Pinnegars Garten (eBook)

Mit einem Nachwort von Penelope Hobhouse. Roman
eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
224 Seiten
Unionsverlag
978-3-293-30656-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Pinnegars Garten -  Reginald Arkell
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Herbert Pinnegar, ein Findelkind, entdeckt schon früh seine Liebe zu den Blumen und fängt als junger Bursche an, im Garten von Lady Charteris Unkraut zu jäten. Als der altersgrantige Obergärtner abtritt, schlägt seine große Stunde: Er übernimmt das Gartenregiment und teilt sein Leben fortan mit Heckenrosen und Buschwinden. Er ist ein Mann, dem sein Garten über alles geht, ein wandelndes Kompendium des Gartenwissens und ein Zauberer, der es schafft, seine Lady immer wieder in Erstaunen zu versetzen.

Reginald Arkell, geboren 1882 in Gloucestershire, veröffentlichte neben Pinnegars Garten Romane und mehrere Bände mit Gartenlyrik. Bekannt wurde er außerdem als Autor erfolgreicher Musicals und Theaterstücke. Die Theaterfassung von Pinnegars Garten wurde an Weihnachten 1979 vor der Royal Family in Windsor Castle aufgeführt. Reginald Arkell starb 1959 in Cricklade.

Reginald Arkell, geboren 1882 in Gloucestershire, veröffentlichte neben Pinnegars Garten Romane und mehrere Bände mit Gartenlyrik. Bekannt wurde er außerdem als Autor erfolgreicher Musicals und Theaterstücke. Die Theaterfassung von Pinnegars Garten wurde an Weihnachten 1979 vor der Royal Family in Windsor Castle aufgeführt. Reginald Arkell starb 1959 in Cricklade.

2 


An einem Donnerstag im November 1789 vermeldete die Morning Post, dass »das größte Bauvorhaben der Binnenschifffahrt im Königreich« vollendet sei. Der Severn war mit der Themse durch einen Kanal verbunden worden, der über vierzig Schleusen auf 343 Fuß anstieg, in einem zwei und drei Achtel Meilen langen Tunnel durch den Hügel von Sapperton führte und über siebenundzwanzig Schleusen wieder hinabstieg, um bei Lechlade in die Themse zu münden.

Als der erste Lastkahm diese ungeheuerliche Reise bewältigt hatte, wurde er von Salutschüssen aus zwölf Kanonen und einer riesigen Menschenmenge begrüßt, die zwischen dem Geböller in Hurrageschrei ausbrach und die Hüte in die Luft warf. In den größeren Gasthöfen setzte man sich zum Festessen nieder, und der Tag endete mit Glockengeläut, Freudenfeuern und einem Ball.

»Was den Binnenhandel des Königreichs und die Sicherheit der Reisewege in Kriegszeiten betrifft«, schloss die Morning Post, »wird sich diese Verbindung zwischen Themse und Severn in Zukunft als überaus segensreich auswirken.«

So viel zur Eitelkeit menschlicher Prophezeiungen. Fünfzig Jahre später hatte die Eisenbahn das Schicksal der Binnenschifffahrt besiegelt, und weitere fünzig Jahre später war der Themse-Severn-Kanal in einem derart desolaten Zustand, dass er so gut wie gar keine Bedeutung mehr hatte.

Den kleinen Jungen, die in den Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts auf der steinernen Bogenbrücke hockten und Worte von zweifelhafter Höflichkeit mit dem Schleusenwärter wechselten, lagen trübe Gedanken über Veränderung und Niedergang völlig fern. Der Wärter amtierte in einem eigenartigen kleinen runden Haus, und sein Posten glich eher einem gut bezahlten Ruhestand, denn obwohl der Kanal offiziell noch in Betrieb war, verging manchmal eine ganze Woche, bis ein Lastkahn durchkam. Und wenn er kam, brachte er höchstens eine Ladung Kohlen für die Dörfer oder nahm von den Bauern ein paar Säcke Gerste für die Brauereien in Bristol auf.

Der Schleusenwärter, ein zeterversessener alter Kerl, wie er im Buche stand, hatte also Zeit genug, sich mit seinen jugendlichen Plagegeistern herumzuzanken, und der Kanal hatte Zeit genug, in Erinnerungen an seinen vergangenen Ruhm zu versinken.

Unter den Gören, die auf der Brücke Steine aufklaubten und in das stehende Wasser schmissen, war einer, der offenbar nicht mit ganzem Herzen bei der Sache war. Er trug, wie seine Kameraden, die abgelegten Manchesterhosen und genagelten Stiefel der älteren Geschwister, aber sein Gesicht war feiner geschnitten, und eins seiner dürren Beine schien eine Idee kürzer zu sein als das andere. Den frechen Widerworten, die er dem zeternden alten Kerl zurief, fehlte es ein wenig an Würze, vielleicht weil er nicht so schnell rennen konnte wie seine Kumpane; und selbst wenn tatsächlich mal ein Lastkahn um die Kurve bog, interessierte ihn das Wogen der gelben Schwertlilien und rosa Kuckuckslichtnelken, die den Kanal jedes Jahr ein Stück weiter unter sich begruben, mehr als das Schiff.

An diesem Punkt seiner Erinnerungen angekommen, wurde Old Herbaceous in seinen Kissen unbehaglich zumute. Er ging liebend gern in der Vergangenheit spazieren, besonders gern am Ufer des alten Kanals, aber das Bild seiner kindlichen Erscheinung, die so deutlich von der der anderen Jungs abstach, brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Denn er war anders als sie, da gab es gar kein Vertun.

Als Mrs. Pinnegar, die Frau des Kuhhirten, eines Morgens im Mai vor über achtzig Jahren ihre Haustüre öffnete, erlitt sie den Schock ihres Lebens. Eingewickelt in einen alten Unterrock, lag da ein Baby auf ihrer Türschwelle, allem Anschein nach ein Neugeborenes. Mrs. Pinnegar, eine gute Seele mit sechs eigenen Kindern, ging in Gedanken die Jungfern im Dorf durch. Etliche von ihnen waren »in Umständen«, aber Mrs. Pinnegar, die auch als Hebamme fungierte und mit allen Familien auf gutem Fuß stand, wusste auf den Tag genau, wann es bei jeder von ihnen so weit war, und dieses Kind stellte sie vor ein Rätsel. Seit Wochen waren keine Zigeuner mehr durchs Dorf gezogen … Aber weil sie eine praktische Person war, hob die Frau des Kuhhirten das Bündel auf, das die Feen bei ihr abgeworfen hatten, taufte es Herbert, nach einem Onkel, der im Krimkrieg gefallen war, und verfügte sich zu ihrer montäglichen großen Wäsche. Wenn man schon sechs Mäuler zu stopfen hatte, kam es auf ein siebtes auch nicht mehr an.

Natürlich gab es ein bisschen Klatsch und Tratsch, aber eine unerwartete Ankunft sorgte damals in einem englischen Dorf gemeinhin nicht für Schlagzeilen. Die Brandstiftung in einer Scheune und die Preußen in Paris waren weitaus erregendere Neuigkeiten. Klein-Herbert wuchs in den Haushalt der Pinnegars hinein; die Jahre kamen und gingen, die neuen Mähmaschinen banden die Garben von allein und stießen sie aus …

Dennoch genoss eine Türschwelle als Fundort kein besonders hohes Prestige, speziell wenn man älter wurde und irgendwann zu den Honoratioren des Dorfes gehörte. Nicht, dass ihm jemand seine Herkunft aufs Butterbrot geschmiert hätte. Im Übrigen war auch gar keiner mehr da, der sich daran erinnern konnte; tot waren sie, alle miteinander. Die Alten gingen, Neue kamen, bis keine Seele mehr etwas von der anderen wusste. Sehr bald würde auch er gehen, und dann wären nur noch die Häuser da – und die Gärten.

Eigenartig, nicht wahr? Du pflanzt einen Baum, du siehst ihn wachsen, du erntest seine Früchte, und wenn du alt bist, sitzt du in seinem Schatten. Dann stirbst du und bist bald vergessen, ganz so, als habe es dich nie gegeben … Aber der Baum wächst weiter, als sei es so gegeben. Er war schon immer da und würde immer da sein … Jeder sollte einmal einen Baum pflanzen – und sei es nur aus Bescheidenheit im Angesicht des Allmächtigen.

Old Herbaceous war nicht gerade ein frommer Mann, und er interessierte sich nicht über die Maßen für die Bibel. Nur wenn ihn etwas tief bewegte, kam sein Schöpfer mit ins Spiel. Diese Anlässe traten periodisch auf und hatten in der Regel etwas mit dem Landbau zu tun. Das geistige Wohlbefinden der Menschen fiel in die Zuständigkeit des Pfarrers, aber ein Baum, der an der Ulmenkrankheit litt, das war ein anderes Paar Stiefel … Bei dieser Gelegenheit wurde der Oberste Gärtner um seine Meinung gebeten, und was Er riet, gab den Ausschlag.

Diese schlichte und ziemlich unorthodoxe Methode hatte eine ganze Reihe von Amtsinhabern im alten Pfarrhaus irritiert. Ein Pastor nach dem anderen hatte kunstvoll, jedoch ohne sichtbaren Erfolg nach der Seele dieses verirrten Schafs geangelt. Etliche hatten auf eine religiöse Gesinnung getippt, die irgendwo gut versteckt war, aber keiner hatte eine nachhaltige Bekehrung bewirkt. Höchst verwirrend! Ein ernst gesinnter junger Pfarrer, der zu seinem Drei-Stunden-Gottesdienst geeilt war, hatte an seine Tür geklopft und den alten Mann gefragt, ob er wisse, was es mit Karfreitag auf sich habe. »Karfreitag?«, hatte der erwidert. »Karfreitag ist der Tag, den der Herr zum Legen unserer Saatkartoffeln bestimmt hat.«

Tatsächlich hatte die Frage der Religion und die Erforschung von Gottes Wille Old Herbaceous in seinen achtzig Jahren des Umgangs mit gärtnerischen Angelegenheiten durchaus beschäftigt. Wann immer er den Allmächtigen zur Beratung hinzugezogen hatte, war es in dem unerschütterlichen Glauben geschehen, dass er mit einem Gleichgestellten sprach, auf dessen Erfahrung man sich im Notfall stützen konnte. Aber wann trat der Notfall ein? Er konnte, wie gesagt, doch nicht ewig an die goldene Pforte klopfen. Schließlich war er nur einer von Millionen. Und so wuchs allmählich eine Scheu, die ein durchaus angenehmes Verhältnis nahezu zum Erlöschen brachte. Es war, als würde man einen Freund immer wieder um einen Gefallen bitten, nur um plötzlich festzustellen, dass man es wohl ein bisschen übertrieben hatte.

Hin und wieder konnte man natürlich einen Vorstoß wagen, quasi um sich in Erinnerung zu bringen. Als zum Beispiel die alte Mrs. Pinnegar gestorben war, hatte er ihr eine Beerdigung ausgerichtet, wie sie das Dorf zuvor noch nicht erlebt hatte. Er hatte das ganze Gewächshaus abgeerntet, bis keine einzige Blume mehr übrig war. Es war sein Dank an die alte Dame – und zugleich ein Wink an die Adresse des Allmächtigen. Er konnte noch immer ihren Sarg vor sich sehen, das heißt, er konnte ihn natürlich nicht sehen unter all diesen Lilien, Nelken und Orchideen. Danach ging es ihm besser, aber er fühlte sich noch immer in beider Schuld, und wenn seine Zeit gekommen war, würde er nicht versäumen, sie an die Beerdigung zu erinnern und sie zu seinen Pluspunkten zu zählen.

Dies war also erledigt, und der alte Mann konnte seinen Gedankenspaziergang wieder mit Freuden aufnehmen, zurück zu der steinernen Bogenbrücke über den alten Kanal und dem kleinen Jungen mit den zerrissenen Manchesterhosen und genagelten Stiefeln. Diese Wegstrecke betrat er immer mit einem Glücksgefühl. Er konnte sich auch besser an die Leute von damals erinnern, ihre Gesichter sehen, ihre Stimmen hören. Es war wie mit der Weltgeschichte. Zwischendurch gab es immer allerhand, das nicht so furchtbar wichtig war, aber wenn man ihn nach Alfred dem Großen oder Wilhelm dem Eroberer fragte, hatte er sie sofort parat.

Er erinnerte sich an seinen ersten Schultag, als sei es gestern gewesen. Über der Dorfschule präsidierte eine große behagliche Dame, vor der alle einen Heidenrespekt hatten, einschließlich des Pfarrers,...

Erscheint lt. Verlag 25.9.2016
Übersetzer Elsemarie Maletzke
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte England • Garten • Natur • Schenken
ISBN-10 3-293-30656-X / 329330656X
ISBN-13 978-3-293-30656-1 / 9783293306561
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