Die Knaben. Mord im Jahr des Herrn 1436 (eBook)

Historischer Kriminalroman

(Autor)

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2018 | 1. Auflage
292 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1564-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Knaben. Mord im Jahr des Herrn 1436 - Margaret Frazer
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In höchster Not sucht eine dunkle Dame Zuflucht im Kloster St. Frideswide. Bei sich hat sie zwei kleine Jungs, an denen der Hauch von Tod und Skandalen zu haften scheint. Sind es wirklich ihre Söhne, so wie sie es behauptet? Schwester Frevisse hat da ihre Zweifel. Bald schon wird deutlich, dass die Mächtigsten des Landes ein Interesse an den Knaben haben. Je mehr Schwester Frevisse die Fäden um die seltsame Reisegesellschaft entwirrt, desto klarer wird ihr, dass manche Geheimnisse besser ungelüftet bleiben. Und diese könnten das ganze Kloster ins Verderben stürzen ...

Eine unvergleichliche Detektivin - Schwester Frevisse, die Miss Marple des Mittelalters.



Margaret Frazer lebt mit ihren vier Katzen und viel zu vielen Büchern in der Nähe von Minneapolis, Minnesota. In den USA hat sie sich mit ihrer Serie um Schwester Frevisse über viele Jahre ein Millionenpublikum erschrieben.

Der warme Sommernachmittag neigte sich seinem Ende zu. Sie waren fast ohne Pause geritten, seit es hell genug war, um den Weg zu erkennen. Die Pferde waren müde und Jasper auch, doch es bestand wenig Hoffnung, dass Sir Gawyn sie bald rasten ließ. In diesen Junitagen ging die Sonne frühzeitig auf und erst spät unter, und wenn sich heute wiederholte, was gestern und vorgestern geschehen war, würde Sir Gawyn sie weiterreiten lassen, bis es beinahe zu finster war, um den Weg auszumachen. Und dann würde er sie vielleicht wieder unter einer Hecke schlafen lassen, so wie letzte Nacht, anstatt nach einer Herberge oder einem vernünftigen Platz zum Übernachten zu suchen.

Es hatte ein großartiges Abenteuer zu werden versprochen, als alles vor zwei Tagen ganz unerwartet begann. Edmund und er waren beim Nachmittagsunterricht gewesen. Master John hatte wie gewöhnlich endlos lateinische Deklinationen heruntergeleiert, während Jenet mit ihrer Näharbeit auf der anderen Seite des Raumes saß. Noch eine Stunde, und sie waren erlöst, hatte Jasper gedacht und einen bewegungslosen Schatten auf dem Fensterbrett betrachtet.

Dann war Mistress Maryon plötzlich hereingekommen, gefolgt von zwei Bediensteten. Ihr oblag die tägliche Aufsicht der Dienerschaft, und niemand hatte ihr widersprochen, als sie auf die Kleiderschränke der Knaben an der Wand deutete und »Alles da einpacken, beeilt euch!« sagte, sich dann zu Jenet umwandte und ihr befahl: »Pack auch du dir Kleidung zum Wechseln ein, sowie alles, was Ihre Gnaden für eine Reise von ein paar Tagen brauchen werden. Du hast eine Viertelstunde Zeit, nicht länger.« Und dann zu Master John gewandt: »Ihr seid entlassen. Ihr Unterricht ist zu Ende.«

Mistress Maryon hatte immer einen etwas herrischen Ton an sich. Jedermann war daran gewöhnt, vor allem Jasper und Edmund, da sie ständig in ihrer Obhut waren. Mutter und Vater waren meistens sehr beschäftigt und konnten sich nicht immer um sie kümmern. An manchen Tagen wurden sie und ihr kleiner Bruder Owen, der eigentlich noch ein Baby war und seine eigene Mistress, Gertrude, hatte, quer durch das ganze Schloss in einen ganz anderen Flügel gebracht und mussten dort bleiben, ohne die Mutter, den Vater oder sonst irgend jemanden zu Gesicht zu bekommen. Das waren Tage, an denen sie auch nicht nach draußen durften, nicht einmal, um im Garten zu spielen, weil ihre Eltern wichtige Dinge zu erledigen hatten und keinesfalls auch nur durch einen kurzen Blick auf ihre Kinder abgelenkt werden durften! Die Kinder fanden es aber gar nicht so schlimm, denn wenn es vorüber war und sie wieder in ihre alten Zimmer durften, waren Mutter und Vater immer so wunderbar fröhlich, man spielte zusammen, es gab besondere Speisen, Gelächter – Mutter konnte so herrlich lachen – und Gesang – Vater sang besser als jeder andere. Dadurch wurde die vorübergehende Trennung schnell wieder wettgemacht.

Doch diesmal starrte Master John Mistress Maryon mit einem Blick an, als sei er verrückt geworden, und sagte dann: »Das kann doch nicht wahr sein.«

»Es ist wahr, und ich weiß nicht, warum wir deshalb überrascht sein sollten. Ich weiß auch nicht, wieviel Zeit uns bleibt, aber wir tun gut daran, uns zu beeilen.« Master John bekreuzigte sich und murmelte: »Gott sei mit uns.«

Aber Mistress Maryon drehte sich schon zu Jenet um, die ebenso einfältig und ungläubig dreinsah, und herrschte sie an: »Beweg dich! Und heul nicht. Und Ihr zwei auch nicht«, fügte sie, an Jasper und Edmund gewandt, hinzu. »Wir haben keine Zeit für Tränen, niemand von uns.«

Es waren keine Tränen geflossen. Edmund und er hatten auch keinen Grund dafür gesehen. Tatsache war, dass ihnen der Unterricht erspart blieb. Offensichtlich sollten sie verreisen. Abgesehen von der näheren Umgebung des Schlosses waren sie noch nirgendwo gewesen, nur ein paarmal bei den Wiesen am Fluss, um ihren Eltern bei der Beizjagd zuzusehen, und einmal im Mai dieses Jahres am Waldrand, um den Sommerbeginn zu feiern. Doch der Art und Weise nach zu schließen, wie die Bediensteten Kleider in die Taschen stopften und Mistress Maryon im Raum umherblickte, als sei sie unschlüssig, was mitzunehmen und was hierzulassen sei, handelte es sich diesmal um etwas anderes als nur einen kurzen Ausritt jenseits des Burgtors, der mit Einbruch der Nacht beendet wäre.

Edmund und er hatten sich angesehen, hatten gegrinst und ihre Umhänge samt einiger notwendiger Kostbarkeiten aus der kleinen Truhe unter ihrem Bett hervorgeholt. Edmund hatte die Fesseln eingesteckt, die er vom Falkner als Symbol für den Wanderfalken, den er eines Tages sein eigen nennen sollte, bekommen hatte. Jasper nahm das verzierte Ortband mit, das bei der Reparatur von Vaters Schwertscheide abgebrochen war. Es war mit verschlungenen Weinreben und Blättern verziert, und er hatte es auf Hochglanz poliert, denn es war zwar alt und verbeult, doch aus echtem Silber – und es hatte Vater gehört. Schließlich hatte Edmund, ohne lange zu fragen, das Schwert umgeschnallt, das Vater ihm letzten Winter zum Geburtstag geschenkt hatte. Jasper hatte ihn zweifelnd angesehen, doch Edmund hatte die Hand fest auf den Griff gelegt und gesagt: »Wenn das eine richtige Reise ist, werden wir es vielleicht brauchen.«

Jasper stritt selten mit Edmund und tat es auch jetzt nicht, er bedauerte nur, nicht selbst ein Schwert zu besitzen. Sie waren einander in Größe und Aussehen so ähnlich – mit den grauen Augen, der hellen Haut und den rotbraunen Haaren, die säuberlich auf Höhe der Ohren abgeschnitten waren –, dass man sie leicht verwechseln konnte, wenn man nur einen von ihnen sah. Wenn man allerdings beide vor sich hatte, war es offensichtlich, dass Edmund einen halben Kopf größer und von schlankerem Wuchs war als Jasper. Er machte zudem einen aufgeweckteren Eindruck als sein Bruder, und obwohl es für ihn – wie auch für Jasper – außer Frage stand, dass sie einander in allem beistehen würden, behielt er doch stets den Vorsprung im Auge, den ihm seine sechs Jahre vor Jasper sicherten, der erst fünf war. Doch manchmal waren die elf Monate, die sie trennten, entscheidend, so wie jetzt zum Beispiel, denn er hatte ein Schwert und Jasper keines. Falls Mistress Maryon das Schwert bemerkt hatte, so sagte sie nichts. Sie befahl statt dessen Jenet und den beiden Dienern, nach unten zu gehen, wo die Pferde im Hof warteten. »Ihr müsst Euch jetzt noch von Eurer Mutter verabschieden. Schnell. Was für ein Jammer, dass Euer Vater fort ist«, sagte sie dann zu Jasper und Edmund.

Als sie die beiden aus dem Zimmer führte, Edmund eifrig an ihren Fersen, Jasper dicht an Edmunds, hatte sich Jasper noch einmal zu Master John umgedreht, der noch immer neben dem Pult stand. Er war ein strenger Lehrer, doch nie strenger als nötig, und zeigte sich oft verständnisvoll, wenn Jasper oder Edmund ein ernsthaftes Problem hatten. Jasper tat der Lehrer leid, weil er mit seinen Büchern zurückbleiben musste, während sie ein Abenteuer erwartete. Deshalb hob er die Hand zum Abschied. Bestimmt verhieß dieser plötzliche Aufbruch ein Abenteuer! Doch der Anblick der Tränen, die Master John über die Wangen liefen, ließ Jaspers Hand erstarren. Master John hatte noch nie zum Abschied geweint! Jasper führte seine Handbewegung nicht zu Ende, drehte sich um und lief davon, beunruhigt von dem Anblick.

Und als sie dann die Mutter im Schlafzimmer aufsuchten, war sie allein, ohne eine Hofdame, was auch seltsam war. Eine so hochstehende Dame wie sie war niemals ohne Begleitung. Und doch war es diesmal so, sie stand allein in der Mitte des Raumes, und als Edmund und er näher traten und sich wie immer tief verbeugen wollten, wartete sie nicht ab, sondern warf sich auf die Knie und zog ihre Söhne an sich. Edmund, der sich der Anstandsregeln stets bewusst war, auch wenn er sie nicht immer befolgte, wich einen Moment lang zurück. Jasper hingegen, der eine Zuneigung immer erwiderte, kuschelte sich, ohne zu zögern, an sie. Er liebte ihre süße Wärme. »Meine Lieblinge!« Sie hatte erst den einen und dann den anderen geküsst und dies daraufhin der Gerechtigkeit halber in umgekehrter Reihenfolge wiederholt. »Und noch ein Kuss! Ihr geht jetzt weit fort mit Mistress Maryon und Sir Gawyn, und ihr müsst alles tun, was sie euch sagen, und tapfere Ritter sein.«

Jasper wollte fragen, warum sie fortgingen, doch Edmund war wie üblich der Anführer und fragte: »Wohin gehen wir denn?«

»Weit weg, dorthin, wo euer Vater geboren wurde. Erinnert ihr euch an die Geschichten, die er euch erzählt hat? Dorthin werdet ihr reisen.«

»Nach Wales?« fragte Jasper ungläubig. Wales mit seinen Bergen, seinen Drachen und seinem Zauber? Vaters Erzählungen hatten in ihm schon lange den Wunsch geweckt, dorthin zu reisen, doch man hatte ihm gesagt, er müsse warten, bis er erwachsen sei.

»Nach Wales«, bestätigte die Mutter. »Aber ihr dürft nicht darüber sprechen, nicht einmal miteinander, bis ihr sicher dort angelangt seid. Gebt ihr mir das Ehrenwort tapferer Ritter?«

Dies war ein gewöhnlicherer Eid als diejenigen, die sie aus Geschichten kannten. Sie nickten eifrig, und die Mutter küsste sie wieder, stand dann auf und sagte über ihre Köpfe hinweg zu Mistress Maryon: »Owen ist schon fort.«

»Wohin denn?« fragte Edmund eifersüchtig. Wie konnte Owen auf Abenteuerreise gehen wie er und Jasper, wo er doch noch eine Amme hatte?

»Er ist in der Kirche«, sagte Mistress Maryon, bevor ihre Mutter antworten konnte. »Um für Euch zu beten, geradeso, wie Ihr für ihn beten müsst.«

»Müssen wir auch beten, bevor wir losreiten?« Das war ein...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2018
Reihe/Serie Schwester Frevisse ermittelt
Übersetzer Olaf Matthias Roth
Sprache deutsch
Original-Titel The Boy’s Tale / 05 Sister Frevisse
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte Adel • Brüder • Bruder Cadfael • Detektivin • England im Mittelalter • Englischer Adel • Englischer König • Ermittlerin • Ermittlung • Flucht • Heinrich VI. • Henry VI. • historischer Krimi • Historischer Kriminalroman • Junge • Kloster • Knaben • König von England • Krimi • Margaret Frazer • Mittelalter Krimi • Mittelalter Roman • Mord • Nonne • Nonne ermittelt • Peter Tremayne • Schwester Fidelma • Schwester Frevisse • Skandal • Tod • Verbrechen • Verfolgung • Versteck • weibliche Ermittlerin • weibliche Heldin
ISBN-10 3-8412-1564-5 / 3841215645
ISBN-13 978-3-8412-1564-2 / 9783841215642
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