Mephisto (eBook)
416 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-40554-7 (ISBN)
Geboren am 18.11.1906 in München als ältester Sohn Thomas und Katja Manns. Klaus Mann schrieb mit 15 Jahren erste Novellen. Es folgten die Gründung eines Theaterensembles mit Schwester Erika, Pamela Wedekind und Gustaf Gründgens, 1929 unternahm er eine Weltreise «rundherum». In der Emigration (mit den Stationen Amsterdam, Zürich, Prag, Paris, ab 1936 USA) wurde er zur zentralen Figur der internationalen antifaschistischen Publizistik. Er gab die Zeitschriften «Die Sammlung» (1933-35) und «Decision» (1941-42) heraus, kehrte als US-Korrespondent nach Deutschland zurück. 1949 beging er aus persönlichen und politischen Motiven Selbstmord, nachdem er in dem von Pessimismus erfüllten Essay Die Heimsuchung des europäischen Geistes noch einmal zur Besinnung aufgerufen hatte. Mann sagte sich früh vom Daseinsgefühl der Eltern-Generation los und stellte die Lebenskrise der «Jungen» in der stilistisch frühreifen Kindernovelle und in der Autobiographie des Sechsundzwanzigjährigen Kind dieser Zeit dar. Seine bedeutendsten Romane schrieb Mann im Exil: Symphonie Pathétique, Mephisto. Roman einer Karriere, und Der Vulkan. In der Autobiographie Der Wendepunkt gelangt Klaus Manns Diktion zu Reife und gelassener Sachlichkeit. Er sprach stellvertretend für eine Generation, die in den 20-er Jahren ihre prägenden Eindrücke empfing, mit einem engagierten Freiheitsbewusstsein zu neuen Ufern aufbrechen wollte und zwischen den Fronten einer zerrissenen Nachkriegswelt an der Machtlosigkeit des Geistes verzweifelte.
Geboren am 18.11.1906 in München als ältester Sohn Thomas und Katja Manns. Klaus Mann schrieb mit 15 Jahren erste Novellen. Es folgten die Gründung eines Theaterensembles mit Schwester Erika, Pamela Wedekind und Gustaf Gründgens, 1929 unternahm er eine Weltreise «rundherum». In der Emigration (mit den Stationen Amsterdam, Zürich, Prag, Paris, ab 1936 USA) wurde er zur zentralen Figur der internationalen antifaschistischen Publizistik. Er gab die Zeitschriften «Die Sammlung» (1933-35) und «Decision» (1941-42) heraus, kehrte als US-Korrespondent nach Deutschland zurück. 1949 beging er aus persönlichen und politischen Motiven Selbstmord, nachdem er in dem von Pessimismus erfüllten Essay Die Heimsuchung des europäischen Geistes noch einmal zur Besinnung aufgerufen hatte. Mann sagte sich früh vom Daseinsgefühl der Eltern-Generation los und stellte die Lebenskrise der «Jungen» in der stilistisch frühreifen Kindernovelle und in der Autobiographie des Sechsundzwanzigjährigen Kind dieser Zeit dar. Seine bedeutendsten Romane schrieb Mann im Exil: Symphonie Pathétique, Mephisto. Roman einer Karriere, und Der Vulkan. In der Autobiographie Der Wendepunkt gelangt Klaus Manns Diktion zu Reife und gelassener Sachlichkeit. Er sprach stellvertretend für eine Generation, die in den 20-er Jahren ihre prägenden Eindrücke empfing, mit einem engagierten Freiheitsbewusstsein zu neuen Ufern aufbrechen wollte und zwischen den Fronten einer zerrissenen Nachkriegswelt an der Machtlosigkeit des Geistes verzweifelte. Michael Töteberg, geboren 1951, leitete lange Jahre die Agentur für Medienrechte im Rowohlt Verlag und war dort verantwortlich für Literaturverfilmungen wie «Babylon Berlin» und «Tschick». Er verfasst Filmkritiken und ist Herausgeber unter anderem der Schriften von Rainer Werner Fassbinder und Tom Tykwer sowie des «Metzler Film Lexikons». Zudem ist er Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien der Roman «Falladas letzte Liebe» (2021).
I H.K.
In den letzten Jahren des Weltkrieges und in den ersten Jahren nach der Novemberrevolution hatte das literarische Theater in Deutschland eine große Konjunktur. Um diese Zeit erging es auch dem Direktor Oskar H. Kroge glänzend, den schwierigen Wirtschaftsverhältnissen zum Trotz. Er leitete eine Kammerspielbühne in Frankfurt a.M.: in dem engen, stimmungsvoll intimen Kellerraum traf sich die intellektuelle Gesellschaft der Stadt und vor allem eine angeregte, von den Ereignissen aufgewühlte, diskussions- und beifallsfreudige Jugend, wenn es die Neuinszenierung eines Stückes von Wedekind oder Strindberg gab oder eine Uraufführung von Georg Kaiser, Sternheim, Fritz von Unruh, Hasenclever oder Toller. Oskar H. Kroge, der selbst Essays und hymnische Gedichte schrieb, empfand das Theater als die moralische Anstalt: von der Schaubühne sollte eine neue Generation erzogen werden zu den Idealen, von denen man damals glaubte, daß die Stunde ihrer Erfüllung gekommen sei – zu den Idealen der Freiheit, der Gerechtigkeit, des Friedens. Oskar H. Kroge war pathetisch, zuversichtlich und naiv. Am Sonntagvormittag, vor der Aufführung eines Stückes von Tolstoi oder von Rabindranath Tagore, hielt er eine Ansprache an seine Gemeinde. Das Wort «Menschheit» kam häufig vor; den jungen Leuten, die sich im Stehparkett drängten, rief er mit bewegter Stimme zu: «Habet den Mut zu euch selbst, meine Brüder!» – und er erntete Beifallsstürme, da er mit den Schillerworten schloß: «Seid umschlungen, Millionen!»
Oskar H. Kroge war sehr beliebt und angesehen in Frankfurt a.M. und überall dort im Lande, wo man an den kühnen Experimenten eines geistigen Theaters Anteil nahm. Sein ausdrucksvolles Gesicht mit der hohen, zerfurchten Stirn, der schütteren grauen Haarmähne und den gutmütigen, gescheiten Augen hinter der Brille mit schmalem Goldrand war häufig zu sehen in den kleinen Revuen der Avantgarde; zuweilen sogar in den großen Illustrierten. Oskar H. Kroge gehörte zu den aktivsten und erfolgreichsten Vorkämpfern des dramatischen Expressionismus.
Es war ohne Frage ein Fehler von ihm gewesen – nur zu bald sollte es ihm klar werden –, sein stimmungsvolles kleines Haus in Frankfurt aufzugeben. Das Hamburger Künstlertheater, dessen Direktion man ihm im Jahre 1923 anbot, war freilich größer. Deshalb akzeptierte er. Das Hamburger Publikum aber erwies sich als längst nicht so zugänglich dem leidenschaftlichen und anspruchsvollen Experiment wie jener zugleich routinierte und enthusiastische Kreis, der den Frankfurter Kammerspielen treu gewesen war. Im Hamburger Künstlertheater mußte Kroge, außer den Dingen, die ihm am Herzen lagen, immer noch den «Raub der Sabinerinnen» und «Pension Schöller» zeigen. Darunter litt er. Jeden Freitag, wenn der Spielplan für die kommende Woche festgesetzt wurde, gab es einen kleinen Kampf mit Herrn Schmitz, dem geschäftlichen Leiter des Hauses. Schmitz wollte die Possen und Reißer angesetzt haben, weil sie Zugstücke waren; Kroge aber bestand auf dem literarischen Repertoire. Meistens mußte Schmitz, der übrigens eine herzliche Freundschaft und Bewunderung für Kroge hatte, nachgeben. Das Künstlertheater blieb literarisch – was seinen Einnahmen schädlich war.
Kroge klagte über die Indifferenz der Hamburger Jugend im besonderen und über die Ungeistigkeit einer Öffentlichkeit im allgemeinen, die sich allem Höheren entfremdet habe. «Wie schnell es gegangen ist!» stellte er mit Bitterkeit fest. «Im Jahre 1919 lief man noch zu Strindberg und Wedekind; 1926 will man nurmehr Operetten.» Oskar H. Kroge war anspruchsvoll und übrigens ohne prophetischen Geist. Hätte er sich beschwert über das Jahr 1926, wenn er sich hätte vorstellen können, wie das Jahr 1936 aussehen würde? – «Nichts Besseres zieht mehr», grollte er noch. «Sogar bei den ‹Webern› gestern ist das Haus halb leer gewesen.»
«Immerhin kommen wir doch zur Not noch auf unsere Rechnung.» Direktor Schmitz bemühte sich, den Freund zu trösten: Die Kummerfalten in Kroges gutmütigem und kindlichem altem Katergesicht taten ihm weh, wenngleich er doch selber allen Grund zur Sorge und auch schon mehrere Falten hatte in seiner feisten, rosigen Miene. «Aber wie!» Kroge wollte sich durchaus nicht trösten lassen. «Aber wie kommen wir denn auf unsere Rechnung! Berühmte Gäste aus Berlin müssen wir uns einladen – so wie heute abend –, damit die Hamburger ins Theater gehen.»
Hedda von Herzfeld – Kroges alte Mitarbeiterin und Freundin, die schon in Frankfurt Dramaturgin und Schauspielerin bei ihm gewesen war – bemerkte: «Du siehst wieder mal alles schwarz in schwarz, Oskar H.! Es ist ja schließlich keine Schande, Dora Martin gastieren zu lassen – sie ist wundervoll –, und übrigens kommen unsere Hamburger auch, wenn Höfgen spielt.» Während sie Höfgens Namen aussprach, lächelte Frau von Herzfeld klug und zärtlich. Über ihr großes, matt gepudertes Gesicht mit der fleischigen Nase, den großen, goldbraunen, wehmütig intelligenten Augen ging ein bescheidenes Aufleuchten.
Kroge sagte brummig: «Höfgen wird überzahlt.»
«Die Martin übrigens auch», fügte Schmitz hinzu. «Ihren ganzen Zauber in Ehren und zugegeben, daß sie ungeheuer zieht: aber tausend Mark Abendgage, das ist doch wohl ein bißchen toll.»
«Berliner Staransprüche», machte Hedda spöttisch. Sie hatte in Berlin nie zu tun gehabt und behauptete, den Betrieb der Hauptstadt zu verachten.
«Tausend Mark im Monat für Höfgen ist auch übertrieben», behauptete Kroge, plötzlich gereizt. «Seit wann hat er denn eigentlich tausend?» fragte er herausfordernd Schmitz. «Es sind doch immer nur achthundert gewesen, und das war reichlich genug.»
«Was soll ich machen?» Schmitz entschuldigte sich. «Er ist zu mir ins Büro gesprungen, und er hat sich mir auf den Schoß gesetzt.» Frau von Herzfeld konnte mit Belustigung feststellen, daß Schmitz etwas rot wurde, während er dies erzählte. «Er hat mich am Kinn gekitzelt und hat immer wieder gesagt: ‹Tausend Mark müssen es sein! Tausend, Direktorchen! Es ist eine so schöne runde Summe!› Was sollte ich da machen, Kroge? Sagen Sie selbst!»
Es war Höfgens schlaue Gewohnheit, wie ein nervöser kleiner Sturmwind in Schmitzens Büro zu fahren, wenn er Vorschuß oder Gagenerhöhung wollte. Zu solchen Anlässen spielte er den übermütig Launischen und Kapriziösen, und er wußte, daß der ungeschickte dicke Schmitz verloren war, wenn er ihm die Haare zauste und den Zeigefinger munter in den Bauch stieß. Da es sich um die Tausend-Mark-Gage handelte, hatte er sich ihm sogar auf den Schoß gesetzt: Schmitz gestand es unter Erröten.
«Das sind Albernheiten!» Kroge schüttelte ärgerlich das versorgte Haupt. «Überhaupt ist Höfgen ein grundalberner Mensch. Alles an ihm ist falsch, von seinem literarischen Geschmack bis zu seinem sogenannten Kommunismus. Er ist kein Künstler, sondern ein Komödiant.»
«Was hast du gegen unseren Hendrik?» Frau von Herzfeld zwang sich zu einem ironischen Ton; in Wahrheit war ihr keineswegs nach Ironie zumute, wenn sie von Höfgen sprach, für dessen geübte Reize sie nur zu empfänglich war. «Er ist unser bestes Stück. Wir können froh sein, wenn wir ihn nicht an Berlin verlieren.»
«Ich bin gar nicht so besonders stolz auf ihn», sagte Kroge. «Er ist doch nicht mehr als ein routinierter Provinzschauspieler, und das weiß er übrigens im Grunde selbst ganz genau.»
Schmitz fragte: «Wo steckt er denn heute abend?» – worauf Frau von Herzfeld leise durch die Nase lachte: «Er hat sich in seiner Garderobe hinter einem Paravent versteckt – der kleine Böck hat es mir erzählt. Er ist immer furchtbar aufgeregt und eifersüchtig, wenn Berliner Gäste da sind. So weit wie die werde er es niemals bringen, sagt er dann – und versteckt sich hinter einem Paravent, vor lauter Hysterie. Die Martin bringt ihn wohl besonders aus der Fassung, das ist so eine Art von Haßliebe bei ihm. Heute abend soll er schon einen Weinkrampf gehabt haben.»
«Da seht ihr seinen Minderwertigkeitskomplex!» rief Kroge und schaute triumphierend um sich. «Oder vielmehr: daß er im Grunde irgendwo die richtige Einschätzung hat für sich selber.» –
Die drei saßen in der Theaterkantine, die nach den Initialen des Hamburger Künstlertheaters kurz «H.K.» genannt wurde. Über den Tischen mit den fleckigen Tüchern gab es eine verstaubte Bildergalerie: die Photographien all jener, die sich im Lauf der Jahrzehnte hier produziert hatten. Frau von Herzfeld lächelte während des Gespräches manchmal hinauf zu den Naiven und Sentimentalen, den komischen Alten, Heldenvätern, jugendlichen Liebhabern, Intriganten und Salondamen, die von Schmitz und Kroge übersehen wurden.
Drunten, im Theater, spielte Dora Martin, die mit ihrer heiseren Stimme, der verführerischen Magerkeit des ephebischen Körpers und den tragisch weiten, kindlichen und unergründlichen Augen das Publikum der großen deutschen Städte verhexte, einen Reißer zu Ende. Die beiden Direktoren und Frau von Herzfeld hatten nach dem zweiten Akt ihre Loge verlassen. Die übrigen Mitglieder des Künstlertheaters waren im Saal geblieben, um der Berliner Kollegin, die sie halb bewunderten und halb haßten, bis zum Schluß zuzusehen.
«Das Ensemble, das sie sich mitgebracht hat, ist ja wirklich unter jeder Kritik», stellte Kroge verächtlich fest.
«Was wollen Sie?» meinte Schmitz. «Wie soll sie jeden Abend ihre tausend Mark verdienen, wenn sie sich auch noch teure Leute mit auf die Reise nimmt?»
«Aber sie selber wird immer besser», sagte die kluge Herzfeld....
Erscheint lt. Verlag | 16.4.2019 |
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Nachwort | Michael Töteberg |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Anti-Nazi Literatur • Autobiografisch • Bücherverbrennung • Deutsche Geschichte • Deutsche Literatur • Diktatur • Exilliteratur • Faschismus • Faustisches Thema • Gesellschaftsstudie • Gustaf Gründgens • Karriere • Klassiker • Moral • Nationalsozialismus • Opportunismus • Schlüsselroman • Schullektüre • Theater • verbotene Bücher • Verrat • Widerstand • Zeitgeschichte |
ISBN-10 | 3-644-40554-9 / 3644405549 |
ISBN-13 | 978-3-644-40554-7 / 9783644405547 |
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