Der letzte Gast (eBook)

Komödie
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
112 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-490866-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der letzte Gast -  Thomas Hürlimann
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Lange residierte die Fabrikantenfamilie Frunz, Eigentümerin einer traditionsreichen Schirmfabrik, in einer Villa an einem idyllischen See. Doch der Klimawandel lässt Regen immer seltener werden, und die Fabrik geht pleite. Auch der See ist gekippt, die Fische sind tot. Aber ist das ein Grund, den Sportfischerverein aufzugeben? Gewöhnt man sich nicht an alles? Kann nicht vielleicht der weltberühmte, aber etwas abgetakelte Schauspieler Oskar Werner, der gerade zufällig durch die Provinz tingelt, etwas Phantasie ins Leben bringen?

Thomas Hürlimann wurde 1950 in Zug, Schweiz, geboren. Er besuchte das Gymnasium an der Stiftsschule Einsiedeln, studierte Philosophie in Zürich und an der FU Berlin und lebt heute wieder in seiner Heimat. Neben zahlreichen Theaterstücken schrieb Hürlimann die Romane »Heimkehr«, »Vierzig Rosen« und »Der große Kater« (verfilmt mit Bruno Ganz), die Novellen »Fräulein Stark« und »Das Gartenhaus« sowie den Erzählungsband »Die Tessinerin«. Für sein dramatisches, erzählerisches und essayistisches Werk erhielt er unter anderem den Joseph-Breitbach-, den Thomas-Mann- sowie den Hugo-Ball-Preis. 2019 wurde er mit dem Gottfried-Keller-Preis ausgezeichnet. Hürlimann ist korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Akademie der Künste, Berlin. Seine Werke wurden in 21 Sprachen übersetzt. Im Sommer 2022 erschien bei S. FISCHER sein Roman »Der Rote Diamant«, der für den Schweizer Buchpreis 2022 nominiert ist.

Thomas Hürlimann wurde 1950 in Zug, Schweiz, geboren. Er besuchte das Gymnasium an der Stiftsschule Einsiedeln, studierte Philosophie in Zürich und an der FU Berlin und lebt heute wieder in seiner Heimat. Neben zahlreichen Theaterstücken schrieb Hürlimann die Romane »Heimkehr«, »Vierzig Rosen« und »Der große Kater« (verfilmt mit Bruno Ganz), die Novellen »Fräulein Stark« und »Das Gartenhaus« sowie den Erzählungsband »Die Tessinerin«. Für sein dramatisches, erzählerisches und essayistisches Werk erhielt er unter anderem den Joseph-Breitbach-, den Thomas-Mann- sowie den Hugo-Ball-Preis. 2019 wurde er mit dem Gottfried-Keller-Preis ausgezeichnet. Hürlimann ist korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Akademie der Künste, Berlin. Seine Werke wurden in 21 Sprachen übersetzt. Im Sommer 2022 erschien bei S. FISCHER sein Roman »Der Rote Diamant«, der für den Schweizer Buchpreis 2022 nominiert ist.

Zweiter Akt


Bahnhofbüffet Buchs.

Nacht.

MILLY,

die Serviertochter, sitzt auf einem Barhocker vor dem Geldspielautomaten und spielt.

DER ALTE und DER JUNGE EISENBAHNER

Starren auf die rotierenden Scheiben des Automaten,

EIN GAST

.

Draußen meldet der Lautsprecher die Abfahrt des Regionalzuges nach St. Margrethen. Der Zug fährt aus.

GAST

Partir, c’est mourir un peu.

MILLY

Mourir, c’est partir tout-à-fait.

ALTER EISENBAHNER

Daß die Menschheit immer reisen muß.

JUNGER EISENBAHNER

Davon leben wir.

ALTER EISENBAHNER

Ich bin nie verreist.

GAST

Noch ein Bier!

MILLY

Feierabend.

DER GAST

ab.

JUNGER EISENBAHNER

Im Sliwowitz-Expreß haben sie den Kondukteur verprügelt.

MILLY

Schlimm?

JUNGER EISENBAHNER

Kurz nach Sargans.

ALTER EISENBAHNER

Rückwanderer, alle besoffen. Wäre ICH die Generaldirektion, mein lieber Schwan! Zum JUNGEN EISENBAHNER. Wo bleibt eigentlich der Zerzuben?

JUNGER EISENBAHNER

Er muß uns noch den Schlußkübel bringen vom Bummler.

MILLY

Hä?

JUNGER EISENBAHNER

Die Schlußlaterne!

MILLY

In zwei Minuten seid ihr draußen.

MILLY

geht in einen angrenzenden Billardsaal, löscht dort die Lichter.

JUNGER EISENBAHNER

legt Geld auf den Tisch. Milly? Habs hingelegt. Nacht!

MILLY

ruft. Gutnacht!

JUNGER EISENBAHNER

ab. Der ALTE EISENBAHNER ist jetzt allein, trinkt sein Glas leer. Das Telephon klingelt. MILLY geht in die Kabine, ab.

Vor vielen Jahren, es begann schon zu herbsten, saß ich im Bahnhofbüffet Buchs. Buchs ist ein Grenzbahnhof. Die Stühle standen bereits auf den Tischen. Da öffnete sich die Tür, und es erschien in einem schwarzen Pelzmantel ein Herr. »Wissen Sie, wer das ist?« fragte mich die Serviertochter. Ich nickte. »Dann können Sie bleiben«, sagte sie. Oskar Werner trank eine Flasche Fernet. Die Serviertochter saß vor einer kaputten Musicbox und brachte mir von Zeit zu Zeit ein Bier. Ich sah zu, wie Oskar Werner trank. Er sagte einen einzigen Satz: »Morgen nehme ich den Nachtzug nach Wien.« Als die Flasche leer war, sank sein Kopf auf den Tisch.

MILLY

kommt vom Telephon.

ALTER EISENBAHNER

Dein Bernie?

MILLY

Der Chef. Trink aus, ich soll zumachen.

Sie stellt die Stühle auf die Tische.

DR. PÜTZ, FREDI FRUNZ und KUNO KNILL

platzen herein. Alle mit riesigen Angelruten, Klappstühlen, Eimern et cetera. Sie tragen ihre Sportfischermützen.

DR. PÜTZ

Ein letztes Glas, Freunde!

KNILL

Ein allerletztes!

DR. PÜTZ

Der Fisch muß schwimmen. War übrigens exzellent.

FRUNZ

geht zur Toilette, ab.

KNILL

He, Frunz, kotzen kannst du auch im Zug.

ALTER EISENBAHNER

Was haben Sie gesagt, Monsieur?

KNILL

Als wir gefischt haben, und zwar im schönen Rheine, hat er sich unter seinen Schirm gehockt. Im Forellenhof hat er nur ein Glas Milch getrunken, in der Neptun-Bar rein gar nichts, und was ist die Folge, mein Täubchen?

MILLY

Hier ist zu.

KNILL

Ihm ist übel.

DR. PÜTZ

Zum letzten Mal, Knill: Ich kandidiere nicht. Schönes Kind, drei Bier, drei Doppelte.

MILLY

Finito.

KNILL

Ja, ja, kaum verlobt –

DR. PÜTZ

Laß bitte meine Verlobte aus dem Spiel. Obmann einer Sportfischervereinigung ohne Fische – mein lieber Kamerad und Kantonalmeister: das ist wie ein Fußballspiel ohne Ball, von Beinamputierten gespielt.

KNILL

Pütz. Lieber. Bester Kamerad und Aktuar. Die Angel ist das einzige, was mich noch am Leben hält. Ich brauche einen Obmann!

DR. PÜTZ

Wie wärs mit dir?

KNILL

Obmann? ich? Das steh ich nervlich nicht durch. Stell dir vor, ich müßte eine Trauerrede halten!

DR. PÜTZ

Also.

KNILL

Also was?

DR. PÜTZ

Schon in der Neptun-Bar, du Genie, hab ich dir händeringend und augenrollend zu suggerieren versucht, daß uns nur eine Lösung bleibt.

Die Toilettenspülung röhrt.

KNILL

Nein. Nein, das geht nicht. Auch nicht als Not- oder Endlösung. Fredi Frunz ist der dümmste von allen, und zwar mit Abstand.

DR. PÜTZ

Eben deshalb.

FREDI FRUNZ

kommt zurück.

DR. PÜTZ

Fräulein, drei Blonde, drei Doppelte.

MILLY

Daß die schönen Männer immer so blöd sind. Ich habe Finito gesagt!

FRUNZ

steckt ihr eine Note in den Ausschnitt. MILLY gibt sie ihm zurück.

MILLY

Die Hähne sind schon abgeschraubt.

FRUNZ

Richtig, Fräulein. Die kleinen Fische wirft man ins Wasser zurück.

Er verdoppelt die Summe.

Für die Herren einen Schnaps, für mich ein Glas Milch.

MILLY

Milch?

DR. PÜTZ

Siehst, wie er das macht, der Frunz? Immer Hecht im Karpfenteich, Forelle unter Stichlingen.

FRUNZ

Gasterosteus aculeatus.

KNILL

Donnerwetter!

FRUNZ

Der dreistachlige Stichling. Hecht: Esox lucius. Stör: Acipenser sturio. Äsche: Thymallus thymallus, bis 50 Zentimeter.

DR. PÜTZ

Hab ichs nicht gesagt, Knill? Der geborene Obmann!

FRUNZ

Kameraden. Heute stand ich mit euch am Rhein. Er floß durch das Tal, floß dem Bodensee zu, dann der Rheinfall …

MILLY

serviert zwei Schnäpse und ein Glas Milch.

FRUNZ

Danke, schönes Kind. Warum bin ich nicht, wie in früher Jugendzeit entworfen, dem Lauf von Vater Rhein gefolgt und Seemann geworden?

KNILL

Seemann?

DR. PÜTZ

Seemann. Erheben wir uns zu einem Ehren-Zigi!

Alle drei stehen auf, drehen den Mützenschirm in den Nacken.

DR. PÜTZ

Die Gläser:

FRUNZ / KNILL

Steil!

DR. PÜTZ

Petri:

DIE SPORTFISCHER

Heil! heil! heil!

Sie trinken ex.

FRUNZ

Petri dank. Kameraden. Euer Ansinnen ehrt mich. Hätte, per saldo aller Ansprüche, das Zeug dazu; mit dem Seemann wars nicht anders. Er blieb ein Traum. Ich meinerseits, und damit will ich geschlossen haben, gebe dir, Pütz, die Stimme. Sei unser Obmann, ich danke.

DR. PÜTZ

Dein letztes Wort?

FRUNZ

In dieser Sache: mein letztes.

FREDI FRUNZ

auf die Toilette, ab.

DR. PÜTZ

Kamerad, wir haben aufgehört zu existieren.

KNILL

Das macht mich traurig, Pütz. Das macht mich sehr, sehr traurig.

MILLY

streut Sägemehl aus, wischt den Boden.

KNILL

Eine schöne Hinterbacke haben Sie.

MILLY

Ich hab zwei.

KNILL

Meine Sophie hat auch zwei gehabt. Hier ist ihr Totenbild. Zart und weich.

MILLY

Wie traurig. Das ist eine Kreditkarte.

KNILL

Tatsächlich. Das ist der Gram. Er macht mich ganz verwirrt.

Er betrachtet ihre Strümpfe.

Auch das noch.

MILLY

Hä?

KNILL

Trauerschwarze Nylons. Es übermannt mich.

MILLY

Raus jetzt.

KNILL

Und mein Bier? Sie, meine Seele ist eine einzige Wunde.

MILLY

Sauf deinen Schnaps und verpiß dich.

KNILL

Soviel wie ich herausweine, kann man gar nicht in sich hineintrinken. Vor einundzwanzig Jahren hab ich meine Frau verloren, vor einem Monat meinen Obmann, und heute haben wir im Rhein gefischt. Im Rhein! Herrschaften, das ist keine Forelle, das ist eine Zumutung.

MILLY

Bei uns wird sowas serviert.

ALTER EISENBAHNER

Säße ICH am Billettschalter, mein lieber Schwan, ich würde denen das Zugfahren schon vermiesen. Verwandtenbesuch; eine Taufe; Beerdigung der nächsten Angehörigen: gut, akzeptiert. Aber Forellen – nie. Da haben sie vermutlich einen schönen, kleinen See vor der Nase, aber nein, man steigt in den Zug, wetzt die Polster ab, verstopft die Aschenbecher und verkratzt mit den Angelruten unsere Waggondecken.

KNILL

setzt sich zum ALTEN EISENBAHNER. Wie heißt der flotte Käfer?

ALTER EISENBAHNER

Milly.

KNILL

Petri dank! Ich bebe nämlich.

ALTER EISENBAHNER

Bebe?

KNILL

Ja, bebe. Vor Traurigkeit!

DR. PÜTZ

am Fahrplan. Knill, der letzte ist...

Erscheint lt. Verlag 6.1.2019
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Drama • Gesellschaft • Gesellschaftskritik • Komödie • Oskar Werner • Provinz • Schweiz • Theater • Theaterstück • Thomas Hürlimann
ISBN-10 3-10-490866-4 / 3104908664
ISBN-13 978-3-10-490866-3 / 9783104908663
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