Die Hölle war der Preis (eBook)

Roman nach einer wahren Geschichte

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
464 Seiten
Diana Verlag
978-3-641-24543-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Hölle war der Preis -  Hera Lind
Systemvoraussetzungen
10,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Gisa Stein, genannt Peasy, wächst in Oranienburg nahe Berlin auf. Ihr Traum ist es, Tänzerin zu werden, und sie schafft es bis an die Staatsoper. Doch hier gerät sie in die Fänge der Stasi. In ihrer Verzweiflung versucht sie mit ihrem Ehemann Edgar, einem rebellischen Architekten, in den Westen zu fliehen. In einer kalten Januarnacht 1974 wird das Paar an der Grenze festgenommen und wegen Republikflucht zu fast vier Jahren Haft verurteilt. Was Gisa dann im Frauenzuchthaus Hoheneck durchmacht, ist die Hölle. Von unzähligen Briefen, die Edgar ihr schreibt, erreicht sie nur ein einziger: Er liebt sie und glaubt die Lügen nicht, die im Gefängnis über sie verbreitet werden. Aber Gisa hat ein Geheimnis. Wie hoch ist der Preis dafür?
  • In ihrem neuen großen Tatsachenroman lässt Hera Lind eine Frau zu Wort kommen, die über ihre Schreckensjahre im DDR-Gefängnis Hoheneck bisher geschwiegen hat
  • Echt Hera Lind: wahre Liebe, Höllenqualen und die Hoffnung auf eine andere Zukunft - deshalb lieben die LeserInnen ihre Autorin
  • Über 2 Millionen verkaufte Tatsachenromane von Hera Lind (Stand Juli 2019)


Hera Lind studierte Germanistik, Musik und Theologie und war Sängerin, bevor sie mit zahlreichen Romanen sensationellen Erfolg hatte. Seit einigen Jahren schreibt sie ausschließlich Tatsachenromane, ein Genre, das zu ihrem Markenzeichen geworden ist. Mit diesen Romanen erobert sie immer wieder die SPIEGEL-Bestsellerliste. Hera Lind lebt mit ihrem Mann in Salzburg, wo sie auch gemeinsam Schreibseminare geben.

1

Ostberlin, in der Nacht zum 1. April 1973

Nebenan schnarchte mein künftiger Schwiegervater.

»Was ist denn nun mit Eileen?«, flüsterte ich neugierig.

Auch Schwiegermutters gleichmäßige, tiefe Atemzüge drangen durch die dünnen Wände bis zu meinem Verlobten und mir herüber. Bevor mein liebster Ed einschlafen konnte, kuschelte ich mich ganz dicht an ihn. Eds Schnauzbart kitzelte, als ich ihm einen Gutenachtkuss gab. Sofort durchströmte mich sein mir so vertrauter Duft.

»Dein Vater hat beim Abendessen gefragt, wann eure Diplomarbeit endlich fertig ist, und das möchte ich ehrlich gesagt auch mal wissen!«

Neugierig stützte ich mich auf den Ellbogen und blies meinem Liebsten eine widerspenstige Strähne aus der Stirn. Er trug lange Haare, was damals in der DDR nicht allzu gern gesehen wurde, aber Ed war alles andere als staatskonform. Aus Protest lief mein zukünftig Angetrauter in einer amerikanischen Originalkutte aus dem Ami-Shop in Hamburg herum, die ihm seine Tante Irene geschickt hatte. Ed verweigerte das Tragen von FDJ-Hemden, das Schwenken von Fahnen und Transparenten bei verordneten Aufmärschen und Kundgebungen. Er fand alles in der DDR scheiße, verlogen und lächerlich. Ich dachte zwar genauso, aber im Gegensatz zu mir sagte mein mutiger Mann das auch laut.

»Eileen?« Er klang, als hätte er schon geschlafen. »Was soll mit ihr sein?«

»Ach komm, Ed! Mir kannst du es doch sagen! Oder denkst du immer noch, ich bin eifersüchtig?« Ich gab ihm einen zärtlichen Stups. »Bin ich echt schon lange nicht mehr!«

Ed und Eileen waren »nur« gute Freunde, sie studierten beide im letzten Semester Architektur an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und schrieben ihre Diplomarbeit zusammen, aber in jüngster Zeit schienen sie nichts zu tun, was sie in der Hinsicht weiterbrachte. Mein geliebter Freigeist Ed zeichnete sich nicht gerade durch übertriebenes Strebertum aus, was ich umso mehr an ihm liebte. Die wiederholte Frage seines Vaters, was denn nun mit der Diplomarbeit sei, war durchaus berechtigt. Wenn er keine Lust auf das Studium hatte, trampte er durch die DDR mit allem, was fuhr: mit Pferdefuhrwerken, aber auch mit Lastern voller Äpfel oder Kohlköpfe. Dann konnte er stundenlang Landschaften skizzieren, alte Gebäude fotografieren oder Schopenhauer und Kleist lesen und in seiner Traumwelt versinken. Aber WENN er arbeitete, war er brillant. Seine Entwürfe konnten sich durchaus sehen lassen und wiesen ein hohes Maß an Kreativität auf. In der DDR Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre wurde diese Art Begabung, gepaart mit einer gehörigen Portion Eigensinn zwar gerade noch geduldet, aber dafür umso genauer beäugt. Mein Ed war eben etwas Besonderes.

»Ed, ich will wissen, was mit Eileen ist! Ich hab sie ewig nicht mehr gesehen«, bohrte ich nach. Eileen rebellierte genauso gegen das System wie Ed.

»Psst, Peasy!« Ed legte den Arm unter meinen Kopf und zog mein Ohr ganz dicht an seine Lippen.

»Ich sag’s dir, aber flipp jetzt nicht aus, okay?«

In mir zog sich alles zusammen. Da war irgendwas im Busch.

»Ist sie schwanger?« Mein Herz klopfte. Ed zog missbilligend eine Braue hoch. »Das sollte ein Scherz sein!«, setzte ich hastig nach.

Warum war er auf einmal so ernst? Er nahm meine Hand in seine und hielt sie ganz fest. In seinen dunklen Augen lag etwas Geheimnisvolles. Er hatte mich doch nicht … Er würde doch nicht …?

»Peasy, was ich dir jetzt sage, muss absolut unter uns bleiben, versprichst du mir das?« Sein Blick war ernst. Sehr ernst.

Plötzlich durchzog es mich heiß. Etwas wirklich Dramatisches musste passiert sein. Aber doch hoffentlich nicht DAS EINE. Ich liebte meinen Ed vorbehaltlos. Wir hatten doch keine Geheimnisse voreinander?

»Versprochen«, raunte ich tonlos und versuchte tapfer zu sein.

Und dann ließ Ed die Bombe platzen. »Kreisch jetzt nicht los, okay? Sie ist in den Westen abgehauen.«

Mein Herz machte einen dumpfen Schlag. Vor Erleichterung, vor Entsetzen, vor Respekt, vor Überraschung. Ruckartig setzte ich mich auf.

»Sie ist weg? Für immer?«

Die gelbbraun gestrichenen Wände unseres Zimmers kamen auf mich zu. Draußen ratterte eine Straßenbahn vorbei, und der orientalisch anmutende Vorhang, den Ed als »Meisterdekorateur« irgendwo aufgetrieben hatte, um das triste Grau unseres Lebens aufzulockern, wehte wie von Geisterhand vor dem Fenster hin und her.

Ich kreischte nicht. Ich schluckte trocken und würgte an einem Kloß.

Ed gab mir Gelegenheit, die Nachricht zu verdauen, und strich beruhigend über meinen Rücken. Schon immer war ich eifersüchtig auf alle Frauen gewesen, die in Eds Nähe sein durften. Und erst recht auf diese selbstbewusste coole ausgeflippte Eileen!

»Wusstest du davon?«

»Nein, Peasy, natürlich nicht!«

»Aber wie hat sie das hingekriegt?« Meine Stimme wurde schrill.

Ich spürte Eds Hand auf meinem Mund. »Bitte beruhige dich, Peasy. Du weißt, die Wände haben Ohren!« Tatsächlich hatte Schwiegervater Georg aufgehört zu schnarchen.

Kraftlos ließ ich mich nach hinten plumpsen und starrte wie betäubt an die Decke.

Eileen. In den Westen. Abgehauen. Mein Herz klopfte so heftig, dass der Kragen meines Nachthemds über der Halsschlagader hüpfte. Sollte ich mich jetzt für sie freuen? Oder doch eher für mich? Ich wollte auch in den Westen, verdammt! Wer von uns Studenten wollte das nicht?

Aber allein darüber nachzudenken war schon utopisch!

Ed legte sich auf mich, als wollte er mir mit seiner Körperwärme neues Leben einhauchen. Er nahm meine Handgelenke und presste sie ins Laken. »Sie hat mich angerufen«, raunte er mir ins Ohr. »Sie ist in Westberlin. Wenn du zum Fenster rausschaust, kannst du sie fast sehen.«

Lange konnte ich keinen klaren Gedanken fassen. Ich lag einfach da, spürte den Herzschlag meines Liebsten und roch den Duft seiner Haare, die mir ins Gesicht gefallen waren und mich kitzelten.

Endlich hatte ich die Nachricht verdaut. »Wie zum Teufel hat sie das geschafft? Gibt es Hintermänner …?«

»Das konnte sie mir am Telefon natürlich nicht sagen.« Ed stützte sich auf und sah mir ernst in die Augen. »Nur so verschlüsselt: Klaas hat damit zu tun.«

Wieder zuckte ich zusammen. »Klaas? DER Klaas? Der dicke Cousin mit den roten Haaren und dem Methusalem-Bart?«

»Ja, verdammt!« Ed musste sich ein Lachen verkneifen. »Häng doch gleich ein Fahndungsplakat an die Litfaßsäule, Schätzchen!«

»Ich kann’s nicht fassen!« Ächzend drehte ich mich auf den Bauch und vergrub das Gesicht im mit Frottee bezogenen Kopfkissen. Der »Vetter aus Dingsda«, wie wir ihn spaßeshalber nannten, schickte Eileen immer Westpakete und kam ab und zu vorbei, um uns vom Schlaraffenland vorzuschwärmen. Er tat immer so cool, und ich wusste gar nicht, ob ich ihn mochte. Aber ihm war das Unfassbare gelungen, was wir beide kaum zu denken, geschweige denn auszusprechen wagten, nämlich Eileen auf welche Weise auch immer in den Westen zu schmuggeln!

»Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass sie sie nicht an der Mauer abgeknallt haben!« Ed strich mir beruhigend über den Rücken. »Oder dass sie nicht im Knast gelandet ist.«

»Die ist ja wahnsinnig«, flüsterte ich halb begeistert, halb neidisch, und hieb auf das Kopfkissen ein. »Dass die sich das getraut hat!«

Wir warteten, bis Georg wieder tief und gleichmäßig schnarchte. Dann wisperte Ed geheimnisvoll: »Sie sagt, sie war am Wochenende zum Skifahren in der Schweiz und hat dabei schon einen tollen Typen kennengelernt.«

Wie von der Tarantel gestochen, schnellte ich hoch. »Du verarschst mich doch.« Plötzlich musste ich lachen. »Stimmt’s, Ed, du bindest mir schon die ganze Zeit einen Bären auf.« Mit einem Blick auf den Radiowecker gluckste ich: »Seit einer Minute ist der erste April!« Ich nahm das Kopfkissen und zog es ihm über den Kopf. »Du Mistkerl, das sieht dir ähnlich, und ich bin drauf reingefallen!«

Ed hielt das Kopfkissen wie einen Schutzschild zwischen uns. Georg hatte wieder aufgehört zu schnarchen, und mir wurde mehr und mehr bewusst, was Ed da gerade kundgetan hatte. Ich geriet ins Zweifeln.

»Sie ist wirklich … Du hast mich nicht …«

»Behalt’s um Himmels willen für dich, Peasy.«

Ja, wem sollte ich das wohl erzählen? Selbst an meiner Berufsfachschule für Bekleidung in der Warschauer Straße traute ich niemandem über den Weg. Es wimmelte überall von Spitzeln, die einen aushorchten, und ich war auf der Karriereleiter sowieso schon auf die unterste Stufe verbannt worden. Tiefer fallen konnte ich gar nicht mehr! (Das glaubte ich zumindest. Wie naiv von mir!) Meine Träume hatte ich in diesem Land alle längst begraben müssen.

»Dann schreibst du deine Diplomarbeit jetzt allein zu Ende?« Neugierig musterte ich Ed, der sich inzwischen eine Zigarette angesteckt hatte und unser Zimmer vollpaffte. »Oder gibst du dein Studium etwa auf?«

Ed war alles zuzutrauen. Er liebte wilde Kellerpartys mit West-Whisky aus Tante Irenes Hamburger Paketen ebenso wie das tagelange Abtauchen irgendwo im Nirgendwo.

»Nee, den Gefallen tue ich denen nicht. Die werden mich jetzt erst recht auf dem Kieker haben.« Im schwachen Schein der Straßenlaterne sah er aus wie eine griechische Statue – so schön, aber auch so zerbrechlich. Trotzdem musste ich ihn das...

Erscheint lt. Verlag 13.4.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte eBooks • Frauenschicksal in der DDR • Frauenzuchthaus Hoheneck • Liebe in einer Diktatur • Verrat durch die Stasi • zerstörtes Vertrauen
ISBN-10 3-641-24543-5 / 3641245435
ISBN-13 978-3-641-24543-6 / 9783641245436
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,2 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99