Der Nebel (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020
240 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-26354-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Nebel - Stephen King
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Nach einem schweren Sturm machen David Drayton und sein Sohn Billy Besorgungen im nächstgelegenen Supermarkt. Auf einmal zieht ein unheimlicher Nebel auf, und sie sind mit anderen Einheimischen im Laden gefangen. Unheimliche Wesen lauern draußen in den wabernden Schwaden. Die Nerven der Anwesenden liegen zunehmend blank - ist das Gottes Strafe für ihre Sünden, die nur durch Menschenopfer gebüßt werden können? Die Draytons und ein paar andere wagen den Ausbruch ...

Novelle aus Stephen Kings Erzählband »Blut - Skeleton Crew«

Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk und 2015 mit dem Edgar Allan Poe Award den bedeutendsten kriminalliterarischen Preis für Mr. Mercedes. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn zudem mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.

Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.

I.
Der Sturm bricht los


Folgendes geschah: An jenem Abend, als die größte Hitzewelle in der Geschichte des nördlichen Neuenglands endlich abflaute – am Abend des 19. Julis –, wurde die gesamte westliche Region von Maine von den heftigsten Gewitterstürmen heimgesucht, die ich je erlebt habe.

Wir wohnten am Long Lake, und wir sahen den ersten Sturm kurz vor Einbruch der Dämmerung über den See direkt auf uns zukommen. Noch eine Stunde zuvor war es völlig windstill gewesen. Die amerikanische Flagge, die mein Vater 1936 auf unser Bootshaus gesetzt hatte, hing schlaff an ihrem Mast. Nicht einmal ihr Saum bewegte sich. Die Hitze war etwas Greifbares und schien so stehend wie trübes Brackwasser zu sein. Am Nachmittag hatten wir drei im See gebadet, aber das Wasser brachte keine Erfrischung, außer man schwamm weit hinaus. Weder Steffy noch ich wollten weit hinausschwimmen, weil Billy es nicht konnte. Billy war fünf.

Um halb sechs nahmen wir auf der Terrasse, die auf den See hinausgeht, ein kaltes Abendessen ein, knabberten lustlos an Schinkensandwiches und stocherten im Kartoffelsalat herum. Niemand schien etwas anderes zu wollen als die Pepsi, die wir in einem Metalleimer voller Eiswürfel kühlten.

Nach dem Abendessen ging Billy wieder nach draußen, um ein Weilchen auf seinem Klettergerüst zu spielen. Steff und ich saßen da, ohne viel zu reden, rauchten und blickten über den glatten Seespiegel hinüber nach Harrison auf der anderen Seeseite. Einige Motorboote fuhren hin und her. Die immergrünen Bäume sahen staubig aus und wirkten erschlafft. Im Westen bauten sich langsam massive, purpurne Gewitterwolken auf und formierten sich wie eine Armee. Blitze zuckten auf. Nebenan war Brent Nortons Radio auf jene Rundfunkstation eingestellt, die vom Gipfel des Mount Washington klassische Musik sendete, und bei jedem Blitz gab es laute Störgeräusche von sich. Norton war ein Rechtsanwalt aus New Jersey, der hier am Long Lake nur ein Sommerhaus ohne Ofen oder Isolierung hatte. Vor zwei Jahren hatten wir einen Grenzstreit gehabt, der schließlich vom Bezirksgericht entschieden wurde. Ich gewann. Norton behauptete, ich hätte nur gewonnen, weil er kein Ortsansässiger sei. Wir hegten keinerlei Sympathie füreinander.

Steff seufzte und fächelte sich die Brüste mit dem Rand ihres Bikinioberteils. Ich bezweifelte, dass es ihr viel Kühlung verschaffte, aber es verbesserte ganz erheblich den Einblick.

»Ich will dich nicht beunruhigen«, sagte ich. »Aber ich glaube, dass ein gewaltiger Sturm im Anzug ist.«

Sie sah mich zweifelnd an. »Gewitterwolken hatten wir auch gestern und vorgestern Abend schon, David. Die haben sich schnell wieder aufgelöst.«

»Heute werden sie sich nicht auflösen.«

»Nein?«

»Wenn es ganz schlimm wird, gehen wir nach unten.«

»Wie schlimm kann es denn werden?«

Mein Vater war der Erste gewesen, der sich auf dieser Seite des Sees ein Haus gebaut hatte, das man das ganze Jahr über bewohnen konnte. Als er noch ein halbes Kind gewesen war, hatten er und seine Brüder an der Stelle, wo das jetzige Haus stand, ein Sommerhäuschen gebaut, und im Jahre 1938 hatte ein Sommersturm es trotz seinen Steinmauern völlig zerstört. Nur das Bootshaus war stehen geblieben. Ein Jahr später hatte er mit dem Bau des großen Hauses begonnen. Es sind besonders die Bäume, die bei heftigem Sturm die großen Schäden anrichten. Sie werden alt, und der Wind knickt sie um. Das ist die Methode von Mutter Natur, von Zeit zu Zeit einen gehörigen Hausputz zu machen.

»Das weiß ich auch nicht«, sagte ich wahrheitsgemäß. Ich kannte den großen Sturm von 1938 auch nur vom Hören­sagen. »Aber der Wind kann über den See gebraust kommen wie ein Expresszug.«

Kurz danach kam Billy zurück und beklagte sich, dass das Klettern keinen Spaß mache, weil er völlig verschwitzt sei. Ich strich ihm übers Haar und gab ihm noch eine Pepsi. Zusätzliche Arbeit für den Zahnarzt.

Die Gewitterwolken kamen jetzt näher und verdrängten den blauen Himmel. Kein Zweifel, dass sich ein Sturm ankündigte. Norton hatte sein Radio abgestellt. Billy saß zwischen seiner Mutter und mir und beobachtete fasziniert den Himmel. Donner grollte, rollte langsam über den See und hallte wieder zurück. Die Wolken griffen ineinander, verflochten sich, strebten wieder auseinander, schwarz, purpurn, dann geädert, dann wieder schwarz. Allmählich überquerten sie den See, und ich sah, dass sie ein feines Regennetz unter sich ausbreiteten. Es war noch ein ganzes Stück entfernt. Der Regen fiel vermutlich auf Bolster’s Mills oder vielleicht auch erst auf Norway.

Die Luft geriet in Bewegung, zuerst nur stoßweise, sodass die Flagge sich abwechselnd blähte und dann wieder schlaff herabhing. Der Wind frischte auf, trocknete den Schweiß auf unserer Haut und schien ihn anschließend zu gefrieren.

Da sah ich den Silberschleier über den See wirbeln. Er verhüllte Harrison in Sekundenschnelle und kam direkt auf uns zu. Alle Motorboote waren von der Bildfläche verschwunden.

Billy stand von seinem Stuhl auf – eine Miniaturausgabe unserer Regiestühle, mit seinem Namen auf der Lehne. »Daddy! Schau mal!«

»Gehen wir ins Haus«, sagte ich, stand auf und legte ihm den Arm um die Schultern.

»Siehst du das? Dad, was ist das?«

»Eine Wasserhose. Gehen wir rein.«

Steff sah mich kurz bestürzt an und sagte dann: »Komm, Billy. Tu, was dein Vater sagt.«

Wir gingen durch die Glasschiebetür ins Wohnzimmer. Ich schloss die Tür und warf bei der Gelegenheit noch einen Blick nach draußen. Der Silberschleier hatte den See zu drei Vierteln überquert. Er glich jetzt einer riesigen, mit rasender Geschwindigkeit herumwirbelnden Teetasse zwischen dem tief hängenden, schwarzen Himmel und der Wasseroberfläche, die bleifarben war, mit weißen Chromstreifen. Der See sah gespenstisch aus wie ein Ozean, mit seinen hohen Wellen, die bedrohlich heranrollten und Gischt an den Kais und Wellenbrechern aufschäumen ließen. Weit draußen auf dem See warfen riesige Schaumkronen ihre Köpfe hin und her.

Der Anblick der Wasserhose war hypnotisch. Sie hatte uns fast erreicht, als ein Blitz so grell zuckte, dass noch dreißig Sekunden später alles im Negativ vor meinen Augen brannte. Das Telefon gab ein bestürztes Kling von sich; ich drehte mich um und sah meine Frau und meinen Sohn direkt vor dem großen Verandafenster stehen, das uns ein großartiges Panorama des Sees in nordwestlicher Richtung bot.

Ich hatte eine jener schrecklichen Visionen, die vermutlich ausschließlich Ehemännern und Vätern vorbehalten waren – das Fenster zerbirst mit einem tiefen, harten Klirren und bohrt seine zackigen Glaspfeile in den nackten Bauch meiner Frau, in Gesicht und Hals meines Jungen. Die Schrecken der Inquisition waren eine Kleinigkeit, verglichen mit den Horrorszenen, die wir im Geiste vor uns sahen, wenn wir geliebte Menschen in Gefahr glaubten.

Ich packte beide ziemlich unsanft und riss sie zurück. »Was zum Teufel macht ihr da? Macht, dass ihr hier wegkommt!«

Steff warf mir wieder einen bestürzten Blick zu. Billy sah mich wie jemand an, der gerade aus tiefem Traum gerissen worden war. Ich führte sie in die Küche und machte Licht. Das Telefon gab wieder ein Klingelingeling von sich.

Dann kam der Wind. Es war, als hätte das Haus wie eine 747 vom Boden abgehoben. Der Wind war ein hohes, atemloses Pfeifen, dann wieder ein dröhnender Bass, der Sekunden später in ein keuchendes Kreischen überging.

»Geht nach unten«, befahl ich Steff, und jetzt musste ich brüllen, um mich verständlich zu machen. Unmittelbar über dem Haus trommelte der Donner mit riesigen Stöcken, und Billy klammerte sich an mein Bein.

»Du auch!«, schrie Steff zurück.

Ich nickte und machte scheuchende Bewegungen. Billy musste ich von meinem Bein regelrecht losreißen. »Geh mit deiner Mutter. Ich will noch ein paar Kerzen holen, falls das Licht ausgeht.«

Er ging mit ihr, und ich riss die Schränke auf. Kerzen waren irgendwie etwas Komisches. Man legte sie jeden Frühling bereit, weil man wusste, dass ein Sommersturm die Stromversorgung lahmlegen konnte. Und wenn es dann so weit war, waren sie unauffindbar.

Ich wühlte nun schon den vierten Schrank durch. Dabei stieß ich auf die paar Gramm Gras, die Steff und ich vier Jahre zuvor gekauft, aber kaum je geraucht hatten; ich stieß auf Billys ausziehbares Gebiss, das aus einem Scherzartikelladen in Auburn stammte; auf Stapel von Fotos, die Steffy immer in unser Album einzukleben vergaß. Ich schaute unter einem Katalog von Sears und hinter einer Kewpie-Puppe aus Taiwan nach, die ich beim Jahrmarkt in Fryeburg gewonnen hatte, wo ich mit Tennisbällen nach Milchflaschen aus Holz geworfen hatte.

Ich fand die Kerzen hinter der Kewpie-Puppe mit den toten Glasaugen. Sie waren noch in Zellophan verpackt. Als ich sie in die Hand nahm, gingen die Lampen aus, und die einzige Elektrizität war die am Himmel. Das Esszimmer wurde von einer Serie weißer und purpurner Blitze in grelles Licht getaucht. Ich hörte, dass Billy unten in Tränen ausbrach und dass Steff leise und beruhigend auf ihn einsprach.

Ich musste noch einen Blick auf den Sturm werfen.

Die Wasserhose war entweder an uns vorbeigezogen oder am Ufer zusammengebrochen, aber ich konnte immer noch keine zwanzig Meter auf den See hinaus sehen. Das Wasser war in wildem Aufruhr. Ein Dock – möglicherweise das von den Jassersens – wurde vorbeigetrieben, wobei seine Hauptträger abwechselnd in den Himmel ragten und im schäumenden Wasser versanken.

Ich ging nach unten. Billy rannte auf mich zu und umklammerte meine Beine. Ich hob ihn hoch und drückte ihn fest an mich. Dann zündete ich die Kerzen an. Wir saßen im Gästezimmer, das durch einen...

Erscheint lt. Verlag 11.5.2020
Übersetzer Alexandra von Reinhardt
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Mist
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Blut • eBooks • Horror • New York Times Bestseller • Skeleton Crew • spiegel bestseller • Suspense
ISBN-10 3-641-26354-9 / 3641263549
ISBN-13 978-3-641-26354-6 / 9783641263546
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