Die Autobiographie (eBook)

(Autor)

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2017 | 1. Auflage
509 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-75207-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Autobiographie - Thomas Bernhard
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Die Ursache, Der Keller, Der Atem, Die Kälte und Ein Kind - erschienen zwischen 1975 und 1982 - galten (und gelten) als die Selbstbeschreibung des Lebens Thomas Bernhards, in denen deutlich wird, warum er zu dem Schriftsteller geworden ist, der er ist. Doch inzwischen ist es möglich, diese Autobiographie nicht nur als Darstellung der Wahrheit, sondern auch als Dichtung zu lesen.



<p>Thomas Bernhard, 1931 in Heerlen (Niederlande) geboren, starb im Februar 1989 in Gmunden (Ober&ouml;sterreich). Er z&auml;hlt zu den bedeutendsten &ouml;sterreichischen Schriftstellern und wurde unter anderem 1970 mit dem Georg-B&uuml;chner-Preis und 1972 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Der Suhrkamp Verlag publiziert eine Werkausgabe in 22 B&auml;nden.</p>

Thomas Bernhard, 1931 in Heerlen (Niederlande) geboren, starb im Februar 1989 in Gmunden (Oberösterreich). Er zählt zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern und wurde unter anderem 1970 mit dem Georg-Büchner-Preis und 1972 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Der Suhrkamp Verlag publiziert eine Werkausgabe in 22 Bänden.

O N K E L  F R A N Z

Wir werden erzeugt, aber nicht erzogen, mit der ganzen Stumpfsinnigkeit gehen unsere Erzeuger, nachdem sie uns erzeugt haben, gegen uns vor, mit der ganzen menschenzerstörenden Hilflosigkeit, und ruinieren schon in den ersten drei Lebensjahren alles in einem neuen Menschen, von welchem sie nichts wissen, nur, wenn überhaupt, daß sie ihn kopflos und verantwortungslos gemacht, und sie wissen nicht, daß sie damit das größte Verbrechen begangen haben. In vollkommener Unwissenheit und Gemeinheit haben uns unsere Erzeuger und also unsere Eltern in die Welt gesetzt und werden, sind wir einmal da, mit uns nicht fertig, alle ihre Versuche, mit uns fertig zu werden, scheitern, sie geben früh auf, aber immer zu spät, immer erst in dem Augenblick, in welchem sie uns längst zerstört haben, denn in den ersten drei Lebensjahren, den entscheidenden Lebensjahren, von welchen unsere Erzeuger als Eltern aber nichts wissen, nichts wissen wollen, nichts wissen können, weil jahrhundertelang immer alles getan worden ist für diese ihre entsetzliche Unwissenheit, haben uns unsere Erzeuger mit dieser Unwissenheit zerstört und vernichtet und immer für unser ganzes Leben zerstört und vernichtet, und die Wahrheit ist, daß wir es auf der Welt immer nur mit in den ersten Jahren von ihren unwissenden und gemeinen und unaufgeklärten Erzeugern als Eltern zerstörten und vernichteten und für ihr ganzes Leben vernichteten Menschen zu tun haben. Der neue Mensch ist nur immer wie ein Tier aus der Mutter geworfen und wird auf immer wie ein Tier von dieser Mutter behandelt und zugrunde gerichtet, wir haben es nur mit von ihren Müttern geworfenen Tieren, nicht Menschen, zu tun, die schon in den ersten Monaten und erst in den ersten Jahren von diesen ihren Müttern mit ihrer ganzen animalischen Unwissenheit zerstört und vernichtet werden, aber diese Mütter trifft keine Schuld, weil sie niemals aufgeklärt worden sind, die Interessen der Gesellschaft sind andere als die Aufklärung, und die Gesellschaft denkt gar nicht daran, aufzuklären, und die Regierungen sind immer und in jedem Falle und in jedem Lande und Staatsgebilde daran interessiert, daß ihre Gesellschaft nicht aufgeklärt wird, denn klärten sie ihre Gesellschaft auf, wären sie schon in kurzer Zeit von dieser von ihnen aufgeklärten Gesellschaft vernichtet, Jahrhunderte ist die Gesellschaft nicht aufgeklärt worden, und es werden viele Jahrhunderte kommen, in welchen die Gesellschaft nicht aufgeklärt werden wird, weil die Aufklärung der Gesellschaft ihre Vernichtung bedeutete, und so haben wir es mit unaufgeklärten Erzeugern von lebenslänglich unaufgeklärten Kindern zu tun, die immer unaufgeklärte Menschen bleiben werden und lebenslänglich zu vollkommener Unwissenheit verurteilt sind. Gleich mit welchen Erziehungsmitteln und -methoden die neuen Menschen erzogen werden, sie werden mit der ganzen Unwissenheit und Gemeinheit und Unzurechnungsfähigkeit ihrer Erzieher, die immer nur sogenannte Erzieher sind und immer nur sogenannte Erzieher sein können, zugrunde erzogen schon in den ersten Lebenstagen und ersten Lebenswochen und ersten Lebensmonaten und ersten Lebensjahren, denn alles, was der neue Mensch in diesen ersten Tagen und Wochen und Monaten und Jahren aufnimmt und wahrnimmt, ist er dann für sein ganzes künftiges Leben, und wie wir wissen, ist jedes dieser Leben, die gelebt werden, jede dieser Existenzen, die existiert werden, immer nur ein gestörtes oder eine gestörte, ein zerstörtes oder eine zerstörte und ein vernichtetes oder eine vernichtete, gestört und zerstört und vernichtet. Es gibt überhaupt keine Eltern, es gibt nur Verbrecher als Erzeuger von neuen Menschen, die mit ihrer ganzen Unsinnigkeit und Stumpfsinnigkeit gegen diese neuen von ihnen erzeugten Menschen vorgehen und in diesem Verbrechertum von den Regierungen unterstützt werden, die an dem aufgeklärten und also tatsächlich zeitentsprechenden Menschen, weil der naturgemäß gegen ihre Zwecke ist, nicht interessiert sind, so werden von Millionen und von Milliarden von Schwachsinnigen immer wieder und wahrscheinlich noch Jahrzehnte und möglicherweise Jahrhunderte immer wieder Millionen und Milliarden Schwachsinnige produziert werden. Der neue Mensch wird in den ersten drei Jahren von seinen Erzeugern oder deren Stellvertretern zu dem gemacht, was er sein ganzes Leben lang sein muß und was er nicht und durch nichts ändern kann: eine unglückliche Natur als total unglücklicher Mensch, ob diese unglückliche Natur als unglücklicher Mensch das zugibt oder nicht, die Kraft hat, das zuzugeben oder nicht, die Kraft hat, die Konsequenzen daraus zu ziehen oder nicht, und ob sich dieser Mensch als in jedem Falle unglückliche Natur auch nur ein einziges Mal darüber überhaupt einen Gedanken macht, denn wie wir wissen, machen sich die meisten dieser unglücklichen Naturen als unglückliche Menschen und umgekehrt überhaupt niemals in ihrem Leben und in ihrer Existenz diesen Gedanken. Der Neugeborene ist von dem Augenblick seiner Geburt verblödeten, unaufgeklärten Erzeugern als Eltern ausgeliefert und wird schon vom ersten Augenblick von diesen verblödeten und unaufgeklärten Erzeugern als Eltern zu einem ebensolchen verblödeten unaufgeklärten Menschen gemacht, dieser ungeheuerliche und unglaubliche Vorgang ist in den Jahrhunderten und Jahrtausenden der menschlichen Gesellschaft zur Gewohnheit geworden und sie hat sich an diese Gewohnheit gewöhnt und sie denkt gar nicht daran, von dieser Gewohnheit abzulassen, im Gegenteil wird diese Gewohnheit mehr und mehr intensiviert, und sie ist in unserer Zeit auf ihrem Höhepunkt angelangt, denn zu keiner Zeit sind bedenkenloser und gemeiner und niederträchtiger und schamloser Menschen und Millionen und Milliarden Menschen als Weltbevölkerung gemacht worden als in der unsrigen, obwohl die Gesellschaft längst weiß, daß dieser Vorgang als weltweite Infamie, wenn er nicht abgebrochen wird, das Ende der Menschengesellschaft bedeutet. Aber die aufgeklärten Köpfe klären nicht auf, und die Menschengesellschaft, das ist sicher, vernichtet sich. Auch meine Erzeuger als Eltern haben so gehandelt, kopflos und in stumpfsinniger Übereinstimmung mit der ganzen übrigen, über die ganze Welt ausgebreiteten Menschenmasse, und einen Menschen gemacht und von dem Augenblick seiner Erzeugung seine Verblödung und Vernichtung betrieben, alles ist in diesem Menschen in den ersten drei Jahren, wie in jedem anderen, zerstört und vernichtet worden, verschüttet worden, zugeschüttet worden und mit einer solchen Brutalität zugeschüttet worden, daß dieser von seinen Erzeugern als Eltern zur Gänze verschüttete Mensch dreißig Jahre gebraucht hat, um den Schutt, mit welchem er von seinen Erzeugern als Eltern zugeschüttet worden ist, wieder wegzuräumen, wieder, was er im ersten Augenblick sicher gewesen war, der Mensch zu werden, den diese seine Erzeuger als Eltern, Eltern als Erzeuger, mit ihrem jahrhundertealten Gefühls- und Geistesunrat als Unwissenheit zugeschüttet hatten. Wir dürfen, selbst auf die Gefahr, für verrückt gehalten zu werden, uns nicht scheuen, auszusprechen, daß unsere Erzeuger als Eltern das Verbrechen der Zeugung als das Verbrechen der vorsätzlichen Unglücklichmachung unserer Natur und in Gemeinschaft mit allen andern, das Verbrechen der Unglücklichmachung der immer noch unglücklicher werdenden ganzen Welt begangen haben, genauso wie ihre Vorfahren undsofort. Zuerst wird der Mensch, und der Vorgang ist ein tierischer, erzeugt und geboren wie ein Tier und immer nur animalisch behandelt, und sei es geliebt oder verhätschelt oder gepeinigt, von den durch und durch stumpfsinnigen unaufgeklärten, ihre egoistischen Zwecke verfolgenden Erzeugern als Eltern oder ihren Stellvertretern aus ihrem eigenen Mangel an tatsächlicher Liebe und Erziehungserkenntnis und -bereitschaft stumpfsinnig und egoistisch wie ein Tier gefüttert und behandelt und nach und nach in seinen hauptsächlichen Gefühls- und Nervenzentren eingeebnet und gestört und zerstört und dann, als eine der größten Vernichterinnen, übernimmt die Kirche (übernehmen die Religionen) die Vernichtung der Seele dieses neuen Menschen, und die Schulen begehen im Auftrag und auf Befehl der Regierungen in allen Staaten der Welt an diesen neuen jungen Menschen den Geistesmord. Jetzt war ich im Johanneum, so die neue Bezeichnung des alten Gebäudes, welches in der Zwischenzeit, die ich bei den Großeltern verbracht hatte, wieder beziehbar und, als nationalsozialistisches, zu einem streng katholischen gemacht worden war, in den wenigen Nachkriegsmonaten war das Gebäude aus dem sogenannten Nationalsozialistischen Schülerheim in das streng katholische Johanneum verwandelt worden, und ich war einer der wenigen im Johanneum, die auch schon im Nationalsozialistischen Schülerheim gewesen waren, und ich besuchte jetzt das Gymnasium und nicht mehr die Hauptschule, die sogenannte Andräschule, und anstelle des Grünkranz, der verschwunden, möglicherweise wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit inhaftiert, jedenfalls nicht mehr von mir gesehen war, hatte ein katholischer Geistlicher als Direktor, welcher von uns immer nur als Onkel Franz angesprochen worden ist, die Herrschaft über uns angetreten. Ein etwa vierzigjähriger Geistlicher war dem Onkel Franz als Präfekt zur Seite gestanden, und dieser gestochen Deutsch sprechende Präfekt hatte auf katholische Weise das Erbe des nationalsozialistischen Grünkranz angetreten, er war genauso gefürchtet und gehaßt wie der Grünkranz und er war wahrscheinlich ein ebensolcher uns alle abstoßender Charakter. Tatsächlich war an dem ganzen Gebäude nur das Notdürftigste gemacht und also in erster Linie...

Erscheint lt. Verlag 6.2.2017
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Adolf-Grimme-Preis 1972 • Bernhard • Bernhard Thomas • Bernhard, Thomas • Biografien • Erinnerungen • Franz Theodor Csokor-Preis 1972 • Grillparzer-Preis 1972 • Prix Medicis 1988 • Thomas
ISBN-10 3-518-75207-3 / 3518752073
ISBN-13 978-3-518-75207-4 / 9783518752074
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