Heimatland (eBook)

... und andere Geschichten aus Norwegen - Mit Texten von Siri Hustvedt, Karl Ove Knausgård, Dag Solstad u.v.a -
eBook Download: EPUB
2019
328 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-24234-3 (ISBN)

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Heimatland -
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Zwölf literarische Stimmen aus Norwegen. Darunter so prominente Namen wie Karl Ove Knausgård, Siri Hustvedt, Dag Solstad and Tomas Espedal. Herausgeber von 'Heimatland' sind IKH Kronprinzessin Mette-Marit und der Schriftsteller Geir Gulliksen - die in ihrem Vorwort die norwegische Mentalität, Gesellschaft und Literatur beleuchten.

Du musst keine Angst vor dem Leben haben


MM: Als ich dich fragte, ob du dieses Buch hier mit mir herausgeben möchtest, waren wir uns sofort einig, dass wir Autoren und Autorinnen einladen wollen, über das Norwegische zu schreiben, darüber, was das Norwegische für sie heißt. Was bedeutet dir das Norwegische eigentlich, Geir? Und weshalb warst du einverstanden, dieses Buch mit herauszugeben?

GG: Mein erster Gedanke war: Daran kann ich mich nicht beteiligen.

MM: Ich erinnere mich aber noch genau an das, was du gesagt hast: »Und gerade deshalb will ich es machen, ich will es machen, weil ich Angst davor habe.«

GG: Zunächst dachte ich, wenn ich ein Buch mit dir herausgebe, sieht es dann nicht so aus, als würde es mir gewaltig schmeicheln, an etwas so Königlichem, Öffentlichem und ganz hoch Angesiedeltem beteiligt zu werden?

MM: Nein, nun hör aber auf!

GG: Doch, ich dachte, es könnte mir als Autor schaden. Schließlich möchte ich ja gern als jemand gesehen werden, der konträr ist oder ein bisschen schwierig, eine eher kritische Stimme. Und ein Buch mit dir herauszugeben, ist gewissermaßen das Gegenteil von meinen Intentionen. Aber ich kenne dich als eine sehr gute Leserin und habe deswegen zugestimmt. Und glücklicherweise ging es den Autoren und Autorinnen, die wir eingeladen haben, ebenso. Außerdem versuche ich mit all meinen Vorstellungen zu brechen, welche Art Schriftsteller ich eigentlich sein will.

MM: Welche Art Schriftsteller willst du denn sein, Geir?

GG: Ich bin sehr früh Schriftsteller geworden, beinahe zu früh, und das führte dazu, dass ich viel zu viele Jahre brauchte, um darüber nachzudenken, welche Art von Autor ich sein will und welche Art von Büchern ich schreiben will, um diese Art von Autor zu sein. Das machte mir das Leben wie das Schreiben schwer, bis ich herausfand, dass ich mich einfach nicht entscheiden konnte, was ich schreiben wollte; ich konnte mich nicht entscheiden, was in meinem Leben wichtig sein sollte. Aber das, was ich schreibe, muss auf einer Höhe mit dem Leben sein.

MM: Was macht das Norwegische so interessant, um darüber zu schreiben?

GG: Literatur wurde ja zur Bildung und Formung von Nationen benutzt, nicht zuletzt in diesem Land, das konstitutionell gesehen sehr jung ist. Daher wollte ich den entgegengesetzten Weg gehen. Wir sollten uns eher fragen: Wie norwegisch sind wir? Und da sind wir beide möglicherweise nicht ganz einer Meinung.

MM: Du bist eher schwedisch?

GG: Ja, ich bin ein Riesenschwede! Viele Jahre habe ich mehr schwedische als norwegische Literatur gelesen. Ich fühle mich frei, wenn ich über die Grenze fahre, ich atme freier. Die Erklärung ist einfach, glaube ich. Sobald ich mich in einem anderen Land und einer anderen Sprache befinde, erscheint es mir einfacher, mich selbst neu zu verstehen. Und genau darum geht es doch auch in der Literatur, sie hilft uns, von einem Punkt aufzubrechen, der erstarrt und hinreichend erklärt ist, sie soll uns in die Lage versetzen, neue Verbindungen zu erkennen. Das Schwedische hat bei mir also ungefähr dieselbe Wirkung wie die Literatur. Tatsächlich denke ich nur sehr selten mit Vergnügen an mich als Norweger. Ich fühle mich im Norwegischen so eingesperrt.

MM: Das begreife ich nicht, Norwegen ist doch das freieste Land der Welt!

GG: … sagt die Kronprinzessin von Norwegen! Warum fühle ich mich trotzdem so eingesperrt? Ich habe mein ganzes Leben das Gefühl gehabt, eingesperrt zu sein, und das ist einer der Gründe, warum ich schreibe – der Versuch, freier zu werden. Es hat sicher etwas damit zu tun, dass ich aus einem ganz kleinen Ort stamme, Kongsberg. Als meine Eltern dort aufwuchsen, war es eine noch kleinere Stadt, ein Ort, in dem dich alle kennen, in dem jeder jeden kennt. Du hast das Gefühl, dass die Leute glauben, etwas über dich zu wissen, und dass du vorsichtig sein musst bei dem, was du tust und was du sagst. Egal was du anstellst, du weißt, dass viele denken, oh ja, das ist doch der, ja, der Sohn von dem und dem. Das ist für mich ein sehr intensives Gefühl des Eingesperrtseins. Also bin ich sobald wie möglich nach Bergen gezogen. Ich wollte ins Ausland, kam aber nur bis Bergen. Dort studierte ich, doch nach einer Weile fühlte ich mich auch in Bergen eingesperrt. Verstehst du, was ich meine? Warum geht es dir nicht so?

MM: Ich bin da ganz anderer Ansicht. Ich bin in Kristiansand aufgewachsen, auch keine sonderlich große Stadt. Es gab dort einen Himmel, den offensten Himmel, den ich kenne. Ich glaube, ich war glücklich, als ich dort lebte und meine Freunde hatte. Ich erlebte eine ungewöhnliche Freiheit in der Art und Weise, wie ich gesehen wurde und wie ich andere sah. Erst als ich als Sechzehnjährige nach Australien kam, begriff ich, dass es Unterschiede gab, wie Jungen und Mädchen sich zu benehmen hatten, denn es gab ganz andere Regeln dafür, wie Jungen und Mädchen sein sollten. Als wir in Kristiansand aufwuchsen, war das nie ein Thema gewesen. Ich denke, die Freiheit, mit der ich aufgewachsen bin, war sehr wichtig für mein Selbstbild, und nicht zuletzt dafür, mit welchem Blick ich andere sehe. Das ist etwas, was mir am Norwegischen so gut gefällt. Das Gefühl, große Teile meines Lebens hier so frei gelebt zu haben.

GG: Da haben wir sehr unterschiedliche Erfahrungen, und doch sind wir beide norwegisch.

MM: Können wir etwas als das Norwegische definieren, oder sind es nur individuelle Erfahrungen, in einer Gemeinschaft zu sein? Gibt es etwas, wo du denkst, ja, das ist möglicherweise eine bestimmte norwegische Art, die Dinge zu betrachten? Beziehungsweise, gibt es eine spezifisch norwegische Eigenschaft oder eine norwegische Weise, die Dinge zu erleben?

GG: Du lieferst zumindest eine adäquatere gesellschaftliche Beschreibung von wichtigen Werten des Norwegischen als ich. Im Vergleich zu vielen anderen Ländern sind wir sicherlich ein gutes Stück vorangekommen, wenn es um die Gleichstellung geht. Und bei der Freiheit, die du beschreibst, muss ich ja mit dir einer Meinung sein. Aber ich spreche von einer sehr tiefsitzenden Schüchternheit oder Verlegenheit, aus der ich mich mit Hilfe der Literatur befreit habe. Ganz klar, das Lesen und Schreiben hat mich freier werden lassen. Es hat mich in die Lage versetzt, relativ unbeschwert sprechen zu können. Und ich glaube, dass wir beide, du und ich, die Literatur vermutlich für dasselbe nutzen, allerdings von höchst unterschiedlichen Ausgangspunkten.

MM: Wenn wir über das Norwegische reden, warum reden wir dann darüber, wie wir es als Kinder und Jugendliche erlebt haben – und nicht als Mette im Alter von fünfundvierzig und Geir im Alter von fünfundfünfzig Jahren? Prägt unsere Heimat uns denn tatsächlich während des Aufwachsens am meisten? Was denkst du heute über das Norwegische in dir, als Fünfundfünfzigjähriger? Du bist Ehemann und Vater von fünf Kindern. Gibt es etwas Norwegisches in dir?

GG: Ich glaube, ich bin heute weitaus jünger, als ich es als Kind war. Ich weiß, das ist ein verstecktes Bob-Dylan-Zitat, aber für mich stimmt es unbedingt. Ich bin heute lockerer, freier, kindlicher, mehr ich selbst. Über mich wird nicht bestimmt wie über ein Kind. Wenn ich darüber rede, wie es war, ein Kind zu sein, und wie es sich anfühlte, im Norwegischen eingesperrt zu sein, dann hat das viel damit zu tun, dass man nicht über sich selbst bestimmen durfte. Aber danach hast du vermutlich nicht gefragt?

MM: Nein, eigentlich wollte ich wissen, ob es in dir heute etwas Norwegisches gibt? Etwa, dass du immer kindlicher wirst?

GG: Vermutlich ist es so, dass ich versuche, das loszuwerden, was ich das Norwegische nenne. Noch vor einigen Jahren war es ein weit verbreiteter Gedanke, dass die Idee vom Nationalstaat überholt ist und alle Überlegungen über etwas spezifisch Norwegisches im Grunde ideologisch problematisch sind. Das war zumindest meine Haltung. Aber ich sehe natürlich, dass es Antworten braucht, die nicht so vollautomatisch oder ideologisch gesteuert daherkommen. Die Antwort ist also komplizierter, ich kann die Frage nicht eindeutig beantworten. Für mich geht es beim Norwegischen aber noch immer sehr um das Eingesperrtsein. Allerdings weiß ich, dass dies eine individuelle Wahrheit ist und die Texte in diesem Buch ganz andere Herangehensweisen zeigen, sich dieser Frage zu nähern.

MM: Was passiert, wenn ein schüchterner Geir aus Kongsberg Belletristik liest und herausfindet, dass er sich ändern kann? Was geschieht bei der Begegnung mit dem Text?

GG: Ich glaube, es lässt sich in dieser Anthologie nachvollziehen. Zum Beispiel in den Texten von Dag Solstad, Tomas Espedal oder Wencke Mühleisen. Bei diesen Autoren findest du einen individuellen, besonderen Klang, beinahe so, als würdest du jemanden singen hören. Wenn dir solche besonderen Stimmen in der Literatur begegnen, erlebst du etwas Eigenes und Persönliches in dir selbst. Und das hat nicht nur etwas mit dem Thema zu tun, über das sie schreiben, hin und wieder ist es nachgerade unwesentlich, was sie sagen, aber ganz entscheidend, wie es gesagt wird. In diesem Wie der Literatur liegt häufig eine ganze Lebenseinstellung.

MM: Ja, ich denke, es hat etwas mit der Verletzlichkeit und dem Schmerz zu tun, mit dem etwas gesagt wird – tief unten, beim Schnitt bis auf die Knochen. Ein Erlebnis wird dann...

Erscheint lt. Verlag 30.9.2019
Übersetzer Paul Berf, Ulrich Sonnenberg, Ina Kronenberger, Uli Aumüller, Gabriele Haefs, Elke Ranzinger, Hinrich Schmidt-Henkel
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Hjemlandet
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anthologie • Buchmesse Frankfurt 2019 • Dag Solstad • eBooks • Gastland Norwegen • Geir Gulliksen • Herkunft • Karl Ove Knausgard • Mette-Marit von Norwegen • Norwegen • Norwegisch • Siri Hustvedt • Tomas Espedal • Weihnachtsgeschenk
ISBN-10 3-641-24234-7 / 3641242347
ISBN-13 978-3-641-24234-3 / 9783641242343
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