In der Ferne der Fuji wolkenlos heiter (eBook)
144 Seiten
Manesse Verlag
978-3-641-22354-0 (ISBN)
Tanka, diese älteste Gedichtform Japans, bannt den Augenblick zu einem lyrischen Schnappschuss des Lebens. Ursprung des Haiku, schließen sich auch beim Tanka Spontanität und tiefe Allgemeingültigkeit nicht aus, wie die vorliegende Auswahl eindrücklich beweist: Sie folgt in über 250 Fünfzeilern dem japanischen Tanka-Großmeister Wakayama Bokusui, zeugt von dessen intensiven Naturbegegnungen, von gelingender und vergehender Liebe und tiefen seelischen Krisen. Radikal subjektiv, doch angenehm unpathetisch im Ton, lassen seine 100 Jahre alten Gedichte einen modernen Zeitgenossen erkennen.
«Den Fluss hinunter
geht es zum Meer: blauwogende
Wellen - die Stadt
gefärbt von aufbrechenden
Knospen der Bergkirschbäume»
Wakayama Bokusui (1885-1928) wuchs in einem entlegenen Tal der japanischen Insel Ky?sh? auf. Noch während seines Studiums in T?ky? veröffentlichte er einen ersten Gedichtband und galt schon wenig später als eine der führenden Dichterpersönlichkeiten des Landes. Die heutige Popularität des fünfzeiligen Kurzgedichts Tanka in Japan ist untrennbar mit seinem Namen verknüpft.
Weiße Schwäne
seid ihr nicht traurig
so zu schweben
ungefärbt vom Blau des Himmels
vom Blau des Meeres
1907 | I, 13, 1 |
Im Dunkeln
ist es nun kühler – noch kühler
der Sand
Ich lege mich nieder am Strand
lausche den schwarzen Fluten
Sommer 1906/07 | I, 14, 3 |
Auch heute
dichte ich Verse
weiß nicht warum
getrieben von Sehnsüchten
Traurigkeiten
1907 | I, 12, 1 |
In der Ferne der Fuji
Im Lande Musashi
strahlender Herbstmorgen
Ein Tag zum Buchweizensäen
Hinaus ihr Enkel kommt mit!
Herbst 1904 | I, 301, 3 |
Vogelgezwitscher
wie plätscherndes Wasser
Bergkirschen blühen
zur Mittagszeit zwischen Kiefern
in Waldestiefe
Mai 1906 | I, 35, 9 |
Angelehnt neige ich
mein Gesicht zum Baum hin
Da pocht an die Wange
kaum spürbar der Pulsschlag
des herbstlichen Waldes
Herbst 1906 | I, 23, 3 |
Dort wo die Berge
sich drängen im Lande Hyūga
wohnt an dem einen Berg
die Mutter nach der ich mich sehne –
strahlender Herbsttag
November 1906 | I, 33, 1 |
Mutter voll Liebe
denk ich an dich ein Abend
an dem mir die Berge
der Heimat vor Augen stehen
in voller Blütenpracht
Februar 1907 | I, 29, 3 |
Vater! Mutter!
Wie ehrwürdige Göttergestalten
habt ihr gelebt
getragen von Erinnerungen
unter Bergkirschblüten
Februar 1907 | I, 29, 5 |
Den Fluss hinunter
geht es zum Meer: blau wogende
Wellen – die Stadt
gefärbt von aufbrechenden
Knospen der Bergkirschbäume
Februar 1907 | I, 37, 5 |
Zwei Wolken
streben aufeinander zu
trennen sich wieder
schwinden dahin in die blaue Weite
des Frühlingshimmels
Februar 1907 | I, 39, 2 |
Sie stampfen die Erde
und bleiben doch ohne Laut
meine Strohsandalen
Kurz vor dem Aufblühn: wilde Kirschen
Bergesstille
Frühling 1907 | I, 44, 3 |
Auch heute wieder
geh ich weiter sehnsuchtsvoll
lasse mein Herz
das Pilgerglöcklein
klingen klingen
Juni 1907 | I, 45, 1 |
Wenn viele Berge
Flüsse überschritten sind
kommt wohl ein Land
wo Einsamkeit ein Ende hat
Auch heute geht die Reise weiter
Juni 1907 | I, 45, 3 |
Sehnsüchtige Liebe –
einfach nur dies von Groll oder Zorn
nicht die leiseste Spur
jetzt in der Dämmerung da ich mich
an die Brüstung der Herberge lehne
Juli 1907 | I, 46, 3 |
Stell dir vor: Eine
mächtige alte Schirmpalme –
und auch den Mann
der im Palmwedelschatten
wie versteinert aufs Meer blickt
Juli 1907 | I, 46, 7 |
Im Lande Hyūga
wo das Kap von Toi
sich vorschiebt
in die blaue Flut – dort an der Spitze
lausche ich allein dem Meer
Juli 1907 | I, 47, 2 |
Kläglich tönt’s
als kaum hörbare
Stimme
aus der angeschwemmten Kokosnuss –
bläst man in die hohle Schale
Juli 1907 | I, 47, 1 |
Das Schiff legt an
Ein sternenübersäter Himmel
spannt sich übers Land
und mittendrin erhebt sich
wundersam der Berg
August 1907 | I, 47, 6 |
Wenn es Abend wird
senken sich irgendwann
die Wolken herab
lagern sich zum Schlaf auf die Gipfel
dieses gebirgigen Landes
August 1907 | I, 49, 3 |
Sieh nur wie unter
herbstlicher Sonne Gräser und Bäume
verstummen
wie sie sich bald mit dem Gelb
des Verblühns und Verwelkens färben
Herbst 1907 | I, 33, 6 |
Kokawa-Tempel –
Höre wie Scharen von Pilgern
mit ihren Glöckchen
vorüberbimmeln
zwischen herbstlichen Bäumen
Herbst 1907 | I, 53, 5 |
Stielblütengräser
Rote Pimpernelle Binsenhalme –
Herbstgräser
als Zeichen tiefer Einsamkeit
will ich dir schicken
Herbst 1907 (?) | I, 144, 3 |
Ich irre umher
zwischen dem sonnengleißenden Meer
dem Himmel
und deiner Brust
wo mein Herz ruht
Neujahr 1908 | I, 16, 1 |
Ah unsere Küsse –
Das Meer bewege sich nicht!
Die Sonne stehe still!
Und der Vogel sterbe dahin
im Fluge hier und jetzt!
Neujahr 1908 | I, 16, 3 |
Wir küssen –
vor uns ausgebreitet
endlos
die Weite des Meeres
Gott wo verweilst du …
Neujahr 1908 | I, 16, 4 |
Sieh die Berge
die Berge im Glanz der Sonne
Sieh das Meer
das Meer im Glanz der Sonne
Und nun deine Lippen Geliebte …
Neujahr 1908 | I, 16, 5 |
Mitten am Tag –
tot liegt die blaue Meeresfläche da
Im Schatten der Felsen
wuseln winzige Muscheln
auf der Suche nach einer Gefährtin
Neujahr... |
Erscheint lt. Verlag | 19.3.2018 |
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Übersetzer | Eduard Klopfenstein |
Zusatzinfo | 5 Kalligrafien |
Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | eBooks • Haiku • Japan • Lyrik • Neuübersetzung • Poesie • Schönheit • Stille • Tanka • Tradition |
ISBN-10 | 3-641-22354-7 / 3641223547 |
ISBN-13 | 978-3-641-22354-0 / 9783641223540 |
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Größe: 2,3 MB
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