Das Haus der Frauen (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
256 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491201-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Haus der Frauen -  Laetitia Colombani
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Laetitia Colombani erzählt in ihrem neuen Roman »Das Haus der Frauen« von zwei heldenhaften Frauen - für alle Leserinnen von »Der Zopf« In Paris steht ein Haus, das allen Frauen dieser Welt Zuflucht bietet. Auch der erfolgreichen Anwältin Solène, die nach einem Zusammenbruch ihr Leben in Frage stellt. Im »Haus der Frauen« schreibt sie nun im Auftrag der Bewohnerinnen Briefe - an die Ausländerbehörde, den zurückgelassenen Sohn in Guinea, den Geliebten - und erfährt das Glück des Zusammenhalts und die Magie dieses Hauses. Doch wer war die mutige Frau, die vor hundert Jahren allen Widerständen zum Trotz diesen Schutzort schuf? Solène beschließt, die Geschichte der Begründerin Blanche Peyron aufzuschreiben. Ein ergreifender Roman über mutige Frauen und ein Plädoyer für mehr Solidarität. In ihrem neuen Roman »Das Mädchen mit dem Drachen« (Erscheint am 23.02.2022) erzählt Laetitia Colombani die bewegende Geschichte des Mädchens Lalita und einer Schule am Indischen Ozean - einem hoffnungsvollen Ort, der alles verändert. 

Laetitia Colombani wurde 1976 in Bordeaux geboren, sie ist Filmschauspielerin und Regisseurin. Ihr erster Roman »Der Zopf« stand wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste und wurde verfilmt. Für ihren zweiten Roman »Das Haus der Frauen« recherchierte Colombani im »Palais de la Femme« in Paris, einem Wohnheim für Frauen in Not. »Das Haus der Frauen« ist der erste Roman über Blanche Peyron, die 1926 unter widrigsten Umständen eines der ersten Frauenhäuser begründete. Die Idee für ihren dritten Roman »Das Mädchen mit dem Drachen« fand Laetitia Colombani in Indien, in einer Schule für Dalits, während der Vorbereitungen zur Verfilmung von »Der Zopf«. Laetitia Colombani lebt in Paris. 

Laetitia Colombani wurde 1976 in Bordeaux geboren, sie ist Filmschauspielerin und Regisseurin. Ihr erster Roman »Der Zopf« stand wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste und wurde verfilmt. Für ihren zweiten Roman »Das Haus der Frauen« recherchierte Colombani im »Palais de la Femme« in Paris, einem Wohnheim für Frauen in Not. »Das Haus der Frauen« ist der erste Roman über Blanche Peyron, die 1926 unter widrigsten Umständen eines der ersten Frauenhäuser begründete. Die Idee für ihren dritten Roman »Das Mädchen mit dem Drachen« fand Laetitia Colombani in Indien, in einer Schule für Dalits, während der Vorbereitungen zur Verfilmung von »Der Zopf«. Laetitia Colombani lebt in Paris.  Claudia Marquardt studierte Romanistik, Germanistik und Kunstgeschichte in Berlin und Lyon. Sie arbeitet als Lektorin und Übersetzerin in Berlin.

ihr zweiter kraftvoller Roman

Wie schon in ›Der Zopf‹ legt sie hier ein raffiniert angelegtes Stück Belletristik vor, das sich flüssig liest, aber zu keiner Zeit banal wird.

Ein Hoch auf die Frauensolidarität!

Ein berührendes Buch über Menschlichkeit, Mut und weibliche Willenskraft.

Ebenso berührend wie die Geschichte von Solène wird auch die von Blanche beschrieben, die das Frauenhaus, das es noch heute in Paris gibt, gegründet hat.

Ein ergreifender Roman über mutige Frauen und ein Plädoyer für mehr Solidarität.

[...] ein ergreifender Roman über mutige Frauen, der zum Nachdenken anregt und zugleich das Gefühl erzeugt, als wäre man dabei gewesen.

Der Roman ›Das Haus der Frauen‹ beeindruckt genauso wie ›Der Zopf‹.

Berührender, eindringlicher Appell für mehr Solidarität unter Frauen.

1 Paris, heute


Es ging alles blitzschnell. Solène verließ den Gerichtssaal mit Arthur Saint-Clair. Sie wollte ihm gerade sagen, dass sie die Entscheidung des Richters nicht nachvollziehen könne, auch nicht die Strenge, mit der er sein Urteil verkündete. Doch dafür blieb ihr keine Zeit.

Saint-Clair steuerte auf die Glasbrüstung zu und übersprang sie mit einem großen Satz.

Ungehindert stürzte er sich aus dem sechsten Stock des Gerichtsgebäudes.

Für einige Augenblicke, die sich zu einer Ewigkeit ausdehnten, schwebte sein Körper im Leeren. Dann schlug er fünfundzwanzig Meter tiefer auf.

 

An das, was folgte, erinnert sich Solène nicht mehr. Die Bilder drängen sich ungeordnet auf, spulen sich wie in Zeitlupe vor ihrem geistigen Auge ab. Sie muss geschrien haben, ja, bestimmt hat sie geschrien, bevor sie zusammenbrach.

Aufgewacht ist sie in einem Zimmer mit weißen Wänden.

Der Arzt hat es in zwei Wörter gefasst: Burn-out. Wobei Solène nicht klar war, ob sich seine Diagnose auf sie oder ihren Mandanten bezog. Dann aber fügten sich die Einzelteile wieder zu einem Ganzen.

 

Sie kannte Arthur Saint-Clair schon eine ganze Weile, er war ein einflussreicher Geschäftsmann, der sich wegen Steuerhinterziehung vor Gericht verantworten musste. Bis ins kleinste Detail wusste sie über sein Leben Bescheid, über seine Ehen, seine Scheidungen, seine Affären, hatte Einblick in die Unterhaltszahlungen an seine Exfrauen und seine Kinder, war im Bilde über die Geschenke, die er ihnen von seinen Auslandsreisen mitbrachte. Sie wusste von seiner Villa in Sainte-Maxime, seiner herrlichen Wohnung im VII. Arrondissement von Paris. Er hatte sie stets ins Vertrauen gezogen, sie in all seine Geheimnisse eingeweiht. Monatelang hatte Solène sich auf die Verhandlung vorbereitet, hatte bereitwillig ihre gesamte Freizeit, jeden Urlaubs- und Feiertag geopfert, um nur nichts dem Zufall zu überlassen. Sie war eine herausragende Anwältin, unermüdlich, perfektionistisch, gewissenhaft. Ihre Kanzleikollegen schätzten ihre Qualitäten als Juristin einhellig. Dass ein gewisses Rechtsprechungsrisiko besteht, weiß jeder. Trotzdem – mit einem solchen Urteil hatte Solène nicht gerechnet. Der Richter forderte für ihren Mandanten eine Gefängnisstrafe und einen Schadenersatz in Millionenhöhe. Saint-Clair hätte bis an sein Lebensende zahlen müssen. Ganz abgesehen von dem Ehrverlust, der sozialen Ächtung. Er konnte es nicht ertragen.

Lieber stürzte er sich in den gigantischen Lichthof des neuen Pariser Justizpalastes.

 

An alles haben die Architekten gedacht, nur nicht daran. Ihr Ziel war es, ein elegantes Gebäude zu entwerfen, einen wahren »Palast aus Glas und Licht«, der durch seine perfekte Formgebung besticht. Und trotzdem gegen Terroranschläge gewappnet ist. Ein Gebäude mit massiven Fassaden und tausendundeiner Sicherheitsschleuse, mit Videokameras an sämtlichen Pforten. Überall haben sie Zutrittskontrollen vorgesehen, es gibt keinen Eingang, der nicht elektronisch überwacht, mit Gegensprechanlage und High-Tech-Monitor ausgerüstet wäre. Was sie in ihren Plänen allerdings nicht berücksichtigt haben, ist, dass in diesen Mauern Menschen über andere, manchmal sehr verzweifelte Menschen richten. Auf sechs Etagen verteilen sich die Gerichtssäle um ein fünftausend Quadratmeter großes Atrium, das mit seinen achtundzwanzig Metern Deckenhöhe schwindelerregend wirkt. Ein frisch Verurteilter kann an diesem Ort leicht auf dumme Gedanken kommen.

In Gefängnissen gibt es überall Sicherheitsvorkehrungen, um dem Selbstmord entgegenzuwirken. Nicht aber hier. Einfache Glasbrüstungen begrenzen die Gänge um das Atrium. Es war ein Leichtes für Saint-Clair, das Geländer zu überwinden und in die Tiefe zu springen.

 

Das Bild verfolgt Solène, sie kann es nicht vergessen. Wieder und wieder sieht sie den verrenkten, reglosen Körper ihres Mandanten auf dem Marmorboden des Palastes liegen. Sie muss an seine Familie denken, an seine Kinder, seine Freunde, seine Angestellten. Sie ist die Letzte, die mit ihm gesprochen hat, die Letzte, die neben ihm gesessen hat. Schuldgefühle quälen sie. Was hat sie falsch gemacht? Was hätte sie sagen oder tun können? Hätte sie das Schlimmste vorhersehen müssen? Sie kannte Arthur Saint-Clair gut, dennoch kann sie sich seine Tat nicht erklären. Sie hätte nie gedacht, dass er sich so erschüttern lassen und die Nerven verlieren, dass er wie eine Bombe hochgehen würde.

Der Schock hat ihr Leben in Stücke gesprengt. Auch Solène ist tief gefallen. Sie verbringt die Tage in dem Zimmer mit den weißen Wänden hinter zugezogenen Vorhängen, ihr fehlt die Kraft, auch nur aufzustehen. Sie erträgt kein Licht, und schon die kleinste Bewegung verlangt ihr eine übermenschliche Anstrengung ab. Die Kanzlei hat ihr Blumen geschickt, die Kollegen aufmunternde Grüße, doch auch davon fühlt sie sich überfordert. Sie funktioniert nicht mehr, so wie ein Auto, das ohne Benzin am Straßenrand liegengeblieben ist.

Und das mit gerade mal vierzig.

 

Burn-out, auf Englisch hört es sich leichter an. Ein Modebegriff, der besser klingt als Depression. Am Anfang wollte Solène es nicht glauben. Sie doch nicht, nein, mit so was hat sie nichts zu tun. Sie ist keine von diesen fragilen Zeitgenossen, deren Erfahrungsberichte die Seiten von Lifestyle-Magazinen füllen. Sie ist immer stark gewesen, aktiv, in Bewegung. Mit beiden Beinen fest auf dem Boden, dachte sie zumindest.

Es gibt viele Menschen, die unter beruflicher Überbeanspruchung leiden, erklärt ihr der Psychiater mit ruhiger und bedächtiger Stimme. Er benutzt Fachwörter, die sie hört, ohne sie zu verstehen, Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, es ist eine ganze Palette an Begriffen, Anxiolytika, Benzodiazepine, Antidepressiva. Er verschreibt ihr Tabletten, die sie abends nehmen soll, um einzuschlafen, und morgens, damit sie aufstehen kann. Tabletten, die ihr helfen sollen, zu leben.

 

Dabei schien sie unter einem guten Stern geboren zu sein. Als die ältere von zwei Töchtern eines Juristenehepaars wuchs sie in einem wohlhabenden Vorort von Paris auf. Schon früh hatte man ihr eine große Zukunft vorausgesagt, denn sie war ein äußerst intelligentes, sensibles und strebsames Kind. Schule und Studium absolvierte sie mit links, bereits mit zweiundzwanzig gehörte sie der Anwaltskammer von Paris an und arbeitete in einer renommierten Kanzlei. So weit, so gut. Doch nach kurzer Zeit begannen sich die Akten auf ihrem Schreibtisch zu türmen, und die Wochenenden, Nächte und Urlaube fielen zunehmend der Bearbeitung von Rechtsstreitigkeiten zum Opfer, der Schlafmangel wurde chronisch, die vielen Verhandlungen, Termine und Sitzungen erlaubten kaum mehr eine Verschnaufpause. Sie rauschte durchs Leben wie ein Schnellzug, der nicht anzuhalten war. Und dann die Sache mit Jérémy, dem Mann, den sie mehr liebt als alle anderen. Den sie nicht vergessen kann. Er wollte kein Kind haben, keine Verpflichtungen eingehen. Er hatte es ihr gesagt, für sie war das in Ordnung gewesen. Solène gehörte nicht zu den Frauen, die davon träumten, Mutter zu sein. Sie sah sich nicht als eine dieser jungen Mamas, die mit schlaffen Armen einen Kinderwagen durch die Straßen schoben. Dieses Vergnügen überließ sie gern ihrer Schwester, die in der Rolle der Hausfrau und Mutter vollkommen aufzugehen schien. Solène war ihre Freiheit wichtiger – zumindest behauptete sie das. Jérémy und sie lebten jeweils ihr Leben. Sie verstanden sich als modernes Paar – verliebt, aber unabhängig.

Die Trennung kam für Solène völlig überraschend. Eine harte Landung auf dem Boden der Tatsachen.

 

Nach ein paar Wochen fühlt sie sich in der Lage, das Zimmer mit den weißen Wänden zu verlassen, um eine Runde im Park zu drehen. Der Psychiater setzt sich neben sie auf die Bank und gratuliert ihr zu diesem Fortschritt, überschwänglich, als wäre sie ein kleines Kind. Bald schon werde sie in ihre Wohnung zurückkehren können, sagt er, unter der Bedingung, dass sie ihre Medikamente weiterhin einnehme. Die Neuigkeit löst keine Begeisterung in Solène aus. Sie findet die Vorstellung, allein zu Hause zu sitzen, ohne Ziel und Plan, nicht sehr verlockend.

 

Sicher, sie lebt in einer schicken Dreizimmerwohnung in einem schönen Stadtviertel. Doch auf einmal kommt sie ihr kalt und zu groß vor. In ihrem Kleiderschrank wartet der Kaschmirpulli auf sie, den Jérémy vergessen hat und den sie sich manchmal überzieht. In der Küche stapeln sich die amerikanischen Chips mit dem penetrant künstlichen Geschmack – Jérémys Lieblingssorte, die sie jedes Mal aus dem Supermarkt mitbringt, die Macht der Gewohnheit. Dabei mag sie selbst die Dinger gar nicht. Und das Knistern von Chipstüten im Kino oder vor dem Fernseher hat sie schon immer genervt. Heute würde sie alles darum geben, es noch einmal zu hören: das Geräusch, wenn Jérémy neben ihr auf dem Sofa seine Chips knabbert.

In die Kanzlei möchte sie nicht zurück. Sie macht niemandem einen Vorwurf. Aber nur die Vorstellung, das Gerichtsgebäude zu betreten, bereitet ihr Übelkeit. Sie wird lange brauchen, bevor sie überhaupt wieder einen Schritt in das Viertel setzen kann. Sie wird kündigen, der Arbeit fernbleiben, wie es so schön heißt – das klingt sanfter und suggeriert die Möglichkeit einer Rückkehr. Eine Rückkehr, die sie nicht ernsthaft in Betracht zieht.

 

Solène gesteht dem Psychiater, dass sie Angst hat, die Klinik zu verlassen. Sie hat...

Erscheint lt. Verlag 26.2.2020
Übersetzer Claudia Marquardt
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 100 Jahre • Anspruchsvolle Literatur • Aus aller Welt • Biographie • Blanche Peyron • Briefe • buch bestseller 2020 • Frauen • Frauenhaus • Gemeinschaftsgefühl • Haus • magischer Ort • Mut • Paris • Roman • Sinn im Leben • Solidarität • Soziales Engagement • SPIEGEL-Bestseller • Zopf • Zusammenbruch • Zusammenhalt
ISBN-10 3-10-491201-7 / 3104912017
ISBN-13 978-3-10-491201-1 / 9783104912011
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