Kein Wunder (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
352 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31950-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kein Wunder -  Frank Goosen
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Bochum, Berlin und der letzte Sommer vor der Wende. Berlin, 1989. Fränge ist Anfang 20 und genießt das Leben in vollen Zügen. Freundinnen hat er gleich zwei: Marta im Westen und Rosa im Osten - die natürlich nichts voneinander wissen. Als Förster und Brocki aus Bochum zu Besuch kommen, macht das die Sache nicht einfacher, denn Rosa bringt auch bei Förster so einiges in Unordnung. Die drei Freunde aus dem Ruhrgebiet erleben zwei Biotope in ihren letzten Monaten: die Subkultur Westberlins und die Dissidentenszene im Osten - junge Leuten wie sie, die gerade ihren ganz eigenen Aufbruch organisieren. Aber auch zu Hause im Ruhrgebiet ist nichts mehr wie es mal war. Film, Musik, Klubs und Kneipen - alles jung und in Bewegung. Frank Goosens Roman ist eine wunderbare Komödie über eine Zeit gelungen, in der es mehr Deutschlands gab, als man brauchte. Und über einen selbst ernannten »Weltenwanderer der Liebe« im geteilten Berlin - der aus guten Gründen nicht gerade scharf ist auf eine Veränderung der politischen Verhältnisse.

Frank Goosen hat neben seinen erfolgreichen Büchern, darunter »Raketenmänner«, »Sommerfest« und »Liegen lernen«, zahlreiche Kurzgeschichten und Kolumnen in überregionalen Publikationen und diversen Anthologien veröffentlicht. Darüber hinaus verarbeitet er seine Texte teilweise zu Soloprogrammen, mit denen er deutschlandweit unterwegs ist. Einige seiner Bücher wurden dramatisiert oder verfilmt. Frank Goosen lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Bochum. Zuletzt erschien sein Band über »The Beatles« in der KiWi-Musikbibliothek (2020).

Frank Goosen hat neben seinen erfolgreichen Büchern, darunter »Raketenmänner«, »Sommerfest« und »Liegen lernen«, zahlreiche Kurzgeschichten und Kolumnen in überregionalen Publikationen und diversen Anthologien veröffentlicht. Darüber hinaus verarbeitet er seine Texte teilweise zu Soloprogrammen, mit denen er deutschlandweit unterwegs ist. Einige seiner Bücher wurden dramatisiert oder verfilmt. Frank Goosen lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Bochum. Zuletzt erschien sein Band über »The Beatles« in der KiWi-Musikbibliothek (2020).

Erster Teil: Ich kann meilenweit sehen


1 Zeche


Eigentlich hatte Förster an jenem Maiabend Ende der Achtzigerjahre schon zu Hause gedacht, dass es Blödsinn sei, noch rauszugehen, aber dann war er wegen der bevorstehenden Reise nervös geworden, hatte sich geradezu fiebrig gefühlt und sich auf den Weg in die Zeche gemacht. Er hatte keine Ahnung, was da an diesem Abend los war, aber das war ihm auch egal, es ging ja vor allem darum, dieses Reisefieber durch ein Beruhigungsbier in den Griff zu bekommen. Allein losziehen war natürlich tendenziell deprimierend, aber in der Zeche traf man eigentlich immer irgendwen, den man kannte.

Förster verließ das Haus und wandte sich nach rechts, Richtung Schauspielhaus, zur Bushaltestelle. Die Straße musste unbedingt mal gemacht werden, da regten sich die Anwohner schon lange drüber auf. In der Mitte verliefen noch die alten Straßenbahnschienen, die aber nicht mehr genutzt wurden, weil es jetzt eine U-Bahn gab. Schlaglöcher waren seit Jahren nur notdürftig geflickt worden, und so wirkten auch die Häuser mit ihren grau-braunen Fassaden.

Er überquerte den Platz vor dem hell erleuchteten Schauspielhaus. So hässlich, wie die Straße war, in der er wohnte, so schön fand er dieses Theater. Die Backsteinoptik, die schmalen, hohen Säulen, die das Vordach abstützten, das Messing an den Glastüren, die Schaukästen mit den Fotos der laufenden Inszenierungen rechts und links der Eingänge. Über den Eingängen hingen große, quadratische Transparente mit den Titeln der Stücke, die gerade gespielt wurden. Im Großen Haus lief Pirandellos Die Riesen vom Berge und in den Kammerspielen ein Tanztheaterstück von Reinhild Hoffmann. Unter den Titeln das aktuelle Logo des Schauspielhauses, ein durchgestrichenes Atomkraftwerk.

Der Bus hielt vor der Sparkasse. Sieben Haltestellen waren es bis zur Zeche. Sieben Haltestellen, an denen man ablesen konnte, dass man von einem Teil der Stadt in einen völlig anderen wechselte. Die ersten hießen ganz idyllisch Christstraße, Farnstraße, Rechener Park, aber dann folgten Werk Eickhoff, Knappschaft und schließlich Knappenstraße, direkt an der Zeche. Eine vorher noch die Berneckerstraße, aber Förster wusste nicht, nach wem die benannt war. Der größte Teil der Fahrt fand unter Bäumen statt, denn die Königsallee hatte ihren Namen nicht von ungefähr.

Vor der Zeche (ebenfalls Backstein, flach, Lüftungsrohr außen dran und auf dem Dach der gelbe Schriftzug, dessen Buchstaben rot eingefasst waren, das Ganze auf schwarzem Untergrund) standen Leute und rauchten und tranken Bier.

In der Halle war ein Konzert, irgendeine lokale Band, von der Förster noch nie gehört hatte, also ging er in die Kneipe, die zu dem Komplex gehörte. Die Raumaufteilung hier drin hatte ihm schon immer gefallen. Rechts ging es zwei Stufen zu einem Podest hoch, auf dem Tische und Stühle standen, geradeaus führte eine Treppe nach oben auf eine zweite, offene Ebene, auf der das Restaurant war. Links vom Eingang, unter der offenen Restaurantebene war der Tresen, fünfeckig, darüber eine umlaufende, nur halb durchsichtige Konstruktion aus geriffeltem Glas. Dahinter standen Gläser auf einem Brett. Der Tresen war mit einem gezackten Motiv verziert, das wahlweise an Berggipfel erinnerte oder an gar nichts. Förster bevorzugte die zweite Variante.

Viele der Leute hier kannte er vom Sehen, aber niemanden so gut, dass er ihn oder sie hätte ansprechen können. Da war die Blonde mit den strubbeligen Haaren und den schönen blauen Augen. Neben ihr, aber von ihr komplett ignoriert, der Typ mit den schulterlangen, immer verschwitzten Haaren und dem Schnauzbart, dem weißen Hemd mit dem viel zu großen Kragen und der braunen Lederjacke. Oder die mit den Anne-Clark-Haaren und den großen Ohrringen. Oder die mit dem strengen Blick, der Fransenjacke und dem Humphrey-Bogart-Hut. Förster fragte sich, ob die ihn auch vom Sehen kannten, ob er vielleicht der mit dem Sakko war oder der mit dem schwarzen T-Shirt, aber solche Gedanken führten ja zu nichts, wenn man nicht den Mut hatte, die Leute, also die Frauen, hier anzusprechen, also nahm er die Treppe nach oben, wo einige Leute vor Pizzas und gefüllten Fladenbroten saßen. Besonders begehrt waren die Plätze direkt am Geländer, weil man von dort auf die Leute auf der Kneipenebene runtergucken konnte, und so was mögen die Menschen ja, dachte Förster jetzt, von oben runtergucken, nur wieso, da hatte er keinen Schimmer. An langen Kabeln hingen schlichte Lampen über den Tischen da unten.

Hier oben gab es noch einen weiteren Raum, über dem mit einem blauen geschwungenen Neon-Schriftzug Café zu lesen war. An der Stirnseite ein kleiner, blau gestrichener Tresen, auch die Stühle waren blau. An einem der Tische saß Beate, die mal mit Fränge zusammen gewesen war, mit der Förster aber nie so richtig klargekommen war, obwohl er nicht sagen konnte, woran das gelegen hatte. Im laufenden Semester war sie in der Praktischen Stilübung Kurzprosa aufgetaucht, diesem Schreibseminar, das der Schriftsteller und Puppenspieler Gerhard Mensching bei den Germanisten anbot. Einen Leistungsschein konnte man da nicht machen, nur einen Teilnahme- oder Sitzschein, aber die meisten, die da hinkamen, wollten sowieso eher schreiben, den anderen vorlesen und dann darüber reden beziehungsweise dafür gelobt werden, was aber durchaus nicht immer passierte. Beate hatte nichts geschrieben, nichts vorgelesen, und Förster hatte sich mehrfach gefragt, wieso sie da immer wieder hinkam.

Er wollte schon wieder gehen, da bemerkte sie ihn und winkte ihn zu sich. Sie saß mit ein paar Leuten zusammen, die er nicht kannte. Alle tranken Wein, bis auf Beate, die hatte ein Bier vor sich stehen, und das nahm Förster dann doch für sie ein, denn die Zeche war für ihn kein Ort, an dem man Wein trank, das war ganz klar ein Bier-Ort, Rockmusik und Disco, das waren für Förster Bier-Themen, und die Frage war, ob man Leuten, die hier Wein tranken, überhaupt trauen konnte.

»Hallo, Förster! So allein hier?«

Beate hatte die Haare noch kürzer und stacheliger als früher ohnehin schon. Sie trug einen roten Overall mit einem weißen lackledernen Gürtel, darüber eine olivfarbene Armeejacke, die Ärmel hochgeschoben.

»Wieso nicht«, antwortete Förster, »ist doch die Zeche, da trifft man immer jemanden.«

»Hat funktioniert«, bestätigte Beate und stellte ihn der Runde vor: »Das ist Förster, ein Freund von Fränge.«

Die anderen sahen ihn völlig teilnahmslos an, und Förster fragte sich, ob das mit der Nennung von Fränges Namen zusammenhing, oder ob die ganz allgemein so drauf waren, teilnahmslos und leer, Medizinstudenten vielleicht oder Wiwis oder Juristen, manche Klischees stimmen einfach, dachte Förster, aber dann dachte er, dass Beate meistens mit Künstlern, Schriftstellern und Schauspielern zusammen war, sie hatte schon am Schauspielhaus Regiehospitanz gemacht, sollte demnächst, wenn er sich richtig erinnerte, zur Assistentin aufsteigen, wollte aber eigentlich Filme machen. Das hatte sie schon damals, als sie noch mit Fränge zusammen gewesen war, immer wieder betont, Film, das sei ihr Ding, da könne sie keiner von abhalten. Fränge und sie waren ein gutes Paar gewesen, beide auf eine kernige, kantige Art gut aussehend, beide ein bisschen durchgeknallt, trink- und feierfreudig, aber dann war Fränge nach Berlin gegangen, und die beiden hatten sich getrennt. Dass Fränge ständig was mit anderen Frauen gehabt hatte, war auch nicht unwichtig gewesen.

»Fränge?«, sagte einer mit langen Haaren und einer hellbraunen Wildlederjacke, die er entweder von seinem Großvater oder aus dem Secondhandshop an der Brückstraße hatte. »War das nicht dieser Typ, der dich ständig betrogen hat? So ein ganz mieser Macho und Chauvi?«

»Ja«, sagte Beate, »aber er hatte auch schlechte Eigenschaften.«

»Auf jeden Fall hat er einen besseren Klamottengeschmack als du«, sagte Förster, der sich eigentlich nicht gerne stritt, jetzt aber bereit war, für diese Witzfigur eine Ausnahme zu machen.

Bevor die Witzfigur etwas auf Försters Bemerkung erwidern konnte, wies ihn eine Frau mit einer blonden Kurzhaarfrisur zurecht: »Komm mal runter, Stevie! Wenn ein Typ einen anderen als Chauvi und Macho bezeichnet, ist das doch nur Anschleimerei.«

Stevie, dachte Förster, wahrscheinlich heißt der Stefan.

»Wie geht es Fränge?«, fragte Beate, und das fand Förster irgendwie gut, denn sie hätte ja auch das Thema wechseln können oder diesem Stevie recht geben, aber sie schien sich wirklich dafür zu interessieren, was Fränge derzeit trieb.

»Ist noch in Berlin«, sagte Förster. »Ich fahre morgen für ein paar Tage hin.«

»Grüß ihn von mir.«

»An wen will ich mich denn anschleimen?«, wollte Stevie jetzt wissen, und Förster fragte sich, wieso die beiden anderen nichts sagten, also der Dicke in der Motorradlederjacke und die Lange mit dem Seitenscheitel, obwohl das Ganze ziemlich unübersichtlich geworden wäre, wenn die auch noch ihren Senf dazugegeben hätten.

»Du schleimst dich an uns Frauen ran«, sagte die mit der Kurzhaarfrisur, was, wie Förster fand, keiner Erklärung bedurft hätte, denn das war offensichtlich gewesen, und weil Stevie darauf nichts erwidern konnte, holte er eine Packung Tabak aus seiner Lederjacke und fing an, sich eine Zigarette zu drehen, die Packung mit dem Unterarm an den Körper geklemmt und so ostentativ in den Drehprozess versunken, wie es Förster bei Selbstdrehern schon immer auf die...

Erscheint lt. Verlag 14.2.2019
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 80er Jahre • Berlin • DDR • Förster • Förster, mein Förster • Humor • Männer-Freundschaft • Mauerfall • mein Förster • Musik • Ruhrgebiet • Wende
ISBN-10 3-462-31950-7 / 3462319507
ISBN-13 978-3-462-31950-7 / 9783462319507
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