Swinging Bells (eBook)
192 Seiten
Deuticke im Paul Zsolnay Verlag
978-3-552-06405-8 (ISBN)
Sandra und Thomas haben es geschafft, den verwandtschaftlichen Pflichten zu entkommen, und freuen sich auf Weihnachten zu zweit. Unangenehm ist nur, dass ausgerechnet heute noch die Leute vorbeikommen, die das zum Verkauf angebotene Bett abholen wollen. Als es an der Tür läutet, hofft Sandra, dass die Sache schnell erledigt sein wird. Doch die Käufer, die sich als Leo und Elisabeth vorstellen und eine Flasche Prosecco mitgebracht haben, machen es sich erst einmal im Wohnzimmer gemütlich. Thomas will nicht unhöflich sein, aber irgendwann beschleicht auch ihn der Verdacht, dass hier irgendetwas schiefläuft. Eine brillante Komödie, die mit den Themen Liebe, Sex, Sehnsucht, Angst, Wünschen und Verdrängen spielt.
René Freund, geboren 1967, lebt als Autor und Übersetzer in Grünau im Almtal. Er studierte Philosophie, Theaterwissenschaft und Volkerkunde und war von 1988 bis 1990 Dramaturg am Theater in der Josefstadt. Zuletzt erschienen Liebe unter Fischen (2013), seine Familiengeschichte Mein Vater, der Deserteur (2014), Niemand weiß, wie spät es ist (2016), Ans Meer (2018), Swinging Bells (2019), Das Vierzehn-Tage-Date (2021) und Wilde Jagd (2023).
5
Als die Glocke läutete, dachte Sandra, dass Thomas wohl seinen Schlüssel vergessen hatte. Sie ging zur Tür, drückte den Knopf, um den Hauseingang zu öffnen, und machte die Wohnungstür auf. Sie eilte in die Küche zurück zu ihrer Ingwer-Kokos-Kürbissuppe. Wenig später wunderte sie sich, als es zaghaft an der halb geöffneten Küchentür klopfte. Sie drehte sich um und erschrak zu Tode. Da standen zwei wildfremde Menschen. Sie stieß unwillkürlich einen Schrei aus.
»Entschuldige bitte«, sagte Elisabeth, »aber es war offen, und wir dachten …«
»Entschuldigung, dass ich so erschrocken bin«, sagte Sandra. »Sie kommen wegen des Doppelbetts, nicht wahr?«
»Sozusagen«, sagte Leo, griff in die Einkaufstasche und überreichte Sandra die Flasche Prosecco, »aber wir wollen nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.« Sandra nahm die Flasche und ging ins Wohnzimmer, um nachzusehen, ob Thomas zurückgekommen war. Nichts. Die Eingangstür war geschlossen.
»Sie sieht wirklich nicht schlecht aus«, flüsterte Leo Elisabeth zu. »Ein bisschen nervös zwar, aber sie wird schon auftauen.« Sie folgten ihrer Gastgeberin ins Wohnzimmer.
»Hallo, ich bin Leo«, sagte Leo und schüttelte Sandra die Hand.
»Und ich bin Elisabeth«, fügte Elisabeth hinzu.
»Sandra«, sagte Sandra geistesabwesend.
»Entschuldigung, können wir …«, murmelte Leo, als er den Garderobenhaken sah. Er half Elisabeth aus dem Mantel, zog seine Jacke aus, hängte beides auf und rieb sich die Hände.
»Gemütlich hier. Und ein wunderschöner Christbaum!«
»Sollen wir die Schuhe ausziehen?«, fragte Elisabeth.
»Ich glaube nicht, dass das nötig sein wird, denn Sie werden nicht lange bleiben, nehme ich an … Es ist schließlich Weihnachten und …«
»Ach, wir werden schon sehen«, sagte Leo. »Ich muss sagen, du siehst wirklich ganz bezaubernd aus.«
»Danke«, sagte Sandra. Ihr fiel absolut nicht ein, was sie sonst hätte sagen können.
»Und so jung«, fügte Leo hinzu. »Viele schummeln ja bei ihrem Alter.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Sandra.
»Ich finde, wir sollten uns du sagen«, sagte Elisabeth. »Haben wir beim Chatten ja auch gemacht.«
»Beim Chatten?«, fragte Sandra verwirrt. »Ach so, wie wir uns geschrieben haben …« Eigentlich hatte sie keine Erinnerung daran, mit den Bettkäufern per du gewesen zu sein. Aber egal.
»Ach, ich dachte, da warst du auch dabei. Dann hat das wohl nur dein Mann gemacht.«
»Mein Mann hat was?«, fragte Sandra.
Elisabeth und Leo warfen einander einen Blick zu. Entweder hatte ihr Mann das alles hinter Sandras Rücken organisiert, oder sie spielte hier aus irgendeinem Grund die Naive. Oder es gab den Mann gar nicht. Das schien aber nicht sehr wahrscheinlich, denn Single-Frauen deklarieren sich meistens als solche.
»Wo ist er denn eigentlich, dein Mann?«, fragte Elisabeth.
»Er wird jeden Augenblick hier sein«, antwortete Sandra.
Leo nahm Sandra die Flasche Prosecco aus der Hand. Sie ließ es geschehen.
»Ich möchte nicht unverschämt sein«, sagte Leo, während er die Flasche öffnete, »aber wir könnten ja inzwischen einen Schluck trinken.«
Also gut, dann würde man eben noch einen Schluck trinken, dachte Sandra, Thomas würde ohnehin gleich zurückkommen, dann könnte man anstoßen, das Bett hinuntertragen und Weihnachten feiern. Zu zweit.
»Ein Schlückchen ist oft mal ganz gut für die Lockerheit«, meinte Elisabeth.
»Freilich«, sagte Sandra. Freilich war ein Wort aus ihrer Heimat. In der Stadt sagten die Menschen natürlich. Bei ihr am Land sagten sie freilich. Genau genommen: Freili. Natürlich kam ihr die ganze Situation hier nicht vor, aber freilich, sie würde sich jetzt keine Blöße geben, und dieser Leo war zwar ein bisschen direkt, aber recht charmant. Sie nahm vier Sektgläser aus dem Wohnzimmerschrank.
»Bitte, nehmt doch Platz«, sagte sie und zeigte auf das Sofa. Wenn schon, denn schon. Sie stellte die Gläser auf den Sofatisch, der ihr ganzer Stolz war, stammte er doch von einem wahnsinnig teuren Naturmöbelhaus, ein schlichter Traum aus Holz und Glas. »Schenken Sie schon mal ein. Ich bin gleich wieder da. Ich hole uns nur ein paar Knabbereien.«
Leo schenkte ein. »Ein raffiniertes Luder«, flüsterte er Elisabeth zu.
»Ich weiß nicht«, flüsterte sie zurück, »also entweder, sie spielt sehr gut, oder sie weiß wirklich nichts.«
»Wir werden es herausfinden«, meinte Leo. »Ich hab jetzt Spaß an der Sache gefunden.«
»Ah, sie gefällt dir?«, fragte Elisabeth zufrieden. Leo nickte.
In der Küche griff Sandra zu ihrem Telefon und rief Thomas an. Sie hörte sein Handy im Wohnzimmer läuten. Okay … dann eben Knabbereien. Sie schüttete Pistazien in eine Schale, Wasabi-Nüsse in eine andere und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Sie setzte sich den beiden Fremden gegenüber auf das Sofa und hob ihr Glas. »Also dann: Prost!«
Elisabeth und Leo hoben ebenfalls ihre Gläser und stießen mit Sandra an.
»Prost«, sagte Leo.
»Frohe Weihnachten«, sagte Elisabeth.
Um keine Stille aufkommen zu lassen, lobte Elisabeth noch einmal die gediegene Einrichtung der Wohnung, die schönen, dezenten Farben des Teppichs, die mit jenen der Vorhänge harmonierten, die große Bücherwand, die Gemütlichkeit ausstrahlte, und vor allem den wunderschönen Sofatisch. Das gefiel Sandra. Diese Elisabeth war eine Frau mit dem Blick für das Wesentliche.
»Die Wohnung ist eher klein«, sagte Sandra. »Es gibt dieses Wohnzimmer und nebenan eine Küche mit kleinem Essplatz. Eigentlich essen wir immer in der Küche, weil es am praktischsten und am angenehmsten ist.«
»Wir auch«, erzählte Elisabeth. »Ach, es geht doch nichts über ein Glas Wein und ein Stück Käse mit ein paar Oliven, am Küchentisch verzehrt.«
»Bad und WC sind rechts vom Eingang. Das Bad ist wirklich schön, man kann in der Wanne liegen und ins Grüne schauen. Und von dort geht es dann auch zu den Schlafzimmern.«
Wieder wechselten Leo und Elisabeth einen vielsagenden Blick. Dass Sandra jetzt schon von Schlafzimmern redete: Das war immerhin ein gutes Zeichen. Nein, so schnell würden sie die Sache hier nicht aufgeben!
»Ihr habt zwei Schlafzimmer?«, fragte Leo.
»Ja. Ich muss ziemlich früh aufstehen, und mein Mann ist flexibler, er ist auch oft im Ausland unterwegs und kann es sich einteilen. Drum haben wir seit einiger Zeit getrennte Schlafzimmer.« Sandra wunderte sich, warum sie wildfremden Menschen diese intimen Dinge erzählte. Immerhin hatte sie dabei gelogen, denn die getrennten Schlafzimmer hatten sie noch nicht so lange. Genau genommen erst, seit Thomas zu schnarchen begonnen hatte. Also seit er Leiter der Abteilung Sachbuch war. Ach ja, und seit sie deutlich weniger Sex miteinander hatten. Und das hatte auch seine Gründe … Aber das alles ging die beiden Fremden wirklich nichts an. Wie auch immer, bald würden sie ohnehin ins Schlafzimmer kommen. »Wollt ihr das Bett nicht sehen?«, fragte sie.
»Das hat noch ein bisschen Zeit«, meinte Leo.
»Für Einrichtung hast du jedenfalls ein gutes Händchen«, sagte Elisabeth.
»Danke«, sagte Sandra.
»Apropos«, fügte Leo hinzu, »du hast wahnsinnig schöne Hände.«
»Meine Hände?«, fragte Sandra. Im Gegensatz zu Elisabeth trug sie nur einen einzigen Ring, hatte die Nägel weder professionell manikürt noch lackiert, was sollte also mit ihren Händen sein?
»Sie sind sehr natürlich, und die Form ist sehr elegant … die schmalen Finger … und der kräftige Venushügel … am Daumengelenk … Aber bei aller Schönheit, es sind Hände, die auch arbeiten können. Hände mit Charakter.«
»Was Sie alles wissen!«, sagte Sandra und lachte. Ihre etwas schmalen, aber ebenmäßigen Lippen waren schon gelobt worden. Ihre glatten, glänzenden, kastanienbraunen Haare. Ihre grün-grauen Augen, die manchmal einen Bernsteinschimmer hatten. Ihr Hintern war schon gepriesen worden, jedenfalls früher, als er noch etwas straffer gewesen war, und natürlich auch ihre apfelförmigen — oder zunehmend glockenförmigen? — Brüste … Aber über ihre Hände hatte noch nie jemand so nett geredet wie dieser Leo. Und jetzt schenkte er ihr Prosecco nach, richtig aufmerksam. Was der wohl beruflich macht, fragte sich Sandra. Er redet auch schön. Nach der Schrift, so hatte man das bei ihr am Land genannt. Nach der Schrift konnte sie mittlerweile auch ganz gut reden, nur wenn sie wütend wurde oder wenn sie Thomas ihre Träume...
Erscheint lt. Verlag | 23.9.2019 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Adventkalender • Ans Meer • Bestseller • Christbaum • Daniel Glattauer • Dating • Gut gegen Nordwind • Komödie • Liebe • Liebe unter Fischen • Single Bells • Weihnachten • weihnachtshund • Witz |
ISBN-10 | 3-552-06405-2 / 3552064052 |
ISBN-13 | 978-3-552-06405-8 / 9783552064058 |
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