Das Rauschen der Stille -  Heidi Cullinan

Das Rauschen der Stille (eBook)

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2018 | 1. Auflage
320 Seiten
Cursed Verlag
978-3-95823-694-3 (ISBN)
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Jeremy Samson hat seinen Schulabschluss in der Tasche und will jetzt nur noch eins: sich unter seiner Bettdecke verstecken, schlafen und nie wieder aufstehen. Und dann taucht plötzlich Emmet Washington in seinem Leben auf. Emmet ist hochintelligent, grundehrlich, sieht gut aus, hat Interesse an Jeremy - und ist Autist. Als sie sich näherkommen, droht Jeremy die Situation über den Kopf zu wachsen, denn Emmet scheut sich nicht, Probleme beim Namen zu nennen - und davon hat Jeremy mehr als genug. Seine Gefühle für Emmet gehen so tief wie nie etwas zuvor, doch kann Jeremy ihnen vertrauen?

 

Kapitel 1


 

 

Emmet

 

Ich brauchte zehn Monate, um Jeremey Samson kennenzulernen.

Ich sah Jeremey an dem Tag, an dem wir in unser Haus in Ames, Iowa, einzogen. Wir waren dorthin umgezogen, bevor ich mein Studium an der Iowa State University begann. Jeremeys Haus befand sich gegenüber, auf der Rückseite unseres Hauses hinter den Bahngleisen, wo eigentlich eine Gasse hätte sein müssen. Wenn ich mit meiner Tante Althea zu dem Bioladen am Ende der Straße ging, bat ich sie, den langen Weg zu gehen, damit ich mir die Hausnummer und das Kennzeichen des Autos in der Einfahrt einprägen konnte. Ich musste eine Weile im Internet suchen, bis ich seinen Nachnamen und schließlich auch seinen Vornamen herausfand. Jeremey Samson.

Allerdings sprach ich ihn nicht an. Ich beobachtete ihn aus der Ferne. Ich musterte ihn über den Garten hinweg. Ich entdeckte seinen Instagram-Account. Sein Internetauftritt war dezent. Einerseits war es eine kluge Entscheidung, andererseits erschwerte es jedoch, jemanden kennenzulernen, den man aus Schüchternheit nicht persönlich ansprechen konnte. Ich hätte mich ihm über die sozialen Medien vorgestellt, eine Nachricht geschickt und ihn erst einmal durch das Schreiben näher kennengelernt, doch er postete vielleicht ein Bild pro Monat und schrieb nie Kommentare.

Damals war er in der Oberstufe. Er hatte einen Freund namens Bart, was wahrscheinlich die Kurzform von Bartholomew war. Bart postete gern Selfies auf Instagram, auf denen er die Zunge herausstreckte. Ich folgte Barts Account, weil er manchmal auch Bilder von Jeremey machte.

Jeremey streckte seine Zunge allerdings nie heraus und sein Lächeln war immer schmal, wobei er die Lippen geschlossen hielt. Manchmal versuchte ich, eine logische Erklärung dafür zu finden, warum ich Jeremey so sehr mochte, aber romantische Gefühle hatten nichts mit Logik zu tun. Manchmal war es die Art, wie er seinen Namen schrieb, die ich an ihm am meisten mochte. Jeremey, mit einem zusätzlichen E. Ich hatte ein Computerprogramm geschrieben, um seinen Namen in einer hübschen Schriftart zu schreiben, und musste immer über das dritte E lächeln. Es machte ihn zu etwas Besonderem – gewöhnliche Jeremys waren nicht gut genug, um alle Es zu haben.

Manchmal mochte ich ihn wegen seines Lächelns. Manchmal mochte ich ihn, weil er nicht lächelte. Manchmal bekam ich eine Erektion wegen der Art, wie er sich die Haare aus dem Gesicht strich. Mein Gehirn interessierte es nicht, dass das seltsame Gründe waren, sich für jemanden zu interessieren. Mein Gehirn, mein Körper, alles an mir wollte mit Jeremey zusammen sein.

Ich wollte mich vorstellen, doch ich war zu nervös. Mein erstes Jahr auf dem College war eine Herausforderung und ich hatte nicht genug Kraft, um mit so vielen neuen Dingen umzugehen und zusätzlich eine Freundschaft zu schließen. Ich hoffte immer darauf, Jeremey auf der Straße oder in der Bibliothek zu begegnen, aber es passierte nie. Während das Schuljahr voranschritt, kam Jeremey immer seltener nach draußen und er postete immer weniger Bilder, sodass manchmal ein ganzer Monat ohne eine Aktivität verging. Im Mai feierte er eine Abschlussparty, aber es kamen nicht viele Leute, um mit ihm auf der Veranda zu sitzen. Als ich Jeremey sah, wirkte er traurig.

Ich wollte ihn kennenlernen und herausfinden, warum er traurig war und ihn vielleicht glücklich machen. Aber ich konnte nicht. Um ehrlich zu sein, war ich in Jeremey Samson verknallt. Ich wollte nicht einfach nur sein Freund sein. Ich wollte sein fester Freund sein.

Die meisten Menschen würden sagen: Gute Arbeit. Schnapp dir deinen Freund. Wenn ich in ein Online-Forum gehen würde, könnte ich jeden dazu bringen, mir die Daumen zu drücken. Die Leute störte es kaum noch, dass ich schwul war und in Ames interessierte es ohnehin niemanden.

Es gibt jedoch ein kleines Problem, etwas, das die Meinung der Leute über mich ändern würde. Es ist der Grund, warum ich so lange warten musste, um mich Jeremey vorzustellen, der Grund, warum ich meiner Familie nichts von meiner Schwärmerei erzählt habe. Dieses winzige Problem ist der Grund, warum mich ein Umzug nervös und das College zu einer Herausforderung gemacht hat. Obwohl ich haufenweise Freunde im Internet habe, gibt es eine Sache, die die Meinung der Leute über mich ändert, wenn sie mich persönlich treffen. Denn obwohl das Ich, das so schreibt, dasselbe Ich ist, das läuft und redet und mit dem Bus zum College fährt, würde es niemand glauben, der mich von Angesicht zu Angesicht sieht.

Mein Name ist Emmet David Washington. Ich bin neunzehn Jahre alt und Student im zweiten Studienjahr an der Iowa State University. Ich studiere Informatik und angewandte Physik. Ich hatte die Höchstpunktzahl in meinem Collegetest. Ich bin einen Meter und neunundsiebzig Zentimeter groß, habe dunkle Haare und blaugraue Augen. Ich mag Puzzles und die Blues Brothers. Ich kenne mich mit Computern aus und bin gut in Mathe. Ich kann mich an beinahe alles erinnern, was ich lese und sehe. Ich bin schwul. Ich mag Züge, Pizza und das Geräusch von Regen.

Außerdem habe ich eine Autismus-Spektrum-Störung, kurz ASS. Das ist nicht einmal annähernd die wichtigste Information über mich, aber sobald die Leute mich sehen, beobachten, wie ich gehe und mich reden hören, scheint es das Einzige zu sein, das zählt. Die Menschen behandeln mich anders. Sie tun so, als wäre ich dumm oder gefährlich. Sie sagen Spasti zu mir oder meinen, dass ich in ein Heim gehöre und damit meinen sie die Einrichtung, nicht das Haus, in dem ich wohne.

Wenn die Menschen herausfinden, dass ich Autist bin, sind sie der Meinung, dass ich mich nicht verlieben darf, nicht in Jeremey, nicht in sonst jemanden.

Was natürlich Mist ist. Es ist, wie Elwood Blues sagt: Everybody needs somebody to love. Ich bin ein Jeder. Ich bekomme einen Jemand.

Das Problem ist, dass es komplizierter ist, einen Jemand zu bekommen, wenn man Autismus hat. Wenn ich mich Jeremey vorstellen möchte, um herauszufinden, ob er mein Freund — oder vielleicht mehr — sein möchte, dürfte ich ihn nicht ignorieren oder zulassen, dass mein Autismus ein beunruhigendes Gefühl über eine mögliche Zurückweisung heraufbeschwört. Ich habe versucht mir einzureden, dass jemand mit einem so ruhigen Gesicht und schönen Lächeln keine gemeinen Dinge sagen oder mich beschimpfen würde. Ich nahm mir vor, mutig zu sein.

Ich brauchte zehn Monate, um mich Jeremey Samson vorzustellen. Zehn Monate, um die Anstandsregeln auswendig zu lernen und die richtigen Worte zu finden, um Jeremey mich zu zeigen, nicht meinen Autismus. Es brauchte viel Zeit und viel Arbeit, aber ich tat es.

Ich hätte mir nicht so viele Sorgen machen müssen. Offen gesagt, bin ich großartig und jeder, der dem nicht zustimmt, soll verschwinden.

 

Bevor ich erzähle, wie ich Jeremey kennenlernte und sein Freund wurde, muss ich erklären, wie mein Autismus funktioniert. Das Erste, was man über Autismus wissen muss, ist, dass es bei jedem Menschen anders ist und dass die Ärzte nicht alles über diese Erkrankung wissen. Manche Leute diskutieren sogar darüber, ob es überhaupt eine Erkrankung ist oder ob Erkrankung das richtige Wort ist. Meine Mom sagt, dass sich Erkrankung anhört, als würde etwas mit mir nicht stimmen, was allerdings nicht der Fall ist. Ich bin anders verkabelt, aber sie sagt, dass es bei jedem Menschen so ist, wenn man genau hinsieht.

Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass das Wort richtig ist. Das Wort Erkrankung bedeutet: Störung der normalen physischen und mentalen Funktionen. Ich verstehe, dass niemand wirklich normal ist, aber wie ich meiner Mom schon erklärt habe, weiche ich großzügig vom Mittelwert ab. Ich bin nicht nur ein wenig falsch verkabelt. Ich bin ziemlich falsch verkabelt.

Es ist schwer zu beschreiben, wie sich Gehirnaktivitäten eines Autisten von den Menschen mit einem Durchschnittsgehirn unterscheiden, da ich nicht weiß, wie sich ein Durchschnittsgehirn anfühlt. Die beste Zusammenfassung ist, dass ich sensibler bin als die meisten Menschen und ich meine damit nicht, dass meine Gefühle verletzt werden können. Meine Art von Sensibilität bedeutet, dass es sich anfühlt, als würde ein Spachtel über mein Gehirn kratzen, wenn ich die Naht meiner Strümpfe an meinem Zeh spüre. Die Luft eines Ventilators kann sich anfühlen, als würden zehn Millionen Ameisen über meine Haut krabbeln. Lärm stört mich nicht, aber von blinkenden Lichtern wird mir schlecht. Bei starken Gerüchen passiert dasselbe und die Konsistenz bestimmter Lebensmittel verursacht, dass ich mich übergeben muss.

Wenn ich Dinge betrachte, sehe ich sie besonders hell und jedes kleine Detail lenkt mich ab. Alle Geräusche sind lauter, sogar die Atmung. Oft überfordert es mich, zu lange unter Menschen zu sein, da Menschen eine ziemliche Reizüberflutung darstellen können. Das ist mein Problem in der Schule. Ich verstehe nicht, warum es nur mich ärgert, wenn die anderen Studenten in den Fluren schubsen oder zu laut mit durchdringenden Stimmen sprechen....

Erscheint lt. Verlag 18.5.2018
Übersetzer Anne Sommerfeld
Verlagsort Taufkirchen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Autist • Behinderung • Erotik • gay romance • Handicap • Homoerotik • Liebe • M/M • mxm • Romance • Schwul • Yaoi
ISBN-10 3-95823-694-4 / 3958236944
ISBN-13 978-3-95823-694-3 / 9783958236943
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