Matto regiert: Kriminalroman (eBook)

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2017 | 1. Auflage
220 Seiten
e-artnow (Verlag)
978-80-268-7070-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Matto regiert: Kriminalroman -  Friedrich Glauser
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Dieses eBook: 'Matto regiert: Kriminalroman' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Um fünf Uhr in der Früh wird Wachtmeister Studer durch ein Telefonat aus dem Schlaf gerissen: In der Heil- und Pflegeanstalt Randlingen ist ein Patient mit Namen Pierre Pieterlen ausgebrochen, und gleichzeitig wird auch der Direktor, Ulrich Borstli, vermisst. Kurz darauf wird der Wachtmeister von Dr. Ernst Laduner, dem stellvertretenden Direktor der psychiatrischen Klinik, abgeholt. In Randlingen angekommen, wird Studer bei der Morgenvisite in die Örtlichkeiten eingeführt und lernt dabei auch die leitenden Ärzte sowie einige Pfleger und Patienten kennen. Nach dem Mittagessen entdeckt der Fahnder die Leiche des Direktors im Heizungskeller des Hauptgebäudes. Es stellt sich heraus, dass eine Mappe mit Dokumenten und 1200 Franken, die der Tote bei sich trug, fehlen. Friedrich Glauser (1896-1938) war ein Schweizer Schriftsteller, dessen Leben geprägt war von Entmündigung, Drogenabhängigkeit und Internierungen in psychiatrischen Anstalten.

Brot und Salz




Auf das erste Fenster rechts vom Eingang wies Dr. Laduner und sagte:

»Das Büro des Direktors…«

Ein faustgroßes Loch in der untern Scheibe links… Glassplitter lagen auf dem Fenstersims und auf dem Beet verstreut, das die Einfahrt von der roten Mauer trennte.

»Drinnen sieht es ziemlich grausig aus. Blut am Boden, die Schreibmaschine neben dem Fenster streckt alle Tasten von sich, der Bürostuhl ist in Ohnmacht gefallen… Wir können uns die Bescherung später ansehen, es pressiert nicht, und dann können Sie ja Ihre kriminologischen Fachstudien in Ruhe betreiben…«

Warum klang nur das Witzeln so gezwungen?… Gekünstelt?… Studer blickte auf Dr. Laduner, so, als müsse er ein Bild festhalten, das im nächsten Augenblick ganz anders aussehen würde… Der graue Anzug, das leuchtende Kornblumenblau der Krawatte und die Strähne, die abstand wie der Federschmuck vom Kopfe eines Reihers… Das Lächeln – die Zähne des Oberkiefers waren breit, wohlgeformt, elfenbeingelb… Sicher rauchte Dr. Laduner viele Zigaretten…

»Kommen Sie, Studer, wir wollen nicht anwachsen. Eins will ich Ihnen sagen, bevor wir eintreten durch dieses Tor: Sie kommen zum Unbewußten zu Besuch, zum nackten Unbewußten, oder wie es mein Freund Schül poetischer ausdrückt: Sie werden eingeführt ins dunkle Reich, in welchem Matto regiert. Matto!… So hat Schül den Geist des Irrsinns getauft. Poetisch, gewiß…« – Dr. Laduner betonte das Wort auf der ersten Silbe. – »Wenn Sie aus der ganzen Sache klug werden wollen, und ich habe eine dunkle Ahnung, daß sie komplizierter ist, als wir jetzt meinen, wenn Sie klug werden wollen, so werden Sie in viele Häute schlüfen müssen…« (›schlüfen‹ sprach der Arzt wie ein schriftdeutsches Wort aus)… »in meine Haut zum Beispiel, in die vieler Pfleger, diverser Patienten… ›Patienten‹ sage ich, und nicht ›Verrückte‹… Dann dämmert Ihnen vielleicht langsam das Verständnis auf für den Konnex zwischen dem Verschwinden unseres Direktors und der Flucht des Patienten Pieterlen… Es sind da Imponderabilien…«

›Imponderabilien!‹… ›Konnex!‹… und ›ge-wiß‹, auf der ersten Silbe betont. Das alles gehörte zur Persönlichkeit, die Laduner hieß.

»Übrigens, die Diskrepanz, die zwischen der realen Welt und unserem Reich besteht«, sagte Dr. Laduner und stieg langsam die Stufen empor, die zum Eingangstor führten, »wird Sie vielleicht am Anfang unsicher machen. Sie werden sich unbehaglich fühlen, wie jeder, der zuerst eine Irrenanstalt besucht. Aber dann wird sich das legen, und sie werden keinen großen Unterschied mehr sehen zwischen einem schrulligen Schreiber Ihres Amtshauses und einem wollezupfenden Katatonen auf B.«

An der Mauer rechts vom Eingangstor hing ein Barometer, dessen Quecksilbersäule im Morgenlicht rötlich schimmerte. Eine Turmuhr schlug mit saurem Klange vier Viertel und dann, kaum süßer, die Stunde: sechs Uhr. Der letzte Schlag schepperte. Studer wandte sich noch einmal um. Der Himmel hatte die Farbe jenes Weines, den man Rosé nennt; Vögel schrieen in den Tannen, die zu beiden Seiten der Auffahrt hinter eisernen Gittern wuchsen. Der schwarze Kirchturm des Dorfes Randlingen war weit weg.

Nach dem Tor, das ins Innere führte, kamen wieder Stufen. Rechts eine Art Opferstock mit einer Tafel: ›Gedenket der armen Kranken!‹ Darüber eine grüne Marmorplatte. In Goldbuchstaben waren die Donatoren der Anstalt verewigt, und man erfuhr, daß die Familie His-Iselin 5000 Franken und die Familie Bärtschl 3000 Franken gestiftet hatten. Auf der Platte war noch Platz für künftige Wohltäter.

Es roch nach Apotheke, Staub und Bodenwichse… Ein eigenartiger Geruch, der Studer tagelang verfolgen sollte.

Rechts ein Gang, links ein Gang. Beide Gänge waren an ihren Enden durch massive Holztüren verschlossen. Eine Treppe führte in die höhern Stockwerke des Mittelbaues.

»Ich gehe voraus«, sagte Laduner über die Schulter. Er nahm zwei Stufen auf einmal, und Studer folgte keuchend. Im ersten Stock hatte er Zeit, durch ein Gangfenster einen großen Hof zu überblicken, dessen Rasenflächen von Wegen gleichmäßig zerschnitten wurden. Ein niederes Gebäude kauerte in der Mitte des Hofes, und dahinter stach ein Kamin in den Himmel. Rote Backsteinmauern, die Dächer mit Schiefer gedeckt und geschmückt mit vielen Türmen und Türmchen… Da war der zweite Stock, Dr. Laduner stieß eine Glastür auf und rief: »Greti!«

Eine dunkle Stimme antwortete. Dann kam eine Frau in einem roten Schlafrock auf die beiden zu. Ihre Haare waren kurz und blond, leicht gewellt, ihr Gesicht breit, fast flach. Sie blinzelte, wie es manche Kurzsichtige tun.

»Studer, das ist meine Frau… Greti, ist der Kaffee fertig? Ich hab Hunger… Den Wachtmeister kannst du dir beim z'Morgen betrachten… Zeig ihm jetzt sein Zimmer, er wohnt bei uns, das haben wir abgemacht…« Und dann war Dr. Laduner plötzlich nicht mehr da. Eine Tür hatte ihn verschluckt.

Die Frau im roten Schlafrock hatte eine angenehm warme und weiche Hand. Sie sprach Bärndütsch, als sie Studer mit ihrer tiefen Stimme begrüßte und sich entschuldigte, daß sie nicht angezogen sei, kes Wunder by dem G'stürm, um drei sei der Mann aus dem Schlaf geschellt worden wegen der Flucht des Pieterlen; dann habe man die Blutspuren im Direktionsbüro entdeckt – und der Direktor sei nirgends zu finden gewesen – verschwunden… Es sei überhaupt eine kurze Nacht gewesen, gestern hätte man d'Sichlete g'ha (›Sichlete?‹ dachte Studer. ›Was für eine Sichlete?‹) und sei erst um halb eins ins Bett gekommen… Aber der Herr Studer werde sich gern ein wenig süübere welle, er möge so gut sein und mitkommen… Der lange Gang war mit bunten, gerillten Fliesen belegt. Hinter einer Tür schrie ein Kind, und Studer wagte schüchtern zu bemerken: ob die Frau Doktor das Kind nicht zuerst beruhigen wolle? – Das habe Zeit, und Schreien sei für Kinder eine gar gesunde Beschäftigung, es stärke die Lungen.

– Da sei das Gastzimmer. – Hier daneben das Bad. Herr Studer möge machen, nume wie daheime… Da sei Seife und ein frisches Handtuch… Sie rufe ihn dann, wenn das Morgenessen parat sei…

Studer wusch sich die Hände, ging hernach in das Gastzimmer, trat ans Fenster. Er sah auf den Hof. Männer mit weißen Schürzen trugen große Kannen, einige balancierten Tablette – wie Kellner.

Ein Ebereschenbaum an der Kante eines Rasenvierecks trug leuchtend rote Beerenbüschel und seine gefiederten Blätter waren goldgelb.

Und hinten, aus einem alleinstehenden, zweistöckigen Gebäude traten zwei Männer. Auch sie hatten weiße Schürzen vorgebunden. Sie gingen hintereinander, im Gleichschritt, und zwischen ihnen schaukelte eine schwarze Bahre, auf der ein Sarg festgebunden war. Da wandte sich Studer ab. Dunkel dachte er, wieviel Menschen wohl in solch einer Anstalt starben, und nach wie vielen Jahren und wie sie den Tod erlebten – aber da rief jene Stimme, die einen so angenehm dunklen Klang hatte:

»Herr Studer, weit-r cho z'Morge näh?«

»Ja, Frau Doktor!« – Und er komme schon.

Das Eßzimmer war gefüllt mit Morgensonne. Das kühle Licht brach durch ein großes Fenster ein, das fast bis zum Boden reichte. Eine Haube, aus bunten Wollen gelismet, war über die Kaffeekanne gestülpt. Honig, Anken, Brot, unter einer Glocke ein rotrindiger Edamerkäse… Die Wände dunkelgrün. Von der Decke hing ein Lampenschirm herab, der aussah wie eine Kleinmädchenkrinoline aus Goldbrokat…

Frau Laduner trug ein helles Leinenkleid. Sie öffnete die Tür zum Nebenzimmer. »Ernscht!« rief sie. Eine ungeduldige Stimme gab Antwort – Knarren und Zurückschieben eines Stuhles…

»So«, sagte Dr. Laduner. Er saß plötzlich am Tisch. Man konnte sein Gehen und Kommen nie recht feststellen, denn er bewegte sich rasch und lautlos. »Und, Greti, wie gefällt dir der Studer?«

– Nid übel, meinte die Frau. Er habe ein weiches Herz, er könne Kinder nicht schreien hören, und sonst sei er ein gar Stiller, man höre ihn kaum. Aber sie müsse den Herrn Wachtmeister doch etwas näher betrachten.

Sie nahm aus einem Etui, das neben ihrem Teller lag, einen Zwicker, klemmte ihn auf den Nasensattel und musterte Studer mit einem kleinen Lächeln. Ihre Stirnhaut war leicht gekräuselt.

– Ja, es sei, wie sie gedacht habe, sagte sie nach einer Weile. Der Herr Studer sehe gar nicht wie ein Schroter aus und Ernst habe ganz recht gehabt, ihn mitzubringen… Und bitte, Herr Studer, servieret euch… Eier? Brot?…

»Ge-wiß«, sagte Dr. Laduner. »Ich glaube auch, daß es sehr vernünftig von mir war, den Studer anzufordern…« und zerschlug mit einem silbernen Löffelchen die Spitze eines Eies.

Studer wurden Spiegeleier auf den Teller gelegt und braune Butter darüber gegossen. Dann geschah ein merkwürdiger Zwischenfall:

Dr. Laduner sah plötzlich auf, ergriff mit der Linken den Brotkorb, mit der Rechten das facettierte Salzfäßchen, das vor seinem Teller stand, streckte beides dem Wachtmeister entgegen und sagte leise – es klang wie eine Frage:

»Brot und Salz… Wollen Sie Brot und Salz nehmen, Studer?« Dabei sah er dem Wachtmeister fest in die Augen und sein Mund hatte das Lächeln verloren.

»Ja… Gärn… Merci…« – Studer war ein wenig verwirrt. Er nahm eine der Brotschnitten, streute ein wenig Salz über die Spiegeleier auf seinem Teller… Dann nahm Dr. Laduner ein Stück Brot, ließ das weiße körnige Pulver in das aufgeschlagene Ei rinnen und murmelte dazu:

»Brot und...

Erscheint lt. Verlag 20.11.2017
Verlagsort Prague
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte Der Tote im Strandkorb • Die Entscheidung • Die letzte Erkenntnis • Durst • Hinterlist • Im Wald • Neuntöter für Greetsiel • origin • Todesreigen • Verfolgung
ISBN-10 80-268-7070-0 / 8026870700
ISBN-13 978-80-268-7070-8 / 9788026870708
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