Das geheime Lächeln (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
480 Seiten
Diana Verlag
978-3-641-21891-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das geheime Lächeln -  Bettina Storks
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»Ein wunderschöner und poetischer Roman von großer Intensität.« Sophie Bonnet

Als die Journalistin Emilia Lukin bei einer Auktion das Gemälde einer jungen Frau entdeckt, meint sie in ihr eigenes Spiegelbild zu blicken. Kann es sich um ihre Großmutter Sophie handeln? Um deren extravagantes Künstlerleben im Paris der 1930er-Jahre ranken sich wilde Gerüchte, Emilias Mutter Pauline aber hüllt sich in Schweigen. Emilia lässt das traurige Lächeln auf dem Porträt nicht mehr los, und so folgt sie dessen Spuren in die Provence und nach Paris. Dabei gerät sie tief in die Geschichte einer leidenschaftlichen Frau, deren Leben auf geheimnisvolle Weise mit ihrem verknüpft ist.

Bettina Storks, geboren bei Stuttgart, ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und Autorin. Sie war viele Jahre als Redakteurin tätig, bevor sie ihr erstes Buch veröffentlichte. Die Leidenschaft für Familiengeheimnisse und die Faszination für die deutsch-französische Geschichte vereint Bettina Storks immer wieder in ihren vielschichtigen Romanen. Die Autorin lebt und arbeitet am Bodensee.

EMILIA

1

Die Hitze flirrte über dem Asphalt. Schwüle Wärme steckte in den Gassen fest wie Zement.

Wo Emilia lebte, war es normalerweise anders. Luftiger. Leichter. Ein Hauch von Wind.

Gleich hinter dem Garten schlängelte sich der Oosbach, über den eine kleine Brücke führte, die in einen steilen Waldweg mündete. Von Emilias Fensterplatz aus am Schreibtisch sah sie genau dorthin. Der Ooswinkel im Westen Baden-Badens war ein geborgener Ort.

Sie stellte ihre Kaffeetasse ab, schaltete den Laptop an und band ihr volles Haar am Hinterkopf zusammen, während sie einen Blick auf ihre Pinnwand warf.

Verdrängtes ist nicht verschwunden. Es schläft in einem toten Winkel unseres Bewusstseins. Erwacht es, ist es gefräßig wie ein ausgehungertes Tier. Es nährt sich von unserem innigsten Wunsch zu vergessen.

Der Artikel, den sie vor einigen Tagen über das Vergessen gelesen hatte, hing dort. Die Sätze, die sie beeindruckt hatten, waren gelb markiert.

Sie nahm die Fotos für ihre Arbeit aus einer bereitliegenden Mappe. Für einen Auktionskatalog mussten Layout und Bildunterschriften angefertigt werden sowie deren Übersetzung ins Französische erfolgen. Ein schöner Auftrag, der sich auch lohnte.

An Tagen wie diesen genoss sie es besonders zu Hause zu arbeiten, nachdem sie etliche Jahre in klimatisierten Redaktionsräumen verbracht hatte. Sie bereute ihre Kündigung nicht. Es gab regelmäßige Magazin-Aufträge, und Emilia machte es nichts aus, weitaus weniger Geld als zu Zeiten ihrer Festanstellung zur Verfügung zu haben.

Lästige Konferenzen, die oft bis in die Abendstunden gedauert hatten, entfielen. Die hektische Schlussredaktion. Die letzten, eiligen Änderungen. Der Lärm in der Druckerei. Emilias Gewinn waren geöffnete Fenster und manche Arbeitsstunde im Garten unter der Linde. Sie bestimmte ihren Tagesablauf selbst, und Effizienz war eine Disziplin, in der sie schon immer gut gewesen war.

Emilia hatte sich für diese Freiheit entschieden. Sie lehnte sich zurück, nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und betrachtete die Fotos genauer: ein Sekretär aus dem 16. Jahrhundert, ein Frisiertisch, ein Vertiko, ein mit Rosenmotiven bemaltes Porzellanservice. Die Gegenstände des Auktionshauses in Colmar waren bereits in Kategorien eingeteilt: Mobiliar. Gemälde. Porzellan. Sonstiges.

Bei ihr zu Hause gab es nur wenige alte Möbelstücke. Nicht besonders wertvoll und nicht älter als hundert Jahre, aber Emilias Ehemann Vladi hing an ihnen wie an seinen beiden mittlerweile erwachsenen Söhnen. Fast wehmütig erinnerte sich Emilia daran, wie das Esszimmer vor über vierundzwanzig Jahren von einer Spedition geliefert worden war. Sie wusste das noch so genau, weil sie damals mit ihrem ersten Sohn Mischa hochschwanger gewesen war. Pünktlich wie Mischa, der exakt zum errechneten Geburtstermin an einem Wintertag nach kurzen, aber heftigen Wehen auf die Welt gekommen war, hatte das angekündigte Mobiliar von Vladis entfernter Verwandtschaft aus Russland vor der Tür gestanden. Gerade so, als brauche ein Neugeborenes mit russischen Wurzeln nichts dringender als einen Tisch aus glänzendem Kirschholz mit acht passenden Stühlen.

Inzwischen hatten sich die Möbel in das vorwiegend schlichte weiße Interieur mit den Sprossenfenstern eingefügt und verströmten das Flair eines Landhauses. Mehr als Vladi hatte Emilia schon immer allem Einfachen den Vorzug gegeben, und allein an der Echtheit maß sie den Wert eines Gegenstands. Das galt für vieles in Emilias Leben und ließ sich auch auf die Menschen, mit denen sie sich umgab, übertragen. Pompösen Glanz, der bei genauerem Hinsehen verblasste, ließ sie links liegen, zog ein frisches Bauernbrot mit gesalzener Butter einer Portion Kaviar vor und schätzte Menschen, die sich nicht verstellten oder vorgaben, ein anderer zu sein.

Sie schloss die Augen, massierte ihren Nacken und lenkte ihre Gedanken auf die Arbeit. Am besten würde sie mit der Beschreibung der Gemälde anfangen. Auf wie viele Zeilen würde sie sich beschränken müssen? Um einen Vergleich zu erhalten, schlug sie den aktuellen Katalog des Auktionshauses auf, zählte den Textumfang eines Landschaftsbildes und blätterte anschließend wahllos durch die Hochglanzseiten. Sie registrierte, dass morgen im benachbarten Elsass eine Versteigerung stattfinden würde.

Diese Art redaktioneller Arbeit war relativ neu für Emilia, trocken und spröde gegenüber ihrer früheren Tätigkeit als Redakteurin bei einem Frauenmagazin. Aufträge aus verschiedensten Bereichen hatten sie jedoch gelehrt, dass es keine Rolle spielte, worüber man berichtete. Ein gesellschaftliches Event. Die neueste todsichere Diät. Wie Alleinerziehende ihren Alltag managen. Das Sich-neu-Erfinden nach der Scheidung oder ein zur Versteigerung stehender Gegenstand. Am Ende war Journalismus eine Frage des Handwerks.

Ein halbes Arbeitsleben hatte Emilia in einer Redaktion verbracht, ohne je das Gefühl zu haben, am richtigen Ort zu sein. Rückblickend waren aus zwölf Monaten Volontariat im Handumdrehen zwanzig Jahre geworden. Zwei Jahrzehnte des schleichenden Prozesses der persönlichen Stagnation. Ein Preis, der ihr mit Ende vierzig zu hoch gewesen war.

Emilia fuhr zusammen, als ihr Handy klingelte. Ihr Sohn Mischa. Schon vor einigen Tagen hatte er sich für diesen Abend zum Essen angemeldet.

»Hallo, Mama.« Seine Stimme klang unbeschwert, fröhlich. »Ich wollte nur sagen, dass du mich nicht abholen musst. Papa sammelt mich direkt am Bahnhof ein. Wir sind dann kurz vor sieben zu Hause.«

»Prima«, erwiderte Emilia. »Dann muss ich hier nicht unterbrechen. Ich habe noch viel Arbeit.«

Mechanisch schlug Emilia eine Katalogseite um und überflog die Bilder.

»Bis heute Abend. Ich freue mich«, sagte Mischa.

»Ich mich auch.«

Emilia legte das Handy weg und blätterte weiter. Landschaftsgemälde. Stillleben. Porträts. Keines der Bilder gefiel ihr besonders, weshalb, vermochte sie nicht einmal zu sagen. Ein Junge im Matrosenanzug. Ein stattlicher Mann mittleren Alters mit einem verschmitzten Lächeln. Ein blondes Mädchen mit einer roten Schleife im Haar.

Mit einem Bleistift zählte Emilia die Zeilen der Bildtexte und notierte sich die Zahl. Als sie den Katalog schon zur Seite legen wollte, fiel ihr Blick auf ein Porträt. Die Abbildung war klein, der darunter stehende Text winzig. Um ein Haar hätte sie das Motiv übersehen.

Sie sah genauer hin und stutzte. Es handelte sich um eine junge dunkelhaarige Frau. Emilia tastete nach dem Vergrößerungsglas in der Schublade, ohne die Augen von der Abbildung zu lassen, nahm es heraus und blickte hindurch.

»Femme dans l’ombre – Frau im Schatten, vermutlich späte 1930er-Jahre«, hieß es im Untertitel.

Instinktiv hielt sie die Luft an. Sie ließ die Sehhilfe auf den Tisch sinken. Ihr Puls war beschleunigt. Es dauerte eine Weile, bis sie erfasste, was da vor ihr lag, als hätte ihr Herz schneller begriffen als ihr Verstand. Ihr war, als sehe sie in ihr eigenes Spiegelbild – genau so hatte sie als junge Frau mit zwanzig ausgesehen!

»Ist das möglich?«, flüsterte Emilia verwirrt. »1930er-Jahre? Sophie Langenberg?«

Eingehend betrachtete Emilia das Porträt. Über der rechten Gesichtshälfte lag ein Schatten, als habe sich beim Malen eine Wolke vor die Sonne geschoben. Eine Kette mit einem daumengroßen, tropfenförmigen Aquamarin in einer fragil gearbeiteten Fassung reichte bis zum Dekolleté. Die Porträtierte trug eine weiße Bluse, die am Schlüsselbein Falten warf. Der schlanke Hals, der blasse Teint ließen die geschminkten Lippen, die ein Lächeln andeuteten, hervortreten. Große, blaue Augen, die die leuchtenden Farben des Steins widerspiegelten, blickten mit einer Mischung aus Neugier, Verletzlichkeit und Stolz durch den Betrachter hindurch, als suchten sie nach etwas hinter der Fassade. Spielte da ein Hauch von Ironie um die Mundwinkel?

Die frappierende Ähnlichkeit zu ihr als junger Frau verblüffte Emilia. Der mandelförmige Schnitt der Augen, die hohen Wangenknochen, selbst die Grübchen um die Mundwinkel waren nahezu identisch mit ihren Gesichtszügen.

Bei der Abgebildeten musste es sich um ihre verstorbene Großmutter Sophie handeln – eine Frau, die Emilia nie kennengelernt hatte und um deren Leben und Sterben sich in der Familie Gerüchte rankten.

Gerüchte, die mit den Eltern, Großeltern, Tanten und Onkeln ausgestorben waren. Es hieß, Sophie habe sich nie an Konventionen gehalten und keinerlei familiäre Bindungen gekannt. Von einem einsamen, verpfuschten Leben war die Rede gewesen. Vom hohen Preis der Selbstbestimmung. Ein Leben, das in Frankreich geendet hatte. Geblieben war Emilias Mutter ein kleines Häuschen im Lubéron – ein letzter stummer Zeuge von Sophies Existenz. Emilia spürte, wie eine alte Neugier in ihr wiedererwachte, Fragen zurückkehrten, die in ihrer Kindheit von den Erwachsenen erstickt oder, was viel nachhaltiger gewirkt hatte, mit eisigem Schweigen beantwortet worden waren.

Mit zitternden Händen legte Emilia den Katalog zurück auf den Tisch. Sie stand auf, trat ans geöffnete Fenster, neigte ihren Kopf mehrmals zu beiden Seiten und massierte sich anschließend den Nacken.

Draußen ging eine leichte Brise. Die Blätter der Linde bewegten sich. Der Duft von Lavendel strömte vom Kräuterbeet vor der Häuserwand hinauf in die erste Etage. Gefolgt von Rosmarin und Zitronenthymian. Eine Idylle, die auf einmal einen stechenden Schmerz hervorrief.

Langsam ging sie zum Schreibtisch zurück, nahm...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2018
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1930er • drei Generationen • eBooks • Erbe • Familie • Familiengeheimnis • Familiensaga • Frankreich • Frauenromane • Geheimnis • Gemälde • Historische Romane • kleine geschenke für frauen • Liebesromane • Malerei • Paris • Provence • Surrealismus
ISBN-10 3-641-21891-8 / 3641218918
ISBN-13 978-3-641-21891-1 / 9783641218911
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