Ein ganzes Leben lang (eBook)

Roman

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
592 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-22259-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein ganzes Leben lang -  Rosie Walsh
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Emma und Leo sind seit sieben Jahren glücklich verheiratet. Leo schreibt Nachrufe für eine große Tageszeitung, Emma ist eine brillante Meeresbiologin und ein ehemaliger Fernsehstar. Gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter Ruby genießen sie das Familienidyll in Hampstead, London. Nur eines trübt das Glück - Emma leidet an einer schweren Krankheit. Und so erhält Leo den Auftrag, einen Nachruf auf seine geliebte Frau zu verfassen, falls es zum Schlimmsten kommt. Doch bei den Recherchen über ihr Leben stößt er auf eine schockierende Wahrheit: Alles, was Emma ihm über sich erzählt hat, ist eine Lüge ...

Die britische Autorin Rosie Walsh lebt mit ihrem Lebensgefährten und zwei Kindern in Bristol. Ihr Debüt »Ohne ein einziges Wort« stand wochenlang an der Spitze der Spiegel-Bestsellerliste. Rosie liebt lange Spaziergänge, spielt Violine in einem Orchester, kocht und tanzt, so oft sie kann.

Erstes Kapitel


Leo


Beim Aufwachen sind ihre Wimpern oft so feucht, als sei sie im Schlaf in einem Meer aus traurigen Träumen geschwommen. »Muss so ein Augendings sein«, sagt sie dann immer. »Albträume habe ich jedenfalls nie.« Dann gähnt sie wie ein Nilpferd, wischt sich den Schlaf aus den Augen und schlüpft rasch aus dem Bett, um sich zu vergewissern, dass Ruby noch lebt und atmet. Eine Angewohnheit, die sie einfach nicht abschütteln kann, obwohl Ruby inzwischen beinahe drei ist.

»Leo!«, sagt sie, wenn sie wieder zu mir ins Bett schlüpft. »Aufwachen! Küss mich!«

Es vergeht ein Moment, bis ich aus den trüben Untiefen heraufsteige ins Licht des anbrechenden Tages. Von Osten zieht die Morgendämmerung mit bernsteingoldenen Schatten auf, und wir kuscheln uns ganz eng aneinander, während Emma plappert wie ein Wasserfall – nur gelegentlich unterbricht sie sich mitten im Satz, um mich unvermittelt zu küssen. Um Viertel vor sieben schauen wir auf Wikideaths nach, ob über Nacht jemand gestorben ist, und um sieben lässt sie einen fahren und schiebt das Geknatter auf ein zufällig vorbeifahrendes Moped.

Ich weiß nicht mehr, wie lange wir schon zusammen waren, als sie damit angefangen hat. Vermutlich nicht sehr lange. Aber sie muss gewusst haben, dass ich da längst mit im Boot war und es genauso unwahrscheinlich gewesen wäre, dass ich über die Reling ins eiskalte Wasser springe und wieder an Land zurückschwimme, wie mir Flügel wachsen zu lassen und zurückzufliegen.

Wenn unsere Tochter bis dahin nicht zu uns ins Bett gekrabbelt ist, krabbeln wir in ihrs. Die Luft im Kinderzimmer ist süßlich und heiß, und unsere frühmorgendlichen Gespräche, die sich meist um Ente drehen, gehören zu den glücklichsten Momenten, die mein Herz kennt. Ente, die sie im Schlaf immer ganz fest an sich drückt, erlebt nachts die wildesten Abenteuer.

Meistens ziehe ich Ruby dann an, während Emma schon mal nach unten geht und »Frühstück macht«, wobei sie sich allerdings mit schönster Regelmäßigkeit von den Meeresdaten ablenken lässt, die sich über Nacht in ihrem Labor angesammelt haben, weshalb Ruby und ich uns dann meistens ums Essen kümmern. Meine Frau kam gut zwanzig Minuten zu spät zu ihrer eigenen Hochzeit, weil sie unterwegs unbedingt anhalten musste, um im Brautkleid die Gezeitenzonen am Restronguet Creek zu fotografieren. Und niemanden, außer den Standesbeamten vielleicht, hat das gewundert.

Emma ist Gezeitenforscherin, das heißt, sie erforscht Orte und Kreaturen, die bei Flut unter Wasser liegen und bei Ebbe trockenfallen. Der wundersamste und aufregendste Lebensraum überhaupt auf unserem Planeten, findet sie. Schon als kleines Mädchen war sie fasziniert von Gezeitentümpeln. Es liegt ihr einfach im Blut. Ihr ­Spezialgebiet sind Krabben, aber ich glaube, ihr ist eigentlich ­jedes Krustentier recht. Derzeit hält sie im Institut vor allem kleine Krabbler mit dem klingenden Namen Hemigrapsus takanoi in riesigen Aquarien. Ich weiß, dass das eine invasive Art ist und dass Emma sich vor allem für gewisse morphologische Eigenheiten interessiert, die sie schon seit Jahren zuzuordnen versucht, aber das ist eigentlich auch schon alles, was ich von ihrer Arbeit verstehe. Der Durchschnittsmensch kennt nicht einmal ein Drittel der Wörter, die Biologen so verwenden. Bei einer Party versehentlich in einen Trupp von Biologen zu geraten ist der reinste Albtraum.

Als Ruby und ich an diesem Morgen in die Küche kommen, singt sie gerade John Keats etwas vor. Gezackte Sonnenstrahlen fallen auf die Arbeitsflächen, und unsere aufgeweichten Frühstücksflocken sind dabei, in ihren Schälchen zu Beton auszuhärten. Ihr Laptop, darauf eine dicht beschriebene Seite voller schwindelerregender Wörter und Schnörkel, spielt gerade einen Track mit dem klingenden Titel »Killermuffin«. Als wir John Keats aus dem Tierheim geholt haben, wurde uns erklärt, leiser Jungle wirke beruhigend auf ihn, und unversehens ist das zum Soundtrack unseres Lebens geworden.

Ruby auf dem Arm bleibe ich in der Tür stehen und sehe zu, wie meine Frau den Hund schief ansingt. Trotz einer beachtlichen Ahnenreihe von Musikern in ihrem Stammbaum kann Emma nicht mal die Melodie von »Happy Birthday« singen, was sie allerdings nicht davon abhält, es trotzdem zu tun, laut und schräg. Eines der vielen Dinge, die ich an meiner Frau so liebe.

Sie sieht uns beide in der Tür und tanzt zu uns herüber, während sie haarsträubend falsch weiterträllert. »Meine Lieblingsmenschen«, flötet sie, gibt uns beiden einen Kuss und pflückt Ruby aus meinen Armen. Dann wirbelt sie mit ihr davon, und das schiefe Gesinge wird immer lauter.

Ruby weiß, dass Mummy krank war. Sie hat mitbekommen, wie ihr die Haare ausfielen, wegen der Medizin, die sie im Krankenhaus bekommen hat, aber sie denkt, dass Emma jetzt wieder ganz die Alte ist. Dabei wissen wir selbst nicht so genau, wie es um sie steht. Gestern war ihr Abschluss-PET-Scan, und nächste Woche haben wir einen Termin zur Befundbesprechung. Wir hoffen. Wir bangen. Wir schlafen schlecht.

Meine Zeitung liegt auf dem Tisch, aufgeschlagen auf der Seite mit den Nachrufen. Nach einem kurzen Tänzchen mit ihrer Mutter, bei dem Ente schwungvoll über ihren Köpfen herumgeschleudert wurde, schwänzelt Ruby davon, weil sie Wichtigeres zu tun hat.

»Komm zurück!«, ruft Emma. »Ich will kuscheln!«

»Zu viel zu tun«, sagt Ruby bedauernd.

Dann flüstert sie der Pflanze, um die sie sich kümmern soll – ihr Kindergartenprojekt –, ein lautes »Hey Ho« zu. »Ich gebe dir jetzt was zu trinken.«

»Was Neues?«, frage ich und nicke Richtung Computer. Emma hat vor ein paar Jahren mal eine Dokuserie der BBC über die heimische Fauna moderiert und bekommt seitdem immer wieder Nachrichten von irgendwelchen komischen Käuzen, obwohl sie seitdem nicht mehr im Fernsehen zu sehen war. Aber die Serie ist erst kürzlich wiederholt worden, und infolgedessen sind auch die Nachrichten wieder mehr geworden. Sonst lachen wir eigentlich darüber, aber gestern Abend hat sie mir gestanden, dass in letzter Zeit einige dabei waren, die ihr Angst gemacht haben.

»Zwei Stück. Eine ganz brav, eine obszön. Aber ich hab den Typen schon blockiert.«

Ich sehe ihr zu, wie sie unsere Wassergläser füllt, aber sie scheint unbesorgt. Ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass diese Nachrichten mir mehr zu schaffen machen als ihr. Immer wieder habe ich sie gedrängt, ihre öffentliche Facebook-Seite zu löschen, aber sie weigert sich standhaft. Die Leute posten wohl immer noch ihre Wildtierbeobachtungen, und sie möchte die Seite nicht »bloß wegen ein paar einsamer Männer« aus dem Netz nehmen.

Ich hoffe inständig, dass sie wirklich bloß einsam sind.

»Dein Text über Kenneth Delwych gefällt mir«, sagt Emma zu mir, ein Auge auf Ruby, die gerade mit der Gießkanne in der Hand an der Spüle hochkraxelt.

Ich gehe rüber zu John Keats und wickele mir eins seiner seidenweichen Ohren um den Finger, warte auf das Aber. Der Hund riecht nach Keksen und verbranntem Fell, Folge eines kleinen Zwischenfalls mit dem Bügeleisen.

»Aber?«, helfe ich ihr auf die Sprünge.

Sie verstummt, wie auf frischer Tat ertappt. »Kein Aber.«

»Ach, Emma. Hör schon auf.«

Nach kurzem innerem Kampf muss sie lachen. »Also gut. Ich finde ihn gut, aber der Artikel über die Geistliche ist um Klassen besser. Hey, Ruby, genug gegossen.«

John Keats seufzt tief, und ich beuge mich vor, um einen Blick auf meine Artikel zu werfen. Kenneth Delwych, ein Altersgenosse, berühmt-berüchtigt für die barocken Saufgelage, die er in seinem Weingut in Sussex zu veranstalten pflegte, teilt sich die Nachrufseite mit einem Bomberflottennavigator aus dem Zweiten Weltkrieg und einer Geistlichen, die letzte Woche während einer Trauung einem Herzinfarkt erlag. »Am besten bist du, wenn du tod­ernst bleibst«, stellt Emma fest und steckt zwei Brot­schei­ben in den Toaster. »Dieser Schauspieler von letzter Woche – der Schotte, wie hieß er noch? Ruby, könntest du bitte das arme Pflänzchen nicht ertränken …«

»David Baillie?«

»David Baillie. Ja. Besser geht’s nicht.«

Ich lese mir den Nachruf auf Kenneth Delwych noch mal durch, während Emma die unvermeid­liche Überschwemmung rund um Rubys Pflanze aufwischt. Sie hat natürlich recht – die Geistliche, deren Nachruf merklich kürzer ausgefallen ist, liest sich deutlich besser. Emma hat immer recht. Leider. Mein Ressortleiter, der, wie ich vermute, heimlich in meine Frau verschossen ist, scherzt oft, sollte sie die Meeresforschung irgendwann an den Nagel hängen, würde er mich vor die Tür setzen und stattdessen sie einstellen. Was ich eine ziemliche Unverschämtheit finde, denn wenn er nicht zufällig ein paar ihrer wissenschaftlichen Aufsätze gelesen hat, stützt sich seine Meinung zur Gänze auf einen einzigen veröffentlichten Artikel von ihr, den sie irgendwann mal für die Huffington Post geschrieben hat.

Emma ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Marine Biological Association in Plymouth, wo sie zwei Tage die Woche arbeitet. Die restliche Zeit verbringt sie bei uns in London, wo sie an der UCL Mündungsgewässerschutz lehrt. Und sie ist tatsächlich eine begnadete Schreiberin – ihre Intuition ist viel verlässlicher als meine. Außerdem liebt sie es, sich durch Wikideaths zu scrollen. Das hat allerdings mehr mit ihrem Hang zu guten Geschichten zu tun, als dass sie mir meinen Job abspenstig machen wollte. Als so ein neunmalkluger Dreikäsehoch mir...

Erscheint lt. Verlag 28.6.2021
Übersetzer Stefanie Retterbush
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Love of My Life
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Beziehungen und Ehe • eBooks • Frauenromane • Geheimnis • Große Liebe • Jojo Moyes • Liebesromane • Liebesroman Neuerscheinungen 2020 • Liebesroman Neuerscheinungen 2021 • London • Ohne ein einziges Wort • Romane für Frauen • Sommerlektüre • Spiegel Bestseller Autorin • Taschenbuch • Verrat
ISBN-10 3-641-22259-1 / 3641222591
ISBN-13 978-3-641-22259-8 / 9783641222598
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