Ich wähle die Freiheit -  Chalat Saeed,  Martin Redies

Ich wähle die Freiheit (eBook)

Wie ich Zwangsehe und Unterdrückung überlebte und neue Hoffnung fand
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
304 Seiten
adeo (Verlag)
978-3-86334-806-9 (ISBN)
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Wenn vom Irak die Rede ist, geht es um Krieg, um Islamismus, Terror und Hass. Es scheint so, als gäbe es dort nur Männer. Die Frauen sind unsichtbar. Frauenrechte gibt es nicht. Frauen sind nicht etwa Bürger zweiter Klasse - nein, sie sind nicht besser gestellt als Haustiere. Auch Chalat Saeed war eine dieser unsichtbaren und unterdrückten Frauen. Mit 10 Jahren nahmen ihre Brüder sie aus der Schule, mit 14 wurde sie mit einem deutlich älteren Mann verheiratet, einem radikalen Muslim mit Verbindungen zum IS, der sie einsperrte und misshandelte. Sich von ihm zu trennen war undenkbar, schon weil er dann das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder bekommen hätte. Doch die ganze Zeit ahnte Chalat, dass es ein anderes Leben geben muss, eines, in dem Frauen frei sind, ihre Träume zu verwirklichen. Und dass es einem Gott geben muss, in dessen Namen nicht zu Gewalt gegen Frauen und zum Terror aufgerufen wird. Und dann, eines Tages, eröffnet sich unverhofft ein Weg in dieses andere Leben ... Dies ist ihre Geschichte.

Chalat Saeed, geboren 1981 im Irak. Als 14-Jährige wurde sie mit einem deutlich älteren, radikalen Muslim zwangsverheiratet, der Verbindungen zum IS hatte. 2015 kam sie mit ihrem Mann nach Deutschland und die Ehe wurde wegen häuslicher Gewalt geschieden. Sie ist Mutter von vier Kindern und arbeitet als Näherin in Duisburg.

Chalat Saeed, geboren 1981 im Irak. Als 14-Jährige wurde sie mit einem deutlich älteren, radikalen Muslim zwangsverheiratet, der Verbindungen zum IS hatte. 2015 kam sie mit ihrem Mann nach Deutschland und die Ehe wurde wegen häuslicher Gewalt geschieden. Sie ist Mutter von vier Kindern und arbeitet als Näherin in Duisburg.

Ein Neuanfang


Ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen. Die Geschichte einer Frau, die leiden muss. Die Geschichte einer Frau, die kämpft. Die Geschichte einer Frau, die glaubt. An sich, an den Vater, am Ende an Gott. Beginnen soll meine Geschichte damit, dass ein deutscher Mann an unserer Tür klingelte.

Als ich ihm die Tür aufmachte, sagte er: „Sie dürfen nicht einfach öffnen, Frau Saeed. Fragen Sie immer erst, wer dort ist.“

„Gut“, sagte ich.

„Verstanden“, sagte Nigin, meine Tochter.

„Ihr Mann ist jetzt unten im Büro“, sagte der Mann. „Der Sozialarbeiter sucht einen Platz für ihn in einem Camp. Dann wird die Polizei ihn dorthin bringen.“

„Er wird nicht wiederkommen?“

„Nein, wenn Sie es nicht wollen, wird er nicht wiederkommen.“

„Er wird wiederkommen! Ich kenne ihn.“

„Der Hausmeister wird gleich kommen und ein Sicherheitsschloss anbringen.“

„Er kennt den Hausmeister“, sagte ich misstrauisch.

„Dieser Hausmeister mag keine kurdischen Männer.“ Er lachte. „Ich kenne den Hausmeister besser.“

„Wollen Sie nicht hereinkommen?“, fragte ich.

„Ihr Mann kommt nicht wieder. Sie brauchen keine Angst mehr zu haben, Frau Saeed.“

„Ja, kommen Sie bitte herein“, sagte Nigin.

Dann saßen wir an unserem Tisch in der Diele. Vor einer Stunde noch war mein Mann hier gewesen. Er hatte Nigin heftig ins Gesicht geschlagen und mich an den Haaren durch die Wohnung gezogen. Nur Niga schlägt er nicht, weil er denkt, dass sie als Einzige fromm ist.

„Ich bringe euch in den Irak zurück!“, hatte er geschrien.

Nigin hatte sich auf der Toilette eingeschlossen und den deutschen Mann angerufen. Mein Mann hat gegen die Tür gehämmert. „Du Schlampe, komm raus!“, hat er gebrüllt. „Du wirst dieses Kopftuch tragen!“

„Nein!“, hat sie gerufen. „Ich trage das Kopftuch nicht!“

„Ich werde dich einsperren, wenn ich dich noch einmal ohne Kopftuch sehe.“

„Dann schreie ich und dann werden Leute kommen. Du kannst mich nicht zwingen, das Kopftuch zu tragen!“

„Ich bringe euch in den Irak zurück!“, hat er geschrien. „Schlampe, du wirst sehen, was dir dort passiert!“

Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat. Ich hatte Angst, dass Nigin vielleicht auf der Toilette keinen Empfang für ihr Handy hatte. Ich hatte Angst, dass er die Tür eintreten würde. Ich hatte Angst um sie, nicht um mich.

Mit einem Mal war er wieder ruhig. Dann war es, als wäre er plötzlich ein anderer Mensch geworden. Aber er konnte sofort wieder wütend werden, wenn ihn etwas störte. Er war unberechenbar. Das war das Schlimmste an ihm.

Die Polizisten klingelten nicht, weil der Hausmeister ihnen die Tür geöffnet hatte. Dann standen sie – ein Mann und eine Frau – in der Wohnung. Außerdem der Hausmeister, der Sozialarbeiter und der deutsche Mann.

„Was ist vorgefallen?“, fragte der Polizist.

„Nichts“, sagte mein Mann.

„Er schlägt meine Mutter und mich“, sagte Nigin.

Der Polizist sah seine Kollegin an. Er wusste nicht, was er tun sollte.

„Schlägt er ihre andere Tochter auch?“, fragte die Polizistin.

„Nein“, sagte ich.

Dann ging die Polizistin mit Niga in ein Zimmer. Dort blieben sie eine lange Zeit. Es war ruhig, weil mein Mann still war. Die Männer sahen ihn an, er schaute auf den Boden.

Ich hatte eine solche Freude in mir! Endlich hatte ich Hilfe bekommen! Ich kam mir vor wie in einem Traum. Was konnte ich für die Männer und die Frau Gutes tun? Sollte ich ihnen Tee machen und Gebäck bringen? Aber der deutsche Mann sah mich streng an und kniff die Augen zusammen. Weil ich unsicher war, tat ich nichts.

Als die Polizistin aus dem Zimmer kam, sagte sie zu ihrem Kollegen: „Wir nehmen den Mann mit.“

Ich hätte schreien können vor Freude. Nigin stieß mich von der Seite an. Ich weiß nicht – es kann sein, dass ich tatsächlich geschrien habe. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Wenn ich daran denke, dann ist es, als wäre ich für einen Moment ohnmächtig geworden.

„Er will in den Irak zurückgehen“, sagte ich zu dem deutschen Mann.

„Wenn er will, soll er.“

„Aber er will uns mitnehmen!“, rief Nigin.

„Wenn ihr nicht wollt, muss er allein gehen. Es gibt Gesetze.“

„Wir wollen nicht!“, sagte ich ganz schnell.

„Es gibt Gesetze“, sagte Nigin. „Ich habe davon gehört.“

„Er wird uns töten!“ Als ich das sagte, kam es mir vor, als würde ich das Blut überall sehen. Blut auf dem Boden, Blut auf dem Tisch, Blut an den Händen. Er hat mich in Sulaimaniyya geschlagen.

„Nein“, sagte der Mann. „Er ist nicht dumm, ich habe ihn beobachtet.“

Ich machte uns Tee, Nigin holte Gebäck aus der Vorratskammer.

„Ich denke, er ist gefährlich. Richtig gefährlich – er ist keiner, der nur mit Muskeln droht“, sagte der deutsche Mann.

Nichts machen, nichts machen, haben Sie gesagt, als ich Sie angerufen habe. Und ich habe gedacht, Sie rufen die Polizei nicht, weil Sie Angst vor ihm haben, wie die Leute im Irak.“ Nigin lachte vor Erleichterung. „Dabei haben Sie gemeint, wir sollen nichts machen.“

„Dieser Mann hat gelernt, sich unter Kontrolle zu halten.“ Er hatte Nigin nicht zugehört. „Ein merkwürdiger Mann. Kein kurdischer Holzkopf, ganz anders ist er.“

„Einmal hat er sich den Fuß gebrochen, und er ist zum Krankenhaus gelaufen“, erzählte ich.

„War er Soldat?“

„Nein“, sagte ich, „er war von Daesh1.“

„Daesh? Was ist das?“

„Daesh ist IS“, sagte Nigin.

„Wir wissen es nicht genau“, sagte ich.

„Doch, wir wissen es!“ Nigin sah den Mann an, als sei sie heute schon achtzehn Jahre alt geworden.

Dann aßen wir Gebäck und tranken Tee. Mit einem Mal fiel Nigin etwas ein. Sie rannte in ihr Zimmer und kam mit dem Kopftuch in der Hand zurück.

„Kommen Sie, kommen Sie!“, rief sie dem Mann zu.

Sie rannte auf den Balkon. Als wir hinter ihr standen, warf sie das Kopftuch in die Luft. Es segelte am Balkon der afghanischen Familie vorbei, dann glitt es nach links, dort, wo die Kurden aus Syrien mit ihrem kranken Sohn wohnten, streifte den Balkon der deutschen Familie darunter und landete auf der kleinen Terrasse vor dem Büro des Hausmeisters.

„Wer ist dort?“, fragte ich und lauschte an der Tür. Ich hörte ein lautes Schluchzen, dann kein Geräusch. „Ich mache erst auf, wenn ich weiß, wer dort ist“, sagte ich.

Dann wieder ein Schluchzen. „Mina ist es, ich bin Mina!“, rief es leise hinter der Tür.

„Bist du allein?“, fragte Nigin.

„Ja, ich bin allein!“, rief Mina.

„Wir haben nämlich ein Sicherheitsschloss bekommen“, erklärte Nigin.

Vorsichtig steckte ich den Schlüssel ein. Erst oben, dann unten, wie der Hausmeister es uns gezeigt hatte. Langsam drehte ich ihn um.

Mina war das Tuch halb vom Kopf gerutscht. Mit roten Augen, einem verquollenen Gesicht, nass von Tränen, stand sie vor uns.

„Hat dein Mann dich geschlagen?“, fragte ich.

Mina brachte kein Wort heraus. Wir setzten sie an den Tisch, nahmen ihr das Kopftuch ab und brachten ihr ein Glas Wasser.

Währenddessen schloss Nigin das neue Sicherheitsschloss sorgfältig wieder zu. Sie legte den neuen Schlüssel auf den Tisch, damit Mina sehen konnte, dass sie nun in Sicherheit war.

Mina sah es und begann wieder zu schluchzen. Sie war meine erste Freundin in Deutschland geworden, eine Kurdin aus Syrien.

„Mina, du hast doch gesagt, dein Mann schlägt dich nicht. Was ist passiert?“ Ich legte meinen Arm um sie.

„Dein Mann, dein Mann“, schluchzte Mina.

Mein Mann?“, fragte ich. „Was ist? Ist er zurückgekommen?“

Mina trank das ganze Glas Wasser in einem Zug aus.

„Ich habe gesehen, wie dein Mann von der Polizei weggebracht wurde. Und alle Nachbarn haben es gesehen, wenn sie ein Fenster zum Hof haben! Nur die Familien auf der anderen Seite nicht, aber die wissen es jetzt, weil alle darüber reden. Sie sagen, du hast die Polizei gerufen. Stimmt das?“

„Ja, das ist richtig“, sagte Nigin, weil ich in der Küche war, um Tee zu machen.

„Aber warum denn?“

„Er hat meine Mutter und mich geschlagen. Da haben wir die Polizei gerufen. Und die Polizei ist gekommen, und sie haben ihn mitgenommen. Eine sehr nette Polizistin war das und ein sehr großer Polizist.“

Schnell kam ich an den Tisch, weil ich Nigin nicht mit Mina allein lassen wollte.

„Aber es war doch nur ein Streit“, flüsterte Mina.

„Nein, ich will nicht, dass er wiederkommt“, sagte ich.

Da begann Mina wieder zu schluchzen.

Niga war in den Raum getreten. „Warum weint sie?“

„Keine Ahnung“, sagte Nigin. „Sie sagt es nicht.“

Auf ihr Handy schauend ging Niga wieder in ihr Zimmer.

„Warum weinst du denn?“, fragte ich sie. „Es ist doch nicht dein Mann!“

„Verstehst du denn nicht?“

„Du weinst um den falschen Mann“, sagte ich.

Nigin lachte laut.

Mina sah mich an, als würde sie nicht verstehen. „Ich weine doch für dich.“

„Aber ich – ich weine nicht. Siehst du nicht, ich lache sogar!“ Ich zeigte ihr, wie glücklich...

Erscheint lt. Verlag 13.6.2019
Verlagsort Asslar
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bekehrung • Flüchtling • Gott • Häusliche Gewalt • Irak • IS • Islamismus • Migranten • Migration • Misshandlung • Muslima • Terrorismus • Unterdrückung • Zwangsehe • Zwangsheirat
ISBN-10 3-86334-806-0 / 3863348060
ISBN-13 978-3-86334-806-9 / 9783863348069
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