Sturm im Wasserglas -  Bruno Frank

Sturm im Wasserglas (eBook)

Neu bearbeitete Ausgabe (Klassiker der ofd edition)

(Autor)

ofd edition (Herausgeber)

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2017 | 1. Auflage
103 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7448-9327-5 (ISBN)
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Die Komödie "Sturm im Wasserglas" handelt von einem idealistischen Journalisten, der seine berufliche Existenz aufs Spiel setzt, um den Hund einer Frau, die die drastisch erhöhte Hundesteuer nicht mehr aufbringen kann, vor der behördlich angeordneten Tötung zu retten. Bruno Frank kritisiert hier sehr unterhaltsam die Scheinmoral einer Politik, die durch Prinzipienreiterei die Notlage des Einzelnen aus den Augen verliert. Das Stück, das 1930 in Dresden uraufgeführt wurde und wenige Jahre später auch in Großbritannien und in den USA als Bühnenstück und Film reüssierte, gehört - neben "Cervantes" und "Tage des Königs" - zu Franks populärsten Werken. Wie bei allen Werken der ofd edition wurde die ursprüngliche Druckfassung nicht automatisiert kopiert, sondern sorgfältig neu editiert und der aktuellen Rechtschreibung angepasst - die bessere Lesbarkeit und Gestaltung verhilft so zu einem ungetrübten Lesegenuss. Eine Einführung erläutert den historischen Hintergrund und Interpretationsansätze.

Der in Stuttgart geborene Schriftsteller Bruno Frank (1887 - 1945) verfasste zahlreiche Gedichte, Erzählungen und Bühnenstücke, die das kulturelle Leben in der Weimarer Republik beeinflussten. Bruno Frank starb am 20. Juni 1945 im Exil in Beverly Hills, Kalifornien.

Erster Akt


Zimmer bei Thoss. Elegant und behaglich, ohne jede Beimischung von Kleinstädtisch-Herkömmlichen. Ein paar gute neuere Bilder an den Wänden. Es ist ein Winternachmittag, die Lampen brennen schon. Ein Teetisch ist für zwei Personen gedeckt.

 

Viktoria Thoss ist allein. Sie ist eine reizende junge Frau, impulsiv, heiter und frei. Man merkt ihr an, dass sie gewartet hat. Sie schaut nach der Uhr, sagt mit Bedauern vor sich hin: „Na, dann allein“ und schickt sich an, ihren Tee zu trinken. In diesem Augenblick kommt das Mädchen und bringt eine Karte.

 

MÄDCHEN

Dieser Herr ist draußen.

 

VIKTORIA

(liest): Franz Burdach, Redakteur der Nachtpost ...

Ich lasse bitten.

 

(Mädchen ab. Lässt einen Augenblick darauf Burdach eintreten. Burdach ist ein junger Mensch von vielleicht achtundzwanzig, höchst unbekümmert und frisch, alles andere als „edel“ und pathetisch.)

 

BURDACH

(stutzt, blickt Viktoria an. Ein Augenblick vergeht, ehe er sagt):

Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau, ich suche Doktor Thoss.

 

VIKTORIA

Mein Mann muss jeden Augenblick hier sein. Darf ich wissen, um was es sich handelt?

 

BURDACH

Um ein Interview. Herr Quilling, unser Herausgeber, hat das mit Doktor Thoss verabredet. Ich werde warten.

 

VIKTORIA

Ja, bitte.

 

BURDACH

Es tut mir leid, dass ich gestört habe. (Er verbeugt sich und will sich zurückziehen.)

 

VIKTORIA

Was, Sie wollen sich doch nicht draußen im Korridor hinsetzen? Kommen Sie her, trinken Sie Tee mit mir.

 

BURDACH

(sieht sie an): Geht das?

 

VIKTORIA

Warum soll das nicht gehen? Es stehen doch zwei Tassen da.

 

BURDACH

Sehr gern.

(Beide nehmen Platz. Kleine Pause. Burdach betrachtet Viktoria.)

 

VIKTORIA

(bedient): Rum?

 

BURDACH

Bitte.

 

VIKTORIA

Viel?

 

BURDACH

Viel. (Kleine Pause.)

 

Woher stammen Sie, gnädige Frau? Aus dieser Stadt gewiss nicht.

 

VIKTORIA

Weil ich Sie auffordere, mit mir Tee zu trinken? Na, wissen Sie! Einen Mann von der Presse! Einen Botschafter der siebenten Großmacht ...

 

BURDACH

Ja, ja, so nennt die Presse sich selbst ...

 

VIKTORIA

Eben! Ein Staat erklärt sich selber so lang zur Großmacht, bis die Welt es ihm glaubt. Und auf einmal ist er’s wirklich.

 

BURDACH

(nickt): Dafür gibt’s Beispiele. (Er schaut sie an.)

Politik interessiert Sie?

 

VIKTORIA

Ja. Aber nur solche, die mindestens zweihundert Jahre vorbei ist.

 

BURDACH

Versteh schon. Aus der Entfernung sind die Helden wirklich Helden ...

 

VIKTORIA

Und die Gemeinheiten haben Patina angesetzt.

 

BURDACH

Jetzt werden Sie sich das bald nicht mehr aussuchen können.

 

VIKTORIA

Wieso?

 

BURDACH

Nun – die aktuelle Politik wird in greifbare Nähe rücken und wird sich nicht mehr abweisen lassen.

Wenn Doktor Thoss erst gewählt ist ...

 

VIKTORIA

Wird er gewählt?

 

BURDACH

Daran zweifelt niemand. Ein so kluger Herr hätte seine Kandidatur sonst gar nicht laut werden lassen. Das Abstimmungsverhältnis im Magistrat ist vollkommen klar.

 

VIKTORIA

(nickt befriedigt): Hm.

 

BURDACH

Eine erfreuliche Aussicht. Oberhaupt einer großen Stadt, die sich weitet und Zukunft hat ... Sieben Jahre freie Bahn vor ihm. Und wer weiß, ob er sie zu Ende geht!

 

VIKTORIA

Wie meinen Sie das?

 

BURDACH

Oh, die Chancen sind gewaltig. Von der Kommunalpolitik steigt heute die große Leiter auf. Die Beispiele sind zahlreich. (Er sieht Viktoria an.) Ich denke Sie mir mit Vergnügen in einem Ministerpalais an der Wilhelmstraße.

 

VIKTORIA

Sie haben Phantasie.

 

BURDACH

Wenn ich was zu sagen hätte ... ich würde unbedingt dafür stimmen, aber unbedingt. Ministerfrauen sind meistens schrecklich ...

 

VIKTORIA

(unterbricht ihn): Noch Tee?

 

BURDACH

Bitte.

 

VIKTORIA

Aber Rum kriegen Sie keinen mehr, den vertragen Sie nicht.

 

BURDACH

Gnädige Frau, mein Eindruck wird sich nicht ändern und wenn Sie mir nichts als Milch zu trinken geben. (Kleine Pause.) Aber besser ist’s natürlich, Herr Thoss wird nicht Minister.

 

VIKTORIA

So? Warum?

 

BURDACH

Nun, sehr einfach: weil Sie dann hierbleiben müssen. (Da Viktoria die Brauen hochzieht): Weil man Sie dann bei allen offiziellen Gelegenheiten sehen wird. Da weiß so ein armer Journalist doch wenigstens, wo er bei den langweiligen Reden hinschauen muss.

 

VIKTORIA

(lacht): Sie meinen, da muss ich jetzt überall mit dabei sein?

 

BURDACH

Na, überall nicht. Aber wenn zum Beispiel irgendwas eingeweiht wird, dann schon.

 

VIKTORIA

(mit leichter Resignation): Ja, ja.

 

BURDACH

Oder wenn die Stadt ein Bankett gibt für einen greisen Dichter.

 

VIKTORIA

Dann sitz’ ich neben dem Greis. Das wird lustig!

 

BURDACH

Für den Greis wird das sogar sehr lustig. Da weiß er wenigsten, warum er so alt geworden ist ... Oder sagen wir – es wird eine Ausstellung eröffnet ...

 

VIKTORIA

Das kommt ja nicht so häufig vor.

 

BURDACH

Jede bessere Stadt hat im Sommer ihre Ausstellung. Wenn Sie dabei sind, dann denkt niemand an das Defizit.

 

VIKTORIA

Ganz unlogisch, was Sie da sagen! Das Defizit merkt man doch nicht bei der Eröffnung, das merkt man am Schluss.

 

BURDACH

Aber sicher ist’s schon bei der Eröffnung.

 

VIKTORIA

Sagen Sie einmal, wollen Sie Ihr Interview auch auf diesen Ton stellen?

 

BURDACH

Soll ich? Sie brauchen es nur zu wünschen.

 

VIKTORIA

Wozu überhaupt diese Vorbereitung durch die Presse? Wozu die Versammlung morgen Abend? Die Wahl vollzieht der Magistrat, nicht wahr? Die Bevölkerung hat dabei doch gar keine Stimme.

 

BURDACH

Die Bevölkerung muss aber da Gefühl haben, dass sie den neuen Mann selbst gewünscht hat.

 

VIKTORIA

Und dazu muss man ihr den Wunsch zuerst suggerieren?

 

BURDACH

Natürlich. Daraus besteht Politik.

 

MÄDCHEN

(kommt): Gnädige Frau, eine Dame ist draußen.

 

VIKTORIA

Eine Dame? Wer denn?

 

MÄDCHEN

Vielmehr keine richtige Dame. Eher eine Frau.

 

VIKTORIA

Sie machen aber feine Unterschiede, Betty!

 

MÄDCHEN

Eigentlich fast schon ein Weib.

 

VIKTORIA

(lacht): Ein Weib! Führen Sie sie herein!

(Das Mädchen lässt Frau VogI eintreten, eine Frau um die Fünfzig, derb, mit allen Kennzeichen großer Gutmütigkeit. Jetzt sehr erregt. Sie trägt keinen Hut.)

 

FRAU VOGL

Ja, da wär i! I bin die Frau VogI. (Da das nicht die erwartete Wirkung ausübt): Die Frau Vogl bin ich, Herr Stadtrat! (Ohne eine Unterbrechung zuzulassen): Nein, sagen’s nur gar nix! G’setz is G’setz, i woaß scho, und Ausnahmen ko ma net machn und die Zeit’n san schwer und d’ Stadt braucht aa ihr Geld ...

 

VIKTORIA

Frau Vogl, hören Sie einmal ...

 

FRAU VOGL

Naa (= nein)! BaI i zuhör’, is’s scho g’fehlt. Dann redt der Herr Stadtrat so g’scheit, dass i Ja sag’ und abzieh. Und mit mei’n Toni is aus!

 

BURDACH

Aber Sie irren sich ja!

 

FRAU VOGL

Naa, i irr mi net. Jetz bin i amal da und jetz sag i mei’ Sach. A zwoats Mallass’n S’ mi doch nimmer eini. (In anderem Ton): Herr Stadtrat, i bitt Sie, ich bitt Sie um alls in der Welt: I ko’s doch net zahln, es is halt zu viel, was soll i denn macha. Hab’n S’ halt a Einseh’n!

 

BURDACH

(fast schreiend): Frau Vogl!

 

FRAU VOGL

Naa, nix Frau Vogl! I hör nix, i siech nix! I woaß bloß, dass ‘s um mei’n Toni geht, und mei Toni is doch mei Alles. Herr Stadtrat, i bitt Sie ...

 

BURDACH

(schreiend): Ich bin aber nicht der Herr Stadtrat!

 

FRAU VOGL

(in ganz anderem Ton, nicht mehr laut): Sso! Sie san gar net der Herr Stadtrat! Was sitzen S’ denn nachher da und trinken Kaffee mit der gnädigen Frau?

 

VIKTORIA

(sehr freundlich): Sie, Frau Vogl, das ist eigentlich mehr unsere Sache.

 

FRAU VOGL

Da haben S’ Recht, gnä Frau, da ham Sie vollkommen Recht. I mein bloß, dös hätt er ja sag’n könna. Was lasst er mi denn red’n und red’n und is es überhaupts net. Er is überhaupt no viel z’ jung. Der ko’ ja gar kei Stadtrat net sein.

 

BURDACH

(gutmütig): Ich werd schon älter werden, Frau Vogl.

 

VIKTORIA

(alles ohne jede Ungeduld): Mein...

Erscheint lt. Verlag 9.10.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
ISBN-10 3-7448-9327-8 / 3744893278
ISBN-13 978-3-7448-9327-5 / 9783744893275
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