Wer auf Rache sinnt (eBook)

Historischer Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
448 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-19729-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wer auf Rache sinnt -  Anne Perry
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London, 1879: In der Themse treibt die Leiche eines Mannes, eine Pistolenkugel steckt in seinem Rücken. Die Identität des Toten ist rasch geklärt: Es handelt sich um einen kürzlich aus dem Gefängnis entflohenen Kriminellen. Wie Inspector William Monk jedoch bald feststellt, starb das Opfer nicht durch das Projektil, sondern muss bereits Stunden zuvor ertrunken sein. Warum also der postmortale Schuss? Fast zu spät erkennt Monk, dass der Schlüssel zu dem Fall in seiner eigenen Vergangenheit liegt - und dass ein alter Feind zurückgekehrt ist, um mörderische Rache zu üben ...

Die Engländerin Anne Perry, 1938 in London geboren, verbrachte einen Teil ihrer Jugend in Neuseeland und auf den Bahamas. Ihre historischen Kriminalromane begeistern ein Millionenpublikum und gelangten international auf die Bestsellerlisten. Anne Perry verstarb 2023 in Los Angeles.

1

Monk stieg aus dem Boot und erklomm die Steinstufen zum Kai. Das Vertäuen überließ er Hooper, der ihm gleich darauf folgte. Obwohl es ein klarer, sonniger Tag war, schlug Monk ein eisiger Novemberwind entgegen. Oder war er sich der Kälte deshalb so eindringlich bewusst, weil der Zollpolizist McNab mit einem seiner Untergebenen oben auf ihn wartete?

Wie lange kannten sie einander schon? Monk hatte nicht die leiseste Ahnung. Bei seinem Unfall vor dreizehn Jahren, als er 1856 von einer Kutsche überfahren worden war, hatte sich sein ganzes Leben bis zu jenem Zeitpunkt schlagartig in Nichts aufgelöst. Was er später darüber in Erfahrung gebracht hatte, verdankte er einzig seinen eigenen Schlussfolgerungen und den Erinnerungen anderer. Seine Gedächtnislücken hatte er immer meisterhaft überspielt, und nur eine Handvoll enger Vertrauter wusste Bescheid. Von diesen wenigen hielt also gewissermaßen jeder Einzelne sein Leben in Händen.

McNab hasste ihn. Warum, das war Monk nicht klar. Sehr wohl wusste er dagegen, weshalb er diesen Mann verabscheute. McNab steckte hinter dem Fehlschlag der Razzia gegen die Gewehrschmuggler, die zu einem Kampf an Deck des Schiffs der Bande ausgeartet war und Orme das Leben gekostet hatte. Leider wusste er nicht genug darüber, wie weit McNab sich mit den Schmugglern eingelassen hatte, um irgendetwas zu beweisen. Das Ganze lag nun schon Monate zurück, doch er trauerte immer noch um Orme, der seit dem Tag, da Monk zum Kommandanten der Thames River Police ernannt worden war, ihm als sein Mentor, seine rechte Hand und vor allem als Freund zur Seite gestanden hatte.

Und jetzt wartete McNab hier auf ihn, ein schwerer Mann, der breitbeinig dastand, während der Wind an seinem schweren Mantel zerrte. Sobald er Monk bemerkte, wandte er sich ihm zu, und sein stumpfes Gesicht nahm einen gespannten Ausdruck an.

»Morgen, Mr Monk«, sagte er laut genug, um das Rasseln von Ketten, die eingeholt wurden, das Klatschen der gegen die Stufen schwappenden Wellen sowie die Rufe der Lastkahnführer und Leichterschiffer auf dem Fluss draußen zu übertönen. »Ich hab einen für Sie!«

»Guten Morgen, Mr McNab.« Monk stellte sich neben ihn und senkte den Blick auf einen von einer Plane bedeckten Klumpen zu seinen Füßen. Das war der Grund, warum er gekommen war. Ihn hatte die Nachricht erreicht, dass die hereinströmende Flut einen Toten angespült hatte.

Monk schlug die Plane über dem Oberkörper der Leiche zurück. Es handelte sich um einen Mann mittleren Alters in abgetragener Arbeitskleidung. Er war nur wenig vom Wasser aufgebläht und hatte nach Monks Schätzung höchstens ein paar Stunden im Fluss gelegen. Sein Gesicht wirkte leer, war aber – abgesehen von ein, zwei Blutergüssen und geringfügigen Schwellungen – nicht weiter entstellt. Offenbar waren ihm diese Verletzungen vor seinem Tod zugefügt worden. Um das zu erkennen, brauchte Monk keinen Polizeiarzt. Wenn das Herz aufhörte zu schlagen, floss kein Blut mehr, auch nicht in die Prellungen.

Monk beugte sich über den Toten und befühlte das triefend nasse, dichte Haar. Langsam tasteten sich seine Finger über den Kopf, auf der Suche nach einer Wunde, die sich als Beule oder als weiche Vertiefung bemerkbar machen konnte, falls der Schädelknochen gebrochen war. Ohne Erfolg. Dann öffnete er eines der Lider. Der weiße Augapfel wies winzige rote Punkte auf, ein Hinweis auf Ersticken.

Schließlich blickte Monk zu McNab auf. Hatte dieser die Einblutungen ebenfalls bemerkt? Einen Moment lang verriet ihm McNabs Miene unverhüllte Genugtuung, bevor sie wieder glatt und ausdruckslos wurde.

Erdrosselt also? An der Kehle fehlten jegliche Würgemale. Der Kehlkopf war weder gebrochen noch gequetscht. Ertrunken? Das war in der Themse nichts Ungewöhnliches. Das Wasser war tief, schmutzig und eiskalt, die Strömung schnell und tückisch.

»Warum bin ich hergerufen worden, Mr McNab?«, fragte Monk. »Wer ist das überhaupt?«

»Weiß nicht«, erwiderte McNab mit leicht schnarrender Stimme. »Noch nicht. Hab mir bloß gedacht, dass Sie ihn sehen sollten, bevor wir tätig werden. Würde doch nicht wollen, dass Beweismittel beschädigt …« Er ließ die Bemerkung unvollendet. Schließlich bedachte er Monk mit einem kleinen, zufriedenen Lächeln. »Wollte Ihnen so etwas wie einen Blick aus der Nähe gönnen.«

Jetzt begriff Monk, dass hinter dieser Sache mehr steckte, als er geahnt hatte. McNab wartete darauf, dass er es herausfand oder – besser noch – darauf aufmerksam gemacht werden musste.

Er zog die Plane vollständig von dem Toten herunter. Seine Augen wanderten über Hände und Füße des Mannes. Die unverletzten, weichen Hände waren frei von Schwielen, die Fingernägel säuberlich geschnitten. Demnach kein Handwerker oder Lastenträger. Durch das Wollhemd hindurch befühlte er die Oberarme. Keine ausgeprägten Muskeln.

Die Stiefel des Toten waren aus gewöhnlichem braunem Leder, billig, aber durchaus zweckdienlich. Keine Risse in der Hose. Der Mantel schien zu fehlen – oder vielleicht hatte der Mann in dem Moment, da er ins Wasser gefallen war, keinen getragen.

Um McNabs Lippen spielte immer noch ein winziges, lauerndes Lächeln. Sein Anblick weckte in Monk eine lange zurückliegende Erinnerung an Bussarde, die auf hohen Zaunpfosten hockten und kleines Getier im Gras beobachteten.

Was war Monk entgangen? Ein Ertrunkener mit weichen Händen … Ohne dass McNab oder dessen Kollege ihm halfen, drehte er den Mann mühsam um, bis er mit dem Gesicht nach unten zu liegen kam. Und da endlich bemerkte er es: das Einschussloch im Rücken. Sollte es Blut oder Verbrennungen durch das Schießpulver gegeben haben, hatte der Fluss alle Spuren weggewaschen. War das die Wunde, die zu seinem Tod geführt hatte? Nein, denn die winzigen roten Einblutungen in den Augen zeugten davon, dass er um Luft gerungen hatte. Hatte man ihn schon beinahe erstickt, und war er dann doch noch entkommen und schließlich erschossen worden, als er sich am Ufer der Themse oder darin befand?

Monk blickte zu McNab auf. »Interessant«, murmelte er mit einem zustimmenden Nicken. »Dann sollten Sie am besten rasch herausfinden, wer das ist.«

»Allerdings«, bestätigte der Zollpolizist. »Nachdem das kein schlichter Unfall war, liegt hier offensichtlich Mord vor. Und für Mord sind Sie zuständig. Ich würde Ihnen natürlich helfen, wenn ich könnte. Kooperation, nicht wahr? Nur leider habe ich nicht die geringste Ahnung.« Er zuckte kaum merklich mit den Schultern. »Für Mord sind Sie zuständig. Ihr Fall, nicht meiner.« Damit wandte er sich ab und ließ Monk stehen.

Hooper hatte inzwischen das Boot, in dem er und Monk gekommen waren, gesichert und wartete am Rande des Kais. Nun beobachtete er die beiden Zollpolizisten, bis sie um die Ecke einer Lagerhalle verschwanden und er mit Monk allein war. Von den Docks in ihrer Nähe drang der Lärm der mit Be- und Entladen beschäftigten Schauermänner herüber. Sie schrien einander Anweisungen zu, Ankerketten schepperten, und über dem leisen Schmatzen des Wassers hörte man das dumpfe Knallen der Warenballen, die auf die Steinplatten aufschlugen, und das Poltern rollender Holzfässer.

»Ich traue diesem Hurensohn kein Stück weit über den Weg«, knurrte Hooper und senkte dann den Blick auf den Toten.

Nach Ormes Tod hatte Hooper dessen Funktion als Monks rechte Hand übernommen. Freilich war er in vielerlei Hinsicht das Gegenteil seines Vorgängers. Orme mit seinem weißen Haar war von gedrungener Statur gewesen und hatte außer im Hochsommer stets eine hüftlange Seemannsjacke getragen. Von Natur aus ein Mann der leisen Töne und gutmütig, hatte er den Fluss besser gekannt, als die meisten seiner Kollegen ihre Westentasche. Seine Tochter und sein neues Enkelkind liebte er hingebungsvoll und hatte kurz davorgestanden, aus dem Arbeitsleben auszuscheiden und sich in ein Haus am Flussufer zurückzuziehen, um seine letzten Jahre mit seinen Angehörigen zu verbringen, mit alten Freunden das eine oder andere Pint Ale zu genießen und wilde Vögel bei ihrem Flug in Richtung Themse-Mündung zu beobachten.

Hooper hingegen war groß und schlaksig und hatte einen Hang zur Unordnung. Dem Aussehen nach war er mindestens dreißig Jahre jünger als Orme. Auch er war ruhig, meistens jedenfalls, besaß aber einen erfrischenden Sinn für Humor. Orme hatte Monk einst unter seine Fittiche genommen, als er erkannte, dass Monk als Anfänger keinerlei Erfahrung mit dem Fluss hatte und viel lernen musste. Auch Hooper war loyal – sogar bis zum Tod, wie sich in einer gefährlichen Auseinandersetzung erwiesen hatte –, doch dass er sich keineswegs kritiklos unterordnete, hatte Monk erst vor Kurzem am eigenen Leib erfahren.

Nachdem sie den Toten gemeinsam wieder auf den Rücken gelegt hatten, betrachtete Hooper dessen Hände und untersuchte sie näher. Vor allem die Finger schienen ihn zu interessieren.

Unterdessen bemerkte Monk, der ihn bei seiner Totenschau beobachtete, einen Fleck auf der Hand des Toten, der sich so tief in die Haut gegraben hatte, dass ihn das Wasser nicht hatte wegwaschen können. »Tinte?«, fragte er neugierig.

»Nun, Schwerarbeit hat er gewiss nicht verrichtet«, brummte Hooper. »Und seinen Kleidern nach zu urteilen war er auch nicht unbedingt ein Schreiber oder Geschäftsinhaber.«

»Wie auch immer, wir sollten zusehen, dass wir denjenigen ausfindig machen, der ihn aus dem Wasser gezogen hat.« Monk wandte sich ab und spähte angestrengt stromabwärts und -aufwärts den schier endlos breiten, von vielen Booten bevölkerten Fluss entlang....

Erscheint lt. Verlag 20.3.2017
Reihe/Serie William Monk
Übersetzer Peter Pfaffinger
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Revenge in a Cold River / 22 MONK
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte eBooks • England • Historische Kriminalromane • Historische Romane • Inspector Monk • Krimi • Kriminalromane • Krimis • London • Rachedurst • Sherlock Holmes • Themse • Viktorianisches London
ISBN-10 3-641-19729-5 / 3641197295
ISBN-13 978-3-641-19729-2 / 9783641197292
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