Traumtexte (eBook)

(Autor)

Gerhard Ahrens (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2019 | 1., Deutsche Erstausgabe
210 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76096-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Traumtexte - Heiner Müller
Systemvoraussetzungen
16,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Wichtiger als Heiner Müller kann selbst den Surrealisten das Thema Traum nicht gewesen sein. Bereits als Schüler las Müller Freud, er zeichnete eigene Träume auf und sammelte Träume von Mitschülern. Traumtexte ordnet den bis in die letzten Lebenstage reichenden, teils unveröffentlichten Traumaufzeichnungen erzählerische und dramatische Texte zu, die einige dieser Träume aufnehmen und verarbeiten, und bündelt Müllers Reflexionen über den Zusammenhang von Leben, Träumen, Schreiben - und den Traum einer besseren Welt.

»Das Problem des Schriftstellers, überhaupt des Künstlers, ist doch, daß er sein ganzes werktätiges Leben versucht, auf das poetische Niveau seiner Träume zu kommen. Das geht nur, wenn er nicht interpretiert, was er hervorbringt. Ich schreibe mehr, als ich weiß. Ich will nicht nachdenken über das, was ich mache.



<p>Heiner Müller, geboren am 9. Januar 1929 in Eppendorf, Sachsen, war einer der wichtigsten deutschsprachigen Dramatiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zudem war er Lyriker, Prosa-Autor und Essayist sowie Präsident der Akademie der Künste Berlin (Ost). Er ist am 30. Dezember 1995 in Berlin verstorben.</p>

Traumbuch


HEINER MÜLLER IN WAREN (MÜRITZ) 1938-1947

Am 9. Januar 1929 in Eppendorf/Sachsen geboren, siedelte Heiner Müller 1938 mit der Familie nach Waren am Müritzsee um, weil der Vater, ein Verwaltungsangestellter und Funktionär der Sozialistischen Arbeiterpartei, nach Verhaftungen durch die SA, Internierung und Verbringung ins KZ Sachsenburg arbeitslos geworden, in Mecklenburg wieder eine Anstellung gefunden hatte, als Betriebsprüfer der Landeskrankenkasse in Waren. Heiner Müller besucht zunächst weiter die Volksschule, bevor er 1939 auf die Mittelschule wechselt, 1941 wurde er Stipendiat der Oberschule. Seit 1943 in der Hitlerjugend. 1944 Schließung des Gymnasiums, Einberufung zum Reichsarbeitsdienst, Volkssturm. 1945 Ausbildungslager bei Wismar, kurze Gefangenschaft im US-amerikanischen Kriegsgefangenenlager Schwerin. Auch der Vater kam 1945 aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurück und nahm seine politische Tätigkeit als Funktionär der SPD wieder auf, der 1946 auch sein Sohn beitrat. Kurt Müller war Leiter der wichtigen Konferenz am 20. Januar 1946 zur Vorbereitung der Vereinigung von SPD und KPD zur Einheitspartei SED und legte auch die Entschließung vor, die sich für die baldige Vereinigung aussprach und die Bildung eines vorbereitenden Organisationskomitees beschloß. Kurt Müller wurde am 22. März 1946 von den SPD-Delegierten zum Kreisvorsitzenden der SPD gewählt. Der Kreisparteitag der SPD wählte ihn als Delegierten zum Landesparteitag der SPD und der Landesparteitag der SPD Mecklenburg als Delegierten zum Parteitag der SPD am 21. April 1946 in Berlin und somit zum Vereinigungsparteitag zur SED am 22. April 1946 im Admiralspalast. Bis 1947 war er Paritätischer Kreisvorsitzender der SED und Mitglied des Landesvorstands der SED. Es gibt Veröffentlichungen, die ihn als Gegner der Vereinigung charakterisieren: Er habe versucht, die Sozialdemokraten zusammenzuhalten. Bis zur Wiederaufnahme des Schulbesuchs wurde Heiner Müller bei der Entnazifizierung der Bibliotheken des Landkreises eingesetzt und kurzfristig in der für die Bodenreform zuständigen Abteilung am Landratsamt Waren angestellt, wo sein Vater stellvertretender Landrat war. Ende 1947 Umzug der Familie Müller nach Frankenberg in Sachsen (bei Chemnitz), wo der Vater zum Bürgermeister gewählt wurde. Nach dem Abitur 1948 war Heiner Müller Hilfsbibliothekar an der Stadtbücherei Frankenberg. Mitglied der Frankenberger FDJ und Gründungsmitglied eines »Arbeitsaktivs Junger Autoren«. 1949 journalistische Tätigkeit als »Volkskorrespondent« für die Chemnitzer »Volksstimme«. Delegation zum FDJ-Schriftstellerlehrgang in Radebeul. 1950 Verlobung mit der Mitschülerin Rosemarie Fritzsche. Teilnahme am Schriftstellerlehrgang in Bad Saarow. 1951 Flucht der Eltern in den Westen nach Reutlingen. Kurt Müller wird als »Titoist« aus der SED ausgeschlossen. Heiner Müller bleibt in der DDR. Erste Publikationen als Literaturkritiker in der Zeitung »Sonntag« und der kulturpolitischen Monatsschrift »Aufbau«. Einzelne literarische Arbeiten für den Zentralrat der FDJ bei den »III. Weltfestspielen der Jugend und Studenten für den Frieden«. Am 31. August 1951 Heirat mit Rosemarie Fritzsche. Rückkehr nach Frankenberg. Am 25. Dezember 1951 Geburt der Tochter Regine. 1951-1954 erfolglose Bewerbung um eine Mitarbeit am Berliner Ensemble als »Meisterschüler« bei Bertolt Brecht. 1952 Übersiedlung nach Berlin. Arbeit als Journalist und Lektor für den Aufbau-Verlag.

Register der vita Heiner Müllers bis 1952 nach Hauschild, S.566f. und Heiner Müller Handbuch, S. ‌399. Zur Rolle des Vaters Kurt Müller bei der »Zwangsvereinigung« von SPD und KPD zur SED vgl.: 60. Jahrestag der Vereinigung der Kreisverbände von SPD und KPD im Kreis Waren am 24. März 1946. Herausgeber Peter Hamann und Otto Görisch mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, S. ‌40f. Vgl. auch: Neubeginn und Ende der SPD-Ortsgruppe 1945-1946. In: 100 Jahre Sozialdemokraten in Waren (Müritz). Herausgeber Rudolf Borchert, Jürgen Kniesz. Chronik. Schriftenreihe des warener Museums- und Geschichtsvereins e. ‌V. Heft 5. Waren 1994, S.86ff. Vgl. Heiner Müller über den Widerstand seines Vaters gegen die Vereinigung von SPD und KPD zur SED: Krieg ohne Schlacht, S. ‌62; HMW 9. Eine Autobiographie, S. ‌49]

Ich hatte durch die Funktion meines Vaters relativ wenig Kontakt zur Bevölkerung. Die Funktionäre waren isoliert. Es fällt mir ganz schwer, mir vorzustellen, was »normale« Bürger in dieser Zeit über die Lage gedacht oder gesagt haben. Das war wie eine Glasglocke. Die Leute sprachen mit Funktionären nicht über das, was sie dachten. Das war dann in Sachsen, in Frankenberg, wieder anders. Die Leute in Waren sprachen nicht darüber. Das hat auch mit Mecklenburg zu tun, dort ist man sehr verschlossen.

[Krieg ohne Schlacht, S. ‌52; HMW 9. Eine Autobiographie, S.40f.]

Mecklenburg war für uns Sachsen wie eine Emigration. Man war Ausländer. Waren war eine kleine Stadt, vielleicht 50 ‌000 Einwohner, ein Luftkurort für Berliner. Ich war völlig isoliert, vor allem in der Schule. Ausländer wurden aus Prinzip verprügelt. Da mußte man immer ziemlich schnell sein. Ich konnte sehr gut laufen. […] Der Weg zur Schule war gefährlich, auch der Heimweg, weil irgendwelche Mecklenburger auf Ausländerjagd gingen. Auf dem Schulhof haben die Lehrer meistens die großen Schlägereien unterbunden. Ich war der einzige Ausländer in der Klasse. Danach ging ich auf die Mittelschule, weil die billiger als das Gymnasium war. Es mußte ja Schulgeld gezahlt werden. In der Mittelschule gab es zwei alte Lehrerinnen, an die ich mich erinnere, alte Jungfern, sie lebten auch zusammen, zwei würdige alte Damen. Bei denen habe ich mir Bücher ausgeliehen. Sie hatten eine große Bibliothek. Ich war ein guter Schüler und ein sanftes Kind; die beiden Alten liebten mich sehr. 1945 haben sie sich umgebracht, nachdem sie von Russen vergewaltigt worden waren. Sie sind zusammen in den See gegangen.

Von der Mittelschule kam ich auf die Oberschule. Ich kriegte eine Freistelle wegen guter Zensuren. Meine Eltern hätten das Schulgeld nicht bezahlen können. Allerdings war ich dadurch auch ausgeliefert. Ich mußte mich gut verhalten. Ich hatte immer das Gefühl, die Lehrer wüßten, daß ich nicht dazugehöre; wahrscheinlich war es auch so.

[Krieg ohne Schlacht, S. ‌27; HMW 9. Eine Autobiographie, S.20f.]

Gerhard Bobzin, ein Mitschüler Heiner Müllers aus der Warener Zeit, gibt zu bedenken: »Waren hatte vor dem Krieg nicht ›vielleicht 50 ‌000 Einwohner‹, sondern knapp 20 ‌000, ein wohl nicht unwesentlicher Unterschied. Zu dem von Heiner Müller beschriebenen Status des ›Ausländers‹: Ich kann mich nicht erinnern, daß Schüler wegen ihrer Herkunft aus anderen Gegenden Deutschlands (›Ausländer‹) schikaniert wurden. In der Mittelschule (an der übrigens mein Vater zeitweilig unterrichtete) gab es solche Erscheinungen gewiß nicht. Ich habe einige Warener, die HM als Schüler kannten, nach diesen angeblichen Vorfällen gefragt. Ihnen war davon nichts bekannt. Wenn er Kontaktschwierigkeiten gehabt hat, so lag das sicher an seiner exklusiven, abweisenden Art. In der Zeit, als ich mit ihm in der Oberschule in einer Klasse zusammen war, war er nicht ›der Ausländer‹, sondern eben ein wenig kommunikativer, ein esoterischer Typ. Und zu den zwei Lehrerinnen der Mittelschule: Die zwei alten Lehrerinnen an der Mittelschule: Sie sind mir namentlich bekannt und waren zeitweilig Kolleginnen meines Vaters: Margarete Melms und Olga Reinhold. Daß sie HM förderten, ist richtig. Daß sich beide nach Vergewaltigung umgebracht hätten, indem sie in den See gingen, ist so nicht richtig. Fräulein Melms (so nannte man damals unverheiratete Damen) hat noch viele Jahre nach 1945 gelebt, Fräulein Reinholds Schicksal werde ich erst in einigen Tagen erfahren. Meines Wissens haben beide beim Einmarsch der Russen Gift genommen, das aber bei Fräulein Melms offenbar zu schwach dosiert war.«

...

Erscheint lt. Verlag 17.6.2019
Vorwort Brigitte Maria Mayer
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bibliothek Suhrkamp 1445 • BS 1445 • BS1445 • Heiner • Müller • Müller Heiner • Quelle • Traum
ISBN-10 3-518-76096-3 / 3518760963
ISBN-13 978-3-518-76096-3 / 9783518760963
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,7 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99