Als die Nacht uns Sterne schenkte (eBook)

Roman

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
480 Seiten
Blanvalet (Verlag)
978-3-641-25598-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Als die Nacht uns Sterne schenkte -  Iona Grey
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Eine Liebe, die nie sein durfte und dennoch alles überdauerte ...
1926: Die junge Selina Lennox genießt ihre Jugend in der Londoner High Society in vollen Zügen. Exquisite Kleider, ausschweifende Partys, Champagner und Skandale, so kann es für immer weitergehen. Doch dann trifft sie in einer schicksalhaften Nacht auf Lawrence Weston. Für den mittellosen Künstler ist jeder Tag ein Kampf - gegen den Hunger und für das Ziel, mit seinen Bildern auf die Missstände im Land aufmerksam zu machen. Selina und Lawrence ist klar, dass sie nicht in die Welt des jeweils anderen gehören, und dennoch ist da etwas, das sie unaufhaltsam aufeinander zutreibt. Die beiden verbringen einen magischen, leidenschaftlichen Sommer miteinander. Doch sie wissen, dass dieser nicht für immer andauern kann ...

Iona Grey studierte Englische Sprache und Literatur an der Manchester University. Ihre Begeisterung für Geschichte und ihr großes Interesse an Frauenschicksalen des 20. Jahrhunderts brachten sie dazu, ihren Roman Als unsere Herzen fliegen lernten zu schreiben. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihren Töchtern im Nordwesten Englands auf dem Land.

1


Alice

Januar 1936

Erschöpft hing der gräulich gelbe Winterhimmel über der frostigen Landschaft. Zwar hatte es über Nacht geschneit, doch die wenigen schmutzig weißen, zu harten Kristallen gefrorenen Flecken waren die reinste Enttäuschung – bei Weitem nicht genug für einen Schneemann (Würde man ihr überhaupt erlauben, einen zu bauen? Wahrscheinlich nicht.). Die Kälte brannte auf ihren Wangen und drang ihr tief in die Knochen, als sie verdrossen hinter Miss Lovelock hertrottete.

Sie hatten ihren gewohnten Weg eingeschlagen, die westliche Auffahrt entlang und um den kleinen See herum, auf dessen Oberfläche noch die abgestorbenen Blätter vom letzten Herbst wie ein aufgeweichter rostroter Teppich trieben. Einst waren die weitläufigen Gärten von Blackwood Park das Juwel des Landsitzes gewesen, doch seit sich lediglich der alte Patterson und ein Gartenhelfer um sie kümmerten, war alles überwuchert und verkommen. Alice’ täglicher Marsch (ein Muss, da Miss Lovelock felsenfest davon überzeugt war, dass der Mensch viel frische Luft brauchte) führte sie auch an den Weiden mit den Schafen vorbei, die feindselig zu ihr herüberstarrten. Schon jetzt, nach elf Tagen, hatte die Vertrautheit des täglichen Spaziergangs eher etwas Bedrückendes als Tröstliches.

Elf Tage. Erst?

Beim Gedanken an die endlosen Tage, die bis zu Mamas Rückkehr noch vor ihr lagen, verkrampfte sich ihr Magen. Sie blieb stehen, blickte auf die weißen Atemwölkchen vor ihrem Mund und die hohen, schlanken Pflanzen am Ufer. Rohrkolben, hatte Miss Lovelock gesagt. Alice kannte sie zwar aus der Bibelgeschichte von Moses, hatte sie aber nie gesehen, bevor sie nach Blackwood gekommen war – jedenfalls standen keine am Ufer des Serpentine, des Bootsteichs im Hyde Park oder irgendwo sonst, wo sie mit Mama ihre Winterspaziergänge unternahm (gefolgt von Tee im Maison Lyons oder im Gunter’s Tea Shop oder – wenn sie nass und durchgefroren waren – leckeren Hefefladen, die sie zu Hause über dem Kaminfeuer rösteten). Sie betrachtete die Schilfpflanzen eingehend, konzentrierte sich ganz fest auf ihre samtige Oberfläche und kompakte Form, weil es sie von dem mulmig-flauen Gefühl im Magen ablenkte. Am liebsten hätte sie einen der Stängel abgebrochen und mit ins Haus genommen, um ihn mit den hübschen Stiften zu zeichnen, die Mama ihr zu Weihnachten geschenkt hatte (zwölf verschiedene Farben, wie ein Regenbogen in einer Kassette angeordnet), aber wahrscheinlich würde man ihr auch das nicht erlauben. Großmama hatte ihr gleich nach ihrer Ankunft die Stifte abgenommen, um sie »sicher zu verwahren«. Zeichnen war etwas, wozu einen in Blackwood Park niemand ermutigte.

»Alice. Los, Kind. Marsch, marsch!«, rief Miss Lovelock, die dank ihres entschlossenen Schritts bereits ein gutes Stück Vorsprung hatte, ungeduldig. (Bei ihrem »Marsch, marsch!« handelte es sich keineswegs um leere Worte, es war ein ernst gemeinter Befehl. Marschieren gehörte zu ihren Lieblingsbeschäftigungen.) Alles an Miss Lovelock war nüchtern und pragmatisch, von ihren festen Schnürschuhen und den maskulin anmutenden Krawatten, die sie zu ihren Blusen trug, bis hin zu ihrer Liebe für Arithmetik und lateinische Verben, überhaupt für Aufgabenstellungen, auf die es klare Lösungen und Antworten gab und die keinen Spielraum für »Was wäre wenn?«-Überlegungen ließen.

(»Was wäre wenn?« sei immer eine gute Frage, hatte Mama gesagt und sogar ein Spiel daraus gemacht, das sie stets auf dem Oberdeck des Autobusses spielten. Was wäre, wenn du für einen Tag unsichtbar sein könntest? Was würdest du tun? Was wäre, wenn Tiere sprechen könnten? Was, wenn im Parlament nur Frauen statt Männer säßen?)

Alice kehrte den Rohrkolben den Rücken und schlurfte gehorsam zu Miss Lovelock. Die Gouvernante hatte die Arme vor ihrer ausladenden Brust gekreuzt, und selbst aus der Entfernung sah Alice, dass ihre Brauen zu einer dunklen missbilligenden Linie zusammengezogen waren. So eisern Miss Lovelock die frische Luft auch verfocht, wusste Alice doch, dass sie es kaum erwarten konnte, zurückzukommen und ihren Schützling loszuwerden, um den restlichen Nachmittag in ihrem geheizten Zimmer Radio zu hören. Trotzdem konnte Alice der Versuchung nicht widerstehen, durch das moosbedeckte Fenster des alten Bootshauses zu spähen, in der Hoffnung, dass die ausgemusterten Angelruten in der Ecke und die mottenzerfressenen Kissen den Geist und den Zauber längst vergangener Sommer mit fröhlichen Bootspartys, Picknicks und ausgelassenen Planschereien im See heraufbeschworen.

Blackwood Park war voller Geister. Flüsternde Stimmen und gedämpftes Gelächter einstiger Bewohner schwebten durch die leeren Korridore, und die Vergangenheit schien lebendiger zu sein als die Gegenwart, die kaum mehr war als eine endlose Aneinanderreihung trister Tage, die zu gleichförmiger Trostlosigkeit verschwammen. Mama war hier aufgewachsen. Sie hatte Alice erzählt, wie sie, Tante Miranda und Onkel Howard auf dem Marmorfußboden der Eingangshalle Himmel und Hölle und auf den Fluren des Kindertrakts mit den Dienern French Cricket gespielt hatten. Damals, vor dem Ersten Weltkrieg, waren in Blackwood noch Dienstboten beschäftigt gewesen (und Onkel Howard hatte noch gelebt, allerdings war er damals noch nicht Onkel gewesen und sollte die Geburt seiner Nichte und seines Neffen auch nicht mehr erleben). Alice war sicher, dass es ihre Stimmen waren, die sie überall im Haus hören konnte, ihr Gelächter, ihre Schritte.

»Alice Carew, würdest du bitte endlich einen Zahn zulegen!«

Alice’ Seufzer ließ das grünliche Glas beschlagen, ehe sie sich widerstrebend vom Fenster löste. Über ihr spannte sich der fahle Januarhimmel, und über den Baumwipfeln stand ein bleicher Mond. Hinter Miss Lovelock ragte Blackwood Park empor, düster und imposant mit seinen dunklen Fenstern und den Geheimnissen, die sich dahinter verbargen. Schweren Herzens wandte Alice sich allen beiden zu.

Im Kindertrakt im obersten Geschoss war es kaum wärmer als draußen im Freien. Statt in dichten, kompakten Wolken schwebte Alice’ Atem hier in gespenstischen Schwaden vor ihrem Mund, und als sie Miss Lovelock folgte, wurden ihre Schritte von dem fadenscheinigen Teppich geschluckt, als wäre sie ebenso fragil und flüchtig wie die Schatten der Kindheit von Mama und ihren beiden Geschwistern.

Zwanzig Jahre lang hatte kein Kindermädchen mehr einen Fuß in das Haus gesetzt, und sowohl Kindertrakt als auch das Schulzimmer waren ungenutzt geblieben. Vergessene Puppen und Plüschtiere lagen im Tagesraum und erinnerten an glücklichere Zeiten, ebenso wie die reiterlosen Schaukelpferde, die noch immer an exakt derselben Stelle standen wie damals. Vor Alice’ Ankunft waren die Räume eilig geputzt worden, trotzdem hing noch der Staub in den Ecken, die Ellens flüchtigem Wedel entgangen waren, und in der Luft lag eine schale Stickigkeit wie in einem Museum.

In Blackwood gab es keinen Nachmittagsunterricht wie in Alice’ Mädchenschule in Kensington, wo nach dem Lunch Sticken oder Hauswirtschaft in Gruppenarbeit auf dem Programm standen (Miss Ellwood, die Rektorin, war eine fortschrittlich denkende Frau, die sehr wohl wusste, dass selbst die jungen Damen aus gutem Hause sich in einer Welt würden zurechtfinden müssen, in der die Dienstbotenknappheit immer drastischer wurde). Miss Lovelock ließ Alice mit der Anweisung allein, etwas »Sinnvolles« zu lesen, und zog sich mit unangemessener Hast in ihr Zimmer zurück. Kaum hatte sie die Tür fest hinter sich geschlossen, drang das gedämpfte Rauschen des Radioapparats an Alice’ Ohren.

Sie trat ans Fenster und ließ sich auf die gepolsterte Bank sinken. Mittlerweile hatte sich zu dem flauen Gefühl im Magen ein dicker, schmerzhafter Kloß in ihrer Kehle gesellt, der ihr förmlich die Luft abschnürte. Kurz fragte sie sich, ob sie irgendetwas ausbrütete, während ein Hoffnungsschimmer in ihr aufglomm. Wenn es ihr schlecht ginge – so richtig schlecht –, würde Mama doch sicher zurückkommen, oder nicht?

Draußen brach zügig die Dämmerung herein und verschluckte die trostlose Weite des Grundstücks. Dicker, fahl im Halbdunkel leuchtender Reif lag überall dort, wo die schwachen Sonnenstrahlen nicht hingekommen waren. Gern hätte sie den Anblick in einer Zeichnung festgehalten, doch ihn realistisch darzustellen, wäre ihr wohl sowieso kaum gelungen. Beim Gedanken an die neuen Stifte schwoll der Kloß in ihrem Hals noch ein wenig weiter an.

Sie hatte keine Ahnung, wodurch sie sich die Abneigung ihrer Großmutter zugezogen hatte. Während Großvater, der alt und krank war, ihr lediglich Desinteresse entgegenbrachte, verströmte Großmama ihre Missbilligung wie einen frostigen Eishauch, dessen Ursache jedoch im Dunkeln blieb. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte sie sich in ihrer Gegenwart nie danebenbenommen, war nie ungehorsam oder aufmüpfig gewesen oder hatte geprahlt. Offen gestanden, hatte sie vor ihrer Ankunft in Blackwood kaum Zeit mit ihren Großeltern verbracht, weshalb die Ankündigung, dass sie in ihrer Obhut bleiben sollte, während Mama Papa auf seiner Geschäftsreise nach Asien begleitete, ein echter Schock gewesen war. Im Grunde waren die beiden Fremde für Alice.

Es war einfach nicht fair.

Der Duft nach frischen Muffins drang aus Miss Lovelocks Zimmer herüber. Alice’ flauer Magen knurrte. Ihre Hände und Füße waren klamm vor Kälte. Zwar war Holz im Kamin aufgeschichtet, doch sie wusste nur zu gut, dass sie es nicht alleine anzünden durfte und Miss Lovelock böse wäre, wenn sie anklopfen und sie darum bitten würde (und Miss Lovelocks schlechtes Gewissen, weil sie es vergessen...

Erscheint lt. Verlag 21.9.2020
Übersetzer Andrea Brandl
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Glittering Hour
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Briefe • eBooks • England • Frauenromane • Geheimnis • Große Liebesgeschichte • Historische Liebesromane • Historische Romane • Historischer Roman • J.P. Monninger • kleine geschenke für frauen • Liebesromane • Liebesroman Neuerscheinungen 2020 • London • Romane für Frauen • romantisch • Schicksal • tragische Liebe • Verbotene Liebe • Verlorene Liebe • zwei Zeitebenen
ISBN-10 3-641-25598-8 / 3641255988
ISBN-13 978-3-641-25598-5 / 9783641255985
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