Schnee ist auch nur hübschgemachtes Wasser (eBook)
128 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43275-7 (ISBN)
Dora Heldt, 1961 auf Sylt geboren, hat sich mit ihren Romanen und Krimis auf die Spitzenplätze der Bestsellerlisten und in die Herzen von Millionen von Leserinnen und Lesern geschrieben. Wie kaum eine andere Autorin in Deutschland kennt sie den Buchmarkt von allen Seiten: Die gelernte Buchhändlerin war über 30 Jahre lang Verlagsvertreterin für einen großen Publikumsverlag. Neben humorvollen Familien- und Frauenromanen (u.a. >Urlaub mit Papa<, >Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt< oder >Drei Frauen am See<, >Drei Frauen, vier Leben<) begeistert sie ihr Publikum mit lustig-skurrilen Sylt-Krimis, Erzählungen und Kolumnen. Die Liebe zu ihrer norddeutschen Heimat ebenso wie die zu den Menschen dort fängt Dora Heldt auf unnachahmliche Weise in all ihren Büchern ein.
Dora Heldt, 1961 auf Sylt geboren, hat sich mit ihren Romanen und Krimis auf die Spitzenplätze der Bestsellerlisten und in die Herzen von Millionen von Leserinnen und Lesern geschrieben. Wie kaum eine andere Autorin in Deutschland kennt sie den Buchmarkt von allen Seiten: Die gelernte Buchhändlerin war über 30 Jahre lang Verlagsvertreterin für einen großen Publikumsverlag. Neben humorvollen Familien- und Frauenromanen (u.a. ›Urlaub mit Papa‹, ›Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt‹ oder ›Drei Frauen am See‹, ›Drei Frauen, vier Leben‹) begeistert sie ihr Publikum mit lustig-skurrilen Sylt-Krimis, Erzählungen und Kolumnen. Die Liebe zu ihrer norddeutschen Heimat ebenso wie die zu den Menschen dort fängt Dora Heldt auf unnachahmliche Weise in all ihren Büchern ein.
Josefines Sehnsucht
nach Schnee
Und jetzt zum Wetter und Verkehr.«
Josefine öffnete ein Auge und wartete gespannt.
»Auch heute erwartet uns wieder ein sonniger Tag mit nur vereinzelten Wolkenfeldern. Höchsttemperaturen von 17 bis 20 Grad, die Tiefsttemperaturen nachts bei milden 12 Grad.«
Sie stöhnte leise. Die muntere Stimme der Radiomoderatorin fuhr fort: »Das ist wirklich ein wunderbarer Altweibersommer und das Beste ist, dass sich dieses Hochdruckgebiet auch noch die nächsten Tage hält. Und jetzt zu den Verkehrsnachrichten …«
Josefine streckte sich, um das Radio auszuschalten. Dann setzte sie sich mühsam auf und blickte auf das gerahmte Foto, das auf ihrem Nachttisch stand. »Guten Morgen, mein Schatz.«
Herbert war schon seit zwanzig Jahren tot, trotzdem galten ihr erster und ihr letzter Satz jeden Tag ihm. Ihrem Mann, mit dem sie fast fünfzig Jahre verheiratet gewesen war. Und der nur sechs Wochen vor ihrer goldenen Hochzeit beim Rasenmähen gestorben war. Mit 75. Eine denkbar blöde Art, sich um das Fest zu drücken, dachte Josefine heute. Herbert hatte Feiern immer gehasst, im Gegensatz zu ihr, aber deswegen fiel man doch nicht einfach so um. Nur, weil ihre zahlreichen Bekannten Wert auf ein großes Fest zur goldenen Hochzeit legten. Und Josefine das damals durchgesetzt hatte. Gegen Hermanns Willen. »Dann kommen sie alle angerannt, in schrecklichen Kleidern, trinken und essen auf unsere Kosten, gehen nicht nach Hause und bringen schreckliche Geschenke mit«, hatte er gesagt. »Es wird furchtbar.«
Er hatte recht behalten. Es war furchtbar gewesen. Weil Josefine statt der roten Rosen dann weiße Lilien bestellt und im selben Gasthof, in dem die goldene Hochzeit stattfinden sollte, die Trauerfeier ausgerichtet hatte. Tatsächlich kamen alle angerannt, sie hatten zwar keine Geschenke dabei, aber es wurde auf Josefines Kosten sehr viel gegessen und noch mehr getrunken. Statt schrecklicher Kleider war die Garderobe aber einheitlich, alle trugen schwarz. Es war lange her.
Langsam schob sie ihre Beine aus dem Bett und wartete einen Moment, bevor sie aufstand. Es ging alles nicht mehr gut. Das Leben war mühsam geworden und langsam mochte sie auch nicht mehr. Aber jetzt musste sie sich ins Bad quälen, sich waschen, kämmen und anziehen, weil heute Jens kam. Der Enkel ihrer verstorbenen Schwester Margarete. Sie wäre vermutlich geplatzt vor Stolz auf diesen hübschen jungen Mann. Aber so hatte sie ihn gar nicht mehr erlebt. Margarete war gestorben, als Jens fünfzehn war. Heute war er zweiunddreißig und kam einmal in der Woche zum Frühstück, brachte ihr die schweren Einkäufe, erzählte lustige Geschichten und aß mindestens drei Brötchen. Josefine fand es nur bedauerlich, dass er allein lebte. Er hätte die Richtige noch nicht gefunden, sagte er jedes Mal, wenn sie ihn fragte. Dabei würde Josefine so gern noch erleben, dass Jens ihr seine Liebe vorstellte. Aber so viel Zeit blieb ihr nicht mehr, ihre Kräfte ließen immer schneller nach. Und es reichte auch langsam. Er müsste sich einfach mal beeilen, sonst wäre sie nicht mehr da.
Jens stellte seine Tasse ab und sah sie forschend an. »Was ist, Josefine? Du gefällst mir heute gar nicht.«
»Das muss auch nicht sein«, sie sah ihn an. »Das bringt nämlich nichts.« Ächzend zog sie sich an der Stuhllehne hoch und schlurfte zur Küchenzeile, auf der die Thermoskanne stand. »Ich bin 92. Der Altersunterschied ist einfach zu groß.«
Sie lächelte ihn mühsam an, als sie wieder auf ihrem Platz saß, etwas besorgt lächelte er zurück. »Geht es dir nicht gut? Hast du Schmerzen?«
Josefine schüttelte den Kopf. »Nicht mehr als sonst. Mach dir keine Sorgen.«
Sie sah ihm an, dass er ihr nicht glaubte. Er machte sich ständig Sorgen um sie. Der Junge war einfach zu weich. Seine nächste Frage kam deshalb nicht unerwartet.
»Wolltest du nicht letzte Woche zum Arzt?«
»Ich sollte«, korrigierte sie ihn. »Du hast drauf bestanden. Ja, ich war da.«
»Und? Was hat er gesagt?«
»Was soll er gesagt haben?« Josefine zuckte die Schultern. »Es ist altersgemäßer Verschleiß. Ganz normal. Und ich soll trinken. Als wenn ich in meinem Alter damit anfangen würde.«
»Er meint Wasser«, Jens grinste schief. »Oder Tee. Oder Saft. Doch keinen Alkohol.«
»Schade«, Josefine rieb sich nach diesem müden Witz die Augen. Wenn sie nicht aufpasste, schlief sie hier gleich ein. Sie hatte so schwere Lider, ihr wurde fast übel vor lauter Wehrhaftigkeit gegen den Schlaf.
»Aber du musst wirklich mehr …«, fing Jens an und hörte wieder auf, als sie die Hand hob.
»Jens, ich habe es dir schon mal gesagt, ich lehne Gespräche über Alter und Krankheiten bei Tisch ab. Steh doch mal auf und geh zum Kühlschrank, ich habe die Butter vergessen. Und das kleine Glas Erdbeermarmelade.«
Jens sah sie forschend an, als würde er ein Insekt beobachten. Josefine deutete mit dem Finger auf die Küchenzeile. »Die Butter. Und starr mich nicht so an. Ich komme mir vor wie eine Amöbe unterm Mikroskop.«
Während sie ihm zusah, wie er den Kühlschrank öffnete, fiel ihr der Traum von letzter Nacht wieder ein. Sie hatte mit Herbert, seiner Schwester Ilse, deren Mann Gerd, ihrer Freundin Ella und ihrer Schwester Margarete auf einer Veranda gesessen. Die Sonne schien vom blauen Himmel, der Schnee glitzerte, in ihren Bechern war Punsch und sie wollten gleich Schlitten fahren. Sie war sehr glücklich gewesen. Weil sie den Winter und den Schnee so liebte. Der traurige Gedanke kam sofort hinterher. Alle anderen waren schon lange tot. Nur sie war noch da. Aber sie war sich sicher, dass die anderen irgendwo auf sie warteten. Von Tag zu Tag aufgeregter. Weil es nicht mehr so lange dauern würde, bis sie sich wiedersahen.
»Worüber lächelst du?« Jens stellte die Butter und die Marmelade auf den Tisch und setzte sich wieder.
Josefine hob den Kopf. »Ich würde so gern noch mal Schlitten fahren.«
»Schlitten?« Jens sah sie an, bevor er nach draußen deutete. »Und das fällt dir bei diesem herrlichen Wetter ein?«
»Ja. Ich finde diesen Spätsommer gar nicht so schön. Ich freue mich immer auf den Winter und den ersten Schnee. Aber wer weiß, wann der dieses Jahr kommt. Der Sommer scheint gar kein Ende zu nehmen.« Josefine legte Jens ein Brötchen auf den Teller. Sie selbst hatte überhaupt keinen Appetit. Jens schien das noch nicht bemerkt zu haben. Unbekümmert schnitt er das Brötchen auf und lächelte. »Du mit deinem Winter. Und deinem Schnee. Ich bräuchte das nicht. Ich genieße die Sonne. Und du wirst deinen Schnee schon noch bekommen.«
Josefine wich seinem Blick aus. Er sollte ihre Skepsis nicht bemerken. Aber sie ahnte, dass sie den Schnee nicht mehr sehen würde.
Einen Stock höher saß Anna im Wohnzimmer und zappte sich durch die Vormittagsprogramme. Morgenmagazine, eine Dokumentation über einen Streichelzoo, die Wiederholung einer Arztserie, an der sie etwas länger hängen blieb, dann aber doch weiterschaltete, weil sie die vielen Ärzte in weißen Kitteln nicht unterscheiden konnte, einen Bericht über die größten Trucks der Welt, eine Trickfilmepisode und eine Kochshow. Genervt schaltete sie das Gerät aus und blieb unschlüssig sitzen. Der Vormittag ging überhaupt nicht vorbei, obwohl sie hier schon gefühlte Stunden saß und ihre Laune immer schlechter wurde. Sie musste irgendetwas tun, sie hatte nur keine Ahnung, was. Ihr Blick fiel auf ihre Jogginghose, auf dem Oberschenkel prangte noch der Joghurtfleck von gestern. Sie könnte ja duschen gehen. Oder in die Badewanne. Dann wäre sie wenigstens beschäftigt. Behutsam schob sie ihre schlafende Katze vom Schoß und stand auf. Sie kam bis zur Wohnzimmertür, als das Telefon klingelte.
»Ich bin es. Gibt es was Neues?«
Wäre sie doch bloß nicht rangegangen. »Mama. Hallo. Was meinst du?«
»Was ich meine?« Ihre Mutter hatte am Telefon eine noch nervigere Stimme als sonst. »Was ist mit deiner Jobsuche? Hast du wieder was? Oder hängst du schon wieder im Jogginganzug auf dem Sofa rum?«
Anna hasste hellseherische Fähigkeiten. Die hatte ihre Mutter immer schon gehabt. Aber sie musste sich zurücknehmen, im Moment war sie darauf angewiesen, dass sie Geld bekam. Und da war ihre Mutter, oder besser, ihr Stiefvater gerade die einzige verlässliche Quelle. Das ließen sie sie auch spüren. »Ich habe noch drei Bewerbungen offen«, sie antwortete mit der sanftesten Stimme, derer sie fähig war. »Ein Hotel, die eine Rezeptionistin suchen und zwei Restaurants.«
»Restaurants?« Die Stimme am anderen Ende klang fassungslos. »Als was denn? Du kannst doch nicht mal kochen?«
»Die suchen keine Köchin, sondern jemanden, der da Veranstaltungen organisiert. Das habe ich schließlich studiert.«
»Ich hab dir doch gleich gesagt, dass das kein Mensch braucht. Das ist doch nicht mal ein richtiger Beruf.«
Anna legte den Kopf in den Nacken, starrte auf die Deckenleuchten und wartete auf den entscheidenden Satz. Der auch prompt folgte. »Also, wir können dich jetzt nicht ewig unterstützen. Ich kann mich nicht mein ganzes Leben für ein Kind aufopfern. Ich habe leider so ein bisschen den Eindruck, als würdest du dich vor einer anständigen Arbeit drücken. Das kann doch nicht sein, dass du nichts findest. Kümmerst du dich überhaupt richtig …«
»Mama«, unterbrach Anna die Tirade erleichtert und hielt als Beweis kurz den Hörer in Richtung Tür. »Ich muss leider Schluss machen, es klingelt an der...
Erscheint lt. Verlag | 13.10.2017 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Anthologie • Bestseller • Erzählungen • Geschenkbuch • Glühwein • Humor • Kurzgeschichten • Weihnachten • Winter • Wintergeschichten |
ISBN-10 | 3-423-43275-6 / 3423432756 |
ISBN-13 | 978-3-423-43275-7 / 9783423432757 |
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