Beale Street Blues (eBook)

Roman
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2018 | 2. Auflage
224 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43486-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Beale Street Blues -  James Baldwin
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Harlem Love Story: eine junge Liebe gegen die Willkür einer weißen Justiz »Jeder in Amerika geborene Schwarze ist in der Beale Street geboren. Die Beale Street ist unser Erbe. Dieser Roman handelt von der Unmöglichkeit und von der Möglichkeit, von der absoluten Notwendigkeit, diesem Erbe Ausdruck zu geben. Die Beale Street ist eine laute Straße. Es bleibt dem Leser überlassen, aus dem Schlagen der Trommeln den Sinn herauszuhören.« James Baldwin Dies ist die Geschichte von Tish und Fonny, 19 und 22, und ihrem Kampf gegen die Willkür einer weißen Justiz. Der traurig-schöne Song einer jungen Liebe, voller Wut und doch voller Hoffnung. Ist das Gefängnissystem die Fortsetzung der Sklaverei unter anderen Vorzeichen? Beale Street Blues von James Baldwin strahlt grell in unsere Gegenwart.  

James Baldwin, 1924 geboren, ist einer der bedeutendsten US-amerikanischen Schriftsteller. Sein bereits zu Lebzeiten vielfach ausgezeichnetes Werk umfasst Essays, Romane, Erzählungen, Gedichte und Theaterstücke. Er starb 1987 in Südfrankreich.

James Baldwin, 1924 geboren, ist einer der bedeutendsten US-amerikanischen Schriftsteller. Sein bereits zu Lebzeiten vielfach ausgezeichnetes Werk umfasst Essays, Romane, Erzählungen, Gedichte und Theaterstücke. Er verstarb 1987 in Südfrankreich.

EINS


Troubled about my soul


Ich betrachte mich im Spiegel. Ich bin auf den Namen Clementine getauft, insofern wäre es logisch, wenn die Leute mich Clem nennen würden oder eben Clementine, immerhin heiße ich so: Tun sie aber nicht. Die Leute nennen mich Tish. Wahrscheinlich auch wieder logisch. Ich bin müde, und so langsam finde ich irgendwie alles, was passiert, logisch. Wieso sollte es sonst passieren? Aber so darf man echt nicht denken, so einen Gedanken kann man nur haben, wenn man in Schwierigkeiten steckt – völlig unlogischen Schwierigkeiten.

Heute war ich bei Fonny. Der heißt auch nicht so, getauft ist er auf den Namen Alonzo: Und logisch wäre zum Beispiel, wenn die Leute ihn Lonnie nennen würden, aber wir haben ihn schon immer Fonny genannt. Alonzo Hunt, so heißt er. Ich kenne ihn schon mein ganzes Leben und werde ihn hoffentlich immer kennen. Alonzo nenne ich ihn nur, wenn ich ihm was richtig Heftiges sagen muss.

»Alonzo …?«, hab ich heute gesagt.

Und da guckt er mich an, so alarmiert, wie er immer guckt, wenn ich ihn mit seinem richtigen Namen anspreche.

Fonny ist im Gefängnis. Wenn wir uns sehen, sitze ich auf einer Bank vor einem Brett, und er sitzt auf einer Bank vor einem Brett. Wir sitzen uns gegenüber, und zwischen uns ist eine Glaswand. Durch die hört man nichts, darum hat jeder auf seiner Seite ein kleines Telefon. Da muss man reinsprechen. Ich weiß nicht, wieso Menschen beim Telefonieren immer nach unten gucken, aber das ist so. Man muss richtig dran denken, die Person anzugucken, mit der man spricht.

Ich denke jetzt immer dran, weil Fonny im Gefängnis sitzt und ich seine Augen liebe und bei jedem Besuch Angst habe, ihn nie wiederzusehen. Sobald ich ankomme, nehme ich also das Telefon und halte es fest und sehe ihn die ganze Zeit an.

Als ich »Alonzo …« sagte, blickte er erst nach unten und dann hoch, und er sah mich an, und er lächelte und wartete mit dem Telefon in der Hand.

Ich wünsche echt niemandem, dass er den, den er liebt, durch eine Scheibe angucken muss.

Es ist nicht so rausgekommen, wie ich es geplant hatte. Ich hatte geplant, es ganz lässig zu sagen, damit es gar nicht erst so klingt, als wenn ich ihm irgendwas vorwerfe.

Es ist nämlich so: Ich kenne ihn einfach. Er ist sehr stolz, und er macht sich dauernd Sorgen, und genau genommen – im Gegensatz zu ihm weiß ich das – ist das auch der Hauptgrund dafür, dass er im Gefängnis sitzt. Er macht sich ja so schon zu viele Sorgen, da will ich nicht, dass er sich noch um mich Sorgen macht. Eigentlich wollte ich gar nichts sagen, aber es musste sein. Er muss ja Bescheid wissen.

Außerdem dachte ich, später, wenn er sich keine Sorgen mehr macht, wenn er wach liegt in der Nacht, wenn er ganz alleine ist, ganz, ganz tief drinnen, wenn er noch mal drüber nachdenkt, ist er vielleicht froh. Und das könnte ihm helfen.

Ich sagte: »Alonzo, wir kriegen ein Kind.«

Ich sah ihn an. Ich lächelte, das weiß ich. Er sah aus, als wenn er ins Wasser stürzt. Ich konnte ihn nicht anfassen. Ich wollte ihn so gerne anfassen. Ich lächelte wieder, und meine Telefonhand wurde feucht, und einen Moment lang konnte ich ihn gar nicht sehen, ich schüttelte den Kopf, mein Gesicht war nass, und ich sagte: »Ich freu mich. Ich freu mich. Mach dir keine Sorgen. Ich freu mich.«

Aber er war jetzt ewig weit weg von mir, ganz für sich. Ich wartete darauf, dass er zurückkommt. Über sein Gesicht zuckte es: Mein Kind? Ich weiß, dass er das dachte. Nicht so, als wenn er mir nicht traut: Aber Männer denken so. Und die paar Sekunden, die er da draußen für sich war, weit weg von mir, war nur das Kind wirklich, als Einziges auf der Welt, wirklicher als das Gefängnis, wirklicher als ich.

Eins habe ich vergessen zu sagen: Wir sind nicht verheiratet. Ihm ist das wichtiger als mir, aber verstehen tu ich ihn schon. Wir wollten heiraten, aber dann ist er im Knast gelandet.

Fonny ist zweiundzwanzig. Ich bin neunzehn.

Er stellte die alberne Frage: »Bist du sicher?«

»Nein, bin ich nicht. Ich will dich nur ein bisschen durcheinanderbringen.«

Da grinste er. Er grinste, weil es jetzt durchgesickert war.

»Was machen wir denn jetzt?«, fragte er mich – wie ein kleiner Junge.

»Na ja, ertränken werden wir es nicht. Also müssen wir es wohl aufziehen.«

Fonny warf den Kopf zurück und lachte, er lachte, bis ihm die Tränen übers Gesicht liefen. Der erste Teil, vor dem ich mich so gefürchtet hatte, war also wohl schon mal ganz gut gelaufen.

»Hast du es Frank schon erzählt?«, fragte er. Frank ist sein Vater.

»Nein.«

»Deiner Familie?«

»Noch nicht. Aber keine Sorge. Dir wollte ich es halt nur zuerst erzählen.«

»Na ja«, sagte er. »Irgendwie logisch. Ein Kind.« Er sah mich an, dann senkte er den Kopf. »Aber im Ernst, was machst du denn jetzt?«

»Ich mach einfach so weiter wie bisher. Bis zum letzten Monat arbeiten, und dann kümmern sich Mama und Sis um mich, da musst du dir keine Sorgen machen. Außerdem haben wir dich bis dahin hier rausgeholt.«

»Sicher?« Sein kleines Lächeln.

»Klar bin ich mir sicher. Immer.«

Ich weiß, was er dachte, aber darüber darf ich in so einem Moment nicht nachdenken – nicht, solange ich ihn vor mir sehe. Da muss ich mir sicher sein.

Ein Mann stellte sich hinter Fonny, die Zeit war um. Fonny lächelte und hob wie immer die Faust, ich hob meine, und er stand auf. Irgendwie überrascht mich hier drinnen immer wieder, wie groß er ist. Wobei er abgenommen hat, dadurch wirkt er vielleicht noch größer.

Er drehte sich um und ging durch die Tür, und die Tür ging hinter ihm zu.

Mir war schwindlig. Ich hatte den Tag über kaum gegessen, und es war spät geworden.

Ich ging raus, durch die großen breiten Flure, die ich inzwischen so hasse, Flure breiter als die Sahara. Die Sahara ist nie leer, diese Flure sind nie leer. Wenn man beim Durchqueren der Sahara hinfällt, kreisen irgendwann Geier über dir, sie riechen deinen Tod, sie spüren ihn. Immer tiefer kreisen sie: Sie warten. Sie wissen Bescheid. Sie wissen genau, wann das Fleisch so weit ist, wann der Geist sich nicht mehr wehren kann. Die Armen durchqueren ständig die Sahara, und die Anwälte und Kautionsagenten und das ganze Pack kreisen um die Armen wie die Geier. Eigentlich sind sie gar nicht reicher als die Armen, darum sind sie ja Geier geworden, Plünderer, unanständige Müllmänner, und dazu zähle ich auch die schwarzen Typen, die zum Teil sogar noch schlimmer sind. Ich persönlich würde mich schämen, glaube ich. Oder auch nicht, so sicher bin ich mir nicht mehr. Keine Ahnung, was ich alles anstellen würde, um Fonny rauszuholen. Hier im Knast hab ich nie Scham erlebt außer bei mir, außer bei den schwarzen Ladies, die so hart arbeiten und die mich Tochter nennen, oder bei den stolzen Puerto Ricanerinnen, die überhaupt gar nichts mehr kapieren – zum Beispiel spricht hier nie einer Spanisch mit ihnen. Die schämen sich, weil ihre Lieben im Knast sitzen, aber dafür sollten sie sich nicht schämen. Die Leute, die für diese Gefängnisse verantwortlich sind, die sollten sich schämen.

Und ich schäme mich nicht für Fonny. Wenn überhaupt, dann bin ich stolz auf ihn. Er ist ein Mann. Das merkt man an der Art, wie er mit dieser ganzen Scheiße umgeht. Angst hab ich allerdings schon manchmal – keiner hält die Scheiße, mit der sie uns bewerfen, ewig aus. Aber dann muss man innerlich den Schalter so umlegen, dass man durchkommt, von einem Tag zum nächsten. Wenn man zu weit vorausdenkt, wenn man auch nur versucht, zu weit vorauszudenken, dann schafft man es nie.

Manchmal nehme ich die Subway nach Hause, manchmal den Bus. Heute bin ich mit dem Bus gefahren, weil er länger braucht und weil mir so viel im Kopf rumging.

Wenn man in Schwierigkeiten steckt, kann einen das ganz komisch durcheinanderbringen. Ich weiß nicht genau, ob ich das erklären kann. Es gibt Tage, da scheint es so, als wenn man Leuten zuhört und mit ihnen redet und seine Arbeit macht, jedenfalls wird die Arbeit fertig, aber in Wahrheit hat man keine Menschenseele gehört oder gesprochen, und wenn jemand fragt, was man den ganzen Tag gemacht hat, muss man richtig lange drüber nachdenken. Zur gleichen Zeit und sogar am gleichen Tag – und genau das ist eben so schwer zu erklären – sieht man Menschen, wie man sie noch nie gesehen hat. Sie blitzen vor einem auf wie Rasiermesser. Vielleicht weil man sie mit anderen Augen sieht als vorher, vor den Schwierigkeiten. Vielleicht denkt man mehr über sie nach, aber anders, und dadurch werden sie einem fremd. Vielleicht wird man ängstlich und taub, weil man nicht weiß, ob man sich überhaupt noch irgendwie auf irgendwen verlassen kann.

Und selbst wenn sie bereit wären, was zu tun – was denn? Ich kann ja nicht einfach zu irgendwem in diesem Bus sagen, Mensch, Fonny steckt in Schwierigkeiten, er sitzt im Knast – könnt ihr euch vorstellen, was die Leute in diesem Bus zu mir sagen würden, wenn sie von mir hören, dass ich jemanden liebe, der im Knast sitzt? –, und ich weiß, dass er kein Verbrechen begangen hat, und er ist so ein wunderbarer Mensch, helfen Sie mir bitte, ihn rauszuholen. Könnt ihr euch vorstellen, was die Leute in diesem Bus sagen würden? Was würdet ihr denn sagen? Ich kann doch nicht einfach sagen, ich erwarte ein Kind, und ich hab Angst, und ich will nicht, dass dem Vater von dem Kind was zustößt, lassen Sie ihn nicht im Gefängnis sterben, bitte, ach, bitte! Das kann man doch nicht sagen. Das heißt allerdings, dass man gar nichts sagen kann. Wenn man in Schwierigkeiten steckt, heißt das, man ist allein. Man...

Erscheint lt. Verlag 20.7.2018
Übersetzer Miriam Mandelkow
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Afroamerikanische Literatur • Afro-Amerikanische Literatur • Amerikanische Literatur • amerikanisches Justizsystem • Barry Jenkins • Black lives matter • Buchverfilmung • Colorism • Diskriminierung • falsche Anklage • Familie • Gleichberechtigung • Harlem • institutioneller Rassismus • Klassiker • Liebesgeschichte • Love Story • Neuübersetzung • New York • People of Color • Polizeigewalt • Polizeiwillkür • Rassismus • Schwarzenviertel • Verfilmte Bücher • verfilmte Literatur • Vergewaltigungsvorwurf • Voreingenommenheit • Vorurteile • Vorurtele • Vorverurteilung • W.C. Handy • weiße Justiz
ISBN-10 3-423-43486-4 / 3423434864
ISBN-13 978-3-423-43486-7 / 9783423434867
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