Das Haus der Mutter (eBook)

Theaterstück und Erzählung
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
120 Seiten
Haymon (Verlag)
978-3-7099-3820-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Haus der Mutter -  Joseph Zoderer
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Ein fesselnder Monolog über das Altern, die Einsamkeit und eine große Liebe. Eine Frau zieht sich zurück Eine alternde Mutter baut sich jeden Abend in ihrem Zimmer eine eigene Welt aus Kartonschachteln, in der sie sich versteckt. Nachts schleicht sie mit der Taschenlampe durch das Haus, das sie gemeinsam mit Tochter, Schwiegersohn und Enkel bewohnt. Vor ihren Kindern und der Außenwelt, die ihr mit Unverständnis begegnen, will sie sich schützen. Der ständige Begleiter der Frau: das Gefühl, nicht verstanden, nicht für voll genommen, aber dafür beobachtet und belauert zu werden. In das trostlose Leben mischen sich Erinnerungsfetzen an eine glückliche, aber nicht immer einfache Vergangenheit: das Leben mit dem geliebten Mann, das Aufwachsen der Kinder - aber auch der Krieg mit den Nächten im Luftschutzkeller. Über das Glück des Lebens und das Leid des Alterns Basierend auf einer Erzählung aus Joseph Zoderers vielbeachtetem Band 'Der Himmel über Meran', gibt der Autor in seinem Stück Einblick in einen rätselhaften Kosmos. Die Mutter berichtet vom Glück der Liebe, aber auch von ihrem Verlust, vom Reichtum des Lebens - und von seinem Schwinden. Gleichzeitig ist Zoderers Stück ein eindrückliches Zeitzeugnis von Südtirol zur Mitte des 20. Jahrhunderts: Faschismus, Nationalsozialismus und Option, nicht enden wollende Nächte im Luftschutzkeller, die Hunger- und Nachkriegszeit. Ein schmerzvoller Bericht über ein Leben, das reich an Entbehrungen, Angst, Glück und Liebe war, und nun seinem Ende zugeht.

Joseph Zoderer, geboren 1935 in Meran, lebt als freier Schriftsteller in Bruneck. Mit Werken wie 'Die Walsche' und 'Das Glück beim Händewaschen' hat er sich in die vorderste Riege der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur geschrieben. Zahlreiche Auszeichnungen, u.?a. Hermann-Lenz-Preis (2003) und Walther-von-der-Vogelweide-Preis (2004). Seit 2015 wird das Werk Joseph Zoderers in Zusammenarbeit mit dem Brenner-Archiv Innsbruck in Einzelbänden neu aufgelegt. 2017 erscheinen bei Haymon 'Lontano'. Roman, 'Die Erfindung der Sehnsucht'. Gedichte und 'Das Haus der Mutter'. Theaterstück und Erzählung (HAYMONtb).

Joseph Zoderer, geboren 1935 in Meran, lebt als freier Schriftsteller in Bruneck. Mit Werken wie "Die Walsche" und "Das Glück beim Händewaschen" hat er sich in die vorderste Riege der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur geschrieben. Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. Hermann-Lenz-Preis (2003) und Walther-von-der-Vogelweide-Preis (2004). Seit 2015 wird das Werk Joseph Zoderers in Zusammenarbeit mit dem Brenner-Archiv Innsbruck in Einzelbänden neu aufgelegt. 2017 erscheinen bei Haymon "Lontano". Roman, "Die Erfindung der Sehnsucht". Gedichte und "Das Haus der Mutter". Theaterstück und Erzählung (HAYMONtb).

Das Haus der Mutter


Theaterstück


Die Mutter beginnt mit Kartons ein Haus zu bauen über ihrem Bett oder sie kriecht aus ihrem Pappendeckelhaus (über ihrem Bett) mit einer strahlenden Stablampe. Die Mutter steht, auf eine Krücke oder Stock gestützt, mit einer Stablampe in ihrem Schlafzimmer und richtet den Lichtstrahl auf die Zimmertür, auf das Fenster, auf ein Portraitfoto an der Wand, das Foto ihres toten Mannes.

MUTTER: Seltsam, seit einer Stunde kein Geräusch, totale Stille. Das kann ein Trick sein. (sie hustet kurz)

LORE ODER/UND FLORIAN (per Video): Es ist still und so ist es immer, das ist die Normalität. Was du hörst, hört niemand, du bist halt nicht mehr die Jüngste, mit der Zeit verkalken die Arterien, Mamele, auch die in den Ohren und nicht zuletzt eben auch die im Gehirn.

MUTTER: Aber ich hör, was ich hör, ich hör mein Gefühl und das trügt nicht und ich hör sogar die Stille und die warnt mich. Für die Lore bin ich alt, weil ich lahm bin auf der rechten Seite, weil ich steif bin von der Hüfte bis zum Fuß auf der rechten Seite. Lore meint es ja nicht bös mit mir, nein, nein, sie meinen es alle nur gut, und weil sie es gut meinen mit mir, muss ich ein altes Mamele sein, aber mit 72 Jahren ist heutzutage niemand alt, heute werden sie ja hundert oder mindestens 83, statistisch gesehen, also im Durchschnitt. Und ich hab ja einen herrlichen Appetit. Und muss nicht Hunger leiden, im Gegenteil! (sie hustet kurz) Sie meinen es gut mit mir. Keine Lebensmittelmarken mehr, schon lange nichts mehr rationiert. Und die Lore kocht gut, fast wie eine Italienerin … die Spaghetti al dente! Ja, der Weltkrieg ist schon lange vorbei … (hört auf das Rauschen)

LORE: Das ist ein Ventilator.

MUTTER: Und wo ist dieser Ventilator? Das weiß sie nicht! Nur das Rauschen ist da, hier in diesem Zimmer, es dringt durch die Wände, es kommt nicht durch das Fenster. Ich höre es durch die Wand über dem Bett hereinzischen.

LORE: Ich höre nichts.

MUTTER: Ich kann es nicht glauben, auch mein Sohn, der Florian, hört nichts davon.

FLORIAN: Kein Rauschen und überhaupt kein Geräusch!

MUTTER: Ich glaube ihnen nicht, es ist unmöglich, dass sie das nicht hören, wenn ich es so deutlich höre, dass mir kalt wird … Niemand warnt einen!

LORE/FLORIAN: Weil es nichts zu warnen gibt.

MUTTER: (hustet kurz) Aber ich spür, was ich spür, und ich weiß, was ich weiß. Die Wände haben Ohren, das ist nicht nur ein leeres Sprichwort, meine Wände haben Ohren und … ja, und haben eine Haut, die durchlässig ist. Und es gibt Augen, die beobachten alles, die sehen alles, wenn sie sehen wollen … Ich muss mir wohl noch mehr Pappendeckel beschaffen unten in der Abstellkammer, wenn die Hausleut weg sind, wenn sie auswärts bei der Arbeit sind und wenn die Lore weggeht, mit dem Kind einkaufen geht … In den Lift bekomm ich die Kartons schon hinein. Ich hab das Kind ja gern, es ist herzig und ich lieb es, aber wenn ich auf den kleinen Mario aufpassen muss, kann ich keine Pappendeckel holen … Auf den Kleinen aufpassen muss ich in der Küche und sonst muss dieses Zimmer hier leer sein … niemand darf etwas wissen. Und bis jetzt hat die Lore auch nichts gesehen und selbstverständlich erst recht nicht der Florian, der ist ja kaum einmal da, kommt höchstens dreimal im Jahr von Wien, im Sommer ein paar Tage und zu Weihnachten und manchmal noch zu Ostern, nein, niemand weiß was, die Lore kommt nur ins Zimmer, wenn ich es will, wenn ich ihr das Zimmer aufsperre, den Schlüssel hab nur ich und den verstecke ich in meinem Taschentuch, immer schließe ich ab, wenn ich das Zimmer verlasse … wenn ich in die Küche gehe, sperre ich die Tür ab, wenn ich ins Wohnzimmer gehe, sperre ich ab, natürlich auch wenn ich ins Bad muss. Ohne mich kommt niemand in mein Zimmer, und wenn ich die Lore hereinlasse am Tag, ist alles weggeräumt, das Zimmer ist leer, ist aufgeräumt, bei Tag räume ich alles weg, kein Stück Karton ist zu sehen, alles ist unter dem Bett und hinter dem Schrank … Das Zimmer mache ich noch immer selbst sauber, ich bin zwar ein halbsteifer Krüppel, aber ich kann mich bewegen … auf meine Art und Weise kann ich mich sogar ganz gut bewegen. Ich hab lange geübt und viel gelernt, mit Geduld und Vorsicht steig ich auf Stühle und Bänke mit dem beweglichen linken Bein, dann stütze ich mich auf den Stock oder die Krücke und zieh das lahme Bein nach, (zeigt es) derart kann ich auch mein Fenster selber putzen … Die Lore brauche ich dazu nicht, ich mach mein Bett gleichfalls selber, und mit dem Staubsauger hab ich keinerlei Problem. Ich weiß, die Lore ist neugierig … es lässt ihr keine Ruhe.

LORE: Warum sperrst du das Zimmer ab, sogar vor mir?

MUTTER: Das ist meine Sache!

LORE: Hast du Angst, dass dir was weggenommen wird? Dass mein Mann oder gar ich dir was wegnehmen?

MUTTER: Nein, nein, bei mir gibt es nichts wegzunehmen, höchstens ein Sackl Pfefferminzzuckerl … Hörst du es nicht? Sie hören alle nichts, auch Maurizio nicht, ihr Mann, und wenn er da ist, auch Florian nicht, mein Sohn. Ich bin die Einzige, die es hört, es ist ein Ton, der mir durch Mark und Bein geht, ein gar nicht so lauter Ton, der aber einmal sägt, ein andermal winselt … unerträgliches Sägen und Winseln, das anschwillt und mir den Kopf vollfüllt. Ich möchte laufen, weglaufen, aber ich kann nicht mehr laufen. Ich kann nur mehr humpeln oder kriechen. Dabei ist mein Gehör nicht mehr das beste … Bitte, red lauter, sage ich zu Lore in der Küche, und eine Weile hör ich sie gut, aber dann fällt sie wieder in ihren Flüsterton und flüstert oder lispelt, und ich verstehe kein Wort … Doch wenn sie was von mir will und ich bin in meinem Zimmer, da kann sie laut werden und schreien und an die Tür klopfen, und ich hör sie. Mein Kopf ist gesund, ich hab einen guten Schlaf, auch wenn ich nur mehr auf dem Rücken liegen kann.

LORE/FLORIAN: Arteriosklerose!

MUTTER: Dass ich nicht lache! Sie wollen mir alle weiß Gott was einreden und wollen mich zu Neurologen und Psychiatern bringen! (hustet kurz) Aber da kenne ich keinen Pardon! Glaubt ihr, dass ich nicht richtig ticke oder dass ich ein Rad zu viel im Kopf …?

LORE/FLORIAN: Nein, nein!

MUTTER: Ich lächle sie an, ich lächle sie mehr denn je an, ich lächle jetzt überhaupt mehr als in meinem ganzen Leben bisher. Das Lächeln hilft mir auch bei meiner Gehörschwäche. Wenn ich sie nicht verstehe, lächle ich so lange, bis sie laut und deutlich reden, dann lächle ich ununterbrochen … Ich kann nicht genug aufpassen, ich muss vorsichtig sein. Aber wie aufpassen und wie vorsichtig sein? Alle haben Augen. Es gibt so viele Augen, und alle haben Ohren. Ich verstehe nicht, wie die Lore nur so sorglos sein kann, und erst recht der Italiener, ihr Mann, der Maurizio. Sie spüren nichts, sie hören nichts, sie leben ruhig in den Tag hinein, nur ich bin die Verrückte. (hustet etwas länger, beugt sich nach einem Karton) Die Bomben fallen vom Himmel herunter, die ganze Stadt ein ungeheurer Knall, und wir im Luftschutzkeller! Alle zittern, alle schreien und heulen … heulen, weil sie nicht sterben wollen oder halbzerfetzt überleben, als Krüppel überleben. Ich drücke die Kinder an mich und sage ihnen: Ich, eure Mutter, beschütze euch, nichts kann euch geschehen, solange ich bei euch bin. Ich, die ich Tränen schlucke, ich sage, ich beschütze euch. Ich lüge sie an, ich kann sie ja ganz und gar nicht beschützen, vor nichts beschützen, vor keinem Splitter und erst recht nicht vor einer explodierenden Bombe.

LORE/FLORIAN: Wir sind da und wir beschützen dich!

MUTTER: Heute lügen s i e mich an, hinter meinem Rücken kichern und lachen sie über mich, sie lachen mir direkt ins Gesicht, sie umarmen mich, die Lore busselt mich lachend ab.

LORE/FLORIAN: Mamele, Mamele!

MUTTER: Der Florian tätschelt lachend meine Wange, als wär ich ein launenhaftes Kind. Mich wie ein kapriziertes, verwöhntes Schulkind trösten, abtatscheln und abküssen lassen! Von meinen Kindern!

LORE/FLORIAN: Unser narrisches Mamele!

MUTTER: Ihr Mamele, das sie im Bombenkrieg mit allem, was möglich war, zu beschützen versucht hat. Das sie vor dem Verhungern bewahrt hat! Das ihnen immer alles geglaubt hat, wenn sie über ihre Nazilehrerin klagten! Sie glauben mir heutzutage nichts, sie schäkern und witzeln mit mir, lieben mich als narrisches Mamele mehr denn je, sind gar noch froh darüber, mir geradezu dankbar, dass ich ihr Mitleid ermögliche, dass sie mich bedauern können. Ja, sie wollen mich bemitleiden, um mir ihre Liebe zu zeigen, aber sie nehmen mich nicht...

Erscheint lt. Verlag 25.9.2017
Verlagsort Innsbruck
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Altern • Der Himmel über Meran • Familie • Faschismus • Italien • Josef Zoderer • Krankheit • Krieg • Liebe • Mutter • Mutter-Sohn-Beziehung • Paranoia • Psychologie • Südtirol • Tod • Trauer
ISBN-10 3-7099-3820-1 / 3709938201
ISBN-13 978-3-7099-3820-1 / 9783709938201
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