Schlafen werden wir später (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
688 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-402899-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schlafen werden wir später -  Zsuzsa Bánk
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»700 Seiten magischer Sog ... Wir sehen in die Köpfe, wir sehen in die Herzen ... Man will teilhaben, mitleiden, mitlachen.« Neue Presse Was fangen wir noch an mit diesem Leben, jetzt, nachdem wir die halbe Strecke schon gegangen sind? Die Schriftstellerin Márta lebt mit Mann und drei Kindern in einer deutschen Großstadt, die Lehrerin Johanna lebt allein in einem kleinen Ort im Schwarzwald. Eine lange Freundschaft verbindet sie, in E-Mails von großer Tiefe, Offenheit und Emotionalität halten sie engen Kontakt. Was ist gewesen in ihrem Leben - und was wird noch kommen? Zuszsa Bánks neuer Roman ist eine Feier der Freundschaft und des Lebens.

Zsuzsa Bánk, geboren 1965, arbeitete als Buchhändlerin und studierte anschließend in Mainz und Washington Publizistik, Politikwissenschaft und Literatur. Heute lebt sie als Autorin in Frankfurt am Main. Für ihren ersten Roman »Der Schwimmer« wurde sie mit dem aspekte-Literaturpreis, dem Deutschen Bücherpreis, dem Jürgen-Ponto-Preis, dem Mara-Cassens-Preis sowie dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet. Für »Unter Hunden« aus ihrem Erzählungsband »Heißester Sommer« erhielt sie den Bettina-von-Arnim-Preis. Auch ihre Romane »Die hellen Tage« und »Schlafen werden wir später« wurden große Erfolge. Zuletzt erschien »Sterben im Sommer«. Literaturpreise: Open Mike-Preis 2000 Jürgen-Ponto-Preis 2002 aspekte-Literaturpreis 2002 Deutscher Bücherpreis 2003 Mara Cassens Preis 2003 Bettina-von-Arnim-Preis 2003 Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung 2004

Zsuzsa Bánk, geboren 1965, arbeitete als Buchhändlerin und studierte anschließend in Mainz und Washington Publizistik, Politikwissenschaft und Literatur. Heute lebt sie als Autorin in Frankfurt am Main. Für ihren ersten Roman »Der Schwimmer« wurde sie mit dem aspekte-Literaturpreis, dem Deutschen Bücherpreis, dem Jürgen-Ponto-Preis, dem Mara-Cassens-Preis sowie dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet. Für »Unter Hunden« aus ihrem Erzählungsband »Heißester Sommer« erhielt sie den Bettina-von-Arnim-Preis. Auch ihre Romane »Die hellen Tage« und »Schlafen werden wir später« wurden große Erfolge. Zuletzt erschien »Sterben im Sommer«. Literaturpreise: Open Mike-Preis 2000 Jürgen-Ponto-Preis 2002 aspekte-Literaturpreis 2002 Deutscher Bücherpreis 2003 Mara Cassens Preis 2003 Bettina-von-Arnim-Preis 2003 Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung 2004

Zsuzsa Bánks neuer Roman erzählt poetisch vom Ringen zweier Freundinnen mit den Zumutungen der Realität. […] zeitlos.

So schön, so traurig, , dass wir froh sind, keine Antworten schreiben zu müssen, sondern nur mitlesen dürfen.

Die große Stärke von Zsuzsa Bánk: Ihre Heldinnen […] wirken nicht nur authentisch, sondern es liest sich stellenweise wie ein Gedicht.

Nicht kurze Mitteilungen in nachlässiger E-Mail-Sprache lesen wir, sondern poetische, auch humorvolle Herzensergießungen.

eine poetisch dichte und dennoch trotz des melancholischen Grundtons beglückend leichtfüßige, wortschöpfungsgesättigte Erkundung […] Eine sprachsprühende Feier der Freundschaft und der Literatur, dieser beiden lebensrettenden Anker.

Ein Meisterstück, wie hier der Alltag poetisch ausgeleuchtet wird - und keineswegs nur für das weibliche Publikum ein Genuss!

eine Geschichte aus dem Leben und über das Leben.[…] Gleichzeitig ist der Roman eine Lobpreisung auf wahre Freundschaft.

Wir sehen in die Köpfe, wir sehen in die Herzen. […] Man will teilhaben, mitleiden, mitlachen, […] so poetisch und lebensklug sein wie die beiden Heldinnen.

 

11. Oktober 200911:09

Liebste Johanna,

neulich habe ich das Mädchen aus der Bartholomäusgasse getroffen, das genauso wenig wie wir noch ein Mädchen ist, aber ihren Namen habe ich vergessen, Du weißt, unser Vergangenheitssplitter aus der Klinkersteinsiedlung. Nach Dir hat sie gefragt, wie immer, wenn wir uns alle Jahre an der einen oder anderen Ecke über den Weg laufen, grüßen soll ich Dich. Sie hat die alten Schulzeiten aufleben lassen, auch wenn ich das gar nicht wollte, die Aschenbahn, die lärmenden Vorstadtkinder, und dann hat sie gesagt, sie habe noch ein Foto von uns, neulich sei es ihr wieder in die Hände gefallen, Februar 1972, vor dem Kinderfasching in der Jahrhunderthalle, sie und ich in Indianerkostümen auf dem Bett meiner Eltern, auf der rosenübersähten gesteppten Tagesdecke, mit ernsten Gesichtern, Pistolen und Messer auf die Kamera gerichtet.

Fern des digitalen Zeitalters, als meine Mutter jeden Pfennig abzählen musste, hat sie Fotos an die Nachbarkinder verschenkt. Ja, das macht sie groß, Du hast recht, das macht sie riesig, und mich, ihre Tochter, macht das winzig.

Márta

 

12. Oktober 200909:03

Liebste Márti,

Montagmorgen. Schreibe Dir aus Meersburg. Wassernadeln schwirren durch die Luft. Dein Wort. Nebelfelder klammerten sich an die Hügel, als ich ankam. Verbargen meinen See. Der zwei Tage lang kaum zu sehen war. Keinen Streifen Blau für mich hatte. Erst jetzt zeigt er mir seinen Horizont. Die Wochenendtouristen sind abgereist. Die Schulklassen haben übernommen. Tragen ihre Stimmen durch die Gassen der Unterstadt. Durch die Rebstöcke hoch zum Schloss. Eine Stunde bleibt mir noch. Ich teile sie mit Dir. Dann muss ich mein Zimmer räumen. Claus hat schon angerufen. Kathrin hat ihn gedrängt, ich bin sicher. Ob alles in Ordnung ist? Ja, Claus, alles ist in Ordnung.

Vor neun gehört Meersburg mir. Wenn ich meine Runden drehe. Allein durch spiegelnasse Straßen. Am See entlang, seinem perlenden Blau, so durchsichtig und in allen Farben wechselnd, wie ich davon vorher keinen Begriff gehabt. In neuen Turnschuhen bin ich wie eine Besessene die Uferpromenade abgelaufen. Gegen die Klümpchen in meinem Körper angerannt. Vorbei an der Droste-Möwe. Ihrem Windklirren. Ihrem einzig möglichen Klagelaut. Am Kassenhäuschen und der Fährstation Richtung Therme. Wo der Boden weich wird. Die Rieschen-Stiege hoch durch die Weinstöcke, bis mein Herz herausspringen wollte. Zwei Menschen bin ich begegnet. Einem Übriggebliebenen von gestern Abend, mit geleerter Weinflasche in der Hand. Einer Frau mit nassem Hund. So sieht mein Meersburg aus, Márti. Still, aus der Welt gefallen.

Welches Vogelzwitschern weckte die Droste? Das sind so Fragen, denen ich mich an Meersburg-Tagen hingebe. Jahr um Jahr. Wie viele Droste-Jahre jetzt? Ich zähle nicht mehr. Zum wievielten Mal habe ich ein Zimmer in der Unterstadt gemietet? Jeden Abend hat einer unter meinem Fenster Trompete gespielt. La Paloma. Die kleine Kneipe. So ein Tag, so wunderschön wie heute. Offenbar wusste er nicht, dass die Saison zu Ende ist. Ich hätte die Fenster aufreißen und schreien mögen: Hör auf, es ist vorbei! Vielleicht war ich so wütend, weil ich davor im Aurichs gegessen hatte – um mich nur Paare und Familien. Mit kleinen Kindern. Großen Kindern. Ich dachte, ich könnte das mittlerweile aushalten.

Auf dem Schiff von Überlingen fiel mir im Oktoberdunst ein, dass Deine Mutter auch mir Bilder geschenkt hat. Sie hat unser erstes Foto geschossen. Mit ihrer schmalen Kodak, die sie in die Brusttasche stecken konnte. Zum ersten Mal sind wir zusammen auf einem Foto. Zwei Mädchen, Rot und Braun. Mit Zöpfen, Zahnlücken, in Schlaghosen mit aufgestickten Blumenborten. Es wandert mit mir durch die Jahre. Zusammen mit meiner Dora-Amphore. Durch all meine anderen Zimmer. Jetzt hängt es in einem knallroten Rahmen neben meinem Küchenfenster. Immer schon hast Du wütend ausgesehen. Warum so wütend? Warum nur siehst Du immer so wütend aus?

Johanna

 

15. Oktober 200923:45

Liebste Jo,

na, weil ich wütend bin! Also muss ich auch so aussehen! Durch und durch wütend! So wütend, dass gestern der jede Woche fällige Brüllanfall über mich kam, weil meine Tochter in der dritten Klasse noch nicht kapiert, was drei plus zwei ist, auf die Uhrzeiten eher tippt, als dass sie sicher sagen könnte, es ist Viertel vor drei oder drei nach vier. Nein, es ist nicht wichtig, wirst Du sagen, ich höre Dich schon, wozu muss ein Mensch Uhrzeiten ablesen?

Jeden Abend zeigt mir Mia ihre Rechenaufgaben, die durch und durch falsch sind, abermals fehlt die Klassenlehrerin, abermals sind die Eltern in Aufruhr, von meiner Seite fallen schlimme Wörter wie Blödenschule und glatte Sechs, Mia weint und weint, Franz stellt sich vor sie, umarmt sie, küsst sie auf die Pfirsichwange, aufs Elfenhaar, Henri krabbelt zu mir und haut gegen meine Beine, aber ich kann nicht aufhören, Johanna. Was sich alles in mein Schreien legt, weiß ich nicht, sag Du es mir, Du wirst es wissen, schließlich weißt Du alles über mich, ich werfe alle Wut hinein, die ich in mir trage, dazu alle Wut, die ich sonst zusammenklauben kann, in meiner lächerlich winziggeschrumpften Márta-Welt, auf den Fußböden, Tischen, Ablagen unserer wenigen Schränke, ich raffe sie zusammen und fülle meine Anfälle mit ihr auf – ich werde mich sehr anstrengen müssen, damit Mia nicht eines Tages denkt, ihre Mutter ist eine verrückte alte Frau, ihre Eltern sind verrückte alte Menschen.

So leben wir, so schlägt mein Herz, Stunde um Stunde, so fließt das Blut durch unsere Venen, so pochen und pulsieren wir unter unserem atonalen, immer wieder aus dem Takt springenden Herzschlag, vieles ist wieder Alltag, nein, falsch, alles ist wieder Alltag, nur wenig darüber hinaus, kaum etwas darüber hinaus. Immerhin waren wir am Wochenende in Stuttgart bei Anikó, ja, fünfmal Kissen und Decken beziehen, fünfmal Bettlaken überwerfen, in der aufgeräumt bürgerlichen Welt aus Erbschaften und Espressomaschinen, einer Welt ohne Staub, Johanna, ohne Fussel, Krümel und schmutzigen Socken auf den gebürsteten Eichendielen, wo verstecken sie die? Meine Kinder lieben ihre Vettern, Anikós Prinzensöhne mit dem dunkeldichten Anikóhaar, den makellos weißen Polohemden, den Hockeyschlägern aus Karbon und überflüssig langen Wimpern, wofür diese langen Wimpern? Simon und ich haben alle Kinder durch die Staatsgalerie geführt und meine, Deine Elfenmia hat in diesem lichtgetränkten, mittaghellen Raum stumm vor Picassos Gauklern gestanden, während Franz und Henri sich zwischen den Vettern auf dem Boden wälzten und Du, liebste Jo, in Überlingen auf Dein stummes Nebelschiff gestiegen bist, um zur Droste zu gleiten. Zwei und neun zusammenzuzählen gelingt unserer Feenmia nicht, aber das kann sie, still vor einem Ölgemälde stehen, während alles um sie herum tobt und wütet. Gauklermutter und Kind haben heftig nach mir gegriffen und mich trotz Pastellfarben seltsam unruhig angefasst, so unentrinnbar umschließt sie eine Gefahr, was erwartet sie, was wird in ihrem Futur eins und zwei noch kommen?

Dies eine noch, bevor ich schlafen muss: Lori wird das Haus in Amorbach aufgeben und verkaufen, obwohl sie es mit Simons Vater in den Jahren vor seinem Tod geteilt hat und deshalb schwer, eigentlich gar nicht davon lassen kann, das Parkett spricht von seinen Schritten, sagt sie, von seinen Händen jeder Zweig und Halm im Garten, darin zwei Rosenbäumchen, davon trägt das eine weiße, das andere rote Rosen. Wieder ein Stück Lebensmauer, ein Wir, ein Uns, ein Damals, ein Früher, das wegbröckelt und abgetragen wird, wieder ein anderes Zimmer, das verschlossen und nicht länger betreten wird, aber der Odenwald ist jetzt zu weit, weil Lori mit ihrer Zitterhand nicht mehr Auto fahren kann, ist er weggerückt, sie braucht nur etwas Zeit, um sich zu verabschieden, um einen Tag, eine Stunde zu finden, in der sie sagen kann, adieu, du sollst einem anderen gehören. Simon und ich sind nicht sehr glücklich darüber, aber wer sind wir, Lori, ausgerechnet Lori, Lori, Lori Vorschriften zu machen?

Und wie geht es nun meiner Schönsten, Liebsten, meiner Allerliebsten?

Márta

 

22. Oktober 200920:43

Liebe Márti,

niemand hebt bei Euch ab. Wo seid Ihr nur? Ausgeschwirrt? Abgetaucht in Eurem Stadtgehege? Deiner Schönsten, Liebsten, Allerliebsten geht es gut. Sagen wir, im Vergleich zu gestern. Im Vergleich zu vorgestern. Der Herbst nagt an mir. Der Winter lässt sich nicht aufhalten. Lauter Bröseltage. An denen nicht ein Droste-Satz für mich abgefallen ist. Nach dem ich in Meersburg vergeblich gesucht hatte.

Gute, wunderbare Lori. Denke ich an Euch, muss ich Lori sofort mitdenken. Solltet Ihr eines Tages die Stadt aufgeben, werdet Ihr sie mitnehmen müssen. Es stimmt, in Loris Zügen ist kein Lebensdurcheinander. Kämpfe gegen Kopfdämonen hat sie für sich entschieden. Niederlagen offenbar geschluckt und später ausgespuckt. Lori mit ihrem großen Strohhut. Den sie von April bis Oktober trägt. Der sich über den schmalen, mittlerweile schiefschräg sitzenden spitzen Lori-Schultern in Fäden auflöst. Lori mit ihren Körben, den vielen Dingen aus ihrem Garten. Als lebte sie nicht in der Stadt, fünf U-Bahn-Stationen von Euch entfernt. Sondern dort, wo man bis zur nächsten Autobahn zwei Stunden braucht. Wie hat sie...

Erscheint lt. Verlag 23.2.2017
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anspruchsvolle Literatur • Briefe • Brieffreundschaft • Briefwechsel • Familie • Frauen • Freiheit • Freundschaft • Glück • Leben • Lebenshunger • Lebensmut
ISBN-10 3-10-402899-0 / 3104028990
ISBN-13 978-3-10-402899-6 / 9783104028996
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