Der Leopard (eBook)

Roman
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2019 | 1. Auflage
368 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99511-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Leopard -  Giuseppe Tomasi di Lampedusa
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Niedergang einer Adelsfamilie: der moderne Klassiker in neuer Übersetzung  »Der Leopard« gehört schon bald nach seinem Erscheinen 1958 zur Weltliteratur. Inspiriert von der eigenen Familiengeschichte, gelingt Giuseppe Tomasi di Lampedusa der größte Italienroman unserer Zeit und eine schillernde Hommage an das Europa des 19. Jahrhunderts. Mit melancholischer Ironie schildert er den Niedergang des sizilianischen Adelsgeschlechts um Don Fabrizio, Fürst Salina. Der Fürst sieht die alte Ordnung der italienischen Gesellschaft in Gefahr: Tancredi, sein Neffe und Ziehsohn, heiratet die verführerische, aber bürgerliche Angelica - das Ende der Feudalherrschaft kündigt sich an.   »Der Leopard« hat bis heute nichts von seiner Aktualität verloren und zieht die Leser noch immer in seinen Bann. Ein moderner Klassiker und eine Glanzstunde der Literatur.  »Eine bestechende Neuübersetzung« - Denis Scheck  Pünktlich zum 60. Jahrestag der deutschen Erstausgabe liegt nun eine werkgetreue Neuübersetzung von Burkhart Kroeber vor.   »Lampedusas Roman ist wie ein verführerisch morbider Reiseführer für Sizilien, und für seinen verzweifelten Glanz.« - The Guardian 

Giuseppe Tomasi, Herzog von Palma und Fürst von Lampedusa, wurde am 23. Dezember 1896 in Palermo geboren und starb am 23. Juli 1957 in Rom. Neben Erzählungen schrieb er innerhalb weniger Monate seinen einzigen Roman: »Der Leopard«. Ein Jahr nach seinem Tod veröffentlicht, wurde er zum Welterfolg und machte Lampedusa zu einem der bedeutendsten italienischen Autoren der Moderne.

Giuseppe Tomasi, Herzog von Palma und Fürst von Lampedusa, wurde am 23. Dezember 1896 in Palermo geboren und starb am 23. Juli 1957 in Rom. Neben Erzählungen schrieb er innerhalb weniger Monate seinen einzigen Roman: "Der Leopard". Ein Jahr nach seinem Tod veröffentlicht, wurde er zum Welterfolg und machte Lampedusa zu einem der bedeutendsten italienischen Autoren der Moderne.

Mai 1860


»Nunc et in hora mortis nostrae[1]. Amen.«

Das tägliche Rosenkranzbeten war zu Ende. Eine halbe Stunde lang hatte die ruhige Stimme des Fürsten an die ruhm- und schmerzensreichen Mysterien erinnert; eine halbe Stunde lang hatten sich andere Stimmen zu einem auf- und abwallenden Gemurmel verwoben, aus dem die goldenen Blüten besonderer Worte herausragten: Liebe, Jungfräulichkeit, Tod; und solange dieses Gemurmel anhielt, schien der Rokokosaal seinen Charakter geändert zu haben; selbst die Papageien, die ihre buntschillernden Flügel auf den Seidentapeten spreizten, hatten eher verschüchtert gewirkt, und sogar die Magdalena zwischen den beiden Fenstern war wie eine Büßerin erschienen und nicht wie die etwas üppige blonde, in Träume versunkene Schönheit, als die man sie sonst immer sah.

Nun aber, als die Stimme verstummt war, kehrte alles wieder zurück zur gewohnten Ordnung respektive Unordnung. In der Tür, durch die das Dienstpersonal hinausgegangen war, erschien die lackschwarze Dogge Bendicò, betrübt über ihren Ausschluss, und kam schwanzwedelnd hereingetrottet. Die Frauen erhoben sich langsam, und das Zurückschwingen ihrer Röcke ließ da und dort die mythologischen Nuditäten erkennen, die sich auf dem milchigen Grund der Bodenfliesen abzeichneten. Nur eine Andromeda blieb verhüllt, da ihr die Soutane des noch in Zusatzgebeten verharrenden Paters Pirrone eine nicht unbeträchtliche Zeit lang verwehrte, den silbernen Perseus wiederzusehen, der sich, über den Wassern schwebend, ihr Hilfe und Kuss zu bringen beeilte.

Im Deckenfresko erwachten die Gottheiten. Die Scharen von Tritonen und Dryaden, die sich von Bergen und Meeren zwischen himbeer- und veilchenfarbenen Wolken zu einer verklärten Conca d’Oro[2] stürzten, um den Ruhm des Hauses Salina zu preisen, schienen plötzlich so überwältigt von Jubel, dass sie gegen die einfachsten Regeln der Perspektive verstießen; und die höheren Götter, die Fürsten der Götterwelt, der blitzeschleudernde Zeus, der finster blickende Mars, die schmachtende Venus, die dem Haufen der minderen Götter vorangeeilt waren, hielten freudig das blaue Wappen mit dem Leoparden hoch. Wussten sie doch, dass sie nun für die nächsten dreiundzwanzigeinhalb Stunden die Herrschaft über die Villa zurückhaben würden. An den Wänden hoben die Affen wieder an, den Papageien Grimassen zu schneiden.

Unter diesem palermitanischen Olymp stiegen nun auch die Sterblichen des Hauses Salina eilig aus den mystischen Sphären hernieder. Die Mädchen strichen sich ihre Kleider glatt, wechselten einverständige Blicke und Worte im Schülerinnenjargon; seit über einem Monat, seit dem Ausbruch der »Unruhen« am 4. April[3], waren sie vorsichtshalber aus der Klosterschule heimgeholt worden und vermissten die Schlafsäle mit Himmelbetten und die kollektive Intimität des »Erlöser-Konvents«. Die Buben rauften sich schon um ein Bild des heiligen Franz von Paola; der Erstgeborene und Erbe des Titels, Herzog Paolo, hätte gerne geraucht, aber aus Scheu, es in Gegenwart seiner Eltern zu tun, betastete er nur durch den Stoff seiner Hosentasche das strohumflochtene Zigarrenetui. Auf seinem hageren Gesicht lag eine metaphysische Melancholie; der Tag war schlecht gelaufen: Guiscardo, sein irischer Fuchs, war ihm nicht gut in Form erschienen, und Fanny hatte keine Möglichkeit gefunden (oder keine Lust gehabt?), ihm das übliche veilchenblaue Billet-doux zu schicken. Wozu war der Erlöser dann Mensch geworden?

Getrieben von ängstlicher Überheblichkeit, ließ die Fürstin den Rosenkranz achtlos in ihre jettbestickte Handtasche fallen, während ihre schönen, leicht irren Augen auf den gehorsamen Kindern und dem tyrannischen Herrn Gemahl ruhten, zu dem sich ihr schmächtiger Körper in einem vergeblichen Streben nach liebender Herrschaft reckte.

Er selbst, der Fürst, erhob sich derweilen; der plötzliche Druck seiner Hünengestalt ließ den Boden erzittern, und einen Moment lang spiegelte sich in seinen hellblauen Augen der Stolz auf diese flüchtige Bestätigung seiner Herrschaft über Menschen und ihre Werke. Er legte das riesige rote Messbuch auf den Sessel, der während des Rosenkranzbetens vor ihm gestanden hatte, faltete das Tuch zusammen, das er sich unters Knie gelegt hatte, und ein Anflug von Unmut trübte seinen Blick, als er den kleinen Kaffeefleck wiedersah, der es seit dem Morgen gewagt hatte, das geräumige Weiß seiner Weste zu inkommodieren.

Nicht dass Fürst Fabrizio dick gewesen wäre; er war nur sehr groß und stark; sein Kopf streifte (in Häusern gewöhnlicher Sterblicher) die untere Rosette der Kronleuchter, seine Finger konnten Dukatenmünzen zusammendrücken wie Seidenpapier, und es gab ein häufiges Kommen und Gehen zwischen der Villa Salina und dem Laden eines Silberschmieds wegen der Reparatur kleiner Gabeln und Löffel, die sein verhaltener Zorn ihn oftmals bei Tisch hatte krumm biegen lassen. Dieselben Finger konnten jedoch beim Berühren und Liebkosen auch sehr zartfühlend sein, woran sich seine Gattin Maria Stella nicht immer nur mit Freude erinnerte; und die Schrauben, Ringe und blankgeschmirgelten Knöpfe der Teleskope, Fernrohre und »Kometensucher«, die im Obergeschoss der Villa sein privates Observatorium füllten, blieben unter seinen sanften Berührungen völlig intakt. Die Strahlen der sinkenden, aber noch hochstehenden Sonne jenes Mainachmittags ließen die rosige Haut und das honigfarbene Haar des Fürsten hell aufleuchten; beide verrieten die deutsche Herkunft seiner Mutter, jener Fürstin Carolina, deren Hochmut vor dreißig Jahren den laxen Hof des Reiches beider Sizilien hatte gefrieren lassen. Doch in seinem Blut gärten noch andere germanische Wesenszüge, die für diesen sizilianischen Aristokraten im Jahre 1860 weit unangenehmer waren, als seine helle Haut und sein blondes Haar ihn unter lauter Olivbraunen und Schwarzhaarigen attraktiv machen mochten: ein autoritäres Temperament, eine gewisse moralische Rigidität und eine Neigung zu abstraktem Denken, aus denen im verweichlichten Milieu der Gesellschaft Palermos launische Überheblichkeit, permanente moralische Skrupel und Verachtung für seine Verwandten und Freunde geworden waren, welche sich, wie ihm schien, willenlos im trägen pragmatischen Fluss Siziliens treiben ließen.

Als erster (und letzter) eines Geschlechts, das jahrhundertelang nicht imstande gewesen war, seine eigenen Ausgaben zusammenzurechnen und die Schulden davon abzuziehen, besaß er eine starke und tiefe Neigung zur Mathematik; er hatte sie auf die Astronomie angewandt, und das hatte ihm nicht nur genügend öffentliche Ehrungen, sondern auch große private Freuden eingebracht. Man könnte fast sagen, Stolz und mathematische Analyse hatten sich in ihm so eng verbunden, dass er sich der Illusion hingab, die Himmelskörper gehorchten seinen Berechnungen (was sie tatsächlich zu tun schienen) und die zwei Kleinplaneten, die er entdeckt hatte (Salina und Svelto hatte er sie getauft, nach seinem Lehen und einem ihm unvergesslichen Jagdhund), verbreiteten den Ruhm seines Hauses in den sterilen Himmelsgegenden zwischen Mars und Jupiter, und folglich seien die Deckenfresken in seiner Villa eher eine Prophezeiung als Ausdruck einer Götzenverehrung.

Gedrängt einerseits vom Stolz und intellektuellen Anspruch seiner Mutter, andererseits von der Sinnenlust und Leichtfertigkeit seines Vaters, lebte der arme Don Fabrizio in stetem Unbehagen, wenn auch unter zeusartig gerunzelten Brauen, und betrachtete den Niedergang seines Standes und seines Vermögens, ohne irgendeiner Tätigkeit nachzugehen oder auch nur die geringste Lust zu verspüren, etwas dagegen zu tun.

Die halbe Stunde zwischen Rosenkranz und Abendessen gehörte zu den weniger unerquicklichen Zeiten des Tages, und so freute er sich schon Stunden vorher auf diese doch eher dubiose Ruhe.

*

Hinter dem freudig vorauseilenden Bendicò stieg er die kurze Treppe zum Garten hinunter. Dieser, eingeschlossen zwischen drei Mauern und einer Seite der Villa, erweckte in seiner Abgeschiedenheit den Eindruck eines Friedhofs, der noch verstärkt wurde durch die parallelen Erdwälle zur Begrenzung der Bewässerungsrinnen, die wie Grabhügel magerer Riesen aussahen. Auf der rötlichen Erde wuchsen die Pflanzen in dichtem Durcheinander, die Blumen sprossen, wo Gott es wollte, und die Myrtenhecken schienen mehr dazu da, die Schritte zu behindern, als sie zu lenken. Am hinteren Ende stellte eine mit gelb-schwarzen Flechten befleckte steinerne Flora resigniert ihre mehr als hundertjährigen Reize zur Schau; an den Seiten trugen zwei Bänke eingerollte Steppkissen, auch sie aus grauem Marmor, und in einer Ecke leuchtete das Gold einer Akazie in ungehöriger Fröhlichkeit. Aus jeder Scholle schien das Gefühl eines Verlangens nach Schönheit aufzusteigen, das rasch von Trägheit abgeschwächt wurde.

Aber der Garten, eingeengt und fast zerdrückt von seiner Umfriedung, strömte Gerüche aus, die ölig, fleischlich und leicht faulig rochen wie die von den Reliquien gewisser Heiliger abgesonderten aromatischen Säfte. Die Nelken übertrumpften mit ihrem Pfeffergeruch den protokollarischen Duft der Rosen und den ätherischen der Magnolien, die schwergebeugt in den Ecken standen, und dazwischen war auch das feine Aroma der Minze zu spüren, vermischt mit dem kindlichen der Akazie und dem süßlichen der Myrte, während aus dem Zitrusgarten jenseits der Mauer ein erotischer Hauch von ersten Orangenblüten herüberschwappte.

Es war ein Garten für Blinde: Das Auge wurde fortwährend beleidigt, doch dem Geruchssinn bot er einen starken, wenn auch nicht eben feinen Genuss. Die edlen Paul-Neyron-Rosen, deren Setzlinge der Fürst persönlich in Paris erworben hatte, waren aus der Art geschlagen: Erst hochgeschossen, dann zermürbt von den...

Erscheint lt. Verlag 2.9.2019
Übersetzer Burkhart Kroeber
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Adel • Adelsfamilie • Burkhart Kroeber • Der Leopard • Die Sirene • Fürst • Fürstenhaus Salina • Gattopardo • Giuseppe Tomasi di Lampedusa • Il Gattopardo • Italien • Kanon • Klassiker der Moderne • Klassiker der Weltliteratur • Neuerscheinung 2019 • Neuübersetzung • Politischer Wandel • Premio Strega • Sizilien • tancredi • Umbruch
ISBN-10 3-492-99511-X / 349299511X
ISBN-13 978-3-492-99511-5 / 9783492995115
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