Dramatische Rundschau (eBook)
544 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491138-0 (ISBN)
Wolfram Lotz, geboren 1981 in Hamburg, wuchs im Schwarzwald auf. Er studierte Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft in Konstanz und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2011 gewann er mit DER GROSSE MARSCH u.a. den Kleistförderpreis und den Publikumspreis des Berliner Stückemarktes. In der Kritikerumfrage von Theater heute wurde er zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt. Nach dem Erfolg von EINIGE NACHRICHTEN AN DAS ALL erhielt er 2012 den Dramatikerpreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft und 2013 den Kasseler Förderpreis für Komische Literatur. DIE LÄCHERLICHE FINSTERNIS wurde 2015 zum Berliner Theatertreffen und zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Im selben Jahr erhielt Wolfram Lotz den Nestroypreis für das Beste Stück und wurde in der Kritikerumfrage von Theater heute zum Dramatiker des Jahres gewählt.
Maria Milisavljević, geboren 1982 in Arnsberg, studierte Englische Kulturwissenschaften, Englische Literatur und Kunstgeschichte. Im Anschluss arbeitete sie u.a. als Regisseurin an Theatern in Deutschland und London und promoviert über das Londoner Royal Court Theatre. Maria Milisavljević lebte von 2013 bis 2015 in Toronto, Kanada, wo sie am Tarragon Theatre als Dramaturgin und Regisseurin arbeitet. Außerdem war sie dort 2013/2014 dort International Playwright-in-Residence. 2013 wurde sie für das Stück Brandung mit dem Kleistförderpreis für junge Dramatik ausgezeichnet. Sie gewann 2016 mit Beben den Autorenpreis des Heidelberger Stückemarktes und den Else-Lasker-Schüler-Förderpreis des Pfalztheaters Kaiserslautern. Maria Milisavljević lebt in Berlin. Wolfram Lotz, geboren 1981 in Hamburg, wuchs im Schwarzwald auf. Er studierte Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft in Konstanz und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2011 gewann er mit DER GROSSE MARSCH u.a. den Kleistförderpreis und den Publikumspreis des Berliner Stückemarktes. In der Kritikerumfrage von Theater heute wurde er zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt. Nach dem Erfolg von EINIGE NACHRICHTEN AN DAS ALL erhielt er 2012 den Dramatikerpreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft und 2013 den Kasseler Förderpreis für Komische Literatur. DIE LÄCHERLICHE FINSTERNIS wurde 2015 zum Berliner Theatertreffen und zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Im selben Jahr erhielt Wolfram Lotz den Nestroypreis für das Beste Stück und wurde in der Kritikerumfrage von Theater heute zum Dramatiker des Jahres gewählt. Roland Schimmelpfennig, Jahrgang 1967, ist einer der meistgespielten Gegenwartsdramatiker Deutschlands. Er hat als Journalist in Istanbul gearbeitet und war nach dem Regiestudium an der Otto-Falckenberg-Schule an den Münchner Kammerspielen engagiert. Seit 1996 arbeitet Roland Schimmelpfennig als freier Autor. Weltweit werden seine Theaterstücke in über 40 Ländern mit großem Erfolg gespielt. Im Fischer Taschenbuch Verlag sind erschienen: »Die Frau von früher«, »Trilogie der Tiere« und »Der goldene Drache«. 2016 erschien sein erster Roman »An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts«, der auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse stand, und 2017 sein zweiter Roman »Die Sprache des Regens«. Roland Schimmelpfennig lebt in Berlin und Havanna. Ferdinand Schmalz, geboren 1985 in Graz, aufgewachsen in Admont in der Obersteiermark, erhielt gleich mit seinem ersten Theaterstück »am beispiel der butter« 2013 den Retzhofer Dramapreis und wurde zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt. Sein Stück »jedermann (stirbt)« wurde am Burgtheater uraufgeführt und mit dem Nestroy-Theaterpreis ausgezeichnet. 2017 nahm er an den Tagen der deutschsprachigen Literatur teil und gewann mit einem Auszug aus »Mein Lieblingstier heißt Winter« den Ingeborg-Bachmann-Preis. 2021 erschien sein gleichnamiger Debütroman, der auf der Longlist des Deutschen Buchpreises sowie auf der Shortlist des Österreichischen Buchpreises 2021 stand. Ferdinand Schmalz lebt in Wien. Auszeichnungen: 2020 Peter-Rosegger-Literaturpreis 2018 Nestroy-Theaterpreis in der Kategorie Bestes Stück für jedermann (stirbt) 2018 Ludwig-Mülheims-Theaterpreis 2017 Ingeborg-Bachmann-Preisträger mit dem Text MEIN LIEBLINGSTIER HEISST WINTER 2017 Kasseler Förderpreis Komische Literatur 2014/2016/2017 Nominiert für den Mülheimer Dramatikpreis 2015 Eröffnung der Autorentheatertage am Deutschen Theater in Berlin in einer Inszenierung des Wiener Burgtheaters mit DOSENFLEISCH 2014 Dramatik Stipendium der Stadt Wien 2014 Nachwuchsdramatiker in der Kritikerumfrage des Jahrbuchs von "Theater heute" 2013 2. Platz beim MDR-Literaturpreis für die Kurzprosa SCHLAMMLAND.
GRACIE GARDNER
PUSSY SLUDGE
Deutsch von Maria Milisavljevic
PUSSY SLUDGE
COURTNEY
RACHEL
RJ
SEBASTIAN
ADAM
BECCA
JOSEPHINE
Pussy Sludge ist in ihrem Zimmer. In einem viel zu großen T-Shirt steht sie vorm Spiegel. Die Geräusche einer Autobahn in nicht allzu weiter Ferne. Sie übt sich im Wundervollsein.
PUSSY SLUDGE
Ich? Nein, ich doch nicht.
Sie dreht dem Spiegel den Rücken zu, dreht sich um sich selbst, versucht, den Spiegel zu verführen, ist ein bisschen zu durchgeknallt, aber auf die Art, die den Spiegel mal so gar nicht anturnt. Sie weiß es, der Spiegel ist hauptsächlich so: »Bitte tu mir nichts«.
Was? Ich? Ich bin … Wer ich? Ich bin. Nein, nein. Sie denken bestimmt an jemand anderen … Haben Sie wirklich gedacht, dass ich? … Nein! Nein. Ich fühle mich »geschmeichelt«, aber nein … Nein, wirklich. Das bin ich nicht.
Sie weiß, dass das dem Spiegel so gar nicht gefällt. Plötzlich stellt sie ihre Nackenhaare hoch und bellt wie ein riesiger, tollwütiger Hund. Sie zieht Grimassen, rollt die Schultern zurück.
Spiel Kinderzimmer-Playlist.
Sie geht auf und ab, denkt nach, dreht sich immer wieder zum Spiegel um. Dies ist der Moment, auf den sie sich schon den ganzen Tag gefreut hat. Sie macht sich bereit, ihn zu genießen. Allein. In ihrem Zimmer. Musik hörend. Wenn sie jemand anderes wäre, würde sie sich jetzt einrauchen. Für einen kurzen Moment holt sie sich wie wild einen runter, einfach weil sie den Song so gern mag. Die Augen schließend denkt sie an die Coverversion von Easter, und es setzt sie in Bewegung, schleudert sie förmlich hinein in einen Tanz.
Dieser Tanz ist der Tanz von einer, die weiß, dass sie ungestört ist. Dies ist ihr Zimmer, dies ist ihr Lied, es ist zwar auch das Lied ihrer Mutter, aber trotzdem: Niemand wird sie stören. Sie schleudert ihre Jeans weg. Headbangend. Geballte Faust. Lip dubbing, wenn die Textzeilen reinhauen. Luftschlagzeug. Ein mitfühlender, bewegender Tanz. Rumhüpfend zum Refrain. Ein Sturm. Sich wie wild einen runterholend, dann: nur ein kurzes Kribbeln. Synkopische Bewegungen. Sie hat eindeutig zu viele alte Isadora Duncan-Videos geschaut. Aber dieser Tanz hier, der ist hundert Prozent scary und null Prozent sexy. Sie tanzt, und sie tanzt gut.
Sie verliert Zeit. Zwei Jahre. Wir sehen ihr dabei zu, wie sie in Vergessenheit gerät:
Ihr Zimmer wird zu einem Sumpf in einer Neumondnacht. Ranken ranken und winden sich, und überall ist Matsch. Das Lied endet in dichter und vollkommener Dunkelheit, die Geräusche eines Sumpfes, Krächzen, Quieken, Summen und Brummen. Sie ist ganz unten angekommen und einfach nicht mehr wieder aufgetaucht.
Eine elektrische Laterne schwingt im Dunkeln umher. Das schmatzende Geräusch von Füßen, die sich auf den Weg in den Sumpf gemacht haben.
Pussy Sludge holt sich wie wild im Dunkel einen runter.
Ist da jemand? Bitte nicht erschrecken. Wenn da jemand ist, bitte sagen.
Rachel schmatzt sich in den Sumpf hinein, ungesehen, leuchtet sie Pussy Sludge ins Gesicht.
RACHEL
Liebes, würdest du bitte damit aufhören, dich selbst zu berühren?
Pussy Sludge hört auf.
PUSSY SLUDGE
Mom!
RACHEL davonschmatzend
Du bringst das Ding noch durcheinander.
Die Laterne schwingt in der Ferne.
Die Geräusche des Sumpfs werden lauter und wieder leiser und wieder lauter und wieder leiser.
Dann, aus dem Dunkel heraus:
COURTNEY
Ich mach das auch.
PUSSY SLUDGE
Was?
COURTNEY
Jetzt nicht mich selbst berühren, aber es ist einfach beruhigend, meine Hand auf meine Scham zu legen und sie so festzuhalten.
PUSSY SLUDGE
Oh, nein; ich befriedige mich tatsächlich selbst. Ich mach das die ganze Zeit. Das ist gar nicht gut.
Pause.
COURTNEY
Okay.
Pause.
PUSSY SLUDGE
Hast du das schon mal gemacht?
COURTNEY
In der Öffentlichkeit?
PUSSY SLUDGE
Ja.
Kurze Pause.
COURTNEY
Nur als ich getrauert hab.
Kurze Pause.
PUSSY SLUDGE
Das tut mir leid.
COURTNEY
Da hab ich’s die ganze Zeit gemacht. Ich bin mir sicher, niemand hatte eine Ahnung, was ich da eigentlich mache. Ich hab meistens so einen langen Mantel getragen. Ich hab meine Hände in die Taschen gesteckt. Da war einiges an Bewegungsfreiheit, da unter dem Mantel, da hat niemand was gemerkt.
Pause.
PUSSY SLUDGE
Hattest du Angst? Dass es jemand merkt?
COURTNEY
Ich glaub, das hat es sogar noch besser gemacht. Ich bin nie wieder so heftig gekommen, wie als ich diese langen Mäntel getragen hab.
Pause.
PUSSY SLUDGE
Macht dich das traurig?
COURTNEY
Es ist nichts weiter als eine Tatsache. Tatsachen machen mich nicht traurig.
Kurze Pause.
PUSSY SLUDGE
Um wen hast du getrauert?
COURTNEY
Ist egal.
PUSSY SLUDGE
Wirklich?
COURTNEY
Was, wenn ich sag, dass es ein Hund war?
PUSSY SLUDGE
Das wäre traurig.
COURTNEY
Was, wenn ich sag, dass es mein Mann war?
PUSSY SLUDGE
Das wäre auch traurig.
COURTNEY
Also ist es eigentlich egal.
Kurze Pause.
PUSSY SLUDGE
Ich hab noch nie getrauert.
COURTNEY
Es ist keine schlechte Sache.
PUSSY SLUDGE
Wirklich?
COURTNEY
Ja. Es geht vorbei. Das ist das Beste daran.
Kurze Pause.
PUSSY SLUDGE
Ich hab noch nie getrauert, aber ich wünschte, ich hätte.
COURTNEY
Warum?
PUSSY SLUDGE
Ich glaub, dass es persönlichkeitsbildend ist.
COURTNEY
Du bist dämlich.
PUSSY SLUDGE
Nein nein, ich bin liebenswert.
Kurze Pause.
COURTNEY
Wie heißt du?
PUSSY SLUDGE
Pussy Sludge.
Kurze Pause.
COURTNEY
Warum bist du hier?
PUSSY SLUDGE
Ich wohne hier.
COURTNEY
Das hier ist ein Sumpf. Wie bist du hierhin gekommen?
PUSSY SLUDGE
Keine Ahnung. Ich war in meinem Zimmer – und dann …
Pause.
COURTNEY
Ich muss los.
PUSSY SLUDGE
Wohin?
COURTNEY
Pilates.
Pause.
PUSSY SLUDGE
War es dein Mann?
Kurze Pause.
COURTNEY
Es war mein Hund.
Kurze Pause.
Er war so ein Braver.
Pause.
Nein, das stimmt nicht.
Ich hab keine Ahnung, warum ich das eben gesagt hab.
Er war die größte Nervensäge.
Hat ständig meine Schuhe gefressen.
Ihre Stimme versagt.
PUSSY SLUDGE
Bitte bleib da.
COURTNEY
Pass auf dich auf. Es ist irgendwo da draußen.
PUSSY SLUDGE
Was ist da draußen?
Pause.
Hallo?
Courtney ist verschwunden.
Bist du gegangen?
Die Sumpfgeräusche summen.
DAS WAR DAS BESTE GESPRÄCH DAS ICH JEMALS GEFÜHRT HABE WER BIST DU? WO BIST DU HIN?
Ein Förster mit starkem Akzent tritt auf. Er ist dabei, die Melodie von »My Back Pages« auf der Gitarre herauszufinden. Er macht das nicht wirklich gut.
Sebastian klimpert auf der Gitarre herum, dem Sumpf den Rücken kehrend, singt er:
SEBASTIAN
Ich hasse den Wald … Der Wald ist scheiße … Der Wald ist...
Erscheint lt. Verlag | 27.11.2019 |
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Reihe/Serie | Dramatische Rundschau |
Übersetzer | Maria Milisavljevi?, Barbara Christ |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
Schlagworte | Aktuelle Stücke • Anthologie • Beispiele • Björn SC Deigner • Bookpink • Bühne • Burgtheater Wien • Caren Jeß • Collective Rage • Das Ende von Iflingen • der tempelherr • Deutsches Theater Berlin • Drama • Drama Literatur • Dramatik • Dramaturgie • Dramen • Ferdinand Schmalz • Gracie Gardner • Heidelberger Stückemarkt • In Ewigkeit Ameisen • In Stanniolpapier • Jen Silverman • Mar-a-Lago. Oder. Neuschwanstein • Marlene Streeruwitz • moderne Dramatik • Open Mike • Pussy Sledge • Riss durch die Welt • Roland Schimmelpfennig • Sammlung • spectaculum • Stücke • Theater • Theaterpraxis • Theaterstücke • Theater Theater • Wolfram Lotz |
ISBN-10 | 3-10-491138-X / 310491138X |
ISBN-13 | 978-3-10-491138-0 / 9783104911380 |
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