Zwischen Teddybär und Superman (eBook)
176 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61018-1 (ISBN)
Lu Decurtins, Dipl.-Sozialpäd., Zürich?/??Schweiz, seit vielen Jahren in der Jungen- und Männerarbeit tätig und Vater von zwei Söhnen und einer Tochter.
Lu Decurtins, Dipl.-Sozialpäd., Zürich / Schweiz, seit vielen Jahren in der Jungen- und Männerarbeit tätig und Vater von zwei Söhnen und einer Tochter.
Impressum 4
Inhalt 5
Einleitung 8
Jungen – wie sie sind und was sie prägt 11
1 „Papa ist der Größte!“ – die Rolle der Eltern in der Sozialisation 12
2 Wie ein Junge ein Mann wird – von Biologie und Sozialisation 26
3 Mütter und andere Frauen – die Rolle der Frauen in der Entwicklung der Jungen 37
4 Die Bedeutung der Männer für die Entwicklung von Jungen 44
5 „Hast du eigene Kinder?“ – Ein Stiefvater antwortet 51
Die Wahrnehmungs- und Gefühlswelt von Jungen 53
6 Versteckte Tränen – Einblicke in die Gefühlswelt der Jungen 54
7 Den Panzer ablegen – Jungen und ihre Körpergrenzen 63
8 ADHS – eine Frage der Perspektive 70
Jungen in ihren Alltagsbezügen 79
9 Jungen in der Schule 80
10 Aufwachsen in einer multikulturellen Welt – Jungen im Umgang mit dem Fremden 87
Gewalt – Jungen als Täter und / oder Opfer 91
11 Lieber gewalttätig als feige? – Jungen und Gewalt 92
12 Ein Indianer kennt keinen Schmerz? – Wenn Jungen Opfer sexueller Gewalt werden 99
13 Der Vogel, der nachts fliegen lernte – oder die Kunst, unsichere Jungen zu stärken 106
Wenn Jungen geschlechtsreifwerden 113
14 Wenn Jungen geschlechtsreif werden 114
15 Sexualerziehung von Jungen – wie Mütter und Väter mit der Sexualität ihrer Kinder ermutigend umgehen können 123
16 „Der Junge ist schwul!“ – „Na und?“ – Wenn Eltern entdecken, dass ihr Sohn das gleiche Geschlecht begehrt 131
Rausch und Risiko – Sucht und Sehnsucht von Jungen 139
17 Gut unterwegs im Cyberspace 140
18 Mit Jungen über Genuss- und Suchtmittel reden 147
19 No risk – no fun!? – Rasen und anderes Risikoverhalten von Jungen 150
Jungen auf dem Weg zum Mannsein 157
20 Auf der Suche nach dem „Kick“ und männlicher Initiation – Übergangsrituale auf dem Weg zum Mannwerden 158
21 Ablösung – und was jetzt? – Eltern im Spagat zwischen Loslassen und Halten 163
Literatur 166
Literaturtipps 170
Autorinnen und Autoren 174
Sachregister 176
2 Wie ein Junge ein Mann wird – von Biologie und Sozialisation
Von Lu Decurtins
„Mädchen oder Junge?“ Das ist die erste Frage nach der Geburt eines Kindes.
In unserer Gesellschaft ist das Geschlecht die prägnanteste Kategorie nach der wir Menschen klassieren. Unwillkürlich ordnen wir dem Gegenüber ein Geschlecht zu, z.B. wenn wir mit dem Zug reisen. Falls uns dies einmal nicht gelingt, reagieren wir irritiert, und die Frage lässt uns während der ganzen Fahrt keine Ruhe, obwohl sie eigentlich völlig nebensächlich ist.
Große Erwartungen – wie sie die Geschlechter prägen
So wie wir jedem Menschen ein Geschlecht zuweisen, stellen wir uns bei der Geburt eines Jungen auf ein Jungenschicksal ein – anders, als wenn wir ein Mädchen erwarten. Die Vorstellungen, Wünsche, Ängste, die wir dabei haben, spielen im künftigen Männerleben des Jungen genauso eine Rolle wie das Männerbild der Mutter oder der Bezug des Vaters zur eigenen Männlichkeit. All diese Faktoren wirken auf ein Kind ab dem Zeitpunkt, wo das Geschlecht bekannt ist, und prägen es in seiner Entwicklung. Spätestens nach der Geburt wird es dann konkret mit der Geschlechtersozialisation. Zahlreiche Studien belegen, wie die Bezugspersonen, ohne es zu merken, anders auf Mädchen reagieren als auf Jungen.
90% der Nervenzellen im Babyhirn entwickeln sich erst in den ersten Lebensjahren – je nach Anregung mehr oder weniger. Kinder lernen also die Geschlechterrolle. Eltern und Umfeld sind dabei die Akteure. Die New Yorker Professorin und Buchautorin Rebecca M. Jordan-Young erklärt in ihrem Buch „Brain Storm“ (2010), dass unsere Körper und speziell unser Gehirn durch unsere Kultur geformt werden. Sie führt ferner aus, dass die Verbindungen der Gehirnzellen im Wesentlichen im Laufe des Lebens durch Erfahrung geformt werden.
Beim sogenannten Sozialisationsprozess wird beim einen Geschlecht ein Verhalten positiv bestätigt und somit gestärkt. Durch Bestätigung wächst die Motivation bei dieser Tätigkeit zu bleiben, das Hirn wird entsprechend trainiert, während das andere Geschlecht, das keine Bestätigung bekommt, schnell aufgibt und die Trainingsmöglichkeit nicht nutzt. Auf diese Weise prägt die Geschlechterrolle die Handlungen von Kindern, und sie lernen eine Rolle zu spielen, die sie das Leben lang begleitet – das soziale Geschlecht: Gender. Auf Englisch lässt sich das soziale, kulturell geprägte Geschlecht (gender) unabhängig vom biologischen Geschlecht (sex) benennen. Sogar Donald W. Pfaff, der Leiter des Instituts für Neurobiologie der Rockefeller University in New York, bestätigt in seinem Buch „Man and Woman“ (2011), dass der soziale Kontext eine viel größere Rolle spielt als die Hormone. Je nach Charakter bedeutet die Anpassung an das kulturell geprägte Rollenbild für die einen eine große Anstrengung, für die anderen ist es eine willkommene Bestätigung ihrer selbst.
Als Erstes richten wir den Blick aus verschiedenen Perspektiven auf die Jungen. Wie sehen Eltern die Jungen? Wie nehmen Jungen ihre Rolle wahr? Wie sieht die Lebenswelt der Jungen aus? Und wie erklärt die Forschung das Verhalten der Jungen?
Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen – wie Eltern sie wahrnehmen
Unabhängig davon, woher es rühren mag – geschlechtstypisches Verhalten lässt sich überall beobachten, wo Kinder in Gruppen spielen. Bereits auf den ersten Blick lassen sich unschwer Unterschiede zwischen dem Verhalten von Mädchen und Jungen feststellen. Wenn Eltern nach solch typischen Verhaltensweisen von Jungen gefragt werden, wird oft einheitlich erklärt, dass Jungen frech, erfinderisch, laut und wild sind, während Mädchen eher fürsorglich und hilfsbereit sind und Konflikte nicht offen austragen.
Bei Kleinkindern nehmen Eltern schon bald geschlechtstypische Spielinteressen wahr. So ist bei Jungen im Alter von ca. zwei Jahren ein hohes Interesse an großen Spielfahrzeugen und an Baumaterialien zu erkennen, während sich Mädchen häufiger mit Puppen und Stofftieren beschäftigen. Toben und Raufen, expansive, laute und grobmotorische Spiele mit Wettkampfcharakter, riskante Spiele und Durchsetzungsverhalten werden als typisch für Jungen eingeordnet. Spiele mit hohen fürsorglichen und pflegerischen Anteilen, Rollenspiele und kooperative Spielformen gelten als typisch für Mädchen.
Bei Mädchen werden eher feinmotorische Fertigkeiten sowie verbale Kompetenzen beobachtet – bei den Jungen nimmt man Vorteile im räumlich-visuellen Vorstellungsvermögen und im quantitativ-mathematischen sowie im analytischen Denken wahr. Auch im Sozialverhalten stellen Eltern Unterschiede fest: Bei den Jungen ist Wettbewerb und Konkurrenz sowie die Position in der Gruppe wichtig, während bei Mädchen häufiger soziales Verhalten, die Zweierbeziehung zur „besten Freundin“, aber auch ein Hang zum Ränkeschmieden beobachtet wird. Jungen sind eher gewohnt, miteinander Sport zu treiben bzw. irgendwie etwas zusammen zu unternehmen. Mädchen dagegen tauschen sich weit mehr über persönliche und emotionsbesetzte Themen aus.
Ein weiterer Unterschied betrifft das Selbstvertrauen. Jungen trauen sich schwierige Aufgaben zu und nehmen diese in Angriff, auch wenn kaum realistische Chancen zu ihrer Bewältigung bestehen. Jungen neigen daher oft zur Selbstüberschätzung. Mädchen dagegen tendieren eher dazu, ihr Können realistisch einzuschätzen, oder sie halten sich sogar bescheiden zurück, wenn es darum geht, eine herausfordernde Aufgabe anzunehmen.
Die von Eltern wahrgenommenen Unterschiede im Verhalten von Jungen und Mädchen passen perfekt in unser gesellschaftliches Rollenbild. Dieses Rollenbild ist Allgemeingut. Auch die Jungen wissen, was von ihnen erwartet wird und versuchen, den Erwartungen auch möglichst gut zu entsprechen.
Wie Jungen ihre Rolle sehen
Unbewusst tragen alle Kinder eine Vorstellung in sich von der Rolle, die sie als Mädchen oder Junge zu spielen haben. Um das spezifische Rollenbild von Jungen kennenzulernen, führe ich gerne folgendes Experiment durch (Experimente finden Jungen spannender als Übungen): Ich frage eine Jungengruppe, was sie einem Wesen vom Mars raten würden, wie er sich auf der Erde Verhalten müsse, um hier als Junge wahrgenommen zu werden. Die häufigsten Antworten sind: cool, mutig, frech, stark, er sollte Fußball spielen etc. Es herrscht innerhalb der Gruppe jeweils eine große Einigkeit. Für den Zuhörer zeigt sich also ein äußerst klares und abgegrenztes Rollenbild. Dieses von Jungen selbst gezeichnete Bild kann uns helfen, ihre Lebenswelt zu verstehen. Jungen lernen nämlich sehr schnell, was sie tun müssen, um als „richtiger Junge“ akzeptiert zu werden. Als „richtiger Junge“ wahrgenommen zu werden, ist für Jungen von zentraler Bedeutung. Entsprechend sind die meisten Jungen bereit, große Anpassungsleistungen zu erbringen, um dazuzugehören. Denn Jungen mit abweichenden Verhaltensweisen werden in der Gleichaltrigengruppe oftmals als „schwul“ oder „weibisch“ abgewertet. Damit wird diesen Jungen die Zugehörigkeit zur Geschlechtergruppe abgesprochen. Nur wenige Jungen schaffen es, sich von den vom Rollenbild an sie gestellten Forderungen zu emanzipieren und geschlechtsuntypische Verhaltensweisen zu zeigen. Dies können zum einen diejenigen, die aufgrund anderer Merkmale so eindeutig dem Rollenbild entsprechen (z.B. wenn sie kräftig sind und gut Fußball spielen), dass sie nicht infrage gestellt werden, auch wenn sie sich ein paar „Abweichungen“ leisten. Zum anderen tun das aber auch diejenigen, die sich nicht in die Jungengruppe integrieren können oder wollen. Sie genießen eine Art „Narrenfreiheit“ im Geschlechterrollentheater.
Lebenswelten von Jungen heute
In welchen Lebenswelten wachsen Jungen heute auf? Welche Werte, welche Kultur prägen den Jungen auf dem Weg zum Mannsein?
■ Kleine Jungen raufen gerne, tragen Konflikte mit den Fäusten aus, tollen miteinander herum. Oft ist nicht auszumachen, was Ernst und was Spaß ist. Zuweilen wechselt dies auch so schnell, dass wir Erwachsenen nicht nachkommen. Solche Kämpfe haben eine wichtige Funktion für die Jungen. Nur durch konkretes Kämpfen können sie lernen, wo die Grenze des anderen liegt, was fair ist und was nicht, oder auch, wo Gewalt anfängt. Sprechen Sie sich in der Partnerschaft ab. Lassen Sie die Jungen kämpfen, wenn sie dies gerne und fair tun. Greifen Sie jedoch unmittelbar ein, wenn Grenzen überschritten werden.
■ Piraten, Ritter und andere Figuren sind für Jungen wichtige Identifikationsfiguren. Sie eignen sich wunderbar für Rollenspiele. Jungen sind fasziniert, gerade weil hier eine plakative Männlichkeit inszeniert wird. Freuen Sie sich an ihren kleinen Piraten und Rittern, doch vergessen Sie nicht: Auch Ritter sind manchmal traurig oder müde, brauchen Schutz und Hilfe. Und: Auch Jungen schlüpfen sehr gerne mal in andere Rollen. Wenn es für alle freigegeben ist (und sie dadurch nicht Gefahr laufen, als schwul verschrien zu werden), dann geben die wilden Jungen wunderbare Prinzessinnen ab!
■ Waffen sind bei Jungen ein beliebtes Mittel zur Inszenierung von Männlichkeit. Sie erregen Aufmerksamkeit. Frauen reagieren darauf zumeist mit Abwehr. Männer stehen den Waffen häufig etwas gelassener gegenüber. Spielzeugwaffen können, wie andere Spielzeuge auch, die Fantasie anregen und das Ich aufwerten. Kleine Kinder, die mit Spielzeugwaffen spielen, werden nicht eher zu großen Gewalttätern als andere Kinder. Sie verstehen ja...
Erscheint lt. Verlag | 16.7.2018 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Pädagogik | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Technik | |
Schlagworte | ADHS • Elternratgeber • Kinderpädagogik • Pädagogik • Ratgeber |
ISBN-10 | 3-497-61018-6 / 3497610186 |
ISBN-13 | 978-3-497-61018-1 / 9783497610181 |
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Größe: 1,5 MB
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