Hin und nicht weg (eBook)

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
432 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490994-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hin und nicht weg -  Lisa Keil
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Der zweite Roman von Lisa Keil, der Tierärztin, die sich ins Schreiben verliebte Rob Schürmann ist als Tierarzt Tag und Nacht im Einsatz, und die Herzen der Tierbesitzerinnen fliegen ihm zu. Er will nur eine, aber die heiratet einen anderen. Anabel aus Berlin tritt den Aushilfsjob in der Praxis Schürmann mit gemischten Gefühlen an. Schließlich passt sie mit ihren Tattoos und Piercings und ihrem selbstbewussten Auftreten nicht ins beschauliche Neuberg und schon gar nicht an die Seite des charmanten Tierarztes. Zwischen Hufverbänden und Pfotenoperationen geraten die beiden immer wieder aneinander. Und kommen sich näher. Doch plötzlich steht ein dramatischer Notfall zwischen ihnen und ändert alles.

Lisa Keil landete mit ihrem ersten Roman »Bleib doch, wo ich bin« gleich auf der Bestsellerliste. Sie lebt mit ihrem Mann, zwei Kindern und den drei Pferden Sunday, Radieschen und Chapter in einem Ort zwischen Sauerland und Soester Börde in Nordrhein-Westfalen. Die Autorin arbeitet in ihrem Traumberuf als Tierärztin in einer ländlichen Praxis.

Lisa Keil landete mit ihrem ersten Roman »Bleib doch, wo ich bin« gleich auf der Bestsellerliste. Sie lebt mit ihrem Mann, zwei Kindern und zwei Pferden in einem Ort zwischen Sauerland und Soester Börde in Nordrhein-Westfalen. Die Autorin arbeitet in ihrem Traumberuf als Tierärztin in einer ländlichen Praxis.

Amüsant und sehr kurzweilig, eine wunderbare Geschichte mit Happy End.

1


ANABEL

 

MIT MEHR SCHWUNG als nötig werfe ich die Heckklappe zu. Klack. Es steht fest. Mein Leben passt in ein Auto. Noch dazu in ein sehr kleines. Der Kofferraum meines alten Japaners ist kaum größer als der Innenraum unserer neuen Spülmaschine. Die jetzt nicht mehr meine ist, obwohl ich sie teuer bezahlt habe. Auch egal – ich brauche sie nicht. Was ich brauche, habe ich dabei. Ich muss jetzt nur noch den Wohnungsschlüssel auf den Küchentisch legen und die Tür hinter mir zuziehen, dann kann ich starten.

Eine einzige Frage ist noch offen: Wohin?

Auf jeden Fall raus aus Berlin, die Stadt nervt mich gerade tierisch. Gestern wollten alle noch frei sein und feiern und leben und heute plötzlich Karriere und Bausparverträge und Kinder. Ohne mich. Ich bin nach Berlin gezogen, um diesem ganzen spießigen Mist zu entgehen, aber wenn meine Freunde mir jetzt mit den gleichen Tiraden kommen wie meine Eltern, ist hier kein Platz für mich. »Du musst dein Leben in den Griff kriegen, Anabel.«

Einen Scheiß muss ich. Es tut mir ja leid, dass ich mit der Miete für mein Zimmer ziemlich im Rückstand bin, aber das gibt ihnen nicht das Recht, an mir und meinem Leben herumzuzerren. Deshalb muss ich gehen. Will ich gehen.

Ein letztes Mal steige ich durch das abgenutzte Treppenhaus in den zweiten Stock. Die ursprüngliche Farbe des Fußbodens hatte bestimmt mal einen verkaufsfördernden Namen wie Dunkel Sand oder Cappuccino. Ganz ehrlich, Baileyskotzfarben trifft es besser. Ich habe das sogar schon mal direkt im Eingang getestet, weil ich das süße Zeug einfach nicht gut vertrage.

Es riecht genauso wie vor drei Jahren, als ich zum ersten Mal hier war. Billige Putzmittel, dreierlei Mittagessen und verstaubtes Holz. Ich weiß noch, wie ich Dana folgte, die mich angesprochen hatte, weil ich seit mehr als zwanzig Minuten ins Schaufenster ihres Tätowierladens gestarrt hatte und mich an den aufgeklebten Fotos ihrer Arbeit nicht sattsehen konnte. Sie hatte einfach die Tür geöffnet und »Komm rin, Kleene« gesagt. Dann hatte sie zu einem Stuhl gezeigt, auf dem ich unbeholfen Platz nahm. Ich durfte zusehen, wie sie einem riesigen Kerl auf einer Liege den Rücken tätowierte. Währenddessen stellte sie mir ungefähr tausend Fragen, und als sie den Typen mit einem Klaps auf den Hintern und einem »See you next week« entließ, hatte sie mich adoptiert. Sie war nur zwei Jahre älter als ich, aber zwischen uns lagen Welten. Sie war alles, was ich selbst gern sein wollte: direkt und selbstbewusst, völlig mit sich im Reinen, und die Meinung von anderen schien sie in nichts zu beeinflussen. Sie war mein Idol. Und irgendwas war ich für sie.

Jedenfalls schickte sie mich nicht weg, und als sie abends die Lichter im Laden löschte, nahm sie wie selbstverständlich meinen Rucksack. »Dann gehen wir wohl mal heim, Kleene.«

Ein ungleiches Paar müssen wir an diesem Abend abgegeben haben: Dana groß und schlank mit langen hellblauen Haaren und zahlreichen Piercings. Die Ärmel vom Kapuzenpulli hatte sie hochgeschoben, so dass die dunklen Tätowierungen hervorschauten. Sie trug meinen Rucksack lässig über der einen Schulter, hielt eine selbstgedrehte Kippe zwischen den Fingern und war völlig eins mit den Straßen von Neukölln. Daneben stolperte ich: klein und mit zehn Kilo zu viel wie heute. Aber ich hatte noch meine blonden Locken, einen einzigen kleinen Ring in der rechten Augenbraue und ein dilettantisches Rosentattoo auf der Schulter. Und keinen Plan von nichts.

Inzwischen habe ich mehr Tätowierungen als Dana, jeden Monat eine andere Haarfarbe, und das schüchterne Goldlöckchen mit der leisen, immer etwas schuldbewussten Stimme gibt es nicht mehr. Das hat Dana gestern wohl vergessen, als sie meinte, sie müsste mal eben mein Leben in die Hand nehmen. Heute Abend wird es ihr vielleicht einfallen, aber dann bin ich längst weg.

Ich mache einen Rundgang durch die Wohnung, um zu schauen, ob ich etwas Wesentliches vergessen habe. Samsons Zimmertür ist zu. Er schläft noch. Aber ich muss mir keine Sorgen machen, dass er plötzlich auftaucht und unangenehme Fragen stellt. Wir haben kurz vor acht, und Samson steht niemals vor zwölf auf. Und unangenehme Fragen sind sowieso nicht sein Ding. Die Diskussion gestern war ihm sichtlich unangenehm, und er hat versucht, sich so unsichtbar wie möglich zu machen. Was nicht leicht ist, wenn man zwei Meter groß ist und ziemlich breit, mit riesigem Vollbart und tiefer Stimme. Ihm gelingt es erstaunlich gut.

Dana und Kalle sind heute Morgen ganz früh aufgebrochen zu einer Messe in Norddeutschland. Sobald ich die Tür ins Schloss fallen hörte, bin ich aufgestanden, habe mein Zeug auf einem Haufen gesammelt und den mit Hilfe von zwei Ikea-Taschen zu meinem Daihatsu geschleppt. Ich musste dreimal gehen. Eingezogen bin ich nur mit dem Rucksack.

»Dat ist dann dein Zimmer«, hatte Dana gesagt, als wir in der Wohnung standen. Sie öffnete eine Tür und schob mich hindurch. »Erster Monat gratis, dann musste irgendwie zweihundert dazuschmeißen. Futter besorgste dir selbst. Aber heute kannste mitessen.«

In der Küche saß Kalle. Er und Dana waren gerade frisch, aber freundschaftlich getrennt. Das mit den beiden ist eine On-off-Geschichte. Eigentlich eher stufenlos verstellbar. Von ewiger Liebe über nichts als Freundschaft oder Freundschaft plus bis zu nichts als plus. Oder auch mal zwei bis drei anstrengende Wochen Funkstille. Ich weiß bis heute nicht, ob sie einen Mitbewohner gesucht hatten oder ob Dana mich mitgebracht hatte, um Kalle zu ärgern.

»Die Kleene wohnt jetzt im gelben Zimmer.«

Er sah mich über den Rand seiner John-Lennon-Brille an, nickte dann und löffelte weiter seinen Joghurt aus dem Glas. Ein dünner, blasser Kerl mit wirren Haaren. Richtig warm geworden sind wir nie miteinander, aber Dana ließ nicht zu, dass unsere Kabbeleien in echten Streit ausarteten. Samson gab es da noch nicht, der kam erst ein paar Monate später dazu. Sein Zimmer ist nur wenig größer als ein begehbarer Kleiderschrank und hat keine Fenster. In Berlin kann man alles vermieten. Samson mag seine Kammer, die er so vollgestellt hat mit Computern und Monitoren, dass nur ein schmaler Pfad zum Bett führt. Wenn überhaupt. Auf Tageslicht legt er sowieso keinen gesteigerten Wert. Die Luft in seinem Zimmer steht vor Elektrosmog und Zigarettenrauch. Wir sind alle Raucher und haben ganz altmodisch Raucherlaubnis in der ganzen Wohnung, aber keiner außer Samson hält es länger als ein paar Minuten ohne Asthmaanfall in seinem Zimmer aus. Er selbst scheint auf Sauerstoff nicht angewiesen zu sein, dafür auf Kaffee, von dem er Unmengen in sich hineinschüttet. Ich werde ihn vermissen. Er hat nie viele Worte verloren, aber seine stille Behäbigkeit und sein geduldiger Blick auf alles um ihn herum hatten eine beruhigende Wirkung auf mich. Dana wird mir natürlich am meisten fehlen. Ich hatte vor ihr nie eine richtige Freundin. Früher durfte ich keine Kinder mit nach Hause bringen, wahrscheinlich weil es meine Mutter überfordert hätte. Außerdem hatte ich einen vollen Wochenplan und eine Art, die Gleichaltrigen seltsam vorkam. Später hatte ich mich so ans Einzelgängertum gewöhnt, dass ein unsichtbarer Graben alle von mir fernhielt. Bis Dana mit einem lockeren Schritt darüberstieg, als wäre es nichts. Meine erste Freundin, meine beste und meine einzige.

Ich stehe unschlüssig in der Küche und drehe den Schlüssel in meinen Händen. Tue ich das Richtige? Dana meint es nicht böse. Aber sie kennt den ganzen Mist, den ich hinter mir habe, und weiß, wie allergisch ich auf Übergriffigkeit reagiere. Wenn ich bleibe, wird es nicht besser. Ich bin ihr dankbar, und ich mag sie sehr, aber sie würde keine Ruhe geben, und ich würde einknicken und es irgendwann bereuen. Viel mehr, als wenn ich jetzt einfach einen Schlussstrich ziehe.

Entschlossen lege ich den Schlüssel auf den Tisch. Irgendeine Nachricht muss ich schreiben. Auf der Suche nach einem Zettel fällt mein Blick auf die mit Fotos, Postkarten, alten Tickets und anderem Papierkram überhäufte Kühlschranktür. Ich will eine überholte Einkaufsliste unter einem Smileymagneten hervorziehen, um die Rückseite für meine Abschiedszeilen zu nutzen. Dabei rutscht eine Klappkarte heraus und fällt zu Boden. Es ist die Hochzeitseinladung von meinem Cousin Lasse. Ursprünglich wollte ich sie direkt wegschmeißen. Eine Familienfeier – so weit kommt’s noch! Dana fand das Motiv lustig und hat sie deshalb an den Kühlschrank gehängt. Über dem Foto von einem kleinen Pony, an dessen Sattel zwei herzförmige Heliumballons festgebunden sind, steht: Mit dir wird alles ganz leicht! So ein Kitsch. Gedankenverloren klappe ich die Karte auf. Verrückt, die Hochzeit ist tatsächlich heute. Und wo zum Teufel ist Neuberg? Klingt nach einem verschlafenen Nest in der Provinz. Irgendwo weit weg. Weit weg? Warum eigentlich nicht. Großer Haken an der Sache: Wiedersehen mit meinem Vater. Der wird sich das Familiengetue auf keinen Fall entgehen lassen. Aber es ist unwahrscheinlich, dass meine Mutter mitkommt, also wird er nicht lange bleiben können. Und wer auf der Flucht ist, hat keine Wahl. Ein zweifelhaftes Ziel ist besser als gar keins. Es gibt bestimmt was Leckeres zu essen und ohne Ende edlen Alkohol. Ich blicke wieder auf die Karte. Beginn der Trauung 14.30 Uhr. Wo auch immer dieses Neuberg liegt, das sollte zu schaffen sein. Der Plan gefällt mir. Ich nehme den Einkaufszettel und schreibe: Musste weg in dringender Familiensache. Ihr findet bestimmt schnell Ersatz...

Erscheint lt. Verlag 25.3.2020
Reihe/Serie Neuberg
Zusatzinfo 1 s/w-Abbildung
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anabel • Berlin • Buchhandlung • Café • Eifersucht • Freundschaft • Heimat • Kaya • Landleben • Lasse • Liebe • Neuberg • Paare • Pferd • Pony • Praxis • ROB • Stall • Tierarzt • Tierärztin • Valentinstag
ISBN-10 3-10-490994-6 / 3104909946
ISBN-13 978-3-10-490994-3 / 9783104909943
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