Bin nebenan (eBook)

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2019 | 1. Auflage
188 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9421-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bin nebenan -  Ingrid Lausund
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Was ist mehr renovierungsbedürftig: Ihre Wohnung oder Ihre Beziehung? Ingrid Lausund öffnet die Tür zu zwölf Wohnungen und gibt den Blick frei auf Gemütlichkeitsattrappen in Carrara-Marmor-Optik, monströse Plüschsofas und brüchige Fundamente im Schatten von Designermöbeln. Glänzend geschrieben und mit Humor und Scharfsinn erzählt sie von der Sehnsucht nach einem funktionierenden Zuhause.

Ingrid Lausund, geboren 1965, ist eine vielfach ausgezeichnete Regisseurin sowie Theater- und Drehbuchautorin. Bekannt wurde sie mit ihren Inszenierungen am Deutschen Schauspielhaus Hamburg; unter dem Pseudonym Mizzi Meyer wurde sie für ihre Drehbücher zur Fernsehreihe Der Tatortreiniger 2012 und 2013 mit dem Grimme-Preis sowie 2019 mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet.

Ingrid Lausund, geboren 1965, ist eine vielfach ausgezeichnete Regisseurin sowie Theater- und Drehbuchautorin. Bekannt wurde sie mit ihren Inszenierungen am Deutschen Schauspielhaus Hamburg; unter dem Pseudonym Mizzi Meyer wurde sie für ihre Drehbücher zur Fernsehreihe Der Tatortreiniger 2012 und 2013 mit dem Grimme-Preis sowie 2019 mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet.

Sofa

Monolog eines Mannes

Kurz vor den Einbauküchen bin ich schon auf hundertachtzig. Diese GemütlichFröhlichPreiswertKüchen hass ich schon per se. Bloß weg hier, sonst fang ich mir noch einen Linsensuppenvirus.

Ich laufe weiter auf dem markierten Weg und kriege gleich den nächsten Schub. Diese Wege. Dieses Wegeleitsystem. Immer schön auf der Markierung laufen. Ich schau mich um, alle laufen auf dem Weg. Und ich als Allererster. Da hass ich mich dann auch schon.

Zwei Meter hinter mir laufen extrem unauffällig die beiden Marktforscher. Die sind so unauffällig wie Geheimagenten in Filmen aus den Siebzigern, fehlt nur noch, dass die einen Trenchcoat tragen. Bloß nicht umdrehn, genau auf mich haben die gewartet, denn von der Kundenzielgruppe, zu der ich gehöre, bin ich der Typischste. Siebentausend Kundenprofile übereinandergelegt: kommt mein Gesicht bei raus.

Ich bin der ZielgruppenLeander. Ich bin der perfekte Zielgruppendurchschnitt. Der Durchschnittsmittelpunkt. Ich habe ein gehobenes Einkommen, mache dreimal in der Woche Fitness, und ich bin Individualist, was für meine Zielgruppe typisch ist.

Und jetzt laufe ich brav entlang an der Markierung dieses Wegeleitsystems, das mich zu meinem Zielgruppensofa bringt. Und am meisten hass ich, dass ich die Möbel aus meiner Zielgruppe natürlich super finde. Die gefalln mir wirklich. Die passen auch perfekt in meine Wohnung. Ich brauche nicht mal die Maße nachzumessen. Ich weiß, die passen.

Und mein Sofa wird mir auch gefallen, inklusive Sofafüße wird es ganz genau so sein, wie ichs mir vorgestellt hab. Die wisssen ein Jahr vorher, welche Sofafüße mir gefallen und bauen die schon, noch bevor ich das selber weiß! Das regt mich derart auf, dass man so verdammt gut kalkulierbar ist. Das Sofa für die Zielgruppe mit dem etwas exklusiveren Geschmack und mit Qualitätsbewusstsein, mit dem gehobenen Einkommen, individueller Wohnkultur in guter Lage und ein bis zwei Fernreisen pro Jahr. Dieses Jahr war ich in Vietnam.

Das Wegeleitsystem führt jetzt durch die Beistelltische, und natürlich springt mir der LeanderBeistelltisch sofort ins Auge. Stilvoll, elegant und mit dem ganz besondern Flair, ein typischer LeanderTisch. Dieses Scheißding glotzt mich an und sagt: Hallo, kauf mich, ich bin nur für dich gemacht, ich bin so individuell. Draufpissen sollte man. Hier. Jetzt. Hosen runter, einfach draufgepisst. Das wär mal wirklich individuell. Das mach ich aber nicht. Natürlich nicht. Ich steh da, ich hass den Beistelltisch und natürlich steht der schon lang bei mir zu Hause.

Neben dem Beistelltisch steht eine Frau. Stilvoll, kultiviert, mit diesem ganz besondern Flair, und ich weiß, die passt perfekt. So von allem, auch von den Maßen und bestimmt hat sie auch noch schöne Füße. Ein kleines Zögern, kurzes Innehalten, dann lauf ich weiter, denn mir fällt ein, dass ich ja auch schon so ne Freundin habe.

Und gleich hab ich das passende Sofa noch dazu, das Zielgruppensofa Leander, auf dem ich dann sitze in typischer LeanderHaltung und mit typischer Geste meine Leander-Zigarillos rauche, in den LeanderAschenbecher asche, meinen LeanderCocktail trinke und anschließend mit meiner LeanderFreundin gepflegten Zielgruppensex habe. Der dauert zwischen vierzehn und achtzehn Minuten, wir liegen so bei sechzehn.

Mein Leben ist überraschungsfrei und durchgestylt, ein perfektes typisches LeanderLeben, und deshalb gibts jetzt einmal etwas Untypisches: Ich kaufe kein LeanderSofa! Verweigerung, ihr könnt mich alle mal! Und gerade mit Absicht kauf ich jetzt dieses RoteRosenSofa aus der Zielgruppe Horst! Genau das mach ich - mein Gott ist das scheußlich, das RoteRosenSofa. Das ist ein Monster, eine infantile prollige Gemütlichkeitsphantasie, das ist ein Möbelporno, ein Supergau an ästhetischer Verirrung. Wenn man sich da drauf setzt, hat man nach drei Minuten Pickel am Arsch und aus der Sofaritze quillt von unten eine fette schlampige Freundin, die hat pinkfarbenen Nagellack und riecht nach Billigdeo.

Nein, das geht nicht, nein, das kann ich nicht. Wenn ich das RoteRosenSofa kaufe, werd ich krank, das weiß ich, aber dieses geschmackvoll durchdesignte LeanderLeben macht mich auch krank, das ist meine zielgruppentypische wohl temperierte Melancholie, ja die kriegt man auf dem Rote-RosenSofa ganz bestimmt nicht. Das ist viel zu krachvital und biergesellig, das ist absolut resistent gegen jede Art von verfeinerter Neurose, auf diesem Sofa kriegt man einfach Grippe. Mit Schwitzen und zerknüllten Tempotaschentüchern, und der nette Nachbar Horst mit den Aleteflecken und den Tennissocken kommt vorbei und sagt: Kuckma, isch hab dir hier wat Linsensuppe mitgebracht. - Danke, Horst. Außerdem hat er mindestens zwei von den Gören mitgebracht. Den kleinen Horst und den Babyhorst. Und außerdem zwei Bier.

Der kleine Horst würde gleich mal die teure cremefarbene Tapete mit lila Filzer ruinieren, der große Horst tät ihm eine langen und sich entschuldigen, dat geht ja leider nimmer ab, und ich tät sagen: Lass mal gut sein, dann bleibt das eben dran, der Junge ist begabt, entspann dich, Horst. Das wäre wirklich überraschend. Vor allem, dass ich dann den lila Filzer nehmen tät und neben das Gekritzel schreiben würde: That is really rock’n’roll!

Und das, ihr Marktforschungsarschlöcher, das könnt ihr eben nicht schon ein Jahr vorher wissen. Da war das spontane Leben halt mal schneller. Und jetzt mach ich das, ich kaufe dieses dreiste überdimensionierte RoteRosenSofa, das ist eine ganz spontane Stilrenitenz, ich will wieder rock’n’roll in meinem Leben! Unvernünftig sein, dagegentreten, geschmacksverirrte Sofas kaufen! Das ist meine unkalkulierbare Gelsenkirchener Rebellion! Und die Sofakissen mit der Synthetikquaste nehm ich auch noch und wenn ich will kauf ich noch ein Häkeldeckchen! Und dann - seh ich diesen Hochglanzkatalog mit der aufgeschlagenen Doppelseite, auf der genau dieses Rosensofa abgebildet ist, dahinter eine cremefarbene Tapete mit gestyltem Kinderkritzel, Überschrift: LifestyleRebellen. Der neue CrossoverStyle für Individualisten mit dem besonderen Geschmack.

Ich steh direkt vor meinem Zielgruppensofa Leander.

Auf den zweiten Blick sieht man auch, dass dieses scheinbar billige Eichenholzimitat in hochklassiger Verarbeitung mit echter Eiche imitiert wurde. Deshalb ist das auch so teuer. Ein echter Horst könnte sich das gar nicht leisten.

Das ist nicht wahr, das glaub ich nicht! Das war meine ganz spontane, völlig irrationale Kundenprofilverweigerung! Das konnten die nicht wissen. Das war ein untypischer Antireflex, ein verrückter Sprung ins Gegenteil, damit konnten die nicht rechnen! Ich weiß doch, dass das spontan war! Das ist Zufall, dass ich genau dieses RoteRosenSofa -

Irgendetwas kichert hier. Ich laufe gerade irgendwo durch einen Bildschirm, vor dem sich jemand sehr amüsiert.

Ihr Arschlöcher, ihr habt euch trotzdem verkalkuliert! Denn ich kaufe das natürlich nicht. So doch nicht. Ich denk nicht dran. Ich kaufe doch nicht für viel Geld meinen eigenen rebellischen Impuls! Auch nicht für wenig Geld! Nicht mal für nullkommanulleinen Cent. Und auch nicht, wenn mir dieser RoteRosenCrossoverScheiß mittlerweile wirklich gut gefällt, ihr Arschöcher! Und ich mir das schon gut vorstellen kann, wie sich das Krachvitale mit dem schlichten Beistelltisch ganz toll ergänzt! Und trotzdem nicht. Ich lasse mich nicht bis ins Allerletzte kalkulieren. Ich bin das Pünktchen, das aus eurem Koordinatensystem springt! Ich bin der Dummy, der zurückschlägt! Ich bin eure Fehlkalkulation! Ich bin euer Alptraum! Denn ich bin der Kunde, der euch keinen Cent mehr gibt!

Die beiden Marktforscher haben bemerkt, dass ich mich von meinem LeanderSofa wegbewegt habe, sie greifen an: „Haben Sie gerade einen Moment Zeit?“ - Ja ihr kommt mir gerade recht. Hier gibts gleich einen Doppelmord. - „Nur ein paar Fragen, die sind selbstverständlich anonym.“ - Ich bin nicht der Typ für Doppelmord. - „Der Einfachheit halber gebe ich Ihre Antwort gleich hier in den Laptop ein. Die Auswertung passiert dann automatisch. Erste Frage: Wie alt sind Sie?“ - Ich bin eure Fehlkalkulation, ich bin das Pünktchen, das …

- „128“.

Irritierte Pause.

- „Bitte?“

- „Ich bin 128 Jahre alt.“

Pause.

Ja, du Blödi, jetzt weißt du nicht, was du machen sollst, dadrauf seid ihr nicht programmiert!

- „Wolln Sie mein Alter nicht eintippen?“

- „Doch, natürlich. Es dauert nur einen Moment, weil -“

Ja, weil gleich dein Computer abstürzt, weil deine Tabellen gleich explodieren, weil deine Datenverarbeitung -

- „Und Ihr Beruf ist?“

- „Serienmörder, Fachgebiet Frauen.“

- „Soso. Aha.“

Tipptipptipp.

- „Was verdienen Sie denn da in etwa?“

- „Ich denke, eine Bewährungstrafe.“ Es fängt an, mir wirklich Spaß zu machen.

- „Sind Sie liiert?“

- „Mit Bill Clinton.“ So gehts. So geht Rebellion, ihr Arschlöcher! Siebenundzwanzig Fragen und am Ende haben die einen 128jährigen Serienmörder, der seine Multimilliarden mit fliegenden Untertassen verdient hat, in seiner Freizeit harte Drogen nimmt und eine Vorliebe hat für nacktes BungeeJumping. Ja. Nämlich so!

- „So, das wars schon, vielen Dank für Ihre Mithilfe.“

- „Gern geschehen.“

- „Wiedersehen.“

- „Auf Wiedersehen.“

Irgendwie ist da wieder dieses Kichern. Ich geh noch mal zurück:

- „Eine Frage.“

- „Ja?“

- „Ich hab...

Erscheint lt. Verlag 10.9.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Geschichtensammlung • Humor • Monologe • Satire • Theater • Wohnen
ISBN-10 3-0369-9421-1 / 3036994211
ISBN-13 978-3-0369-9421-5 / 9783036994215
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