Verwirrnis (eBook)

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2018 | 1. Auflage
303 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-75896-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Verwirrnis - Christoph Hein
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Friedeward liebt Wolfgang. Und Wolfgang liebt Friedeward. Sie sind jung, genießen die Sommerferien, fahren mit dem Fahrrad die weite Strecke ans Meer und reden stundenlang über Gott und die Welt. Sie sind glücklich, wenn sie zusammen sind, und das scheint ihnen alles zu sein, was sie brauchen. Doch keiner darf wissen, dass sie mehr sind als beste Freunde. Es sind die 1950er-Jahre, sie leben im katholischen Heiligenstadt, und für die Menschen um sie herum, besonders für Friedewards strenggläubigen Vater, ist ihre Liebe eine Sünde. Käme ihre Beziehung ans Licht, könnten sie alles verlieren. Als sie zum Studium nach Leipzig gehen - Friedeward studiert Germanistik, Wolfgang Musik -, finden sie dort eine Welt gefeierter Intellektueller, alles flirrt geradezu vor lebendigem Geist. Und sie lernen Jacqueline kennen, die ihnen gesteht, dass sie eine heimliche Beziehung zu einer Dozentin hat. Zu viert besuchen sie die legendären Vorlesungen im Hörsaal vierzig, gehen ins Theater, tauchen gemeinsam ein ins geistige Leben der Stadt.Und da reift in den drei Freunden der Plan: Wäre es nicht die perfekte ?Tarnung?, wenn einer von ihnen Jacqueline zum Schein heiraten würde?

In seinem Roman erzählt der große deutsche Chronist Christoph Hein bewegend von einer Liebe, die über Jahre hinweg allen Widrigkeiten trotzt,
und zeichnet zugleich ein lebendiges Panorama deutschen Geisteslebens.



<p>Christoph Hein wurde am 8. April 1944 in Heinzendorf/Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie nach Bad D&uuml;ben bei Leipzig, wo Hein aufwuchs. Ab 1967 studierte er an der Universit&auml;t Leipzig Philosophie und Logik und schloss sein Studium 1971 an der Humboldt Universit&auml;t Berlin ab. Von 1974 bis 1979 arbeitete Hein als Hausautor an der Volksb&uuml;hne Berlin. Der Durchbruch gelang ihm 1982/83 mit seiner Novelle <em>Der fremde Freund / Drachenblut</em>.<br /> Hein wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Uwe-Johnson-Preis und Stefan-Heym-Preis. Seine Romane sind <em>Spiegel</em>-Bestseller.</p>

Christoph Hein wurde am 8. April 1944 in Heinzendorf/Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie nach Bad Düben bei Leipzig, wo Hein aufwuchs. Ab 1967 studierte er an der Universität Leipzig Philosophie und Logik und schloss sein Studium 1971 an der Humboldt Universität Berlin ab. Von 1974 bis 1979 arbeitete Hein als Hausautor an der Volksbühne Berlin. Der Durchbruch gelang ihm 1982/83 mit seiner Novelle Der fremde Freund / Drachenblut. Hein wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Uwe-Johnson-Preis und Stefan-Heym-Preis.




Friedeward Ringeling — und da waren sich selbst seine engsten Freunde einig — war ein Original, ein kostbares Relikt aus der Welt der Großmütter, der Kutschen und Hauskonzerte, einer Zeit, in der die Toilette nicht einen Abort bezeichnete, sondern Gegenstand des öffentlichen Interesses war und mal mehr, mal weniger Bewunderung hervorrief.

Er war jederzeit korrekt gekleidet, keiner der Freunde konnte sich, wie sie einräumen mussten, daran erinnern, ihn je unrasiert oder auch nur ohne Krawatte gesehen zu haben. Auch in seiner Wohnung hatte ihn keiner je nachlässig gekleidet angetroffen, selbst dort trug er einen Schlips, dessen Farbton offensichtlich auf das Jackett abgestimmt war, und die Freunde spotteten, er würde gewiss mit einem ausgehfähigen Pyjama ins Bett steigen, um bei einem Brand oder einem Einbruch angemessen bekleidet zu sein.

Wenn er in Gesellschaft sein Jackett ablegte, erkundigte er sich zuvor bei den anwesenden Frauen, ob sie einverstanden seien, dass er ein wenig ungezwungener am Tisch sitze. Dieses antiquierte Gebaren belustigte manche der Frauen, andere hingegen fühlten sich geehrt und lobten ihrem Partner gegenüber Friedewards feine Manieren. Von Zeit zu Zeit zeigte sich der ein oder andere weibliche Gast jedoch auch irritiert über sein Verhalten, waren doch nicht alle Frauen mit den überkommenen Sitten früherer Generationen vertraut. Sein Benehmen war ihnen eher lästig, immer wieder führte es zu Missverständnissen, die Friedeward oder seine Freunde mit langwierigen und ermüdenden Erklärungen aus der Welt zu schaffen suchten, meist jedoch vergeblich.

Friedeward jedoch war überzeugt, dass das Aufgeben gewisser Verhaltensregeln zu einem Kulturverfall führe und schließlich zu einer Rückkehr in eine vorzivilisatorische Barbarei, und hielt daher mit wilder Entschlossenheit an ihnen fest. Entschieden und unbeirrt stand er für sie überall dort ein, wo er sie leichtsinnig geopfert sah oder sie nur noch nachlässig beherzigt wurden. Ihm erschien es als eine Pflicht der älteren Generation, mit gutem Beispiel voranzugehen und den Jüngeren einen zivilisierten Umgang miteinander vorzuleben.

Er war ein edler Mensch. Diese aus der Mode gekommene Zuschreibung entsprach ihm vollkommen. Aber er war auch ein Mann, der mit seinem Schicksal haderte — und mit sich selbst.

Friedeward Ringeling wurde auf den Tag genau sechs Jahre vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, am ersten September 1933, in Heiligenstadt, einer Kleinstadt im Eichsfelder Landkreis, als Sohn eines Englischlehrers und einer Krankenpflegerin geboren. Er besuchte das Staatliche katholische Gymnasium, das kurz zuvor und auf Anordnung der nationalsozialistischen Behörden in Staatliche Oberschule für Jungen umbenannt worden war. In den Fächern Deutsch und Englisch wurde er von seinem Vater unterrichtet.

Pius Ringeling war ein Veteran des Ersten Weltkriegs, der sich als Siebzehnjähriger im Januar 1918 freiwillig beim Deutschen Heer gemeldet hatte und bereits zwei Monate später als dienstuntauglich ausgemustert werden musste, da er in der Frühjahrsoffensive im März 1918 im Kampf um Péronne, einer Kleinstadt im Département Somme, bei einem Einsatz von Schwefellost — einem Kampfstoff, den man auch Senfgas oder Gelbkreuzgas nannte — durch die eigene Truppe eine Vergiftung erlitt.

Nach Kriegsende stellte er, unterstützt durch seinen ehemaligen Kompanieführer, einen Antrag auf das kurz zuvor gestiftete Verwundetenabzeichen, und er bekam die Auszeichnung nicht in Schwarz, wie es ihm zustand, sondern sogar in Silber, obgleich er nur einmal verwundet worden war und das silberne Abzeichen zwingend fünf Verwundungen verlangte. Der tiefgläubige Katholik Pius, der nach dem Krieg die Fakultas für Deutsch, Latein und Englisch erworben hatte, trug diese Medaille bis zu seinem Lebensende tagtäglich, wenn auch in den auf den Krieg folgenden Staatsordnungen unter dem Revers. Er blieb bis zu seinem Tod Monarchist, verachtete die demokratische Verfassung der Republik ebenso wie die darauf folgenden Regime der Nationalsozialisten und der Kommunisten.

Der Lateinunterricht wurde zwei Jahre vor Kriegsende sowohl an der Staatlichen Oberschule für Jungen wie im ganzen Landkreis gekürzt und ein halbes Jahr später komplett gestrichen, so dass Gymnasialprofessor Pius Ringeling — diesen Ehrentitel trug er nur wenige Jahre, denn er wurde ungebräuchlich und durch die Amtsbezeichnung Studienrat ersetzt — noch eine eingeschränkte Lehrberechtigung, die kleine Fakultas, für Chemie erwarb, um weiterhin als volle Lehrkraft beschäftigt werden zu können.

Aufgrund seiner Invalidität wurde er im Zweiten Weltkrieg nicht kriegsverpflichtet, aber Ende Januar 1945 im Aufgebot II des Volkssturms zwangserfasst und hatte jedes zweite Wochenende zur Ausbildung in einem Volkssturmbataillon anzutreten. Im März 1945 wurde der Schulbetrieb vollständig eingestellt und Pius hatte sich jeden Morgen beim Volkssturm zu melden, um Gräben auszuheben und unter der Anleitung eines älteren, beinamputierten Uhrmachers jene Waffen für das Volkssturmbataillon in Stand zu setzen, die von Truppen der Wehrmacht erbeutet worden waren.

Drei Wochen nach seinem Dienstantritt beim Volkssturm erschienen dort zwei Abgeordnete der Feldgendarmerie, die Fahnenflüchtige und Versprengte im Landkreis aufspüren sollten. Sie fanden heraus, dass der beinamputierte Uhrmacher sich nach einem Lazarettaufenthalt unerlaubt von seiner Kampftruppe entfernt hatte und in seine Heimatstadt zurückgekehrt war. Aufgrund seiner an der Front erworbenen Kenntnisse hatte der Bürgermeister ihn zum Leiter der Ortskampfgruppe ernannt, was die Feldjäger nicht davon abhielt, den Mann zu verhaften und ihn in einem Kellerraum des Rathauses festzusetzen. Pius Ringeling forderte die Volkssturm-Kameraden auf, mit ihm zum Rathaus zu ziehen, um die Freilassung des Uhrmachers zu erwirken; schließlich waren sie ohne ihn nicht in der Lage, die erbeuteten Waffen wiederherzurichten. Diese Aktion führte zur sofortigen Verhaftung Ringelings, da der Bürgermeister es nicht wagte, den Uhrmacher aus dem Kerker zu entlassen, und sich hilfesuchend an die Feldjäger wandte, die Ringeling als Rädelsführer festnahmen und gleichfalls in den Keller sperrten. In der Nacht jedoch verschwanden die Feldjäger aus der Stadt, da die Gegenoffensive der Wehrmacht bei Struth unter großen Verlusten zusammengebrochen war und die versprengten Soldaten der an der Offensive beteiligten Truppenteile befehlswidrig und ungeordnet flohen. Der Bürgermeister entschied daher, die beiden Arrestanten freizulassen und sie zu ihrer Einheit zurückzuschicken, nicht ohne zuvor den gesamten Vorgang genauestens zu Protokoll zu geben.

In der Nachkriegszeit durfte Pius Ringeling weiter als Lehrer arbeiten, da Kollegen und Nachbarn bei der neuen Schulbehörde seine ablehnende Haltung den Nationalsozialisten gegenüber bezeugt hatten und die Akten im Rathaus gleichfalls für ihn sprachen. Seine Konfession und sein offen bekundeter Glaube waren der neuen Schulbehörde zwar ein Dorn im Auge, aber da unbelastete Lehrer dringend gebraucht wurden und die Mehrheit der Bevölkerung im Eichsfelder Land katholisch war und damit auch die akademisch ausgebildete Lehrerschaft, akzeptierte der kommunistische Schulrat auch den gläubigen Pius Ringeling, teilte ihm jedoch schriftlich mit, er habe sich jeder Art religiöser Propaganda zu enthalten, andernfalls würde er umgehend entlassen. Da an allen Schulen Lehrer fehlten, wurde ihm vom Kreisschulamt auf dem kurzen Dienstweg sogar die große Fakultas für Chemie erteilt, also die Lehrberechtigung für dieses Fach auch in den Abiturklassen.

Das Gymnasium war bei der Wiedereröffnung in einem Behelfsbau untergebracht, da die Rote Armee das gesamte Schulgelände besetzt und dort für Hunderttausende entlassener Kriegsgefangener und Umsiedler ein Durchgangslager eingerichtet hatte. Pius Ringeling hielt sich an die Anordnung, in den Unterrichtsstunden religiöse Themen zu meiden. Da die älteren und studierten Lehrer gläubig waren, die Neulehrer, die aus schulfremden Berufen kamen und denen man innerhalb weniger Monate den zu vermittelnden Lehrstoff beigebracht hatte, sich jedoch als strenge und pflichtbewusste Atheisten erwiesen, umging man zwar auch im Lehrerzimmer das unerwünschte Thema, besuchte aber ansonsten wie gewohnt den Gottesdienst und lebte freimütig seinen Glauben.

Studienrat Pius Ringeling war ein Mann fester Grundsätze, und diesen hatten nicht nur seine Schüler zu folgen, sondern auch seine Familie; er bezeichnete seine strengen Lebensregeln gerne als »moralisches Gebot«. Seine Frau und die drei Kinder — zwei Söhne und eine Tochter — hatten sich diesem unterzuordnen, hatten, wie er sagte, zu wissen, wo ihr Platz sei. Friedewards Mutter...

Erscheint lt. Verlag 13.8.2018
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
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ISBN-10 3-518-75896-9 / 3518758969
ISBN-13 978-3-518-75896-0 / 9783518758960
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