Vernunft und Gefühl (eBook)
416 Seiten
Manesse Verlag
978-3-641-20746-5 (ISBN)
Die eine ist voller Lebenslust und Temperament, die andere beherrscht und vernünftig ... Marianne Dashwood ist das genaue Gegenteil ihrer älteren Schwester Elinor, und so stürzt sie sich nach dem Tod ihres Vaters kopflos in eine Romanze mit dem begehrten Frauenschwarm John Willoughby - und wird bitter enttäuscht. Doch als auch Elinor entdeckt, dass sie von dem Mann ihres Herzens hintergangen wurde, müssen die ungleichen Schwestern lernen, dass sie den Weg der Liebe nur mit Unterstützung der jeweils anderen finden können ...
Jane Austen (1775-1817) wurde in Steventon, Hampshire, geboren und wuchs im elterlichen Pfarrhaus auf. Nach Meinung ihres Bruders führte sie »ein ereignisloses Leben«. Sie heiratete nie. Ihre literarische Welt war die des englischen Landadels, deren wohl kaschierte Abgründe sie mit feiner Ironie und Satire entlarvte. Psychologisches Feingefühl und eine lebendige Sprache machen ihre scheinbar konventionellen Liebesgeschichten zu einer spannenden Lektüre. Vor einigen Jahren wurde Jane Austen auch vom Kino wiederentdeckt: »Sinn und Sinnlichkeit« mit Emma Thompson und Kate Winslet gewann 1996 den Golden Globe als bester Film des Jahres und den Oscar für das beste Drehbuch; »Stolz und Vorurteil« mit Keira Knightley war 2006 für vier Oscars nominiert. »Emma« wurde 2009 von der BBC als vierteilige Fernsehserie gezeigt und mit einem Emmy ausgezeichnet. »Verstand und Gefühl« wurde 2011 gleich zweimal, 2014 ein weiteres Mal in modernen Adaptionen verfilmt. Im Hörverlag sind von Jane Austen bereits »Verstand und Gefühl«, »Northanger Abbey«, »Überredung«, »Mansfield Park«, »Überredung« und »Emma« als hochkarätige Hörspielinszenierungen erschienen.
KAPITEL 11
Als Mrs. Dashwood und ihre Töchter nach Devonshire kamen, ahnten sie nicht, wie bald ihre Zeit von vielen Verabredungen in Anspruch genommen werden würde, wie häufig sie eingeladen werden und auch selbst treue Besucher haben würden, sodass ihnen kaum Muße für ernsthafte Beschäftigungen blieb. Doch so war es. Kaum hatte Marianne sich erholt, setzte Sir John seine vorsorglich geschmiedeten Pläne bezüglich vergnüglichen Zeitvertreibs zu Hause und im Freien in die Tat um. Auf Barton Park wurden die ersten Privatbälle veranstaltet, man begab sich auf Bootsausflüge und brachte sie trocken zu Ende, sooft es der regnerische Oktober gestattete. An allen derartigen Treffen nahm auch Willoughby teil; die unbefangene und zwanglos vertrauliche Atmosphäre dieser Runden war wohlkalkuliert. Er sollte seine Bekanntschaft mit den Dashwoods vertiefen können und Gelegenheit erhalten, Marianne von ihrer besten Seite zu erleben, seiner leidenschaftlichen Bewunderung Ausdruck zu verleihen und aus ihrem Verhalten ihm gegenüber deutlich ihre Zuneigung abzulesen.
Elinor wunderte sich nicht über diese Verliebtheit. Sie wünschte sich nur, die beiden würden sie weniger offen zeigen, und ein- oder zweimal wagte sie Marianne darauf hinzuweisen, dass etwas mehr Selbstbeherrschung schicklicher wäre. Aber Marianne verabscheute jegliche Geheimhaltung, sofern mit der Freimütigkeit nichts wirklich Schändliches verbunden war. Gefühle zu unterdrücken, die an sich nicht tadelnswert waren, empfand sie nicht nur als unnötige Anstrengung, sondern als geradezu schimpfliche Unterwerfung der Vernunft unter platte, verfehlte Ansichten. Willoughby dachte wie sie, und beide brachten ihre Meinung durch ihr Verhalten deutlich zum Ausdruck.
Sobald er anwesend war, hatte sie nur noch für ihn Augen. Alles, was er tat, war richtig. Alles, was er sagte, war klug. Wenn die Abende auf Barton Park mit einem Kartenspiel endeten, beschwindelte er sich und die anderen Spieler, um ihr ein gutes Blatt zuzuschanzen. An Abenden, an denen getanzt wurde, verbrachten sie die Hälfte der Zeit gemeinsam auf der Tanzfläche, und wenn sie bei manchen Tänzen genötigt wurden, sich zu trennen, achteten sie darauf, dass sie nahe beieinanderstanden, und sprachen mit anderen kaum ein Wort. Natürlich sorgte ein solches Benehmen für viel Gelächter, doch der Spott war ihnen weder peinlich, noch schien er sie besonders zu verärgern.
Da Mrs. Dashwood tiefstes Verständnis für ihre Gefühle aufbrachte, verspürte sie keinerlei Bedürfnis, diese übertriebene Zurschaustellung zu zügeln. Für sie war dies nur die natürliche Folge einer innigen Liebe zwischen jungen, glutvollen Gemütern.
Es war eine Zeit des Glücks für Marianne. Ihr Herz gehörte Willoughby, und das aus Sussex mitgebrachte Heimweh nach Norland wurde durch den Zauber, den seine Anwesenheit ihrem jetzigen Zuhause verlieh, rascher in den Hintergrund gedrängt, als sie es für möglich gehalten hatte.
Elinor war weniger glücklich. Ihr Herz war nicht ganz so gelassen, ihre Freude über all den Zeitvertreib nicht ganz so ungetrübt. Sie hatte keinen Gefährten, der sie für das entschädigt hätte, was sie hinter sich gelassen hatte, oder sie hätte lehren können, mit weniger Bedauern an Norland zu denken. Weder Lady Middleton noch Mrs. Jennings konnten ihr die Gespräche bieten, die sie vermisste, auch wenn Letztere unablässig redete und dabei Elinor, der sie vom ersten Moment an freundlich gesinnt war, zum bevorzugten Ziel ihrer Äußerungen machte. Sie hatte ihr schon drei- oder viermal ihr Leben erzählt, und wäre Elinors Erinnerungsvermögen ebenso groß gewesen wie ihre Aufgeschlossenheit, hätte sie gleich zu Beginn ihrer Bekanntschaft haarklein alles über Mr. Jennings’ letzte Krankheit gewusst sowie jedes Wort, das er in den Minuten vor seinem Tod zu seiner Frau gesagt hatte. Lady Middleton war nur insofern angenehmer als ihre Mutter, als sie häufiger schwieg. Doch es dauerte nicht lang, da erkannte Elinor, dass Lady Middletons Zurückhaltung lediglich mit einer ruhigen Wesensart zusammenhing und nichts über ihren Verstand aussagte. Auch gegenüber ihrem Mann und ihrer Mutter verhielt sie sich ähnlich; Vertraulichkeit wurde also weder erwartet noch gewünscht. Sie hatte an keinem Tag etwas zu sagen, was sie nicht schon am Tag zuvor gesagt hatte. Sie war immer gleich fade, denn sogar ihre Stimmung war stets dieselbe, und obwohl sie gegen die Einladungen ihres Mannes keinen Einspruch erhob, vorausgesetzt, alles lief vornehm ab und sie wurde von ihren beiden älteren Kinder begleitet, schien sie diesen Geselligkeiten nicht mehr Reiz abzugewinnen als einem Abend, an dem sie allein zu Hause saß. Sie beteiligte sich kaum am Gespräch, und ihre Anwesenheit trug so wenig zur Unterhaltung der Gäste bei, dass diese manchmal nur aufgrund ihres fürsorglichen Getues um ihre lästigen Söhne auf sie aufmerksam wurden.
Unter all ihren neuen Bekannten fand Elinor einzig in Colonel Brandon einen Menschen, der ihr überhaupt Respekt vor seinen geistigen Anlagen abnötigte, ein Verlangen nach Freundschaft weckte oder als Gegenüber unterhaltsam war. Willoughby kam hierfür nicht in Frage. Zwar gehörte ihm ihre rückhaltlose Bewunderung und Zuneigung – ihre schwesterliche Zuneigung –, doch er war verliebt, seine Aufmerksamkeit galt allein Marianne, und vielleicht hätte sie an einem weniger liebenswürdigen Mann im Großen und Ganzen mehr Freude gehabt. Colonel Brandon war zu seinem eigenen Kummer nicht ermutigt worden, einzig an Marianne zu denken, und wenn er mit Elinor sprach, tröstete ihn das noch am ehesten über die Gleichgültigkeit ihrer Schwester hinweg.
Elinors Mitleid mit ihm wuchs, als sie Grund zu der Annahme fand, dass ihm das Leid enttäuschter Liebe nicht unbekannt war. Dieser Verdacht wurde durch einige Worte geweckt, die ihm eines Abends auf Barton Park entschlüpften, als sie sich in beiderseitigem Einvernehmen einen Platz suchten, während die anderen tanzten. Sein Blick ruhte auf Marianne, und nach einigen Minuten des Schweigens sagte er matt lächelnd: «Wie ich höre, hält Ihre Schwester nichts davon, wenn sich jemand ein zweites Mal verliebt.»
«Ja», erwiderte Elinor, «sie denkt da sehr romantisch.»
«Ich glaube eher, sie hält so etwas für unmöglich.»
«Das glaube ich auch. Ich weiß nur nicht, wie sie das mit der Geschichte ihres Vaters in Einklang bringt, der ja zweimal verheiratet war. Aber in einigen Jahren werden ihre Ansichten auf einem vernünftigen Fundament aus gesundem Menschenverstand und Erfahrung zur Ruhe kommen, und dann werden sie vielleicht auch für andere Menschen, nicht nur für sie selbst, verständlich und einleuchtend.»
«Wahrscheinlich», antwortete er. «Dennoch haben die Vorurteile eines jungen Menschen etwas Liebenswertes, und es tut einem leid, wenn sie den gängigen Ansichten geopfert werden.»
«Da kann ich Ihnen nicht beipflichten», sagte Elinor. «Gefühle wie die von Marianne sind verbunden mit Unannehmlichkeiten, und selbst Schwärmerei und Naivität, mögen sie noch so reizend sein, können dafür nicht entschädigen. Ihre Denkweise hat die unselige Tendenz, Anstandsregeln in den Wind zu schlagen, und ich meine, es würde ihr sehr guttun, wenn sie einmal mehr von der Welt zu sehen bekäme.»
Nach einer kurzen Pause griff Colonel Brandon das Thema wieder auf. «Macht Ihre Schwester keine Unterschiede in ihrer Ablehnung einer zweiten Liebe? Findet sie diese bei jedem gleich verwerflich? Müssen auch Menschen, die beim ersten Mal wegen der Treulosigkeit der geliebten Person oder der Launen des Schicksals enttäuscht worden sind, für den Rest ihres Lebens leidenschaftslos bleiben?»
«Offen gestanden bin ich nicht mit den Details ihrer Prinzipien vertraut. Ich weiß nur, dass sie in meiner Gegenwart eine zweite Liebe noch nie als verzeihlich bezeichnet hat.»
«Das wird nicht so bleiben», sagte er, «aber ein Wandel, ein völliger Gefühlsumschwung … Nein, nein, den darf man sich nicht wünschen, denn wenn die romantischen Spintisierereien eines jungen Menschen abdanken müssen, wie oft folgen ihnen dann Meinungen, die nur zu gewöhnlich und zu gefährlich sind! Ich spreche aus Erfahrung. Ich kannte einmal eine Dame, die in Temperament und Gemüt ihrer Schwester sehr ähnlich war, die wie sie dachte und urteilte, aber durch eine aufgezwungene Veränderung, durch eine Reihe unglücklicher Umstände …» Er verstummte plötzlich, als würde er sich bewusst, dass er zu weit gegangen war, und seine Miene gab Anlass zu Vermutungen, die Elinor normalerweise nicht in den Sinn gekommen wären. Die erwähnte Dame hätte wahrscheinlich gar nicht Miss Dashwoods Verdacht erregt, doch sein Stutzen hatte bei ihr den Eindruck erweckt, Aussagen, die sie beträfen, dürften ihm nicht über die Lippen kommen. So brauchte es nun nicht viel Einbildungskraft, um seine Gemütsbewegung mit der zärtlichen Erinnerung an eine einstige Liebe in Verbindung zu bringen. Elinor fragte nicht weiter nach. Marianne hätte sich an ihrer Stelle freilich nicht so zurückgehalten. In deren lebhafter Fantasie hätte sich die ganze Geschichte in Windeseile entfaltet, und alles hätte sich unter dem schwermütigen Begriff «unglückliche Liebe» einordnen lassen.
KAPITEL 12
Als Elinor und Marianne am nächsten Vormittag spazieren gingen, teilte Letztere ihrer Schwester eine Neuigkeit mit, die diese, obwohl ihr Mariannes Unvernunft und Achtlosigkeit sattsam bekannt waren, doch erstaunte, weil sie ein so überdeutlicher Beleg für beides war. Marianne erzählte ihr hocherfreut, Willoughby habe ihr ein Pferd aus seiner eigenen Zucht in Somersetshire geschenkt, das speziell dazu ausgebildet sei, eine Frau zu tragen. Ohne...
Erscheint lt. Verlag | 13.3.2017 |
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Reihe/Serie | Manesse Bibliothek |
Nachwort | Denis Scheck |
Übersetzer | Andrea Ott |
Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Sense and Sensibility |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Booktok • Bridgerton • classics • cottagecore • eBooks • Gesellschaftsroman • Hampshire • Jane Austen • Klassiker • Liebeskomödie • Liebesromane • Matching • slowburn • smalltown romance deutsch |
ISBN-10 | 3-641-20746-0 / 3641207460 |
ISBN-13 | 978-3-641-20746-5 / 9783641207465 |
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