Die bessere Hälfte (eBook)
288 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00237-1 (ISBN)
DR. MED. ECKART VON HIRSCHHAUSEN, geboren 1967, ist Deutschlands bekanntester Arzt und einer der erfolgreichsten Sachbuchautoren («Glück kommt selten allein ...», «Wunder wirken Wunder»). Hirschhausen verbindet medizinische Inhalte mit Humor und nachhaltigen Botschaften. Seit über 20 Jahren ist er als Komiker auf allen großen Bühnen Deutschlands unterwegs, aktuell mit seinem Liveprogramm «Endlich!». In der ARD moderiert Hirschhausen die Wissensshows «Frag doch mal die Maus» und «Hirschhausens Quiz des Menschen» und dreht Reportagen. Mit seiner Stiftung HUMOR HILFT HEILEN bringt er gesundes Lachen ins Krankenhaus und stärkt das Humane in der Humanmedizin und Pflege. Er engagiert sich außerdem für eine medizinisch und wissenschaftlich fundierte Klimapolitik und ist Mitglied der Allianz Klimawandel und Gesundheit, Unterzeichner von 'Scientists for Future' und Gründer von 'Doctors for Future'.
DR. MED. ECKART VON HIRSCHHAUSEN, geboren 1967, ist Deutschlands bekanntester Arzt und einer der erfolgreichsten Sachbuchautoren («Glück kommt selten allein ...», «Wunder wirken Wunder»). Hirschhausen verbindet medizinische Inhalte mit Humor und nachhaltigen Botschaften. Seit über 20 Jahren ist er als Komiker auf allen großen Bühnen Deutschlands unterwegs, aktuell mit seinem Liveprogramm «Endlich!». In der ARD moderiert Hirschhausen die Wissensshows «Frag doch mal die Maus» und «Hirschhausens Quiz des Menschen» und dreht Reportagen. Mit seiner Stiftung HUMOR HILFT HEILEN bringt er gesundes Lachen ins Krankenhaus und stärkt das Humane in der Humanmedizin und Pflege. Er engagiert sich außerdem für eine medizinisch und wissenschaftlich fundierte Klimapolitik und ist Mitglied der Allianz Klimawandel und Gesundheit, Unterzeichner von "Scientists for Future" und Gründer von "Doctors for Future". PROF. DR. MED. TOBIAS ESCH, geboren 1970, ist Pionier einer ganzheitlichen Allgemeinmedizin und Experte für die Neurobiologie des Glücks. Er prägte die Integrative Gesundheitsförderung in Deutschland und ist Gastprofessor an der Harvard Medical School sowie assoziierter Neurowissenschaftler an der State University von New York. Seit 2016 forscht und lehrt er an der Universität Witten/Herdecke. Er veröffentlichte über 200 wissenschaftliche Arbeiten – von der Grundlagenforschung bis zur Gestaltung der Arzt-Patienten-Kommunikation. Zuletzt erschien von ihm das Buch «Der Selbstheilungscode», nominiert u.a. für das Wissensbuch des Jahres 2017.
Was die Dichter schon vor den Wissenschaftlern über das Älterwerden wussten
Was uns die Eltern über das Glück mit auf den Weg gegeben haben
Und: warum es erst abwärtsgehen muss, um wieder aufwärtsgehen zu können
Kapitel zwei Wachsende Ringe und das Tal der Tränen
«Ich wäre gerne abends mal so müde wie morgens.»
Arno Backhaus
Tobias, ich habe gesehen, bei euch hängt am Kühlschrank ein Gedicht von Rainer Maria Rilke:
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn …
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Was bedeutet dir dieses über 100 Jahre alte Gedicht heute?
Es erinnert mich an meinen Vater. Er ist vor einigen Jahren gestorben und hat, ohne dass ich das realisiert habe, im Grunde genommen immer nach diesem Motto gelebt. Jeder Tag ist ein neuer Ring. Selbst wenn man den allerletzten nicht zu Ende bringt, ist es dennoch sinnvoll, ihn zu beginnen. Mein Vater hatte mit diversen Einschränkungen und Behinderungen zu kämpfen, die im Laufe seines Lebens deutlich zugenommen hatten. Zuletzt war er schwer krank. Aber er ist jeden Morgen aufgestanden und hat den Tag in Angriff genommen, anstatt sich zu fragen: «Warum soll ich dieses oder jenes noch tun, lohnt sich das überhaupt?» Natürlich hat er auch Fragen gehabt, Zweifel und Ängste, Angst vor dem Tod. Aber zusammen mit meiner Mutter, die beim Frühstück gesagt hat: «Komm, Gerd, du schaffst das», wurde der neue Ring probiert. Und so starb mein Vater schließlich auch: Das aufgeschlagene Buch von Helmut Schmidt lag noch da, mit seiner Brille obendrauf, als käme er gleich wieder. Obwohl er kaum mehr lesen konnte, hat er wie selbstverständlich immer wieder ein neues Buch angefangen. Ich entdeckte das Rilke-Gedicht, das an unserem Kühlschrank hing und an dem ich jahrelang achtlos vorbeigegangen war, erst kurz nach seinem Tod wieder und war tief berührt. Auf der Trauerfeier habe ich es dann vorgetragen. Das Gedicht war für meinen Vater sehr charakteristisch.
Kurioserweise ist das auch das Lieblingsgedicht meiner Mutter, das wir gerade zu ihrem 80. Geburtstag vorgetragen haben. Dich und mich verbindet vieles, das wir erst nach und nach, auf den zweiten Blick, entdecken. Genauso wie wir bei unseren Gesprächen merken, wie lange uns schon ähnliche Themen umtreiben, innerhalb der Medizin, innerhalb unserer Familien, aber auch bei der Forschung über das Älterwerden, über das Reifen, über das Ringen mit den Ringen. Ich bin ja ein bisschen älter als du …
… biologisch …
… dafür hast du ein paar mehr graue Haare. Die passen zu dir. Meine Schläfen ziehen nach, aber wenn ich jemals auch nur ansatzweise darüber nachdenken sollte, die Ansätze zu färben, hast du hiermit die Erlaubnis, mich daran öffentlich zu hindern. Was uns unterscheidet: Du bist ländlich groß geworden, ich städtisch, du an der Weser, ich an der Spree. Wie hat dich das geprägt?
Von meinem Elternhaus aus konnte man aufs Wasser schauen, auf einen Seitenarm der Weser. Durch sie war er angebunden an die Strömung des Meeres und damit an Flut und Ebbe. Das Besondere, frei nach Heraklit: Man steigt niemals in den gleichen Fluss. Das Wasser kommt immer wieder zurück, aber nie ist es genau gleich. Ich bin aufgewachsen mit diesem Fließen, mit dem Bild des Kommens und Gehens. Man hat immer eine zweite Chance, weil nach Ebbe wieder die Flut kommt. Mein Vater war schon Ende 50, als ich die ersten wirklich tiefen Gespräche mit ihm geführt habe. Er hat zeitlebens, zumindest soweit ich mich erinnern kann, auf meine Frage, wie es ihm gehe, geantwortet: «Ich bin zufrieden.» Mich hat das als Kind, als Jugendlicher wahnsinnig gemacht, weil ich immer dachte: Das kann doch nicht alles sein, das reicht mir nicht, das ist mir zu wenig! Wenn das der Ausblick sein soll aufs Leben, einfach nur zufrieden sein: schönen Dank. Inzwischen bin ich selbst älter geworden und kapiere mehr und mehr: Es könnte etwas dran sein an dieser Zufriedenheit meines Vaters. Und auch deshalb habe ich mich wissenschaftlich mit der Frage beschäftigt, woher sie bei älteren Menschen kommen könnte – wenn sie denn echt ist.
Spannend. Dich hat der Gleichmut deines Vaters aufgewühlt und zur Spurensuche angestachelt. Die Zufriedenheit kam durch die Vordertür. Ich kam auf das ganze Thema Positive Psychologie und Glücksforschung, weil ich privat vor über zehn Jahren sehr unzufrieden war und wissen wollte, was denn die Wissenschaft darüber weiß, was uns wirklich glücklich macht. Und über das Thema sind wir beide uns dann ja auch begegnet. In den USA ist man schon viel länger auf dem Trip, das gelingende Leben ernsthaft zu untersuchen – du warst lange dort, wie bist du da wissenschaftlich vorgegangen?
Ich beschäftige mich schon seit einer ganzen Weile mit dem Gehirn und der Neurobiologie des Glücks. Und was sich dabei herausstellte: Unser Belohnungssystem macht eine Entwicklung durch. Unsere amerikanische Arbeitsgruppe konnte belegen, dass es offenbar eine Verfärbung der Grundstimmung über die Lebensspanne gibt, einen Wechsel der Gestimmtheit hin zu etwas, das wir vielleicht «nach Hause kommen» nennen würden oder «in den Heimathafen einlaufen».
Da merkt man wieder das Hanseatische an dir. Dieser Hafen ist für dich und mich und viele unserer Leser aber noch sehr weit weg. In der Lebensmitte, in der wir uns gerade befinden, herrscht für viele gefühlsmäßig eher Ebbe: Das Wasser entfleucht, die Luft ist raus, das Tempo, an das man sich gewöhnt hat, macht einem zunehmend Mühe – das merke ich auch an mir. Du warst bei meinem 50. Geburtstag dabei. Das war ein tolles Fest. Aber unterschwellig ist einem spätestens nach dem Rausch sonnenklar: Jetzt liegt mehr hinter mir als vor mir. Worauf soll ich mich denn jetzt bitte freuen? Wenn das die Midlife-Crisis ist, hätte ich ja noch mal 50 Jahre. Ich habe die Krise nicht, aber ich bekomme die Krise, wenn mir Leute Zeit stehlen. Mir ist heutzutage viel stärker bewusst, dass Zeit nicht wiederkommt, dass sie sich nicht vermehren lässt und dass mir nur noch eine überschaubare Zahl an Lebensjahren bleibt, die ich «im Saft» stehe. Und daher möchte ich keine unnötige Zeit mehr mit Menschen verbringen, die das nicht respektieren. Wenn es passiert, werde ich heute schneller ungemütlich als früher. In ihrem Buch «Freut euch nicht zu spät» bringt es die Autorin Janice Jakait auf den Punkt: Das zweite Leben beginnt, wenn man begreift, dass man nur eines hat.
Will ich 100 werden? Ist das wahrscheinlich? Gar erstrebenswert? Ich spüre in dieser Lebensphase eher eine riesige Verantwortung als Leichtigkeit. Die Eltern werden alt, und die klassische Logik, dass sie für einen da sind – was man als Kind inhaliert hat und für die selbstverständliche Weltordnung hielt –, die gilt nicht mehr. Plötzlich ist man selbst derjenige, der sich um Menschen kümmern muss, der verantwortlich ist, der den Überblick behalten soll. Da ist keiner mehr, der auf einen aufpasst. Das fühlt sich leer an über einem. Ich erwische mich dabei, dass ich, obwohl ich viel über das Glück und die Zufriedenheit weiß, doch auch solche melancholischen Züge plötzlich an mir entdecke. Ist das normal, Herr Doktor? Komme ich langsam bei mir an, oder werde ich schon depressiv?
Melancholie gehört zum Leben dazu. Wenn wir uns beispielsweise das Glück anschauen, dann sehen wir, dass es gerade in der Jugend oft mit Hochmomenten verbunden ist, in denen einem das Herz scheinbar aus der Brust springt. Man hangelt sich von Glücksmoment zu Glücksmoment. Das sind Momente, die heftig sind, besonders eindrücklich, euphorisch vielleicht, aber eben vergänglich. Das heißt, in jedem Glücksmoment sind Abschied, Vergänglichkeit und Melancholie schon angelegt. Du kannst das Glück nicht festhalten, es rinnt dir durch die Finger. Ein schönes Bild hierfür – ich bin ja mit einer Rheinländerin verheiratet – ist der Karneval. Als gebürtiger Bremer hatte ich zugegebenermaßen am Anfang große Schwierigkeiten, mich mit dem Karneval anzufreunden.
Aber du hast es geschafft, im Gegensatz zu mir.
Ja, und er ist mir ins Blut übergegangen – und noch viel mehr in das Blut unserer Kinder. In der «fünften Jahreszeit» gibt es tolle Tage, du holst darin noch mal Hochmomente, auch der Jugend, zurück. Aber die Melancholie schwingt immer mit: Aschermittwoch kommt – gnadenlos, jedes Jahr. Und dann ist es vorbei.
Schluss mit lustig. Wobei ich es schon immer albern fand, wie einige Leute sich ihre Lustigkeit für die «närrischen Tage» aufsparen, um den Rest des Jahres komplett humorbefreit durchs Leben zu gehen.
Eckart, du protestantischer Preuße! Das wirst du wahrscheinlich nie so richtig verstehen. Stürz dich da doch einfach mal rein! Aber zurück zur Melancholie: Vielleicht erleben wir sie zurzeit stärker, weil sich das Glück über die Lebenszeit verändert. Später tendiert es in Richtung Gelassenheit, Dankbarkeit, Zufriedenheit, doch davor gibt es leider eine Phase, die wir das «Tal der Tränen» nennen – und du befindest dich gerade mittendrin.
Du auch! Ganz viele in unserer Altersgruppe, die viel am Hacken haben in der Lebensmitte, sind mitunter ausgebrannt oder resignieren. Die würden gerne aussteigen oder...
Erscheint lt. Verlag | 13.9.2018 |
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Zusatzinfo | Zahlr. 4-farb. Abb. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga ► Humor / Satire |
Schlagworte | Achtsamkeit • alt • Alter • Altersarmut • Altersdepression • Altersheim • Älterwerden • Altwerden • Anti-Aging • Aufbruch • Bäume • dement • demographischer Wandel • Dialog • Ende des Lebens • Enkel • Familie • Freunde • Frieden • Garten • Gehirnjogging • Generationenvertrag • Gesundheit • Glück • Glückstagebuch • Glückstypen • Greisenalter • Großeltern • Großmutter • Großmütter • Happiness • Heilung • Hochbegabte • Humor • Hundertjährige • innerer Friede • Intelligenz • Intensivmedizin • Jugend • Kinder • Krankheit • Krebs • Lebensabend • Lebensende • Lebenshälfte • Medikamente • Medikation • Meditation • Medizin • Midlife Crisis • Mind-body • Mindfulness • Nachhaltigkeit • Natur • Naturheilkunde • Neurobiologie • Neustart • Palliativ • Pflege • Placebo • Placeboeffekt • Plazebo • Plazeboeffekt • Positive Psychologie • Reife • Rente • Selbstheilung • Selbstheilungscode • Sterben • Tabletten • Tanzen • Tod • U-Kurve • Waldbaden • Weisheit • wohlfühlen • Zufriedenheit • Zufriedenheitsparadoxon |
ISBN-10 | 3-644-00237-1 / 3644002371 |
ISBN-13 | 978-3-644-00237-1 / 9783644002371 |
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