Noir (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2018
416 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-20012-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Noir - Christopher Moore
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San Francisco 1947: Es kommt nicht jeden Tag vor, dass eine rätselhafte, anmutige Blondine namens Stilton (ja, wie der Käse) in den verlotterten Laden kommt, in dem Sammy »Two Toes« Tiffin Gin ausschenkt. Für ihn ist es Liebe auf den ersten Blick. Aber bevor Sammy den ersten Schritt machen kann, betritt ein General der Air Force aus Roswell den Saloon. Er hat einen eiligen Auftrag, den Sammy nur widerwillig annimmt, denn eigentlich hat er ganz andere Dinge im Kopf. Doch als Stilton kurz darauf spurlos verschwindet, geht es ohnehin erst einmal nur noch um eines: Er muss seine Traumfrau retten - und vielleicht auch noch einen kleinen Alien ...

Der ehemalige Journalist Christopher Moore arbeitete als Dachdecker, Fotograf und Versicherungsvertreter, bevor er anfing, Romane zu schreiben. Inzwischen haben seine Bücher längst Kultstatus. Christopher Moore liebt den Ozean, Acid Jazz und das Kraulen von Fischottern. Er lebt in San Francisco.

1

Sammy und die Käseschnecke

Sie hatte Beine bis zum Hals – Größe 36 in einem Kleid der Größe 34, und jeder im Laden feuerte die fehlende Kleidergröße an, in die Freiheit auszubrechen, während er dabei zusah, wie die Frau zur Tür hereingewackelt kam und ihren Hintern auf einen Barhocker schob, mit dem Rücken zum Eingang. Ich zog die Augenbrauen hoch und sah den südafrikanischen Seemann an, der am hinteren Ende des Tresens von seiner seltsamen Fracht erzählte, während ich Schnapsgläser polierte.

»Die Braut riecht nach Ärger«, sagte der Seemann.

»Jep«, gab ich zurück, schlug mein Handtuch aus und drapierte es hübsch auf meinem Unterarm. »Aber du weißt ja, was man sagt, Käpt’n: Volle Kraft voraus – scheiß auf die Torpedos!« Damit steuerte ich hinter dem Tresen auf die Dame zu, mit meinem strahlendsten Lächeln, triefend vor Charme, wobei ich mir alle Mühe gab, mein Hinken zu verbergen, um neugierigen Fragen vorzubeugen.

»Ich glaube nicht, dass das damit gemeint ist, Sammy Boy«, sagte der Seemann. »Aber mach du nur.« Was so eine Art Ansporn ist, wie er nur von jemandem kommen kann, dem es schnurz ist, ob man niedergeschossen wird.

»Was kann ich dir bringen, Püppi?«, sagte ich zu der Dame. Sie war blond, schmutzig blond, und hatte ihre Haare hochgesteckt, sodass sie irgendwie dunkel aufragten, um sich dann oben wie ein Springbrunnen in alle Richtungen zu locken – was ihr einen leicht überraschten Ausdruck verlieh. Ihre Lippen erinnerten mich an eine Rose zum Valentinstag, leuchtend rot und prall, wenn auch etwas schief, als hätte sie beim Boxen eins aufs Maul gekriegt, oder die Rose hätte Herzbeschwerden. Schräg, aber einladend.

Sie rutschte auf dem Barhocker herum, als suchte ihr Hintern besseren Halt, was mit sich brachte, dass alle Anwesenden scharf einatmeten und die Luft anhielten, was augenblicklich den Rauch vertrieb, als hätte ein mächtiger Drache ihn zur Hintertür hinausgesogen. Allerdings war es nicht so, als kämen sonst nie alleinstehende Damen in Sals Bar, aber sie kamen nie so früh, wenn es draußen noch hell war und sich der Fuselnebel in den Köpfen nicht wie ein Weichzeichner über alles gelegt hatte, um die Ecken und Kanten einer Puppe abzumildern. (Licht ist der natürliche Feind der Tresenschlampe.)

»Ich heiße nicht ›Püppi‹«, sagte die Blondine. »Und gib mir was Billiges, das leicht runtergeht.«

Woraufhin allgemeines Räuspern anhob, während jedermann im Laden plötzlich damit beschäftigt war auszutrinken, sich eine Zigarette anzuzünden, den Hut zu richten oder was weiß ich noch alles, als schwebten die Worte dieser Dame nicht wie ein Willkommensschild über einem Raum voller Ganoven, Zocker, Tagtrinker, Schauermänner, Nichtsnutze und Kleinstadtgangster, jeder von ihnen im Grunde seines Herzens ein Schürzenjäger. Ich warf einen Blick den Tresen entlang und versuchte, die Blicke der anderen aufzufangen, während ich mich bückte, als wollte ich nach meinem Gehstock greifen – meiner Version des Baseballschlägers, wie ihn die meisten Barkeeper haben –, und obwohl mein Stock drei Meter entfernt lag, kam die Botschaft doch bei ihnen an. Ich bin nicht besonders groß und allgemein bekannt dafür, dass mir nicht so leicht der Kragen platzt, aber ich kann schnell zupacken und trainiere täglich eine Stunde am Sandsack – eine Angewohnheit, die darauf zurückzuführen ist, dass ich meine Klappe nicht halten kann. Ich weiß mir also sehr wohl zu helfen. Die meisten der Anwesenden hatten mehr als ein Mal mitbekommen, wie ein Maulheld im Rinnstein gelandet war, weil er meinte, meine sonnige Art und der Klumpfuß machten mich zu einem leichten Gegner, also blieben alle nett und höflich. Andererseits kontrollierte ich den Alkoholnachschub. Könnte also auch daran gelegen haben.

»Und wie soll ich Sie dann nennen, Miss?«, fragte ich die Blondine, richtete meinen babyblauen Blick direkt auf ihre kuhbraunen Augen, darauf bedacht, nicht ihre Auslage anzuglotzen, weil Frauen das oft nicht zu schätzen wissen, sogar wenn offensichtlich ist, dass sie weder Zeit noch Mühe gescheut haben, ihre Auslage anglotzbereit herzurichten.

»Missis«, sagte sie.

»Und wird sich der Mister noch zu Ihnen gesellen?«

»Nur wenn Sie warten wollen, bis ich die gefaltete Flagge von zu Hause geholt habe, die man mir gegeben hat, statt ihn mir zurückzuschicken.« Sie wandte sich nicht ab, als sie das sagte, und sie lächelte auch nicht. Sie senkte weder den Blick, um ihren Schmerz zu verbergen, noch tat sie, als unterdrückte sie ihre Tränen. Sie sah mir offen in die Augen. Knallhart.

Erst dachte ich, sie würde mir die Hölle heißmachen, weil ich sie »Püppi« genannt hatte, aber egal, ob sie nun eine war oder nicht: Ich konnte dem Schlag doch am ehesten ausweichen, wenn ich mich betroffen zeigte.

»Das tut mir leid, Ma’am. Der Krieg?« Bestimmt war der Krieg schuld. Sie konnte nicht älter als drei- oder vierundzwanzig sein, nur ein paar Jahre jünger als ich.

Sie nickte, dann machte sie sich an ihrem Geldbeutel zu schaffen.

»Lass stecken. Der Drink geht aufs Haus«, sagte ich. »Fangen wir noch mal von vorn an. Ich bin Sammy«, sagte ich und reichte ihr die Hand.

Sie griff zu. »Sammy? So heißen doch nur kleine Jungs.«

»Na ja, hier im Viertel haben ein paar alte Italiener das Sagen, und die halten jeden unter sechzig für einen kleinen Jungen. Daher der Name.«

Da lachte sie, und ich kam mir vor, als hätte ich einen Homerun gelandet. »Hi, Sammy«, sagte sie. »Ich bin Stilton.«

»Mrs Stilton?«

»Vorname Stilton. Wie der Käse.«

»Was für ein Käse denn?«

»Stilton? Noch nie davon gehört? Kommt aus England.«

»Aha«, sagte ich und war mir ziemlich sicher, dass diese Braut sich einfach irgendwelche Käsesorten ausdachte.

Da nahm sie ihre Hand wieder zurück und rutschte auf dem Hocker herum, als wollte sie etwas erzählen, und alle im Laden spitzten die Ohren. Ich stand nur da und zog eine Augenbraue hoch, wie es so meine Art ist.

»Mein Vater war Soldat im Weltkrieg. Meine Mutter ist Engländerin – Kriegsbraut. Die beiden hatten ihr erstes richtiges Date nach dem Krieg in einem Dorf namens Stilton. Und als ich ein paar Jahre später zur Welt kam, hat mich mein Pop so genannt. Stilton. Eigentlich sollte ich ein Junge werden.«

»Na, das ist ihm aber gründlich misslungen«, sagte ich und musterte sie kurz, um ihre Nichtjungenhaftigkeit hervorzuheben. »Wenn ich so sagen darf.« Plötzlich hätte ich gern einen Hut getragen, um an die Krempe tippen zu können, doch da wurde mir bewusst, dass sie und ich vermutlich die einzigen Menschen in ganz San Francisco waren, die in diesem Augenblick keinen Hut trugen. Es war, als wären wir gemeinsam nackt. Also griff ich mir den Fedora von dem Burschen zwei Hocker neben ihr, setzte ihn mit eleganter Geste auf und tippte kurz daran. »Ma’am!«, sagte ich und machte eine Verbeugung.

Woraufhin sie wieder lachte und erwiderte: »Wie wäre es, wenn du mir einen Old-Fashioned mixen würdest, bevor du dich immer weiter reinreitest, Witzbold?«

»Dein Wunsch ist mir Befehl, Schnecke«, sagte ich. Damit warf ich den Fedora wieder dem hutlosen Mann am Tresen zu, bedankte mich bei ihm, dann machte ich mich daran, ihren Drink zu mixen.

»Nenn mich nicht Schnecke.«

»Komm schon, immer noch besser als dieser Käse.«

»Aber dieser Käse ist mein Name.«

»So sei es«, sagte ich, stellte den Drink vor ihr ab und rührte ihn einmal kurz mit dem Strohhalm um. »Auf die Käseschnecke! Cheers!«

Am liebsten hätte ich sie gefragt, was sie in diese Bar geführt hatte, woher sie kam und ob sie in der Gegend wohnte, aber der Grat zwischen Neugier und Aufdringlichkeit ist schmal, also ließ ich sie mit ihrem Drink allein und machte mich auf den Weg am Tresen entlang, schenkte nach und sammelte leere Gläser ein, bis ich wieder bei dem Mann von der südafrikanischen Handelsmarine angekommen war.

»Sieht aus, als konntest du bei ihr landen«, sagte der Seemann. »Was macht sie hier, so ganz allein, mitten am Nachmittag? Nutte?«

»Glaub ich nicht. Witwe. Hat ihren Kerl im Krieg verloren.«

»Eine Schande. Gibt so viele davon. Hab im Krieg selbst hundertmal gedacht, ich würde meine Frau zur Witwe machen. Hab die meiste Zeit mit einem Liberty-Frachter Nachschub über den Atlantik gefahren. Hab immer noch Albträume von deutschen U-Booten …« Der Seemann stutzte, als sein Blick auf meinen Stock fiel, der neben der Kasse hinter dem Tresen lehnte. »Aber offenbar hatte ich mehr Glück als andere.«

Und nachdem ich mich eben noch wie der König der Welt gefühlt hatte, weil es mir gelungen war, der Blondine ein Lachen zu entlocken, kam ich mir plötzlich wie der allerletzte falsche Fuffziger vor, was öfter mal der Fall ist, doch ich schüttelte das Gefühl ab, boxte den Seemann an die Schulter und erlöste ihn. »So viel mehr Glück nun auch wieder nicht, wenn man eure Ladung bedenkt …«

»Wie Noahs gottverdammte Arche«, sagte er. »Was Seefahrt bedeutet, weiß man erst, wenn man mit einem seekranken Elefanten in einen Sturm geraten ist. Hatte ihm im Laderaum einen Stall bauen lassen. Der arme Kerl, der ihn ausmistet, wird noch Tage damit beschäftigt sein. Wir haben das Tier letzte Woche in San Diego ausgeladen, aber der Gestank ist nicht rauszukriegen.«

»Auch Tiger?«, fragte ich.

»Ausschließlich afrikanische Tiere. Tiger gibt es nur in Asien.«

»Wusste ich«, sagte ich. Vermutlich hätte ich es wissen sollen. »Hab noch nie einen echten Tiger...

Erscheint lt. Verlag 15.10.2018
Übersetzer Jörn Ingwersen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Noir
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alien • eBooks • Fantasy • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Raymond Chandler • Roman • Romane • Roswell • Sammy Tiffin • San Francisco • Schwarzer Humor • Stilton • Two Toes • UFO
ISBN-10 3-641-20012-1 / 3641200121
ISBN-13 978-3-641-20012-1 / 9783641200121
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