Der Hunger der Lebenden (eBook)

Ein Fall für Friederike Matthée

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(Autor)

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2019 | 1. Auflage
385 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1811-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Hunger der Lebenden -  Beate Sauer
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Der Sommer 1947: heiß und tödlich Köln, Juni 1947. Eine Hitzewelle plagt die von Krieg und Hunger gezeichnete Stadt. Friederike Matthée von der Weiblichen Polizei untersucht den Mord an einer früheren Kollegin. Die Beamtin überwachte während des Nationalsozialismus die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Polizeilichen Jugendschutzlagern. Die Zustände dort gehen Friederike nahe, Erinnerungen an ihre Flucht aus Ostpreußen werden in ihr wach. Der Fall bringt sie und Richard Davies von der Royal Military Police wieder zusammen. Der Offizier Richard schwankt zwischen beruflichem Ethos und seinem Hass auf die Deutschen. Friederike überschreitet einmal mehr ihre Befugnisse, um den Fall aufzuklären. Der zweite Fall für Friederike Matthée

Beate Sauer studierte katholische Theologie und Philosophie und absolvierte danach eine journalistische Ausbildung. Dabei stellte sie fest, dass ihr Herz noch viel mehr für fiktive Geschichten schlägt. Mit ihren historischen Romanen begeisterte sie eine riesige Fangemeinde genauso wie mit ihren Krimis um Friederike Matthée.

Beate Sauer studierte katholische Theologie und Philosophie und absolvierte danach eine journalistische Ausbildung. Dabei stellte sie fest, dass ihr Herz noch viel mehr für fiktive Geschichten schlägt. Mit ihren historischen Romanen begeisterte sie eine riesige Fangemeinde genauso wie mit ihren Krimis um Friederike Matthée.

2. Kapitel


Köln, Donnerstag, 19. Juni 1947


Das Gras am Wegrand war feucht von Tau. Hauptkommissar Heimerzheim hatte Friederike zu der Schrebergartensiedlung in Köln-Zollstock gefahren, wo sie seit Ende März mit ihrer Mutter lebte.

Auf manchen der schmalen Parzellen standen Holzbaracken, auf anderen Nissenhütten aus Wellblech, die Friederike mit ihren abgerundeten, weit heruntergezogenen Dächern immer ein bisschen an die Jurten eines Wandervolkes erinnerten. Überall bedeckten Beete fast jedes Stück nutzbaren Bodens. Kartoffeln und anderes Gemüse, vor allem Kohl und Rüben, wuchsen in langen Reihen. Auch Tabak spross in vielen Gärten. Irgendwo gackerten Hühner in einem improvisierten Gehege.

Die Schrebergartensiedlung in Köln-Zollstock hatte nichts gemein mit der großbürgerlichen Villa in Königsberg oder dem barocken Gutshaus bei Gumbinnen – den Häusern, in denen Friederike aufgewachsen war. Doch seit über zwei Jahren, seit sie und ihre Mutter in den letzten Kriegsmonaten aus Ostpreußen geflohen waren, seit der Zeit im Lager Friedland und dann in dem Zimmer in der Kölner Südstadt, war dies ihr erstes richtiges Zuhause.

Im Innern der Nissenhütte war es dämmrig, denn die Vorhänge aus Sackleinen sperrten die beginnende Helligkeit aus.

»Friederike, bist du das?« Ihre Mutter richtete sich im Bett auf.

»Ja, schlaf ruhig weiter.«

»Brot und Marmelade stehen auf dem Tisch.«

Ihre Mutter ließ sich wieder auf die Matratze zurücksinken. Friederike schob sich an dem Tisch vorbei – inzwischen war ihr das Innere der Hütte so vertraut, dass sie sich auch im Dunkeln zurechtgefunden hätte – und ließ sich auf der Kante ihres eigenen Bettes nieder.

Sie goss Wasser in ein Glas und kratzte einen Marmeladenrest auf eine Scheibe Brot. Sie aß langsam, kaute sorgfältig Bissen für Bissen und versuchte, das Wissen zu ignorieren, dass das Brot ihren Hunger kaum lindern würde.

Zwei, drei Stunden Schlaf, dann würde sie ins Polizeipräsidium aufbrechen und aus ihren Notizen Protokolle verfassen. Wie Richard Davies die junge Frau wohl beurteilt hätte? Ob er auch von ihrer Schuld überzeugt wäre? Friederike war sich nicht ganz sicher. Davies war zwar durchaus streng, und er konnte kurz angebunden und ungeduldig im Umgang mit Menschen sein. Aber er ließ sich Zeit mit seinen Einschätzungen. Andererseits war Frau Röder brutal umgebracht worden, und es deutete wirklich alles auf die namenlose junge Frau als Täterin hin.

Friederike widerstand der Versuchung, sich noch eine weitere Scheibe Brot abzuschneiden. Nachdem sie sich notdürftig mit Wasser aus einer Schüssel und einem kleinen, harten Stück Seife gewaschen hatte, legte sie sich im Hemd ins Bett. Schon machte sich der Hunger wieder bemerkbar. Beim Einschlafen sah sie Ilse Röders von Fliegen umschwärmten Leichnam vor sich.

Die Schnittwunden auf ihrer Kopfhaut schmerzen immer noch. Sie hat sich geschworen, sich nie wieder die Haare scheren zu lassen, hat sich mit aller Kraft gewehrt. Doch schließlich ist sie überwältigt worden. Sie hat sich ebenfalls geschworen, niemals wieder ins Gefängnis zu gehen. Doch genau das ist nun geschehen. Wahrscheinlich wird man sie für immer einsperren. Eine winzig kleine Chance hat sie noch. Nicht etwa davonzukommen, nein, dies begreift sie sogar mit ihrem von Brom umnebelten Kopf. Man hat ihr das Mittel verabreicht, um sie ruhigzustellen. Aber vielleicht hat sie die Chance, nicht für immer weggesperrt zu werden.

Doch dafür müssen ihre Fingerabdrücke unauffindbar sein. Und niemand darf sie erkennen. Bitte, lieber Gott … Bitte … So viele Häuser sind vernichtet und so viele Menschen getötet worden. Bitte, hilf mir … Bitte gib, dass ich einen Nutzen aus all der Zerstörung, dem Leid und dem Tod habe. Ich will auch ein besserer Mensch werden.

Sie wünscht sich, die Arme um sich schlingen und sich so selbst festhalten zu können. Doch ihre Handgelenke sind gefesselt. Unwillkürlich hat sie sich bewegt, und die Wärterin herrscht sie an stillzusitzen.

So zuversichtlich war sie, als sie zu dem Hof gekommen ist, hat sich überlegen gefühlt. Sich darauf gefreut, dass die Röder wieder vor ihr kuschen wird. Die Schöne, Unantastbare, das gemeine Aas. Das Gesicht der Röder, als sie sie vor einigen Wochen mit ihrem Geheimnis konfrontiert hat, wird sie niemals vergessen. Ganz fahl und hässlich ist es geworden. Und wie sie gestammelt hat, dass sie alles tun werde, was sie verlange! Die frühere, selbstherrliche Stimme der Röder hatte sie noch genau im Ohr.

Wie vereinbart, hat sie das Haus durch die Hintertür betreten. Zuerst hat sie das Gesumme der Fliegen gehört und den seltsamen Geruch wahrgenommen und dann die Röder auf dem Boden liegen sehen und daneben eine Pistole. Sie hat sich so oft ersehnt, sich an ihr zu rächen. Hat das Weib tot gewünscht. Aber als sie auf das zerschmetterte Gesicht der Röder hinuntergeblickt hat, hat sie nichts empfunden. Nur eine große Leere.

Sie kann sich nicht mehr erinnern, wie lange sie neben dem Leichnam gestanden hat. Dann hat sie ein Geräusch gehört. Sich umgedreht. Sie hat eine Pistole in der Hand gehalten. Hat sie die Waffe wirklich aufgehoben? Sie weiß es nicht mehr. Aber es muss wohl so gewesen sein.

Ein lauter Knall … Sie hat die Pistole abgefeuert. Dann ist der Mann bei ihr. Packt sie. Ob sie ihn getötet hätte, wenn sie die Gelegenheit dazu gehabt hätte? Wahrscheinlich schon. Lieber Gott, ich hatte solche Angst … Sie wimmert.

Ein Klirren. Ein Schlüssel dreht sich im Schloss. Die Tür geht auf. Eine Gefängniswärterin und eine große, schlanke Frau betreten die Zelle. Der Nebel aus Brom lichtet sich. Sie erkennt die Frau im selben Moment wie diese sie.

Sie springt auf und schreit, reißt die gefesselten Hände hoch. Sie schreit immer noch, als die Wärterinnen sie niederringen.

In der tief stehenden Abendsonne warfen die Ruinen lange Schatten. Ein Pulk von Menschen schob Friederike aus der überfüllten Straßenbahn. Eigentlich hatte sie bis zum Friesenplatz fahren wollen. Doch die Bahn war, wie so oft, einige Haltestellen vorher liegen geblieben. Sie war froh, dass sie früh genug von ihrem provisorischen Zuhause in Zollstock aufgebrochen war und trotz der Bahn rechtzeitig zum Dienst erscheinen würde.

Ein warmer Wind wehte, der Staub und Mörtel von den zerstörten Gebäuden entlang des Rings aufwirbelte. Überall zwischen Trümmern und auf Schuttbergen wucherten Pflanzen. Im Frühling, nach dem eisig kalten, langen Winter, war Friederike das Grün wie ein Zeichen von Leben und Hoffnung erschienen. Doch nun glich es einem alles verschlingenden Urwald.

Anders als am vorigen Abend fühlte sich Friederike ausgeruht. Gegen Mittag war sie schon einmal im Polizeipräsidium gewesen, um die Vernehmungen der Knechte und Mägde vom Röder’schen Gut abzutippen. Danach hatte Ida Gerwing sie wieder nach Hause geschickt, und sie hatte in der Nissenhütte noch ein paar Stunden schlafen können.

»Grüß dich, Helga!« Im Treppenhaus des Polizeipräsidiums begegnete Friederike einer jungen Kollegin, die gerade erst die Polizeischule abgeschlossen hatte. Helga Wicherts war sehr groß und dünn, und die Uniform schlackerte um ihre langen Glieder. Sie hatte es nie direkt gesagt, aber Friederike vermutete, dass sie sich – ähnlich wie sie selbst – wegen äußerer Zwänge und nicht aus innerer Neigung zur Weiblichen Kriminalpolizei gemeldet hatte. Friederike erkannte vieles von sich in Helga wieder. Die Kollegin war schüchtern und ängstlich wie sie selbst zu Beginn ihrer Laufbahn und wirkte manchmal so, als würde sie am liebsten davonlaufen. Friederike hatte sie ein bisschen unter ihre Fittiche genommen.

»Guten Abend.« Helga Wicherts erwiderte ihr Lächeln.

»Ist Kriminalkommissarin Langen eigentlich mittlerweile von der Fortbildung zurückgekehrt?«

»Nein, noch nicht.« Die Erleichterung in der Stimme der Kollegin war unüberhörbar. Die strenge Vorgesetzte machte auch ihr das Leben nicht gerade leicht.

»Hab einen schönen Abend«, sagte Friederike freundlich. »Hast du etwas vor?«

»Nein, wahrscheinlich werde ich lesen und dann früh ins Bett gehen.« Helga Wicherts zögerte und blickte Friederike unsicher an. »Irgendetwas Schlimmes scheint vorgefallen zu sein. Kriminalkommissarin Gerwing hat sehr besorgt gewirkt und einige der älteren Kolleginnen zu sich ins Büro gerufen. Sie waren lange bei ihr. Danach haben sie miteinander getuschelt. Aber mir haben sie nichts gesagt, und ich hab mich auch nicht getraut zu fragen.«

»Das wird sich schon aufklären. Mach dir darüber jetzt keine Gedanken.« Friederike nickte Helga aufmunternd zu. Ob wieder eine der Kolleginnen beim Entnazifizierungsverfahren als »belastet« eingestuft und entlassen worden war? In den ersten Wochen bei der Weiblichen Polizei hatte Friederike dies schon einmal erlebt. Auch damals hatte in der Dienststelle große Aufregung geherrscht. Hoffentlich entpuppte sich keine Kollegin, die...

Erscheint lt. Verlag 25.1.2019
Reihe/Serie Friederike Matthée ermittelt
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 1947 • Alex Beer • Babi Yar • Babylon Berlin • Besatzungszone • Eifel-Krimi • Ermittlerduo • Hilke Lorenz • historischer Krimi • Köln • Mechtild Borrmann • Militärpolizei • Nachkriegszeit • Sabine Bode • Schuld • Vertreibung • weibliche Ermittlerin • Weibliche Kriminalpolizei
ISBN-10 3-8437-1811-3 / 3843718113
ISBN-13 978-3-8437-1811-0 / 9783843718110
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