreich |
ISBN-10 | 3-257-60838-1 / 3257608381 |
ISBN-13 | 978-3-257-60838-0 / 9783257608380 |
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Größe: 733 KB
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