Mehr als tausend Worte (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019
496 Seiten
Blanvalet Verlag
978-3-641-22317-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mehr als tausend Worte - Lilli Beck
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Liebe und Hoffnung in einer Zeit, die kein morgen kennt ...
Berlin, 9. November 1938: Aliza wird von durchdringenden Schreien geweckt, als ihr Großvater von der Gestapo abgeholt wird. Die politische Lage in Deutschland spitzt sich immer weiter zu, doch entgegen aller Mahnungen weigert sich ihr Vater, ein jüdischer Arzt, das Land zu verlassen. Nur seine Tochter will er im Ausland in Sicherheit bringen. Aliza ist am Boden zerstört, dass sie Fabian, ihre große Liebe, zurücklassen muss. Beim Abschied versprechen sich die beiden, nach ihrer Rückkehr zu heiraten. Doch werden sie die Wirren des Krieges überstehen? Und werden sie danach noch dieselben sein?

Ein bewegender Roman, der von einer großen Liebe erzählt, von einem Land zwischen Niedergang und Größenwahn, und vom Schicksal einer ganzen Generation.

Lilli Beck wurde 1950 in Weiden/Oberpfalz geboren und lebt seit vielen Jahren in München. Nach der Schulzeit begann sie eine Ausbildung zur Großhandelskauffrau. 1968 zog sie nach München, wo sie von einer Modelagentin in der damaligen In-Disko Blow up entdeckt wurde. Das war der Beginn eines Lebens wie aus einem Hollywood-Film. Sie arbeitete zehn Jahre lang für Zeitschriften wie Brigitte, Burda-Moden und TWEN. Sie war Pirelli-Kühlerfigur und Covergirl auf der LP Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz von Marius Müller-Westernhagen.

1

Berlin, 9. November 1938

ALIZA ERWACHTE VON einem durchdringenden Schrei. Einen Moment lang dachte sie, geträumt zu haben, als der nächste Aufschrei durch die Nacht gellte. Ein verzweifelter Hilferuf, der klang, als würden einem Menschen unerträgliche Qualen ­zugefügt. Zitternd setzte sie sich auf und starrte in die Nachtschwärze ihres Zimmers. Die vertrauten Schatten der Einrichtung und die Gewissheit, zu Hause bei ihren Eltern zu sein, beruhigten sie ein wenig. Die Wohnung befand sich in einem dreigeschossigen Gebäude in der Wormser Straße, das über je zwei Wohnungen pro Etage verfügte und in Besitz ihres ­Großvaters, Samuel Landau senior, war. Er hatte es 1910 errichten und jede der unterschiedlich großen Wohnungen mit Badezimmer und Toilette ausstatten lassen, ein wahrer Luxus in jenen Zeiten. Die in L-Form geschnittene Sechszimmerwohnung ihrer Eltern lag in der ersten Etage, direkt über der Praxis ihres Vaters.

Erneut hörte sie ganz in der Nähe jemanden schreien. Ihr Herz begann zu rasen. Im Zimmer war es zu dunkel, um die Uhrzeit auf dem Wecker zu erkennen, und sie wagte nicht, die tulpenförmige Lampe auf dem Nachtkästchen einzuschalten. Stattdessen tastete sie nach dem silbernen Rahmen mit Fabians Foto, drückte es an die Brust und erinnerte sich an seine Worte. »Ich bin immer bei dir, wie die Sterne am Himmel, auch wenn man sie am Tag nicht sehen kann.«

Ein Hund jaulte auf. Eine grausame Schrecksekunde lang glaubte sie, die Stimme von Emil, dem Zwergpudel ihrer Großeltern, die zwei Stockwerke über ihnen wohnten, erkannt zu haben.

Angestrengt lauschte sie in die Stille.

Nein, alles war ruhig, sie hatte sich wohl getäuscht. Vielleicht war es ein Hund aus dem Nebenhaus oder irgendwo auf der Straße gewesen.

Eine Weile konzentrierte sie sich auf das Ticktack des Weckers. Hörte auf ihren Herzschlag und versuchte, ruhig zu atmen. Eine, vielleicht auch zwei Minuten mochten vergangen sein, als sie meinte, im Treppenhaus das beängstigende Knallen eisenbeschlagener Stiefelabsätze zu vernehmen.

Gestapo?

Immer wieder hörte man von nächtlichen Verhaftungen. Und wer sonst veranstaltete solchen Lärm, während die Welt schlief? Die Bewohner des Hauses trampelten nicht die Treppen hinunter, sie benutzten den Aufzug.

Die Haustür schlug zu.

Der Motor eines Automobils wurde angelassen.

Aliza stellte den Rahmen zurück auf das Nachtkästchen. Mutig verließ sie ihr warmes Bett. Es war kalt im Zimmer, sie fröstelte trotz des knöchellangen Flanellhemds. Auf nackten Füßen eilte sie zum Fenster, von wo aus sie auf die Straße hinunterblicken konnte.

Vorsichtig lugte sie durch einen Spalt des zartgrünen Seidenvorhangs. Die Straße war menschenleer, es hatte geregnet, Blätter schwammen in den Pfützen wie kleine Boote, beleuchtet von Straßenlaternen.

Aliza mochte den Spätherbst und auch den Winter mit seinen langen Abenden, wenn es bald auf Weihnachten zuging. Im ersten Monat des neuen Jahres würde sie ihren siebzehnten Geburtstag feiern. Auch jetzt wäre es ein friedliches Bild draußen, stünde nicht direkt vor dem Haus eine schwarze Limousine, an deren Beifahrerseite gerade ein Mann einstieg. Soweit sie es erkennen konnte, saß jemand im Fond. Keiner musste ihr erklären, dass es sich um Hitlers Schergen handelte, deutlich zu erkennen am dunkelgrauen Kleppermantel, der als »Gestapomantel« beschimpft wurde.

Die rückwärtige Wagentür wurde zugeschlagen.

Der Motor heulte ungeduldig auf.

Das Fahrzeug raste davon.

Die Reifen hinterließen Spuren in der Regenpfütze, die, kaum gezogen, wieder ineinanderflossen. Das Wasser schloss sich zu einer glatten Fläche, als wäre nichts geschehen, als wäre nur ihre Fantasie mit ihr durchgegangen, wie so oft nach einem spannenden Buch.

Das Schrillen des Telefons jagte Aliza den nächsten Schreck ein. Es holte sie zurück in die Realität, in der die verhassten Nationalsozialisten an der Macht waren, die bereits 1933 zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen und jüdischen Ärzten wie ihrem Vater die Behandlung von Ariern verboten hatten.

Das Klingeln hielt an. Vermutlich ein Notfall. Ihr Vater war auch mitten in der Nacht bereit, seinen noch verbliebenen Patienten zu helfen. Aber wieso hörte er das Läuten nicht?

Mit klopfendem Herzen lief sie den kurzen Flur entlang und gelangte durch die Zwischentür in die geräumige Diele. Als kleines Mädchen war sie dort mit ihrem Dreirad stundenlang im Kreis gefahren oder hatte sich vor ihrem zwei Jahre älteren Bruder Harald in der Garderobennische versteckt.

Über dem zierlichen Telefontisch brannte wie jede Nacht die Wandlampe, damit man sich auch im Halbschlaf zurechtfand. Der Apparat schepperte weiter. Sie nahm den Hörer ab: »Aliza Landau …«

»Hallo, Aliza, hier ist Walter Rosenberg …«

»Hallo, Onkel Walter.« Er war nicht ihr richtiger Onkel, sondern ein alter Studienfreund ihres Vaters und von Beruf Richter, dem die Nazis wie allen anderen jüdischen Richtern, Anwälten und Staatsanwälten im April 1933 Berufsverbot erteilt hatten.

Aliza sparte sich die Höflichkeitsfloskeln und fragte direkt: »Bist du krank?«

»Nein, mit mir ist alles in Ordnung, aber …«

Walters Stimme klang zu leise für einen Mann, der es gewohnt war, auf seinem Richterstuhl laut und deutlich zu sprechen, auch wenn ihm das seit Jahren verboten war.

Alizas Blick fiel auf eine Notiz, die halb unter den Apparat geklemmt war. »Moment, hier liegt ein Zettel mit Papas Handschrift«, sagte sie und las vor: »Mama und ich sind bei einem Notfall.«

Walter zögerte. »Und dein Bruder?«

»Harald hat Nachtschicht, er arbeitet doch im Jüdischen Krankenhaus. Seit er mit anderen jüdischen Studenten von der Universität verwiesen wurde, verdingt er sich als Leichenschieber.«

»Noch so eine Sauerei«, schnaufte Walter.

»Ja«, entgegnete Aliza knapp und schluckte, als ihr mit einem Mal bewusst wurde, dass sie völlig allein in der Wohnung war. Und Onkel Walter rief mitten in der Nacht sicher auch nicht aus reiner Höflichkeit an. Irgendetwas stimmte nicht. Ein Angstschauer kroch über ihren Rücken. »Bitte, sag mir, was los ist.«

»Das muss ich wohl«, begann Walter und erklärte, in den nächsten Tagen seien Gewaltaktionen gegen Juden geplant.

»Gewaltaktionen?«, wiederholte Aliza beklommen. Allein das Wort laut auszusprechen schürte ihre Furcht.

»Einzelheiten wusste mein Kontaktmann leider nicht, aber es ist eine Information aus sicherer Quelle, und ich nehme seine Mahnung überaus ernst. Wir sollten sehr, sehr vorsichtig sein, wenn wir das Haus verlassen.«

Intuitiv wanderte Alizas Blick zur Wohnungstür. Stand sie nicht einen Spalt offen? Genau konnte sie es nicht erkennen, aber wehte da nicht eiskalte Zugluft in die Diele? Im nächsten Augenblick meinte sie, Schritte zu hören. Sie geriet in Panik. Ihr Mund wurde trocken, ihre Hände zitterten. Aber Onkel Walter würde ihr nicht helfen können.

»Ich richte es aus«, versprach sie und verabschiedete sich eilig, um die Tür zu verschließen und dann Fabian anzurufen. Er wohnte am Kurfürstendamm über der Parfümerie seiner Eltern und wäre mit dem Wagen in wenigen Minuten bei ihr.

Aliza nahm all ihren Mut zusammen und durchquerte die Diele. Nein, die Tür war ins Schloss gezogen. Durch die ­schmale Ritze schimmerte ein Lichtstreifen, das Treppenhaus war also erleuchtet. Sie presste das Ohr an die Tür und vernahm ein leises Weinen. Dann war es also nicht die Gestapo, der leise Töne fremd waren, die brüllte und lärmte und sich barbarisch benahm.

Aliza knipste den Lüster in der Diele an, öffnete vorsichtig die Wohnungstür und erschrak, als sie in den Hausflur blickte. Ziva, ihre Großmutter und die Mutter ihres Vaters, schleppte sich schwer atmend die Treppe herunter.

Die zierliche Frau, die Aliza nur in untadeliger Garderobe, mit gepflegter Frisur, gepudertem Gesicht und rötlichem Lippenstift kannte, sah erschreckend derangiert aus. Die bloßen Füße steckten in schwarzen Absatzschuhen, und die hellbraune Nerzjacke über dem fliederfarbenen Nachthemd wirkte grotesk. Ihre Augen waren rot gerändert, die bleichen Wangen tränenüberströmt, und sie blutete an der Stirn. Ihre linke Hand umklammerte eines der hellblauen Taschentücher, wie Großvater Samuel sie benutzte. Wieso war er nicht bei ihr? Seit Aliza denken konnte, waren die Großeltern unzertrennlich. Und wo war der betagte Pudel, der ihnen auf Schritt und Tritt folgte?

Aliza schob die Fußmatte über die Schwelle, damit die Tür nicht zufiel, und war mit drei Schritten bei ihr. »Was ist mit dir, Bobe?«, fragte sie.

Schluchzend sank Ziva in die Arme ihrer Enkeltochter. »Se haben … ihn jeholt … de braunen Bastarde … se haben meen Mann jeholt …«, stammelte sie. »Jeschlagen und abjeführt, wie een Verbrecher.«

Aliza fühlte einen schmerzhaften Stich in der Brust. Es war also ihr Großvater gewesen, den sie auf der Rückbank des schwarzen Wagens gesehen hatte. Den die Gestapo verschleppt hatte. Kein Wunder, dass ihre Großmutter, die sie seit jeher auf Jiddisch »Bobe« nannte, vor lauter Aufregung in den Berliner Jargon verfiel. Wo sie doch sonst so großen Wert auf geschliffenes Deutsch legte.

Nervös blickte Ziva sich um. »Samuel … wo ist mein Sohn?« Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie Aliza an.

Aliza begriff sofort, was Ziva meinte. »Nein, nein, er wurde zu einem Notfall gerufen. Mama ist auch bei ihm. Aber ich bin ja da, nun komm erst mal herein«, sagte sie so ruhig wie möglich, um ihre Großmutter nicht noch mehr...

Erscheint lt. Verlag 25.3.2019
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berlin • Carmen Korn • Charlotte Roth • eBooks • Historische Liebesromane • Historischer Liebesroman • Historische Romane • Judenverfolgung • Kindertransporte • Liebesromane • Verbotene Liebe • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-22317-2 / 3641223172
ISBN-13 978-3-641-22317-5 / 9783641223175
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