Der Letzte macht den Mund zu (eBook)

Spiegel-Bestseller
Selbstgemachte Gemeinheiten und extrafrische Bösartigkeiten
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
240 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1525-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Letzte macht den Mund zu -  Michael Buchinger
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Was alles nervt - von A wie vegan bis Z wie Blumenkränze YouTube-Star Michael Buchinger erklärt böse und charmant, mit einer ordentlichen Prise österreichischem Humor, warum die Menschheit völlig verrückt ist und er seine Artgenossen nicht leiden kann. Buchinger zieht fabelhaft über Gesundheitsfanatiker und Bio-Nazis her, versteht nicht, warum jedes Jahr wieder Geburtstag gefeiert werden muss und verabscheut den Selfie-Wahn seiner Generation. Hier kriegt jeder sein Fett weg! 'Michael Buchinger ist das mit Abstand erfrischendste auf YouTube.' Vice

Michael Buchinger, 1992 in Wien geboren, ist YouTuber und schreibt für Vice, Miss und Die Welt. Er hat Anglistik studiert und erhielt 2015 den Deutschen Webvideopreis in der Kategorie Lifestyle für das Format 'Michaels Hass-Liste'.

Michael Buchinger, 1992 in Wien geboren, ist YouTuber und schreibt für Vice, Miss und DIE WELT. Er hat Anglistik studiert und erhielt 2015 den Deutschen Webvideopreis in der Kategorie Lifestyle für sein Format "Michaels Hass-Liste".

Ehrlich nervt am längsten


Ehrlichkeit wird überbewertet. Dennoch hören wir ständig von allen Seiten, wie wichtig es sei, all unseren Mitmenschen immer nur die Wahrheit zu erzählen, und dass uns sofort der Blitz treffen werde, wenn wir auch nur einmal lügen. Ehrlich währt am längsten, sagt man, doch das halte ich – welch Ironie! – für eine fette Lüge. Wer das glaubt, weiß einfach nicht, wie man richtig lügt. Aber keine Sorge: Ich bin hier, um es euch beizubringen.

Ich habe eine Freundin namens Claudia, die immer ehrlich ist, und es bringt ihr – surprise, surprise! – nichts als Ärger. Erst letztens traf ich sie zum Weintrinken in einer Bar, wo sie mir ihre aktuellen Beziehungsprobleme schilderte.

»Ich hatte einen Sextraum mit einem anderen Mann«, berichtete sie vorsichtig, »und bekam so ein schlechtes Gewissen, dass ich meinem Freund davon erzählt habe. Jetzt ist er sauer auf mich.« Sie betonte den letzten Satz so, als hätte sie absolut keinen blassen Schimmer, was sie falsch gemacht hatte. Die Antwort lautet: alles.

Instinktiv verdrehte ich die Augen und nahm einen viel zu großen Schluck von meinem Sauvignon Blanc, bevor ich meinen ungefragten Rat darbot. »Schau, Claudia: Wenn du tatsächlich mit einem anderen Mann Sex hattest, solltest du es deinem Freund vermutlich sagen. Aber wenn du nur davon träumst, machst du dir durch ein Geständnis nur überflüssige Probleme. Ich habe neulich geträumt, dass ich meinen Freund küsse und er sich in Miss Piggy von den Muppets verwandelt! Erzähle ich ihm davon? NEIN! Weil es unwichtig ist«, sagte ich.

Claudia warf mir einen Blick zu, der sagte: Such dringend einen Therapeuten auf.

»Träume sind Schäume!«, setzte ich viel zu laut nach und leerte mein Weinglas.

Warum sollten wir unseren Mitmenschen jeden einzelnen Gedanken unterbreiten, den wir haben? Ich verstehe, dass es wichtig ist, offen über grundlegende Dinge zu kommunizieren; trotzdem ist es mir lieber, wenn du deine ehrliche Meinung zu meinem neuen bauchfreien Top für Männer für dich behältst und ich meinerseits weiterhin so tun darf, als würde ich deine Poetry-Slam-Gedichte ganz toll finden.

Ihr merkt: Ich bin der festen Überzeugung, dass gezieltes Lügen der Schlüssel für gut funktionierende Beziehungen ist. So wurde es mir schon im Kindesalter vermittelt. Damals verbrachte ich viel Zeit in der Obhut meiner älteren Schwester, die wiederum das Gros ihrer Aufmerksamkeit gerne den zwei Dingen widmete, die in unserem Elternhaus strikt verboten waren: Jungs und Zigaretten (das sollten später auch meine größten Steckenpferde werden!).

Als ein Kind, das schon ein schlechtes Gewissen bekam, wenn es mal ohne Zähneputzen zu Bett ging, schob ich während der verbotenen Aktionen meiner Schwester schnell Panik und lief aufgebracht im Wohnzimmer umher, während ich vollkommen aufgelöst stammelte: »… aber es ist nicht erlaubt … Bestrafung … möge Gott uns gnädig sein!«

Denn was, wenn Mama herausfand, dass Schulfreunde meiner Schwester unerlaubterweise zu Besuch gewesen waren und sogar Straßenschuhe im Wohnzimmer getragen hatten? Ich wollte es mir gar nicht ausmalen!

Doch meine Schwester wusste mich zu beruhigen. »Michi«, sagte sie und legte ihre Hand auf meine Schulter. »Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß!«

In diesem Moment war es, als würde sich mir eines der großen Geheimnisse des Lebens offenbaren. Ich fühlte mich wie manche Menschen sich wohl fühlen, wenn sie in einem Clickbait-Artikel erfahren, dass sie ihr Leben lang Bananen falsch geschält haben.

»Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß!«, wiederholte ich selbstsicher.

Plötzlich ergab alles Sinn: Ich ließ es beim Abendessen gänzlich unerwähnt, dass die halbe Klasse meiner Schwester zu Besuch gewesen war, und sie wiederum drückte ein Auge zu, wenn ich mich nachts aus dem Bett schlich, um im Wohnzimmer heimlich Golden Girls zu schauen.

Die Person, die ich seitdem am routiniertesten anlüge, ist und bleibt meine Mutter. Wenn es eine Buchinger-Familientradition gibt, dann diese. Meine Mutter ist eine sehr nette, aber stets um das Wohlergehen anderer besorgte Frau. Nicht selten schlug sie mir in meiner Kindheit vor, bei relativ harmlosen Aktivitäten wie Trampolinspringen oder einem Spaziergang im Wald (wo Äste aus mehreren Metern Höhe auf mich zurasen konnten!) einen Helm zu tragen, »um auf Nummer sicher zu gehen«.

Zwar wusste ich es sehr zu schätzen, dass meine Mutter sich dermaßen um mich sorgte, doch hatte ich ob meiner Vorliebe für die Golden Girls ohnehin bereits die Befürchtung, ewig Single zu bleiben. Es würde sicherlich nicht helfen, auf der Geburtstagsparty meines Kumpels Tim meinen Helm auszupacken, bevor ich zu den anderen auf das Trampolin stieg.

Man möchte meinen, dass meine Mutter heute, da ich ein erwachsener Mann bin, der schon sehr oft ganz allein und ohne Helm unfallfrei im Wald spazieren war, ein bisschen gelassener wäre, doch man würde falsch liegen. Erzähle ich ihr etwa, dass ich mit meinem Freund einen Roadtrip ans andere Ende von Österreich unternehme, wirft sie ihr Gesicht in besorgte Falten, als hätte ich ihr gerade eröffnet, dass ich zum Abendessen mit Hannibal Lecter verabredet bin. Der Grund: Meine Mutter denkt, dass ich ein fürchterlicher Autofahrer bin, obwohl ich noch nie jemanden überfahren habe. Anschließend folgt eine Liste an abstrusen Vorschlägen. Zum Beispiel regt sie an, ich könne doch stattdessen mit Zug, Bus und Taxi an mein Reiseziel gelangen. Es würde zwar elf statt vier Stunden dauern, wäre aber um einiges »abenteuerlicher«.

Oder aber sie könne mich mit dem Auto an mein Ziel fahren. Wenn ich wieder nach Hause möchte, solle ich mich melden und sie würde mich abholen. Wer braucht Uber, wenn man Mama hat?

Sollte ich doch selbst mit dem Auto fahren wollen, bot sie schließlich an, solle ich auf jeden Fall vorher weitere Fahrstunden nehmen, um meine Kenntnisse aufzufrischen. Bestimmt hätte sie mir auch noch gerne dazu geraten, während der gesamten Autofahrt einen Helm zu tragen.

Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß, das sage ich heute wie damals und schwöre meiner Mutter, mir ihre Vorschläge durch den Kopf gehen zu lassen. Dann fahre ich mit dem Auto quer durch Österreich und zwinge meinen Freund, für mich zu lügen. »Wenn meine Mutter anruft, musst du so tun, als wären wir im Zug! Frag vielleicht mit verstellter Stimme nach meiner Fahrkarte, während ich mit ihr telefoniere!« Im Handumdrehen ist auch er im Netz meiner Lügen gefangen.

Natürlich lüge ich nicht, weil es mir so viel Spaß macht, sondern weil ich weiß, dass Menschen wie meine Mutter leichter durch den Alltag gehen, wenn sie nicht immer die ganze Wahrheit über alle Details meines Lebens wissen.

Ich halte Ehrlichkeit für vollkommen optional. Genauso wenig, wie ich möchte, dass meine Nachbarn wissen, dass »der Waschbär, der ständig den Müllplatz verwüstet«, all die Jahre lang ich war, ist es mir auch relativ egal, wenn jemand eine halbe Stunde lang um den heißen Brei herum redet, nur um mir schließlich zu gestehen, dass er das Buch, das ich ihm vor einem Jahr geliehen hatte, im Zug liegen gelassen hat. Mehr als die Tatsache, dass mein Freund wenig gewissenhaft mit den Leihgaben anderer umgeht, regt mich in diesem Fall auf, dass er meine Zeit verschwendet, indem er mir solche 08/15 Geständnisse macht. Ich hatte mich auf eine spannende Geschichte über eine Affäre mit meinem Exfreund oder dem Geständnis, dass er es ist, der ständig all diese negativen Kommentare unter meinen YouTube-Videos hinterlässt, gefreut. Und nun erfahre ich, dass meine Ausgabe von Feuchtgebiete wahrscheinlich bereits die Grenze nach Ungarn überquert hat.

Newsflash: Wenn du es mir nicht erzählt hättest, hätte ich es vermutlich nie bemerkt und wir hätten uns dieses ziemlich unangenehme Rendezvous sparen können, an dessen Ende ich dich übrigens dazu zwingen werde, meine Rechnung zu bezahlen, als Wiedergutmachung für die Zeit, die ich genauso gut zu Hause bei einer Partie Online-Scrabble hätte vergeuden können.

Hier ist ein grandioser Tipp für euch: Wenn ihr nicht sicher seid, ob ihr in einer Situation die Wahrheit sagen sollt oder nicht, fragt euch: Würde ich mir und meinem Gegenüber Zeit und Ärger ersparen, wenn ich lüge? Ja? Super! Fragt euch außerdem: Wird die Sache, deretwegen ich lüge, in einem Jahr noch wichtig sein? Nein? Prima: Ihr dürft lügen, was das Zeug hält. Bitte betrachtet dieses Kapitel als schriftliche Erlaubnis.

Da manche Lügen tatsächlich sehr kurze Beine haben, muss man sie – wenn man wie ich ist – mit weiteren Lügen vertuschen. Oft merkt man nicht, dass sich eine kleine Lüge, die man mal eben so erzählt, unheimlich in die Länge ziehen kann. Vor einigen Jahren kam es zum Beispiel zu einem Zwischenfall mit einem meiner Nachbarn, aufgrund dessen ich mich nun in einem langjährigen Lügenprojekt gefangen finde, obwohl die Situation eigentlich relativ harmlos begonnen hatte.

An einem besonders sonnigen Morgen kurz nach dem Umzug in meine neue Wohnung wurde ich unsanft von lautem Geschrei aus meinem Schlaf geweckt. Durch mein geöffnetes Fenster hörte ich, wie einer meiner Nachbarn im Innenhof laut mit einer Person schimpfte, die sich bei vorsichtiger Inspektion (soll heißen: ich beugte mich so weit aus meinem Fenster, dass ich beinahe in den Tod gestürzt wäre) als Bauarbeiter entpuppte.

Dabei bediente er sich einer Wortwahl, die selbst meine rassistische Tante kopfschüttelnd als »unerhört«...

Erscheint lt. Verlag 14.7.2017
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Schlagworte Beziehung • bösartig • Bösartigkeit • Buch 2017 • Ems • Ernährung • Favoriten des Monats • Freundschaft • gemein • Gemeinheit • Gesundheit • Hass-Liste • lifestyle • Neu 2017 • Neuerscheinung 2017 • Neuerscheinungen 2017 • One-Night-Stands • Online-Dating • Österreich • Satire • Selfies • Shopping • Spieleabende • Taddl und Ardy • Veganismus • Webvideopreis • Wien • Wischmeyer • YouTuber
ISBN-10 3-8437-1525-4 / 3843715254
ISBN-13 978-3-8437-1525-6 / 9783843715256
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