Die Eisbaronin (eBook)

Bis ans Ende der Welt
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
480 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-17229-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Eisbaronin -  Nicole C. Vosseler
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Katya hat ein Gespür für Eis - eine Gabe, die sie bis ans Ende der Welt führen wird
Russland 1822. Katya kann im Eis lesen. Farbe und Klang verraten ihr, wie es beschaffen ist - eine besondere Gabe, die sie mit ihrem Bruder Grischa verbindet. Beide haben große Träume und lassen schließlich die Armut ihres Heimatdorfes hinter sich. Ihre Reise führt sie über die Nordmeere bis nach Hamburg. Zusammen mit den ehrgeizigen Kaufmannsbrüdern Thilo und Christian gründen sie ein Handelsunternehmen. Der kühne Plan: das Eis des Nordens bis in die Tropen zu verschiffen. Doch der Weg zum Erfolg ist mit Stolpersteinen gepflastert, und auch die Gefühle zwischen Katya und dem verheirateten Christian drohen die jungen Eisbarone zu Fall zu bringen ...

Der Auftakt einer bewegenden Familiensaga um den Aufstieg einer Hamburger Handelsdynastie

Nicole C. Vosseler, am Rand des Schwarzwalds geboren und aufgewachsen, finanzierte sich ihr Studium der Literaturwissenschaften und der Psychologie mit einer Reihe von Nebenjobs. Bereits früh für ihre Kurzprosa, für Essays und Lyrik ausgezeichnet, wandte sie sich später dem Schreiben von Romanen zu. Ihre Bücher wurden bisher in neun Sprachen übersetzt. Nicole C. Vosseler lebt in Konstanz, in einem Stadtteil, der ganz offiziell »Paradies« heißt. Wenn sie nicht in ihrem Schreibstudio am Seerhein an einem ihrer Romane arbeitet, reist sie mit der Kamera um die Welt, wo sie trotz ihrer Höhenangst auch mal einen Vulkan besteigt und auch sonst das Abenteuer sucht.

2

Katyas Gesicht glühte in der Hitze des Herdfeuers. Einen vom Brotlaib abgerissenen Kanten in der Hand, wartete ihr Vater im Schein des Talglichts darauf, dass sie die dampfende Schale vor ihn hinstellte. Ohne seiner Tochter auch nur einen Blick zu gönnen, begann er, den Eintopf in sich hineinzuschlingen. Katya beeilte sich, wieder auf den Holzklotz hinaufzusteigen, den sie noch brauchte, um an den Kupfertopf heranzureichen, und für Jakov zu schöpfen.

Sie konnte sich an keine Zeit erinnern, in der sie nicht einen Rührlöffel in der Hand gehalten, Rüben geschnitten, Erbsen aus den Hülsen gelöst, Mehl gemahlen oder Teig geknetet hatte. Mit Tante Wera, Tante Ludmila, die das kleine Mädchen mit strenger Hand anleiteten, kaum dass es richtig laufen konnte, und dann schnell an ihren eigenen Herd zurückkehrten.

Es war ein großes Unglück, wenn eine Familie die Mutter verlor, bevor eine Tochter oder eine Schwiegertochter an ihrer Stelle kochen und nähen und waschen konnte, und keiner ließ Katya je vergessen, dass sie die Schuld daran trug.

Die Finger um den Holzlöffel gekrampft, hielt Grischa den Kopf gesenkt; erst wenn er nach den älteren Brüdern an der Reihe gewesen war, würde auch Katya sich zum Essen setzen dürfen.

Ein paarmal hatte er es gewagt, zum Messer zu greifen und Zwiebeln zu schälen, für Katya eine Schale zu füllen, bevor er für sich selbst schöpfte, und der Zorn des Vaters war fürchterlich gewesen. Genauso gut hätte Grischa versuchen können, den Grundherrn mit der Mistgabel zu verjagen und dessen Land in Besitz zu nehmen.

Es gab keine größere Sünde, als an der gottgewollten Ordnung der Dinge zu rütteln.

Die Schale für Jakov in den Händen, kehrte Katya vom Herd zurück. Igors Fuß schnellte unter dem Tisch hervor und traf sie hart am Knöchel.

Jakov röhrte auf, als der Eintopf über seine Jacke schwappte, und stürzte sich auf Katya. Grischa fuhr dazwischen; wie wütende Bären rangen die beiden Brüder miteinander, während Igor und Boris sich vor Lachen bogen.

»Schluss jetzt!«

Die Faust des Vaters krachte auf den Tisch. Igor und Boris verstummten jäh und zogen die Köpfe ein; diese Faust hatten sie alle schon zu spüren bekommen.

»Setz dich hin«, herrschte der Vater Jakov an.

Sein Zeigefinger, knotig und schwarz gerändert, stach erst in Katyas Richtung, dann in Grischas.

»Du. Mach sauber. Auch die Jacke. Eher gibt es für dich nichts zu essen. Und du kühl dich draußen ab.«

Einen bösen Ausdruck auf dem verwitterten Gesicht, erstickte er Grischas Widerworte im Keim.

»Raus!«

Wie Nadelstiche trafen Schneeflocken auf Grischas erhitztes Gesicht; er brannte vor Zorn. Ein hoch aufschießender, maßloser Zorn, der danach schrie, alles kurz und klein zu schlagen.

Wütend kickte er weiße Fontänen auf, knetete harte Geschosse aus Schnee und spie Flüche hinterher, bis seine Hände und Füße taub waren vor Kälte.

Zuflucht fand er in der Wärme des Stalls. Aus glänzenden Augen musterten ihn die Ziegen, während die Schafe sich geduckt aneinanderdrängten. Unter dem stumpfsinnigen Blick des Ochsen wickelte Grischa seine Jacke fester um sich und verkroch sich im hintersten Winkel.

Wie die Tiere, ging es ihm durch den Kopf. Der Vater und die Brüder sind wie Tiere. Schlimmer noch, Tiere wissen es schließlich nicht besser.

Immer öfter brodelte dieser Zorn in ihm auf, für den seine Brust zu eng schien. Als würde er irgendwann seine Rippen sprengen, wenn er ihm nicht beim Holzhacken und Mistschaufeln freien Lauf ließ. Und mit diesem Zorn kroch die Furcht heran, genauso zu werden wie der Vater, die Brüder, Grischas breitere Schultern, die kräftigeren Knochen und Muskeln wie die Vorboten eines unausweichlichen Schicksals. All die sonderbaren Anwandlungen dieses neuen Körpers, heftig und roh, für die er sich ebenso schämte, wie er sie genoss.

Er bemerkte Katya erst, als sie schon vor ihm stand, eine gefüllte Schale und einen Kanten Brot in den Händen; sie war geübt darin, sich unsichtbar zu machen, lautlos zu sein.

»Ich habe keinen Hunger.«

»Du hast immer Hunger.«

Unnachgiebig hielt sie ihm die Schale hin. Einen Mundwinkel zu einem halben und kaum sichtbaren Lächeln angehoben, nahm er sie schließlich mit einem Nicken an.

Während er den Eintopf schlürfte und mit den Zähnen große Brocken aus dem Brot riss, ging Katya zu den Ziegen, die sich ihr entgegendrängten, um gestreichelt zu werden und mit ihren weichen Mäulern an Katyas Jackenärmeln zu knabbern. Katya konnte gut mit Tieren; wann immer sie über den Hof lief, hingen die Hühner und Gänse an ihren Fersen, strichen die Katzen ihr maunzend um die Beine.

Wie ein Wunder war sie ihm damals vorgekommen, ein winziges Menschlein in den Händen des Großvaters, unbändig und fast wütend am Leben zerrend.

In einer Mischung aus Abscheu und Neugierde hatte er zugesehen, wie der Großvater geduldig eine Ziege dazu brachte stillzuhalten, damit das Neugeborene in seinem Arm an den Zitzen saugen konnte. Wie es am Euter der Ziege und unter der Hege des Großvaters wuchs und gedieh, das zeigte Grischa etwas von der Unbezwingbarkeit des Lebens. Dass es so etwas wie Güte und Herzenswärme gab.

Es hatte Grischa nicht gekümmert, dass die Brüder über ihn lachten. Seine kleine Schwester herumzutragen, wenn sie weinte, sie auf den Knien in den Schlaf zu schaukeln war wie ein Trost, dass ihrer aller Mutter nur noch lang genug gelebt hatte, um ihr letztes Kind Katya zu nennen, bevor sie sie begraben mussten.

Schmal wie ein Kiefernschössling, sorgte Katya gut für sie alle. Auch wenn ihr manchmal etwas anbrannte oder das Brot innen klitschig geriet, hatten sie immer genug eingelegtes Kraut und gesalzene Gurken in den Fässern, immer eine Mahlzeit auf dem Tisch. Und trotzdem sprangen der Vater und seine Brüder mit ihr um wie mit einem nichtsnutzigen Balg.

Grischas Zorn glühte nach, schmeckte gallig.

»Du darfst dir nicht alles gefallen lassen.«

Katya schien ganz darin versunken, die Ziegen zwischen den Hörnern zu kraulen. Grischa kannte seine Schwester fast von ihrem ersten Atemzug an, und trotzdem wusste er oft nicht, was in ihrem Kopf vor sich ging.

»Als ich für Jakov noch mal geschöpft habe«, sagte sie dann leise wie nebenbei, »habe ich in seine Schale gespuckt. In die von Boris und Igor auch.«

Grischa verschluckte sich vor Lachen, und auch Katya gab ein Glucksen von sich.

»Es nützt nur nichts«, fuhr sie fort und ließ sich mit einem tiefen Ausatmen, halb ein Seufzen, neben ihm im Stroh nieder. »Sie werden weiter das Sagen haben. Immer stärker sein. Weil sie die Älteren sind.«

Immer würde Grischa gehorchen müssen. Dem Vater. Den Brüdern. Und wenn nicht ihnen, dann dem Grundherrn. An dieses Stück Land gekettet, ohne dass er es je sein eigenes nennen könnte. Nicht einmal Schreiner werden konnte er oder Schneider oder Schmied, weil der Grundherr es nicht erlaubte. Dessen Wohlstand beruhte darauf, dass sie alle seinen Boden bestellten.

Nie würde Grischa ein anderes Leben kennenlernen als das seiner Vorväter. Wie der Ochse, der nichts anderes kannte, als den Pflug zu ziehen, in einem Zustand ewigen Halbdämmers.

Katya musterte ihren Bruder. Die vorspringende Nase, die übergroßen Ohren und die schwere Kinnlinie waren schon fast die eines Erwachsenen, während der kräftige Schneidezahn, der sich über den anderen geschoben hatte, ihm noch immer etwas von einem Lausejungen gab. Wie aus Kind, Bursche, Mann zusammengestückelt; brüchige Nahtstellen, die ihn manchmal mürrisch und reizbar machten.

Wenn sein Blick ins Leere glitt, so wie jetzt, schien er den Ruf des Windes zu hören. Wütend, dass sein Körper, robust und erdverhaftet, diesem Ruf nicht folgen konnte.

Es tat Katya weh, ihn so zu sehen, obwohl sie es nicht verstand. Wenn man keine Wahl hatte, änderte es auch nichts aufzubegehren.

Katya wusste, dass sie immer die Magd des Vaters und ihrer Brüder sein würde, später einmal die ihres Mannes, ihrer Söhne. Für ein Mädchen gab es kein anderes Leben als zwischen Gemüsegärtchen und Hühnerstall, Waschzuber und Herd.

Es gab nur bessere und schlechtere Tage. Kleine Dinge, die über Mühsal und Härte hinwegtrösteten.

Katya liebte den Frühling, in dem draußen alles spross, und die rauchige Luft der Herbstwälder. Wenn es im Sommer nie ganz dunkel wurde und sie barfuß herumlaufen und sich im See Staub und Ruß des Tages abwaschen konnte.

Am meisten jedoch liebte sie die Klarheit und Ruhe des Winters. Für Katya war der Winter kein unbarmherziger Feind, der sie mit Kälte und Schnee als Geisel nahm. Ein starrköpfiger Freund war er, von einer wundersamen Schönheit, die ihr das Herz leichter machte.

Wie die Eiszapfen, glänzend und scharf wie Messerklingen, die in der Hand schmolzen.

»Erzähl mir von Urgroßvater.«

Seit jener Nacht auf dem zugefrorenen See hatten sie nicht mehr darüber gesprochen.

Grischa sah seine Schwester an. Katyas Haar war noch dunkler als seines, glänzend wie das Gefieder eines Raben, aber als einziges der Kinder hatte sie blaue Augen.

Nicht von einem sanften Blau wie die Augen der Mutter. Daran erinnerte Grischa sich noch, und dass das Haar der Mutter goldfarben gewesen war. Keine Seltenheit hier, an den Ufern des großen Sees, wo seit Urzeiten Schweden, Finnen und Russen ihr Blut und ihre Sprachen mit den ersten Siedlern mischten, in...

Erscheint lt. Verlag 19.8.2019
Reihe/Serie Die Eisbaronin-Saga
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Brüder • eBooks • Eis • Familiensaga • Frauenromane • Generationenroman • Hamburg • Handel • Historische Romane • Liebe • Liebesromane • Reise • Romane für Frauen • Russland • Schiff • weihnachtsromane 2020
ISBN-10 3-641-17229-2 / 3641172292
ISBN-13 978-3-641-17229-9 / 9783641172299
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