Dichterinnen & Denkerinnen (eBook)
236 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961668-1 (ISBN)
Katharina Herrmann, geb. 1985, studierte Germanistik und ev. Theologie. Sie ist als Gymnasiallehrerin bei München tätig. Bis 2019 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ev.-theolog. Fakultät der LMU München. Als Literaturbloggerin (www.kulturgeschwaetz.de) setzte sie sich u.a. in einem vieldiskutierten Beitrag mit dem männlich dominierten Literaturkanon auseinander. Tanja Kischel, geb. 1972 in Würzburg, ließ sich zur Uhrmacherin und Goldschmiedin ausbilden, bevor sie Kommunikationsdesign studierte. Sie lebt und arbeitet als freie Illustratorin und Grafikdesignerin für verschiedene Institutionen, Verlage und Agenturen in München.
Katharina Herrmann, geb. 1985, studierte Germanistik und ev. Theologie. Sie ist als Gymnasiallehrerin bei München tätig. Bis 2019 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ev.-theolog. Fakultät der LMU München. Als Literaturbloggerin (www.kulturgeschwaetz.de) setzte sie sich u.a. in einem vieldiskutierten Beitrag mit dem männlich dominierten Literaturkanon auseinander. Tanja Kischel, geb. 1972 in Würzburg, ließ sich zur Uhrmacherin und Goldschmiedin ausbilden, bevor sie Kommunikationsdesign studierte. Sie lebt und arbeitet als freie Illustratorin und Grafikdesignerin für verschiedene Institutionen, Verlage und Agenturen in München.
Eine kleine Geschichte des Lebens und Schreibens
Luise Adelgunde Victorie Gottsched: Die Reform des deutschen Theaters
Sophie von La Roche: Die Erfindung des »Frauenromans«
Caroline Auguste Fischer: Das Recht einer Mutter auf ihre Kinder
Johanna Schopenhauer: Die Frage: Wer ist hier das Genie?
Rahel Varnhagen (von Ense): Die Kunst, zu leben
Karoline von Günderrode: Der Wunsch nach Erfüllung
Annette von Droste-Hülshoff: Der eigene Wille
Louise Aston: Das Leben für die Revolution
Marie von Ebner-Eschenbach: Die Liebe zu den Menschen
Helene Böhlau (al Raschid Bey): Die Frau als ganzer Mensch
Lou Andreas-Salomé: Der Blick in die Psyche des Menschen
Ricarda Huch: Das Herz eines Löwen
Else Lasker-Schüler: Prinz Jussuf von Theben
Franziska zu Reventlow: Die Stärke der Lachenden
Vicki Baum: Die »neue Frau«
Nelly Sachs: Die Sprache gegen die Sprachlosigkeit
Gertrud Kolmar: Das ihr eigene Heldentum
Anna Seghers: Der eiserne Bestand
Marieluise Fleißer: Der ungeahnte Sprengstoff
Mascha Kaléko: All das Himmelgrau
Verzeichnis der Romanauszüge und Gedichte
Luise Adelgunde Victorie Gottsched (1713–1762)
Die Reform des deutschen Theaters
Was muss das für eine Aufregung gegeben haben im Haus von Luise und Johann Gottsched! Zensur eines Theaterstücks, eingeworfene Fensterscheiben bei einem Pastor in Hamburg – und alles wegen einer anonym herausgegebenen Komödie Luises, die der Theaterauffassung ihres Mannes Johann folgte. Dass diese Theaterreform im wahrsten Sinne des Wortes durchschlagenden Erfolg haben würde, hatten die beiden so vermutlich nicht erwartet.
Doch der Reihe nach: Bis ins 18. Jahrhundert hinein wurde die deutschsprachige Theaterlandschaft, wie sie dem einfachen Volk zugänglich war, von Wanderbühnen dominiert: Umherfahrende Schauspielergruppen, in denen einzelne Schauspielerinnen und Schauspieler feste Rollen wie den »Dümmling«, die »jugendliche Verliebte«, den »Intriganten« oder die »Heldin« einnahmen, spielten vorwiegend Stegreifstücke ohne oder mit nur teilweise feststehendem Text. Häufig wurden die Stücke durch Einlagen eines Harlekins unterbrochen, die von einem recht derben Humor gekennzeichnet waren – die Wanderbühnen richteten sich eben an ein meist ungebildetes, sich nach Unterhaltung sehnendes Publikum.
Das wollte Johann Christoph Gottsched im 18. Jahrhundert mit seiner Theaterreform ändern: Das Publikum hatte etwas Besseres verdient. Nein, noch mehr – das Publikum selbst sollte durch das Theater gebessert werden. Sein Ziel war es, ein deutsches Nationaltheater nach französischem Vorbild zu errichten, in dem schriftlich fixierte Stücke gespielt wurden, die die Zuschauer ganz im Geiste der Frühaufklärung moralisch bessern sollten. Der Beruf der Schauspieler sollte mehr Akzeptanz erhalten und ihre wirtschaftliche Not gelindert werden – als fahrendes Volk waren Schauspieler bislang ständig von Armut bedroht gewesen.
Damit die Schauspielgruppen aber überhaupt angemessene Stücke spielen konnten – das Drama des Barock war für die vernünftige Dichtkunst, die Gottsched vorschwebte, zu schwülstig –, mussten erst einmal entsprechende Stücke in deutscher Sprache geschrieben werden: »Natürlich« sollten sie sein, also schlicht und logisch, dem Vorbild des französischen Dramas folgend, und sie sollten die Vernunft des Publikums fördern.
Es wurde zu Johann Christoph Gottscheds Lebensprojekt. Aber nicht allein das seine: Ihn unterstützte seine Frau, Luise Adelgunde Victorie Gottsched. Die Theaterreform war also eigentlich ein eheliches Gemeinschaftsprojekt, zusammen arbeiteten sie an theoretischen Ausführungen über das Theater, wie es sein sollte, und an neuen Stücken, die den eigenen Ansprüchen entsprechen sollten. Ohne Luise Gottsched als hoch gebildete wie literarisch begabte Vertreterin der Aufklärung wäre die Theaterreform in dieser Form also vielleicht nie möglich gewesen.
Am 11. April 1713 in Danzig als Tochter des Arztes Johann Georg Kulmus und seiner aus einer Augsburger Patrizierfamilie stammenden Frau Katharina Dorothea Kulmus geboren, hatte Luise Adelgunde Victorie Kulmus das Glück gehabt, eine gute Ausbildung zu erhalten und schon früh sogar Französisch und Englisch lernen zu können. Zu dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit! Vor allem wurde sie auch in Poesie unterrichtet, und mit 14 schrieb sie bereits so ausgezeichnete Gedichte, dass sie das Interesse Johann Christoph Gottscheds weckte. 1729 lernte er sie bei einem Besuch kennen, und beide hielten Briefkontakt. In den Briefen ging es aber nicht nur um Literatur: Gottsched warb auch um sie. Aus unterschiedlichen Gründen verzögerte sich eine Verlobung, obwohl in den Briefen beide ihre Zuneigung füreinander ausdrückten.
Erst 1735, also sechs Jahre später – Johann Gottsched war seit 1734 Professor in Leipzig, verfügte also über ein Einkommen, das die Gründung eines eigenen Hausstandes erlaubte, wohingegen die Eltern von Luise Kulmus inzwischen gestorben waren – heiratete die nun 22-Jährige den 13 Jahre älteren Johann Gottsched und wurde so Luise Gottsched. Schon bevor die Ehe geschlossen wurde, war beiden klar, dass ihre Beziehung ganz den Idealen der Aufklärung und der Vernunft folgen würde, dass sie also mehr ein intellektuelles als ein emotionales Band verbunden hielt. So schrieb sie am 1. März 1735 in ihrem letzten Brief vor der Hochzeit an ihn: »Sie haben Recht, dass Sie unsere Liebe eine philosophische Liebe nennen. Sie ist von den so oft gewöhnlichen Bündnissen, welchen man zwar auch diesen Namen beizulegen pfleget, sehr unterschieden.«
Nach der Hochzeit beteiligte sich Luise Gottsched nicht nur rege an den Vorhaben ihres Mannes, indem sie die Korrespondenzen führte, die Bibliothek aufbaute, unterschiedliche Bücher und Zeitschriften übersetzte, Schriftstücke abschrieb, Rezensionen verfasste, sondern indem sie eigene Voruntersuchungen zu den Werken ihres Mannes wie der Sprachkunst oder der Deutschen Schaubühne durchführte und zu beiden auch eigene Beiträge lieferte. Die Ehe blieb kinderlos, und Gottsched, die sich durchaus Kinder wünschte, dürfte sich umso mehr in ihre Arbeit und die Unterstützung ihres Mannes gestürzt haben, wie ein Brief an Freifrau von Kunkel vom 14. November 1736 vermuten lässt:
Nein, gnädige Frau, die Vorsehung hat noch nicht für gut befunden, mich mit einem Kinde zu begnadigen. Ich würde es gewiss als ein Geschenk des Himmels ansehen, allein auch im Fall ich keins von ihm erhalten soll, ergebe ich mich in dem Willen Gottes. […] Ich will, im Fall mir die Vorsehung diese Wohltat, aus weisen und mir ersprießlichen Absichten, versagen sollte, mich desto eifriger bemühen, meinen Beruf auf andere Art treulich zu erfüllen. Ich arbeite viel, und lerne noch mehr. […] An allen diesen würde ich verhindert werden, wenn ich ein Kind hätte, denn auf dieses würde ich meine ganze Zeit verwenden.
Schnell wurde sie so eine Figur des literarischen Lebens – die sich nicht alle Vorschriften gefallen ließ: Obwohl Frauen keinen Zutritt zu Vorlesungssälen hatten, folgte sie ihrem Mann, dem Professor, heimlich zu seinen Vorlesungen und lauschte hinter der offenen Tür, zudem lernte sie Latein – durchaus auf den Wunsch Johann Gottscheds hin. Außerdem schrieb sie eine Geschichte der lyrischen Dichtkunst der Deutschen, für die sich aber leider kein Verleger fand. Dennoch verstieß Luise Gottsched im Großen nicht gegen das Frauenbild ihrer Zeit, das von der Überzeugung geprägt war, dass Frauen über einen anderen Verstand verfügten als Männer: Ihr Verstand sei anschaulich, sinnlich, konkret, während der Verstand des Mannes auch abstrakte und theoretische Gedanken fassen könne. Dies und die dem Mann untergeordnete Rolle der Frau stellte Luise Gottsched ebenso wenig in Frage wie die zeitgemäße Überzeugung, dass der Frau bestimmte Tätigkeiten nicht zustünden. Als Johann Gottsched 1732 die 19-Jährige als zweite Dichterin überhaupt nach Christiana Mariana von Ziegler, die Texte für mehrere Kantaten von Johann Sebastian Bach geschrieben hatte, in die Deutsche Gesellschaft aufnehmen wollte, lehnte sie dies in einem Brief vom 19. Juli 1732 ab: »Ich erlaube meinem Geschlechte einen kleinen Umweg zu nehmen; allein, wo wir unsre Grenzen aus dem Gesichte verlieren, so geraten wir in ein Labyrinth, und verlieren den Leitfaden unserer schwachen Vernunft, die uns doch glücklich ans Ende bringen sollte.«
Kleinere Umwege waren also trotzdem erlaubt – und waren der begabten Luise Gottsched wohl auch ein Bedürfnis. Und so gestattete sie sich diese Umwege: Sie übersetzte nicht nur Theaterstücke, sondern übernahm im großen Projekt »Theaterreform« vor allem auch den Bereich der Komödie – wobei die Komödie im Vergleich zur Tragödie als die niedrigere Form des Dramas galt und daher auch von einer Frau bearbeitet werden konnte. Freilich hielt sie sich beim Verfassen ihrer Stücke weitestgehend an die Regeln, die ihr Mann für das neue Theater aufgestellt hatte.
Ihr bekanntestes Stück wurde Die Pietisterey im Fischbein-Rocke oder Die Doctormäßige Frau von 1736. Wie der Name schon sagt, handelt es sich ganz im Sinne des Vernunftideals der Aufklärung um eine Satire auf die schwärmerische religiöse Strömung des Pietismus: Der Pietismus war eine Bewegung im Protestantismus des 17. und 18. Jahrhunderts, der eine persönliche, gefühlsbetonte Herzensfrömmigkeit forderte – und deswegen Vertretern der Aufklärung als unvernünftig, ja bisweilen lächerlich erscheinen musste. Und eben diese in Luise Gottscheds Augen irrationale Gefühlsfrömmigkeit setzt ihr Drama dem Spott und der Kritik aus: In der Komödie versucht Magister Scheinfromm, der sich als pietistischer Gottesmann ausgibt, die Abwesenheit von Herrn Glaubeleicht zu nutzen, um auf Frau Glaubeleichtin Einfluss zu nehmen. Diese lässt sich von Scheinfromm und seinen pietistischen Lehren blenden und legt jede Vernunft ab: Sie vernachlässigt ihre Pflichten, zahlt den Angestellten keinen Lohn, entwickelt dafür abstruse theologische Lehren, will schließlich gar eine theologische Abhandlung schreiben, womit sie vollends gegen das Frauenbild ihrer Zeit verstößt, das Autorschaft und Wissenschaft nur Männern zugestanden hat. Vor allem aber lässt sie sich von Scheinfromm um den Finger wickeln, der möchte, dass ihre Tochter Luise, die eigentlich Herrn Liebmann versprochen...
Erscheint lt. Verlag | 11.3.2020 |
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Illustrationen | Tanja Kischel |
Zusatzinfo | 20 Illustrationen |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Berühmte Frauen Literatur • #DieKanon • DieKanon • Feministische Literatur • Frauenliteratur • Frauen Literaturkanon • Frauen Literatur Kanon • Tanja Kischel • Weiblicher Literaturkanon |
ISBN-10 | 3-15-961668-1 / 3159616681 |
ISBN-13 | 978-3-15-961668-1 / 9783159616681 |
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