Flucht an die Themse (eBook)

Ein Daniel-Pitt-Roman

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
432 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-24221-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Flucht an die Themse -  Anne Perry
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Daniel Pitt, Sohn des berühmten Ermittlers Sir Thomas Pitt, gerät als Anwalt in einen zweiten gefährlichen Fall. Sein Schwager fleht ihn an, gegen den Botschaftsangestellten Philip Sidney vorzugehen. Dieser habe in den USA eine Frau überfallen und sei dann unter dem Schutz diplomatischer Immunität an die Themse geflohen. Als ein wichtiger Tatzeuge ermordet aufgefunden wird, wird Sidney auch wirklich der Prozess gemacht - doch ausgerechnet Daniel Pitt wird als sein Verteidiger bestellt. Allerdings entdeckt Daniel bald, dass hinter dem Verbrechen tatsächlich jemand ganz anderes stecken könnte. Jemand, der einen gewaltigen Umsturz plant.

Die Engländerin Anne Perry, 1938 in London geboren, verbrachte einen Teil ihrer Jugend in Neuseeland und auf den Bahamas. Ihre historischen Kriminalromane begeistern ein Millionenpublikum und gelangten international auf die Bestsellerlisten. Anne Perry verstarb 2023 in Los Angeles.

KAPITEL 2


Daniel verabschiedete sich ziemlich spät, um in sein möbliertes Zimmer zurückzukehren, und Jemima bemerkte, wie viel entspannter ihr Mann nun wirkte. Es war der zweite Abend, den Jemima in ihrem Elternhaus verbrachte, und von Anfang an hatte sich bei ihr die einstige Vertrautheit wieder eingestellt. Patricks Entspannung zeigte ihr, dass auch er sich allmählich wohlzufühlen begann. Bisher war ihr noch gar nicht zu Bewusstsein gekommen, wie wichtig ihr das war. Hatte sie sich eigentlich überlegt, wie unbehaglich er sich gefühlt haben musste, als sie ihn mit dem einzigen ihrer Angehörigen zusammengebracht hatte, der nicht zu ihrer Hochzeit nach New York gekommen war? Selbstverständlich war das nicht Daniels Schuld gewesen – er hatte wegen seiner Prüfungen in Cambridge bleiben müssen –, doch obwohl sie Patrick viel über ihren Bruder berichtet hatte, war ihm Daniel bis dato fremd geblieben.

Jetzt waren Jemima und Patrick oben in ihrem Schlafzimmer. Sie hatten die Tür hinter sich geschlossen, und alles im Haus war still geworden. Jemima hatte nach Cassie gesehen und sie tief schlafend mit der Puppe im Arm vorgefunden. Auch Sophie schlief, ein braves Kind.

Patrick stand vor den geschlossenen Fenstervorhängen, während sich Jemima zum Schlafengehen zurechtmachte und sich das Haar löste. Sie hatte sich Sorgen um ihn gemacht. Bevor sie in New York lebte, hatte sie nicht gewusst, dass es dort gegen Iren gewisse Vorbehalte gab. Das war ihr erst allmählich aufgefallen: ein kleiner Vorfall hier und da, ein Zettel im Fenster einer Pension, dass Iren und Juden dort unerwünscht seien. Vorurteile anderer fallen uns ja mehr auf als die eigenen, und sie empfand es wie eine Ohrfeige, dass manche Menschen einfach deshalb etwas gegen ihren reizenden, fröhlichen und tapferen Mann hatten, weil er aus einer irischen Einwandererfamilie stammte. Er würde seine Herkunft nie verleugnen, und die Ablehnung durch andere stärkte sein Zugehörigkeitsgefühl umso mehr. Wer wegen seiner Herkunft angegriffen wurde, hatte nur zwei Möglichkeiten: Er sagte sich von ihr los oder fühlte sich ihr gegenüber zu doppelter Loyalität verpflichtet. Patrick tat Letzteres. Jemima wollte das auch gar nicht anders; sie wäre enttäuscht gewesen, wenn er sich nicht so verhalten hätte.

Auch sie empfand ein ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl, das ihr nach der Rückkehr in das Haus, in dem sie aufgewachsen war, mehr denn je bewusst wurde. Auch wenn sie es möglicherweise aus dem Gedächtnis nicht vollständig hätte beschreiben können, war ihr mit einem Schlag alles wieder vertraut, als sie es erneut sah: die Aquarelle mit englischen Landschaftsmotiven; die nicht nach Größe, sondern nach Sachgebieten eingeordneten Bücher des Vaters; die von ihrer Mutter hergerichteten Arrangements von Blumen aus dem eigenen Garten – all das übte auf Jemima denselben Reiz aus wie früher. Insgeheim schämte sie sich, dass ausgerechnet ein junger Engländer aus der britischen Botschaft in Washington Rebecca Thorwood so schändlich behandelt hatte. Es kam ihr wie ein Verrat an all dem vor, was Menschen wie ihren Angehörigen am Herzen lag. Zugegebenermaßen konnte sich Jemima nicht mehr daran erinnern, wie ihr Bruder Daniel als Neugeborener ausgesehen hatte, auf jeden Fall aber daran, wie er in Cassies Alter gewesen war. Verblüfft merkte sie, welch ein Gefühl der Fürsorglichkeit sie für ihn nach wie vor empfand. Natürlich würde sie ihm das nie sagen, denn das wäre ihm ausgesprochen peinlich und ihr selbst wohl ebenfalls. Das würde nicht nur die Selbstverständlichkeit ihres Umgangs miteinander gefährden, sondern auch das Gleichgewicht der Kräfte stören. Als Mann empfand Daniel ein gewisses Gefühl der Überlegenheit, das sie ihm als die Ältere keinesfalls zugestehen würde, auch wenn der Altersunterschied im Laufe der Jahre immer unerheblicher geworden war.

»Hast du es ihm gesagt?«, fragte sie.

»Was?«, fragte Patrick zurück, weil er offenbar nicht sicher war, was sie meinte.

»Die Sache mit Rebecca … die Handgreiflichkeit.«

Er legte sich ins Bett. »Ja, natürlich. Es kann dauern, bis wir eine Möglichkeit bekommen, etwas zu unternehmen. Ich kann aber höchstens einen Monat hierbleiben – wahrscheinlich habe ich damit schon meinen Urlaub für dieses und gleich auch noch für das nächste Jahr verbraucht.« Er beugte sich über sie und berührte sie zärtlich. »Es tut mir leid, Liebste, aber die Sache ist wirklich wichtig. Hast du Rebecca in jüngster Zeit gesehen?«

»Ja …«, gab Jemima zurück. Niemand, der dieser jungen Frau nach jenem Vorfall erneut begegnet war, konnte die Veränderung übersehen, die mit ihr vorgegangen war. Sie war bleich, wirkte ängstlich, sprach kaum hörbar und auch nur dann, wenn man das Wort an sie richtete. Jemima wusste, dass sie wenig schlief und an Appetitlosigkeit litt. »Ich denke auch, dass es wichtig ist«, sagte sie. »Vermutlich nimmt sie an, dass sich außer ihren Angehörigen niemand für den Vorfall interessiert. Was hat Daniel denn gesagt?«

»Er wird mich unterstützen.« Patrick lächelte. In seinen Augen mischten sich Belustigung und Freude. »Er ist ausgesprochen anständig. Ein frischgebackener Anwalt, geht ganz vorsichtig an die Dinge heran. Sehr englisch!«

»Natürlich ist er das!« Patrick mochte Vater und Sohn für typische Vertreter der auf die Erhaltung des Status quo bedachten bürgerlichen Gesellschaft halten, aber Jemima kannte den alles andere als konventionellen Werdegang ihres Vaters, Sir Thomas Pitt, des Leiters der Abteilung Staatsschutz.

Sie war in ihren Empfindungen eins mit ihm, seit sie sich erinnern konnte. Allerdings war er damals auch nur ein ganz gewöhnlicher Polizeibeamter gewesen. Ein hochgewachsener liebenswürdiger Mann mit widerspenstigem, stets ein wenig zu langem Haar, dessen Anzug nie richtig saß, dessen Hemdkragen immer zerknittert war und dessen Jackett-Taschen von allerlei Gegenständen überquollen, die er möglicherweise einmal brauchen könnte: Bleistifte, Päckchen mit runden Pfefferminzbonbons, Notizzettel und Bindfaden. Im Winter hatte er stets einen Wollschal getragen.

Doch das waren bloße Äußerlichkeiten. Seinem Wesen nach war er ein Gentleman, der sich nicht nur stets wie ein solcher verhielt, sondern auch wie einer sprach. Zwar war sein Vater ein einfacher Wildhüter auf einem großen Landgut gewesen, auf dem die Mutter ebenfalls Dienst tat, aber der Gutsherr hatte den jungen Thomas zusammen mit seinem eigenen Sohn unterrichten lassen, um diesen beim Lernen anzuspornen, und dabei hatte Pitt ihn bald überflügelt.

Von all dem wusste Patrick nichts, und es war wohl auch besser, wenn er nicht erfuhr, dass man Pitts Vater wegen angeblicher Wilderei nach Australien deportiert hatte. Pitt war nach wie vor von der Schuldlosigkeit seines Vaters überzeugt, hatte aber keine Möglichkeit gehabt, sie zu beweisen. Jemima wusste nicht, wann er aufgehört hatte, es zu versuchen.

Vielleicht sollte sie Patrick eines Tages doch in dieses Familiengeheimnis einweihen, aber dafür war die Zeit noch nicht reif. Die Loyalität dem Vater gegenüber verschloss ihr den Mund. Einmal, das war schon lange her, hatte sie die tiefe Trauer auf seinen Zügen gesehen, und ihr war bewusst geworden, dass er unter einer Kränkung litt, die er nie würde vergessen können.

Sie schob diese Gedanken beiseite. »Und was wollt ihr unternehmen?«, fragte sie Patrick.

»Du meinst wegen Philip Sidney?«

»Ja. So ein ruhmreicher Name! Er hat ihn nicht verdient«, stieß sie aufgebracht hervor.

Er sah sie verständnislos an.

»Vor einigen Hundert Jahren, ich glaube, zur Zeit von Königin Elisabeth, lebte in England ein Mann, der so hieß«, erläuterte sie. »Sir Philip Sidney. Als junges Mädchen habe ich ihn sehr verehrt. Nach einer Schlacht waren viele Männer schwer verwundet. Die Leute hatten nur wenig Wasser. Als ihm jemand eine Feldflasche hinhielt, hat er ihn aufgefordert, sie einem anderen in seiner Nähe zu geben, damit der weiterleben konnte, denn ihm war bewusst, dass seine eigene Verwundung tödlich war.«

Patrick sah sie aufmerksam an; die Zärtlichkeit auf seinen Zügen erstaunte sie. Sie wandte sich mit Tränen in den Augen ab, hielt ihm aber die Hand hin, die er so fest ergriff, dass sie sie nicht hätte zurückziehen können. Allerdings wollte sie das auch gar nicht – ganz im Gegenteil.

»Du hast recht«, sagte er. »Dieser Name ist viel zu gut für ihn. Ich nehme es ihm richtig übel, dass er ihn in den Schmutz zieht. Es tut mir leid, die Sache öffentlich machen zu müssen, aber ich werde es tun.«

»Das verstehe ich. Aber wie?«

»Es wird sich eine Möglichkeit finden. Weißt du übrigens, dass die Familie Thorwood ebenfalls hier in England ist?«

Sie sah ihn fragend an. »Du hast ihnen aber doch keine Hoffnungen gemacht …? Das kannst du nicht. Sie werden ein Ergebnis erwarten, und du hast doch nichts, was du … oder doch?«

»Bringst du eigentlich auch mal einen Satz zu Ende?«, fragte er leicht spöttisch.

»Lenk nicht ab! Was hast du den Leuten gesagt?«

»Nichts.« Trotz des gewaltigen Unterschiedes in Einkommen und gesellschaftlicher Stellung kannten sie beide die Familie Thorwood recht gut. Patrick hatte einige Male Gelegenheit gehabt, Mr. Thorwood einen Gefallen zu tun, und Jemima hatte Rebecca bei einer Ausstellung englischer Porträtmalerei in der britischen Botschaft kennengelernt. Sie hatte sie angesprochen, als sie sie, offenbar ratlos, allein vor einem Bildnis der Anne Boleyn hatte stehen sehen, und ihr die Zusammenhänge erläutert: Heinrich VIII., seine sechs Gemahlinnen, seine drei Kinder, die eins...

Erscheint lt. Verlag 9.3.2020
Reihe/Serie Daniel-Pitt-Serie
Übersetzer K. Schatzhauser
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Triple Jeopardy (Daniel Pitt 2)
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte Anwalt • Bestsellerautorin • Diplomat • eBooks • Ermittlungen • Historische Kriminalromane • Historische Romane • Kanalinseln • kleine geschenke für frauen • Krimi • Kriminalromane • Krimis • London • Prozess • Thomas Pitt • Überfall • Verschwörung
ISBN-10 3-641-24221-5 / 3641242215
ISBN-13 978-3-641-24221-3 / 9783641242213
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