Der Club (eBook)
240 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9347-8 (ISBN)
Takis Würger, geboren 1985, berichtete für das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« aus Afghanistan, Libyen und dem Irak. Mit seinen Reportagen gewann er zahlreiche Preise, darunter den Deutschen Reporterpreis und den CNN Journalist Award. Im Alter von 28 Jahren kündigte er seine Arbeit als Reporter und ging nach England, um an der Universität von Cambridge Ideengeschichte zu studieren. Er boxte als Schwergewicht für Cambridge University Amateur Boxing Club, kämpfte gegen Oxford und brach sich eine Rippe und die Hand. Er ist ein Cambridge Blue, Mitglied im Hawk`s Club, bei den Adonians, im Pitt Club und einer Drinking Society, deren Name hier nicht genannt werden darf. Verbrechen hat er in den Clubs keine begangen.
Takis Würger, geboren 1985, berichtete für das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« aus Afghanistan, Libyen und dem Irak. Mit seinen Reportagen gewann er zahlreiche Preise, darunter den Deutschen Reporterpreis und den CNN Journalist Award. Im Alter von 28 Jahren kündigte er seine Arbeit als Reporter und ging nach England, um an der Universität von Cambridge Ideengeschichte zu studieren. Er boxte als Schwergewicht für Cambridge University Amateur Boxing Club, kämpfte gegen Oxford und brach sich eine Rippe und die Hand. Er ist ein Cambridge Blue, Mitglied im Hawk`s Club, bei den Adonians, im Pitt Club und einer Drinking Society, deren Name hier nicht genannt werden darf. Verbrechen hat er in den Clubs keine begangen.
Hans
Im südlichen Niedersachsen liegt ein Wald, der Deister, darin stand ein Haus aus Sandstein, in dem früher der Förster gewohnt hatte und das durch eine Reihe von Zufällen und den Kredit einer Bank in den Besitz eines Ehepaares kam, das dort einzog, damit die Frau in Ruhe sterben konnte.
Sie hatte Krebs, Dutzende kleine Karzinome, die in ihrer Lunge saßen, als hätte jemand mit einer Schrotflinte hineingeschossen. Der Krebs war inoperabel, und die Ärzte sagten, sie wüssten nicht, wie viel Zeit der Frau bliebe, deshalb quittierte der Mann seine Arbeit als Architekt und blieb bei ihr. Als die Frau schwanger wurde, riet der Onkologe zur Abtreibung. Der Gynäkologe sagte, auch eine Frau mit Lungenkrebs könne gebären. Sie gebar einen kleinen, dünnen Säugling mit zarten Gliedern und vollem schwarzen Haar. Der Mann und die Frau pflanzten einen Kirschbaum hinter das Haus und nannten ihren Sohn Hans. Das war ich.
In meiner frühsten Erinnerung läuft meine Mutter mit nackten Füßen durch den Garten auf mich zu. Sie trägt ein gelbes Kleid aus Leinen und um den Hals eine Kette aus rotem Gold.
Wenn ich an diese ersten Jahre meines Lebens zurückdenke, ist immer später Sommer, und es kommt mir vor, als hätten meine Eltern viele Feste gefeiert, auf denen sie Bier aus braunen Flaschen tranken und wir Kinder Limonade, die Schwip Schwap hieß. An solchen Abenden schaute ich den anderen Kindern zu, wie sie Fangen spielten, ich fühlte mich beinahe wie ein normaler Junge, und es war, als sei der Schatten vom Gesicht meiner Mutter verschwunden, was vielleicht auch am Licht des Lagerfeuers lag.
Meistens beobachtete ich die anderen aus einer hinteren Ecke des Gartens, wo unser Pferd graste. Ich wollte es beschützen, weil ich wusste, dass es Angst vor Fremden hatte und nicht gestreichelt werden mochte. Es war ein Englisches Vollblut, das einmal ein Rennpferd gewesen war und das meine Mutter einem Pferdeschlachter abgekauft hatte. Wenn es einen Sattel sah, buckelte es. Als ich ein Kleinkind war, setzte meine Mutter mich auf den Rücken des Pferdes, später ritt ich mit ihm durch den Wald, ich hielt mich mit dem Druck meiner Schenkel fest. Nachts, wenn ich aus meinem Zimmer in den Garten schaute, hörte ich, wie meine Mutter mit dem Pferd sprach.
Meine Mutter kannte jedes Kraut im Wald. Wenn ich Halsschmerzen hatte, kochte sie mir einen Sirup aus Honig, Thymian und Zwiebeln, und die Schmerzen verschwanden. Einmal sagte ich ihr, dass ich mich vor der Dunkelheit fürchtete, sie nahm mich bei der Hand und wir gingen durch die Nacht in den Wald. Sie sagte, sie könne nicht leben, wenn sie daran dachte, dass ich mich fürchtete, was mich ein wenig beunruhigte, da ich häufig Angst hatte. Oben auf dem Kammweg sprangen die Leuchtkäfer aus den Zweigen und setzten sich meiner Mutter auf die Arme.
Jeden Abend hörte ich ihren Husten durch die Dielen meines Kinderzimmers. Das Geräusch half mir beim Einschlafen. Die Eltern sagten mir, dass der Krebs aufgehört habe zu wuchern, die Bestrahlung, die sie nach der Geburt bekommen hatte, habe gewirkt. Ich merkte mir das Wort »Remission«, obwohl ich nicht wusste, was es hieß. So, wie meine Mutter schaute, als sie es sagte, schien es etwas Gutes. Sie sagte mir, dass sie sterben würde, aber niemand wüsste, wann. Ich glaubte, solange ich keine Angst hatte, würde sie leben.
Ich spielte nie. Ich verbrachte meine Zeit damit, die Welt zu beobachten. An den Nachmittagen ging ich in den Wald und schaute zu, wie die Blätter sich bewegten, wenn der Wind sie berührte. Manchmal saß ich neben meinem Vater an der Werkbank und beobachtete, wie er Eichenholz drechselte, und roch den Duft frischer Späne. Ich umarmte meine Mutter, wenn sie Marmelade aus weißen Johannisbeeren kochte, und horchte an ihrem Rücken, wenn sie hustete.
In die Schule ging ich ungern. Das Alphabet lernte ich schnell, und Zahlen mochte ich, weil sie geheimnisvoll waren, Lieder singen oder Blumen aus Pappe basteln fiel mir schwer.
Als wir im Deutschunterricht anfingen, Geschichten zu schreiben, verstand ich, dass die Schule mir helfen könnte. Ich schrieb Texte, die vom Wald handelten und von den Arztbesuchen meiner Mutter, und die Geschichten machten mir die Welt weniger fremd, sie erlaubten mir, eine Ordnung zu schaffen, die ich nicht sah. Von meinem Taschengeld kaufte ich mir ein Tagebuch und begann, jeden Abend darin zu schreiben. Ich weiß nicht, ob ich ein Streber war, falls ja, war es mir egal.
Es gab verschiedene Gruppen in der Schule: die Mädchen, die Fußballer, die Handballer, die Gitarrenspieler, die Russlanddeutschen, die Jungs, die in den schönen, weißen Häusern am Waldrand wohnten. Ich mochte keinen Ballsport und spielte kein Instrument, ich wohnte nicht in einem der weißen Häuser und sprach kein Russisch. Die Mädchen stellten sich in der Pause zu mir, und als die Jungs aus meiner Klasse das sahen, lachten sie, deswegen versteckte ich mich in den Pausen oft hinter einem Aquarium, wo ich allein war.
An meinem achten Geburtstag bat meine Mutter die anderen Eltern darum, ihre Kinder vorbeizubringen. Ich saß still vor dem Marmorkuchen, war aufgeregt und fragte mich, ob die Kinder meine Freunde sein würden. Am Nachmittag spielten wir Verstecken. Ich rannte in den Wald und kletterte auf einen Kastanienbaum. Dort würde ich nicht gefunden werden, dachte ich und freute mich. Den ganzen Tag blieb ich im Baum und kam erst abends nach Hause. Ich war stolz, dass mich niemand gefunden hatte, und fragte meine Eltern, wo die anderen Kinder seien. Meine Mutter sagte, dass mein Versteck zu gut gewesen sei, und nahm mich in ihre Arme. Mein Leben lang würde mein Versteck zu gut sein.
Als ich zehn Jahre alt war, spielten die Jungs in der Pause häufig ein Ballspiel, das sie sich selbst ausgedacht hatten und das so gewalttätig und stumpf war, wie nur Geisteskranke und Kinder es sich ausdenken können. Es ging darum, einen Ball auf die andere Seite des Spielfelds zu tragen, und es war erlaubt, die Spieler der anderen Mannschaft mit allen Mitteln daran zu hindern. An einem Tag kurz vor den großen Ferien hatte ein Junge Mumps und war zu Hause geblieben. Sie brauchten einen Spieler und fragten mich, ob ich mitmachen wolle. Der Gedanke daran versetzte mich in Panik, weil die Kinder schwitzten und ich fremden Schweiß nicht mochte, außerdem wusste ich, dass ich Bälle nicht fangen konnte. Ich lehnte ab, aber sie sagten, dass sie so nicht spielen könnten. Ein paar Minuten lang lief ich auf dem Rasen hin und her und war froh, wie gut es mir gelang, mich davor zu drücken, den Ball in die Hand zu nehmen. Ein Mitschüler schrie mich an, ich solle mich anstrengen, sonst würden alle meinetwegen verlieren. Kurz darauf lief ein Gegner mit dem Ball in meine Richtung, der schon in die achte Klasse ging und stärker war als ich. Ich war immer klein gewesen, und dieser Junge spielte Rugby in der Landesauswahl und lief direkt auf mich zu. Schnell versuchte ich zu überlegen, wo die Schwachstelle dieses Körpers war, der da auf mich zustürmte, und sprang mit meinem ganzen Gewicht gegen sein rechtes Knie und zertrümmerte seine Kniescheibe. Ich kniete neben dem Jungen und sagte ihm, dass es mir leidtue. Was er kaum hörte, denn er schrie laut. Später wurde er von einem Krankenwagen abgeholt, und seine Freunde wollten mich verprügeln, also lief ich davon, kletterte auf eine Pappel und setzte mich oben in die dünnen Zweige. Ich hatte nie Angst zu fallen. Unten versammelten sich die Kinder und bewarfen mich mit Tonerde, die sie von einem nahen Acker holten.
Als ich von der Schule nach Hause kam, sah mich mein Vater, der in der Werkstatt stand und Holz schliff. Der Schulleiter hatte ihn schon angerufen. Ich hatte mir die ganze Zeit gesagt, dass alles nicht so schlimm sei, mir war ja nichts passiert, aber als ich meinen Vater sah und wusste, dass ich in Sicherheit war, begann ich zu weinen. Er hielt mich in seinen Armen, und ich kratzte mir die trockene Erde vom Hemd.
Mein Vater war ein wenig wie ich, er schwieg viel, ich habe keine Erinnerung daran, wie er Ball spielte. Er war auch anders als ich, er lachte laut und lang, und das Lachen hatte Falten in seine Haut gezeichnet. An diesem Tag legte er beim Abendessen zwei schwarze Boxhandschuhe aus Rindsleder neben den Teller. Er sagte, meistens sei alles im Leben grau, aber manchmal gebe es nur Richtig und Falsch, und wenn Stärkere einem Schwächeren Leid antun, sei das falsch. Er sagte, er werde mich morgen im Verein anmelden. Ich griff nach den Handschuhen und fühlte, wie weich das Leder war.
Meine Eltern hatte Besuch in diesen Wochen, am Tisch saß die Halbschwester meiner Mutter aus England, die kaum Deutsch sprach und an den meisten Tagen in den Wald ging. Ich mochte sie, obwohl ich sie schlecht verstand, wenn sie etwas erzählte. Meine Mutter erklärte mir, die Halbschwester habe Gewitter im Kopf und ich solle lieb zu ihr sein, also pflückte ich ihr jeden Tag am Ententeich einen Strauß Sumpfdotterblumen und stellte ihn auf den Tisch neben ihrem Bett, und einmal klaute ich von einem Baum neben der Kirche einen Apfel, der so groß war wie meine beiden Fäuste, und steckte ihn unter ihr Kopfkissen, damit sie ihn dort findet.
Bis ich acht Jahre alt war, hatte ich keine Tante gehabt. Dann war mein Großvater gestorben und meine Mutter erfuhr, dass sie eine Halbschwester hatte, die in England lebte.
Sie war das Resultat einer Affäre, mein Großvater hatte sie nie als Tochter akzeptiert. Irgendwie hatten meine Mutter und meine Tante es nach seinem Tod geschafft, sich nah zu kommen, obwohl sie so verschieden waren. Das fing mit dem Aussehen an, meine Mutter war groß und hatte kräftige Unterarme von der Arbeit im Garten. Meine Tante war zierlich, nahezu zart, ein wenig wie...
Erscheint lt. Verlag | 22.2.2017 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 21.Jahrhundert • Bestseller • Boxen • Cambridge • Cambrigde • Elite • Eliteuniversität • England • Gambler • Gegenwartsroman • Krimi • Liebesgeschichte • Literatur • Oxbridge • Oxford • Roman • Spiegelbestseller • SPIEGEL-Bestseller • Sport • Studentenclub • Takis Würger • Training • Würger |
ISBN-10 | 3-0369-9347-9 / 3036993479 |
ISBN-13 | 978-3-0369-9347-8 / 9783036993478 |
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