Halb so wild (eBook)

(Autor)

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2017 | 1. Auflage
304 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-20014-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Halb so wild -  Hans Rath
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Freunde gibt's, die gibt's gar nicht In Adams Leben knirscht es gewaltig. Als sein Herz rebelliert und damit ein deutliches Signal sendet, fliegt er nach Island, um in der urwüchsigen Landschaft gründlich über sein Leben nachzudenken. Im Sturm stürzt Adam von einer Klippe - und wird von einem seltsamen Typen gerettet: Magnus, ein kleinwüchsiger, etwas verlotterter Mittzwanziger in Wollklamotten. Der behauptet, ein waschechter Troll zu sein - in dessen Schuld Adam nun steht. Was in Island so viel heißt wie: Magnus genießt Sonderrechte, und Adam wird ihn nicht wieder los, auch nicht bei der Rückreise nach Berlin. Dort versucht Adam, sein Leben aufzuräumen, doch der anarchische Magnus stürzt es immer tiefer ins Chaos.

Hans Rath, geboren 1965, studierte Philosophie, Germanistik und Psychologie in Bonn. Er lebt mit seiner Familie in Berlin, wo er unter anderem als Drehbuchautor tätig ist. Zwei Bände seiner Romantrilogie um den Mittvierziger Paul Schubert wurden fürs Kino adaptiert. Seine aktuellen Bücher aus der Reihe «Und Gott sprach» sind ebenfalls Bestseller.

Hans Rath, geboren 1965, studierte Philosophie, Germanistik und Psychologie in Bonn. Er lebt mit seiner Familie in Berlin, wo er unter anderem als Drehbuchautor tätig ist. Zwei Bände seiner Romantrilogie um den Mittvierziger Paul Schubert wurden fürs Kino adaptiert. Seine aktuellen Bücher aus der Reihe «Und Gott sprach» sind ebenfalls Bestseller.

1


Am Ende sind alle Märchen wahr.

Warum mir ausgerechnet dieser Gedanke durch den Kopf schießt, als ich mit stechenden Brustschmerzen und heftiger Atemnot in die Rabatten des Stadtparks stolpere, ist mir völlig schleierhaft.

Gleichermaßen erschüttert wie verwundert versinke ich in einem Meer aus blauen Hortensien. Der Aufprall fühlt sich an wie ein heftiger Rempler. Ich rieche die trockene Erde und schmecke den aufwirbelnden Staub.

Dann denke ich: Aha, das war es jetzt also. Schluss, aus und vorbei. Ich bin erledigt. Mein Leben endet in einem Hortensienbeet. Was wohl meine Familie sagen wird, wenn sie hört, dass ich so plötzlich den Löffel abgegeben habe?

Sterben ist ein seltsames Gefühl. Außerdem ärgert es mich, dass das wirklich schon alles gewesen sein soll. Ich hatte doch noch so viel vor. Zwar irgendwie nichts Konkretes, aber insgesamt gesehen wollte ich schon noch eine ganze Menge erleben.

Alle, die schon immer gewusst haben, dass man Dinge nicht auf die lange Bank schieben darf, haben also recht behalten. Kunststück, in der Theorie wusste ich das auch. Aber in der Praxis ist es dann doch nicht so einfach, wie es sich anhört. Wer jeden Tag so lebt, als wäre es sein letzter, der ist schneller arbeitslos und pleite, als er Carpe Diem sagen kann. Aber jetzt gerade denke ich, dass ich das vielleicht hätte riskieren sollen.

«Hilfe! Hier braucht jemand Hilfe!», höre ich eine aufgeregte Stimme rufen. Sie scheint aus weiter Ferne zu kommen. Vermutlich gehört sie der ebenso jungen wie drahtigen Eisverkäuferin, an deren Stand ich vor einer Minute vorbeispaziert bin. Sie hat meinen Zusammenbruch bestimmt mitbekommen.

Ich habe leider eine Menge guter Gründe für einen Herzinfarkt. Mein Job ist anstrengend, meine Ehe noch sehr viel anstrengender. Ich rauche, und ich trinke regelmäßig Alkohol, treibe aber selten Sport. Und ich werde in wenigen Monaten fünfzig – zumindest war das bis eben noch so geplant.

«Hallo? Können Sie mich hören?» Diesmal fragt eine junge Männerstimme. Es ist wahrscheinlich der Fahrradkurier, den ich eben habe heranpreschen sehen, ein gertenschlanker Kerl mit Ganzkörperneoprenanzug und Hipsterbart.

Ich merke, dass ich auf den Rücken gedreht werde, und versuche, die Augen zu öffnen, aber es geht nicht. Meine Lider sind schwer wie Blei. Der süßliche Duft der Hortensien steigt mir in die Nase, und ich spüre die Sonne im Gesicht.

«Hören Sie mich? Hallo?» Wieder die Männerstimme, diesmal drängender.

Ich will etwas sagen, doch meine Stimmbänder regen sich ebenso wenig wie meine Augenlider.

In der Ferne ist eine Sirene zu hören. Die Kavallerie ist unterwegs. Hoffentlich ist sie auch meinetwegen ausgerückt. In Berlin hört man ja ständig irgendwo das Jaulen von Sirenen. Könnte auch sein, dass da ein Diplomat eiligst zu einem wichtigen Termin chauffiert wird, während ich hier noch eine Weile auf meine Mitfahrgelegenheit warten muss.

Ist überhaupt schon jemand auf die Idee gekommen, mir einen Krankenwagen zu rufen?

«Er reagiert nicht», höre ich die Männerstimme sagen.

«Ist er etwa tot?», fragt die Frauenstimme besorgt.

«Ich glaube nicht», antwortet die Männerstimme. «Aber wetten würde ich nicht darauf.»

«Vielleicht sollten wir ihm mal den Puls fühlen», sagt die Frauenstimme.

«Gute Idee», erwidert die Männerstimme. «Ich habe nur keine Ahnung, wie man so was macht. Du vielleicht?»

«Echt nicht? Ich hätte jetzt geschworen, du kannst das.»

Hört sich an, als würde sie mit ihm flirten.

«Sehe ich etwa aus wie ’n Arzt?» Er flirtet ebenfalls. «Ist ja cool.»

«Eher wie ’n Medizinstudent. Ich hätte auf drittes Semester getippt.» Sie bemüht sich, kokett zu klingen.

«Ganz falsch. Ich mache Medieninformatik. Viertes Semester.»

«Echt jetzt?» Sie klingt ehrlich erstaunt. «Ich hab gerade mit Webdesign angefangen.»

«Cool. Was für ein Zufall. Und wo?»

«An der Design Akademie. Und wo bist du?»

«An der TU

«Auch sehr cool.»

«Ja. Macht auch großen Spaß.»

Den beiden ist während ihrer Plauderei offenbar entfallen, dass ich immer noch reglos in den Hortensien liege und ein bisschen medizinische Hilfe gebrauchen könnte. Um auf mich aufmerksam zu machen, würde ich gern genervt seufzen, aber auch das ist mir momentan leider nicht möglich.

Vermutlich verbringen in diesem Park auch ein paar gestandene Humanmediziner ihre Mittagspause. Dummerweise war im entscheidenden Moment keiner davon in meiner Nähe. Stattdessen bin ich an zwei Studenten geraten, die zwar das Internet der Zukunft gestalten werden, aber nicht wissen, wo der menschliche Puls sitzt. Tja. Pech gehabt. Immerhin sind die beiden noch nicht auf die Idee gekommen, mich mit ihren Handys zu filmen. Ich möchte auf keinen Fall als «regloser Mann im Hortensienbeet» heute Abend auf Facebook geliked werden.

«Ich funke mal die Zentrale an», entscheidet der Kurier. «Die sollen einen Krankenwagen schicken.» Man hört das Knacken des Funkgerätes.

Irgendwo habe ich mal gelesen, dass der Zeitfaktor bei einem Herzinfarkt eine ganz entscheidende Rolle spielt. Je schneller jemand Hilfe bekommt, desto größer ist seine Chance, keine bleibenden Schäden davonzutragen. Ich befürchte, diese Information ist leider noch nicht zu meinen Rettern durchgedrungen. Trotz Internet.

«Freddy, bitte kommen. Bist du da?»

«Was geht?», fragt eine Stimme, begleitet von lautem Rauschen.

«Kannst du mal einen Krankenwagen rufen? Ich bin hier im Tiergarten in der Nähe vom Goethedenkmal. Hier ist ein alter Mann umgefallen.»

Ich überhöre die Beleidigung und frage mich, warum mein Retter nicht einfach sein Handy aus der Tasche zieht und direkt einen Krankenwagen ruft. Als angehender Medieninformatiker hat er bestimmt ein schickes Smartphone dabei. Aber ich will mich nicht beklagen. CB-Funk geht natürlich auch. Ich habe schließlich alle Zeit der Welt. Und die leichte Verzögerung bei meiner Rettung wird mich bestimmt nicht viel mehr als sechs bis acht zusätzliche Wochen in der Reha kosten. Also Schwamm drüber.

«Scheiße, Tom! Wieso hängst du noch im Tiergarten rum?», will Freddy wissen. «Du müsstest längst am Potsdamer Platz sein.»

«Mach halblang, Freddy! Ich hänge hier nicht rum. Ich habe doch gesagt, hier ist jemand umgefallen. Da kann ich ja nicht einfach abhauen, oder?»

Freddy überlegt in aller Ruhe, was er mit seinem verspäteten Kurier machen soll. Dann sagt er leicht genervt: «Okay. Rufe ich eben einen Krankenwagen. Aber sobald der da ist, haust du ab. Die haben gesagt, sie brauchen die Lieferung subito. Also hau rein. Over and out.»

Danke, Freddy. Wenn dich eines Tages mal der Sensenmann am Arsch hat, dann wünsche ich dir, dass du auf Menschen triffst, die dir ebenso gern und unkompliziert helfen wie du mir gerade.

«Alles klar. Krankenwagen kommt gleich», höre ich Tom sagen.

Dann ist eine Weile nur das Zwitschern der Vögel zu hören.

Ich stelle mir vor, wie der Kurier und die Eisverkäuferin etwas unschlüssig voreinander stehen. Wenn er sie zu einem Rendezvous einladen will, dann sollte er das meiner Ansicht nach genau jetzt tun. Sobald der Krankenwagen hier ist, wird es hektisch, und dann ist die Gunst der Stunde vorbei.

Tom scheint nicht recht zu wissen, wie er es anstellen soll, denn weiterhin ist nur Vogelgezwitscher zu hören.

«Was ist? Willst du ein Eis?», fragt sie in die Stille. «Ich spendiere uns eins.»

«Coole Idee. Darfst du das denn einfach so?»

«Eigentlich nicht, aber das hier ist ja eine Ausnahme. Und ich finde, wir haben uns ein Eis verdient. Auf den Schreck.»

Ich habe mich zwar auch ein bisschen erschrocken, aber ich gönne den beiden Turteltäubchen natürlich ihr Eis.

Außerdem erlange ich wundersamerweise urplötzlich die Kontrolle über meinen Körper zurück.

Ich öffne die Augen, rolle mich vorsichtig auf die Seite, stütze mich auf den Unterarm und horche in mich hinein. Kein Schwindel, kein Schmerz. Ich fühle mich gut. Wunderbar, denke ich und rappele mich hoch.

Meine Retter schlendern angeregt plaudernd zum Eiswagen.

Ich beuge mich vor, um mir den Staub aus dem Anzug zu klopfen, und stelle dabei mit Unbehagen fest, dass ich gut einen Meter über dem Boden schwebe und langsam, aber konstant an Höhe gewinne. Und als wäre das nicht beunruhigend genug, sehe ich dann noch, dass unter mir mein lebloser Körper in den Hortensien liegt. Ganz offensichtlich bin ich mausetot.

Ob ich schon seit meinem Sturz nicht mehr unter den Lebenden weile oder gerade erst gestorben bin, weiß ich nicht. Jetzt schwebe ich jedenfalls über dem Tierpark und danach vermutlich ins Jenseits. Wenn es stimmt, was man so hört, dann werde ich gleich ein gleißendes Licht sehen, und wenig später wird mein Leben an mir vorüberziehen. Oder umgekehrt.

Wäre ich nicht auf dem Weg ins Jenseits, dann würde ich mich sogar darüber freuen, noch einmal bei Lenas Geburt dabei sein zu dürfen. Dreiundzwanzig Jahre ist das her, und ich glaube, es ist der schönste Moment meines Lebens gewesen. Erstaunlich, dass mich vom glücklichsten Tag meines Erdendaseins fast ein Vierteljahrhundert trennt. Ich werde meine Tochter schmerzlich vermissen und sie mich bestimmt auch. Selbstverständlich wird auch Conny mein plötzliches Ableben treffen, allerdings befürchte ich, dass ihre Wut darüber, dass ich aus dem Leben geschieden bin, ohne das vorher mit ihr abzusprechen, zumindest anfänglich größer ausfallen könnte als die Trauer über den Tod ihres Mannes. Meine Frau hat nicht nur allgemein große...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2017
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Berlin • Freundschaft • Humor • Island • Lebenssinn • Liebe • Lustige Bücher • lustige Romane • Midlife-Crisis • Mythologie • Reykjavik • Sagen • Sinn des Lebens • Spiritualität • Troll • witzige Romane
ISBN-10 3-644-20014-9 / 3644200149
ISBN-13 978-3-644-20014-2 / 9783644200142
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