Long Bright River (eBook)

Roman

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
414 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-74885-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Long Bright River - Liz Moore
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Einst waren sie unzertrennlich, seit fünf Jahren sprechen sie nicht mehr miteinander, doch die eine wacht insgeheim über die andere. Jetzt aber ist die Lage bedrohlich geworden: Mickey, Streifenpolizistin in Philadelphia, findet ihre drogenabhängige Schwester Kacey nicht mehr auf den Straßen der Blocks, die sie kontrolliert und auf denen Kacey für ihren Konsum anschaffen geht.
Gleichzeitig erschüttert eine Reihe von Morden an jungen Prostituierten die von Perspektivlosigkeit und Drogenmissbrauch geplagte Stadt. In ihrem enorm spannenden Roman erzählt Liz Moore die Familiengeschichte von Mickey und Kacey und deren Entfremdung parallel zur Geschichte der Jagd nach einem Frauenmörder, die auch Mickey in große Gefahr bringt. Zugleich entwirft Liz Moore in diesem großen Roman das umwerfend authentische Porträt einer Stadt und einer Gesellschaft in der Krise.

Liz Moore, geboren 1983, hat zunächst als Musikerin in New York gearbeitet und anschließend begonnen Romane zu schreiben. "Long Bright River" ist ihr vierter Roman, der in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Liz Moore hat für ihre Romane u. a. den Rome Prize erhalten. Sie lebt mit ihrer Familie in Philadelphia. <br> <br>Ulrike Wasel und Klaus Timmermann arbeiten seit Jahrzehnten als Übersetzer in Düsseldorf.

jetzt


An dem Gleis entlang der Gurney Street liegt eine Leiche. Weiblich, Alter unklar, wahrscheinlich Überdosis, sagt die Zentrale.

Kacey, denke ich. Das ist eine Zuckung, ein Reflex, etwas Scharfes und Unterbewusstes, das in mir lebt und jedes Mal, wenn eine Tote gemeldet wird, dieselbe Botschaft rasend schnell an denselben primitiven Teil meines Gehirns schickt. Dann kommt der rationalere Teil angezockelt, lethargisch, lustlos, ein gehorsamer, träger Soldat, um mich an Wahrscheinlichkeiten und Statistiken zu erinnern: neunhundert Drogenopfer in Kensington letztes Jahr. Keines davon Kacey. Außerdem, so rügt mich dieser Wachposten, hast du anscheinend vergessen, wie wichtig es ist, professionell zu bleiben. Straffe die Schultern. Lächle ein bisschen. Halte das Gesicht entspannt, die Stirn faltenfrei, das Kinn hoch. Mach deinen Job.

Die ganze Zeit habe ich Lafferty für uns auf Einsatzmeldungen von der Zentrale antworten lassen, damit er Übung darin bekommt. Jetzt nicke ich ihm zu, und er hüstelt und wischt sich über den Mund. Nervös.

«2613», sagt er.

Unsere Fahrzeugnummer. Richtig.

Die Zentrale erklärt, dass die Meldung anonym war. Der Anruf kam von einem Münztelefon auf der Kensington Avenue, wo es noch eine ganze Reihe davon gibt, aber meines Wissens nur ein Einziges funktioniert.

Lafferty sieht mich an. Ich sehe ihn an. Ich gestikuliere. Mehr. Frag nach mehr.

«Verstanden», sagt Lafferty in sein Funkgerät. «Over

Falsch. Ich hebe meins an den Mund. Ich spreche klar und deutlich.

«Gibt es genauere Informationen zum Fundort?», sage ich.

Nachdem ich den Anruf beendet habe, gebe ich Lafferty ein paar Tipps, erinnere ihn daran, dass er mit der Zentrale ganz normal sprechen kann – viele Anfänger haben die Neigung, hölzern und betont männlich zu reden, was sie sich wahrscheinlich aus Filmen oder Fernsehserien abgeguckt haben –, und ich erinnere ihn ebenfalls daran, dass er sich von der Zentrale so viele Infos wie nur möglich geben lassen soll.

Doch noch ehe ich fertig bin, sagt Lafferty wieder: «Verstanden.»

Ich sehe ihn an. «Ausgezeichnet», sage ich. «Freut mich.»

Ich kenne ihn erst eine Stunde, aber ich bekomme allmählich ein Gespür für ihn. Er redet gern – ich weiß schon mehr über ihn, als er je über mich wissen wird –, und er ist ein Heuchler. Ein Streber. Mit anderen Worten, ein Angeber. Jemand, der vor lauter Angst davor, für arm oder schwach oder dumm gehalten zu werden, keinerlei Defizite in dieser Hinsicht zugeben kann. Ich dagegen bin mir sehr wohl darüber im Klaren, dass ich arm bin. Mehr denn je, seit keine Schecks mehr von Simon kommen. Bin ich schwach? Wahrscheinlich in gewisser Weise: stur vielleicht, verbohrt, störrisch, unwillig, Hilfe anzunehmen, selbst wenn es gut für mich wäre. Auch körperlich ängstlich: keine Polizistin, die sich als Erste schützend vor einen Freund werfen würde, um eine Kugel abzufangen, keine Polizistin, die sich als Erste bei der Verfolgung eines flüchtigen Täters in den fließenden Verkehr stürzen würde. Arm: ja. Schwach: ja. Dumm: nein. Ich bin nicht dumm.

Heute Morgen bin ich zu spät zur Einsatzbesprechung gekommen. Wieder mal. Ich muss leider zugeben, dass es das dritte Mal in einem Monat war, und ich hasse es, zu spät zu kommen. Eine gute Polizistin ist vor allem eines: pünktlich. Als ich den Gemeinschaftsbereich betrat – ein trister, heller Raum ohne Möbel und nur mit welligen Polizeiplakaten an der Wand geschmückt –, wartete Sergeant Ahearn mit verschränkten Armen auf mich.

«Fitzpatrick», sagte er. «Schön, dass Sie’s einrichten konnten. Sie fahren heute mit Lafferty im 2613.»

«Wer ist Lafferty?», fragte ich, ohne zu überlegen. Ich wollte wirklich nicht witzig sein. Szebowski, in der Ecke, lachte laut auf.

Ahearn sagte: «Das da ist Lafferty», und zeigte quer durch den Raum.

Da war er, Eddie Lafferty, den zweiten Tag im Revier. Er war dabei, sich sein leeres Einsatzprotokoll anzusehen. Er warf mir einen raschen und unsicheren Blick zu. Dann bückte er sich, als hätte er irgendwas an seinen Schuhen bemerkt, die frisch geputzt waren und irgendwie glänzten. Er spitzte die Lippen. Pfiff leise. In dem Moment tat er mir fast leid.

Dann nahm er auf dem Beifahrersitz Platz.

Dinge, die ich im Lauf der ersten Stunde unserer Bekanntschaft über Eddie Lafferty erfahren habe: Er ist dreiundvierzig, also elf Jahre älter als ich. Er ist erst spät zur Polizei gekommen. Hat letztes Jahr die Prüfung abgelegt und bis dahin auf dem Bau gearbeitet. («Mein Rücken», sagt Eddie Lafferty, «macht mir noch immer Probleme. Aber nicht weitersagen.») Er hat gerade seine praktische Ausbildung abgeschlossen. Er hat drei Ex-Frauen und drei fast erwachsene Kinder. Er hat ein Haus in den Poconos. Er macht Gewichtheben. («Bin ein Fitness-Freak», sagt Eddie Lafferty.) Er leidet unter Sodbrennen. Gelegentlich auch unter Verstopfung. Er ist in South Philadelphia aufgewachsen und wohnt jetzt in Mayfair. Er teilt sich Dauerkarten für die Philadelphia Eagles mit sechs Freunden. Seine bislang letzte Ex-Frau war irgendwas über zwanzig. («Das war vielleicht das Problem», sagt Lafferty, «ihre Unreife.») Er spielt Golf. Er hat zwei Pitbull-Mischlinge aus dem Tierheim, Jimbo und Jennie. Er hat an der Highschool Baseball gespielt. Damals war tatsächlich unser späterer Sergeant in seiner Mannschaft, Kevin Ahearn, und der hat ihn auf die Idee gebracht, bei der Polizei anzufangen. (Erscheint mir irgendwie ganz einleuchtend.)

Dinge, die Eddie Lafferty in der ersten Stunde unserer Bekanntschaft über mich erfahren hat: Ich mag Pistazien-Eis.

Den ganzen Morgen habe ich mein Bestes gegeben, um Eddie Lafferty in seinen sehr seltenen Sprechpausen das Wesentliche beizubringen, was er über den Stadtteil wissen muss.

Kensington ist eines der neueren Viertel in der für amerikanische Verhältnisse sehr alten Stadt Philadelphia. Es wurde in den 1730er Jahren von dem Engländer Anthony Palmer gegründet, der ein kleines Stück unscheinbares Land erwarb und es nach einem königlichen Londoner Stadtteil benannte, der damals von der britischen Monarchie als Wohnsitz bevorzugt wurde. (Vielleicht war Palmer auch ein Angeber. Oder, freundlicher ausgedrückt, ein Optimist.) Der östliche Rand des heutigen Kensington ist eine Meile vom Delaware entfernt, aber in den Anfängen grenzte es direkt an den Fluss. Dementsprechend waren die ersten dort betriebenen Gewerbe Schiffsbau und Fischerei, doch um die Mitte des 19. Jahrhunderts nahm seine lange Blütezeit als Wirtschaftszentrum ihren Anfang. In seiner Hochphase hatte es Hersteller von Eisen, Stahl, Textilien und – passenderweise vielleicht – Pharmazeutika vorzuweisen. Doch als ein Jahrhundert später die Fabriken in diesem Land zuhauf dichtmachten, setzte auch in Kensington ein zunächst langsamer und dann rasanter wirtschaftlicher Niedergang ein. Viele Bewohner zogen auf der Suche nach Arbeit ins Stadtzentrum oder weiter weg; andere blieben, teils aus Treue, teils aufgrund der falschen Hoffnung auf einen baldigen Umschwung. Heute besteht Kensington fast zu gleichen Teilen aus irischstämmigen Amerikanern, die im 19. und 20. Jahrhundert hierherzogen, und aus einer neuen Einwohnerschaft von Familien puerto-ricanischer oder anderer lateinamerikanischer Herkunft. Außerdem gibt es diverse Bevölkerungsgruppen, die zunehmend kleinere Stücke in Kensingtons demografischem Tortendiagramm repräsentieren: Afroamerikaner, Ostasiaten, Leute aus der Karibik.

Das heutige Kensington wird von zwei Hauptverkehrsadern durchzogen: Front Street, die am Ostrand der City nach Norden führt, und Kensington Avenue – meist bloß die Ave genannt, eine mal freundliche, mal verächtliche Bezeichnung, je nachdem, wer sie benutzt –, die an der Front Street beginnt und in einem Schwenk nach Nordosten verläuft. Die Elevated Line – eine Hochbahn, im Volksmund kurz die El, denn in einer Großstadt, die Philly genannt wird, muss alles, was zu ihrer Infrastruktur gehört, abgekürzt werden – fährt sowohl über die Front als auch über die Kensington, wodurch beide Straßen den längsten Teil des Tages im Schatten liegen. Große Stahlträger stützen die Bahnlinie, blaue Pfeiler im Abstand von zehn Metern, sodass die ganze Konstruktion aussieht wie eine riesige und bedrohliche Raupe, die über dem Viertel hängt. Die meisten Transaktionen (Drogen, Sex), die in Kensington stattfinden, fangen auf einer dieser beiden Hauptstraßen an und enden auf einer der vielen kleineren Straßen, die sie kreuzen, oder noch häufiger in den verlassenen Häusern oder...

Erscheint lt. Verlag 27.1.2020
Übersetzer Ulrike Wasel, Klaus Timmermann
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Drogen • Familie • Familiengeschichte • Frauenmörder • Gesellschaft • Krise • Literatur • Liz Moore • Philadelphia • Polizistin • Prostitution • Roman • Schwestern • Stadt • USA
ISBN-10 3-406-74885-6 / 3406748856
ISBN-13 978-3-406-74885-1 / 9783406748851
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